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Die Behörden

Die israelische Fluglinie El Al wirbt auf Hebräisch mit dem Claim ‘Wie Zuhause in der Welt’. Nach einer Woche in Zürich freute ich mich nicht unbedingt auf den Rückflug, aber doch auf mein Zuhause.

Nach der 5minütigen obligatorischen El Al Sicherheitsbefragung am Gate in Zürich – ich war stolz, dass ich das Interview auf Hebräisch bestanden hatte, ich fühlte mich ein bisschen schon wie zuhause – sagte der israelische Security mit Pokerface zu mir „We have to do an extra-check. You can sit here“.

Ich setzte mich und wartete. Ich hasse die Willkür von Türstehern, Gorillas, Sicherheitsdiensten. Und ich kenne die Routine: El Al / Israel hat eigene Leute, die sämtliche Reisende vor dem Boarding befragen. Je nach Antworten, Nachnamen, vielleicht auch Wetter oder Tagesform werden dann einzelne Subjekte einem ‘extra-check’ unterzogen. Willkommen zuhause.

Es geht natürlich um die Flugsicherheit – doch es fühlt sich nicht so an.

Die Fragen der Sicherheitsleute sind so entworfen, dass sie zwangsläufig alle jene diskriminieren, die nicht jüdisch und in Israel geboren sind. Freunde hier versichern mir, dass sie auch gefilzt werden, es diene nur der Sicherheit, man dürfe es nicht persönlich nehmen …

“Hast du Freunde in Israel?” hatte er mich gefragt.
“Ja, viele,” lachte ich. Was sollte diese Frage?
“Wie heissen sie?”
Das Lachen verging mir.

“Ahmed, Mohammed, Yasser … ” wollte ich sagen, um ihm etwas zu Denken zu geben “… und Friedensaktivist Hans Z. aus Bern.”

Ich dachte wieder wie unheimlich es ist, dass ich noch immer keinen einzigen Araber kennengelernt habe. Seit bald vier Jahren in Israel.

Im Interview hatte er mich auch ausgefragt: Wo wir wohnen, ob wir Kinder haben …

“Woher ist deine Frau?”
“Israel.”
“Und die Eltern?”
“Israel.”

Wenn ihre Eltern vor 70 Jahren in Israel geboren wurden, ist die Chance gross dass sie Palästinenser sind – zumal der Familiennamen meiner Frau nicht Cohen oder Birnbaum ist.

Verdächtig.

Es ist beleidigend. Ich lebe seit bald vier Jahren in Israel, arbeite fleissig für wenig Geld, bezahle die hohe Wohnungsmiete, um in dem einen teuren Viertel in Israel zu leben, zu dem ich Schweizer problemlos kompatibel bin, ich schaffe Werte, mache Freunde, stecke den ganzen Kriegsscheiss weg – und die behandeln mich, als begehre ich Einlass in einen elitären Club.

“Wo hast du Hebräisch gelernt?” eine beliebte Frage. Oft eine der ersten.
“In Israel.”
“Aha.“

Ich bin mir sicher, das übersetzt sich in Sicherheitsdeutsch zur Antwort: ‘Er ist nicht mit Hebräisch aufgewachsen, also nicht jüdisch aufgewachsen, also möglicherweise gar kein Jude, also möglicherweise ein Feind.’

Manchmal setzen sie noch nach:
“Gar kein Hebräisch als Kind..?”
“Nein”

Ein Goy.
Warum würde ein Goy freiwillig nach Israel ziehen?

Alarm.

“Wie lange dauert’s noch, bis du einen israelischen Pass hast?” wieder eine Frage, die ich noch nicht kannte.
“Ich glaube drei, vier Jahre.”
“Aber das geht doch schneller, wenn du konvertierst?”
“Ich konvertiere nicht.”

Alarm.

Im Pass sind meine Ferien in Jordanien, und zwei Reisen in die Türkei vermerkt.

Alarm.

Alarm!

