Cultural learning: Lehrgeld 1
Letztes Wochenende kämpfte ich mit zwei lesbischen ungarischen Designerinnen an einem dreitägigen Hackathon um 10,000 Shekel. (Ich sage das so, weil ich immer wieder verblüfft bin, in was für Situationen mich das Leben hier in Israel hineinspült.)
Wir drei waren “Team Europa” und wir hatten neun oder zehn andere Teams gegen uns in einem Wettkampf um das beste Konzept und Design für eine Mobile-App.
Ausgeschrieben hatte den Wettbewerb eine internationale Design-Beratungsfirma in Zusammenarbeit mit einem Medizinal-Hightech-Startup. Die Aufgabe: Konzept und Design für eine “Gesundheits-App” für Smartphones entwickeln. Als Ausgangspunkt diente eine existierende medizinische Diagnose-Routine, die per Smartphone vereinfacht und für Patienten zuhause verfügbar gemacht werden sollte (ich musste unterschreiben, dass ich niemandem etwas von den Ideen erzähle, die besprochen wurden).
Wir hatten gute 48 Stunden Zeit, dann mussten wir unsere Lösung in einem Pitch, einer 8-minütigen Präsentation, verkaufen.
Wir machten uns daran, einen Patienten zu erfinden. Wir stellten uns eine Situation vor, in der unsere App nützlich wäre. Wir entwickelten ein Konzept, wie die App funktionieren würde, entlang der vorgegebenen Technologie. Und wir entwickelten ein schönes, einheitliches, funktionelles und attraktives Screen-Design für die Nutzerführung.
So war uns die Aufgabe gestellt worden.
Wir hatten Stress, das Material für die Präsentation rechtzeitig zusammenzubringen, aber wir schafften es. Wir präsentierten als erstes Team. Jury und die anderen Teams mochten unseren Pitch.
Die 10’000 Schekel nahmen andere mit nach Hause: Ihre Präsentation war mit viel Leidenschaft und Witz vorgetragen, aber ihre Lösung war grafisch und ‘designerisch’ völlig unentwickelt. Das Screen-Design für ihre App war bestenfalls ‘funktionell’. Es kümmerte sie nicht, wie hübsch oder gut das ganze aussah. Was sie hatten: Sie hatten bestechende Ideen zur Technologie. Dazu, wie man das Smartphone besser einsetzen könnte.
Das israelische Gewinnerteam hatte einen Schritt zurück gemacht und Schwachpunkte der Technologie erkannt, die nicht mit gutem Screen-Design zu beheben waren.
Wir hatten uns an den Wettbewerbs-Vorgaben orientiert. Die Israelis dachten ‘out of the box’.
Wir hinterfragten nicht, was gegeben schien. Die Israelis sagten: Was ihr uns vorgibt, ist nicht gut genug. Also setzten sie sich hin und dachten darüber nach, wie man die Technologie verändern müsste. Ihre Ideen waren komplett unausgereift, aber sie hatten einen futuristischen Touch. Ihre Ideen versprachen etwas Neues. Sie hatten aufregende Ideen. Dass die Aufgabenstellung damit sehr weit gedehnt wurde, kümmerte weder das Gewinnerteam noch die Jury.
Ich bin zufrieden mit unserer Präsentation. Aber ich ärgere mich, dass wir diesen Schritt zurück nicht gemacht hatten. Auf Hebräisch sagt man jemand ist ‘rosh gadol’ oder ‘rosh katan’, grosser Kopf oder kleiner Kopf. Wir waren die mit dem kleinen Kopf.
Die Fähigkeit, sich von Vorgaben zu lösen und das zu tun, was einem richtig scheint, erlebe ich hier jeden Tag. Vorgaben aller Art (natürlich auch Anstand und Gesetz) werden hier bestenfalls als Ideen respektiert, wie man sich verhalten könnte. So lebt man hier. Out of the box.