Nach 20 Minuten werde ich aufgerufen. Ich muss in’s Räumchen, mein Handgepäck wird ausgepackt und ausgelegt, auf Sprengstoffspuren untersucht.

Der Typ hört nicht auf zu quatschen, stellt mir erst dieselben Fragen wie sein Kollege und als ich ihm sage ich hätte sämtliche Fragen beantwortet und hätte die Schnauze voll davon, versucht er mich krampfhaft auf andere Art in ein Gespräch zu verwickeln und Informationen abzurufen.

Er erzählt mir, dass Hebräisch eine einfache und sehr alte Sprache sei und dass Sprachen je moderner je komplizierter sind – ich verklemme mir den Kommentar, dass das moderne Hebräisch erst knappe 100 Jahre alt ist. (Das wäre ja wie an der ewig alten Geschichte und Bestimmung der Juden zu kratzen.)

Er legt mir noch einen Köder aus, er erzählt mir von einer Sprachschule die seine Mutter gegründet habe, die auch Arabisch unterrichtet … Ja, ich würde gerne Arabisch lernen. Ich verklemme mir jeden Kommentar. Ich will einfach nur auf den Flieger. Nach Hause.

„Ich verstehe nicht, warum jemand in Israel Arabisch lernen sollte …“ hätte die Prozedur wohl abgekürzt. Oder „Wenn ich Arabisch höre, läuft mir jedesmal kalt den Rücken runter …“

Mitten in der Untersuchung erreicht den Gorilla ein Funkspruch, dass auch mein eingechecktes Gepäck geöffnet werde. Die drei Gläser Ovo-Schoko-Brotaufstrich würden entnommen und in eine Spezialbox zur Spedition verladen.

In meinem Gepäck ausserdem: Bratwürste und Weisswürste.

Sie sollten mich gar nicht mitnehmen, denke ich frustriert. Nicht genug dass ich, Unbeschnittener, eine propere Israelin vom auserwählten Volk verführte, ihr ein Kind machte, ich versorge ausserdem das heilige Land mit Schweinefleisch, schere mich einen Dreck um’s Konvertieren und unterwandere das herrschende Schokoladenmonopol. Auch wenn ich kein Terrorist bin – ich trage dazu bei, dass die Traditionen und Sitten im heiligen Land verludern, dass der jüdische Staat etwas un-jüdischer wird. Und als Christ bin ich als potenzieller Antisemit geboren.

Die Sonne Israels zieht eben nicht nur Juden an. Aber wo kommen wir denn hin, wenn immer mehr nicht-Juden ins gelobte Land ziehen wollen..? Plötzlich sind die Juden wieder in der Minderheit.

Der Claim von El Al auf Englisch: ‘It’s not just an airline. It’s Israel.’

Natürlich, Sicherheit hat nicht nur konkrete Funde zu liefern, es geht auch um eine Demonstration der Sicherheit. Die Israelis beherrschen das Metier meisterhaft. Das israelische System leistet nahezu perfekte Kontrolle und Abschreckung, es ist in Sachen Sicherheitsapparat wohl das beste was die Welt je gesehen hat. Der Preis, den man dafür zahlt, ist schwierig zu benennen. Bei mir sind es 20 unangenehme Minuten am Flughafen – andere zahlen einen unendlich viel höheren Preis.

Beliebter machen sich die Israelis damit nicht. Aber sie halten so ihr Nest sauber, könnte man sagen, und das ist ja die primäre Absicht… Doch in diesen Momenten stelle ich mir die Frage: Will ich wirklich in diesem sauberen Nest hocken..?

Gabi insistierte vor zwei Jahren, dass wir uns einen Drucker mit Fax kaufen. Ich lachte: “Fax??! Du bist so süss. Ich bring’ dir jedesmal Blumen wenn wir einen Fax schicken oder empfangen. Wir leben doch im Silicon Valley 2.0!”

Der Kulturschock liess nicht lange auf sich warten: In der #Startupnation stellt der bürokratische Schriftverkehr aller Art komplett auf Fax ab.

Nichts geht ohne Fax. Man bekommt kaum eine Pizza geliefert ohne Fax.

Die Parkuhr in der Strasse lässt sich zwar per iPhone-App füttern, aber banale papierne Formulare werden hin und her gefaxt wie in den tiefen 80ern.

Möglich, dass die Bürokraten mit dem Faxgeräte-Importeur unter einer Decke stecken. (Das Leben hier lehrt einen, alles auf doppelte Böden abzuklopfen. Und es ist doch nicht möglich, dass sich kein Startup findet, was dieses Problem löst.)

Jetzt hat sich ein Haver Knesset, ein Parlamentarier, das Thema für eine Schlagzeile gekrallt. Er will eine staatliche Verordnung, die sämtlichen Dienstleistern eine Email-Alternative zum Schriftverkehr per Fax aufzwingt.

Vermutlich wird die Fax-Lobby den Wink verstehen und dem Parlamentarier eine lebenslängliche Versorgung mit Tinte für seinen Drucker (mit Fax) anbieten, wenn er seinen Vorschlag zurückzieht.

Vielleicht sollte ich auch den kleinen Blumenladen bei uns um die Ecke auf der Dizengoff warnen. Ich schulde Gabi noch geschätzte zwei Dutzend Fax-Blumensträusse, aber wenn der Parlamentarier durchkommt mit seinem Vorschlag brechen harte Zeiten an…

JPost - Aus für Fax in Israel

Ah, du sprichst Deutsch..!? Dieses lustige YouTube-Video wird mir öfter mal auf iPhones vorgespielt: Ein Brite in Trenchcoat nuschelt: “Butterfly“. Ein Junge mit Mexikanerhut raspelt ein heissblütiges: “Mariposa“. Eine Französin mit neckischem Béret singt: “Papillon“. Ein tätowierter Italiener: “Farfallo“. Dann bellt ein Deutscher in Krachlederner und Münchner Trachtenhut: “SCHMETTER-LING!“.

Dann geht dasselbe Übersetzungs-Spielchen weiter mit anderen sinnlichen Deutschvokabeln wie “Ambulance, Ambulance, KRANKEN-WAGEN!” oder “Sex, Sexe, Sesso, GESCHLECHTS-VERKEHR!”

Mein Vorschlag für eine Fortsetzung des Videos, aus aktuellem Anlass: “Licence, Permis, FÜHRER-SCHEIN!“. Ich musste Sonntag zur Fahrprüfung.

Ich musste für einen Tag die hier herrschende Verkehrskultur des “Das-geht-auch-schneller” ablegen. In meiner vorbereitenden Fahrstunde hatte ich zwei Fragen, die mir in den zwei Jahren niemand beantworten konnte: Was ist die Höchstgeschwindigkeit? (Gibt es das? Im speziellen innerorts, ausserorts und auf der AUTO-BAHN?) Und: Gibt es sowas wie Rechtsvortritt? (Nein, sagte der Fahrlehrer, und verstand die Frage nicht, eine Seite der Kreuzung hat immer ein Strassenschild.)

Ich musste auf der Strasse beweisen, dass ich meinen Führerschein nicht wie der Russe bei einem korrupten Beamten gekauft hatte, sondern dass ich mir das Recht zum Lenken eines Fahrzeugs in Lektionen und Fahrstunden in meinem Heimatland redlich erarbeitet hatte.

Der Taxifahrer, der mich an dem Tag zum Misrad HaRishui brachte –Hebräisch für FÜHRERSCHEIN-MELDESTELLE! – hatte auch nur Verkehrsregeln im Kopf. Er schilderte mir in den 15 Minuten Fahrt, wie sehr Araber und Nazis auf Sex mit jüdischen Frauen stehen. Er wechselte ohne Atem zu holen zwischen schwärmerisch aufgegeilt („Schau mal diese heisse Braut dort drüben! Ich verstehe die Araber schon!“) und angewiderter Empörung über die Nazis und Mörderaraber, die ob der heissen jüdischen Bräute ihre Überzeugungen verraten.

Ich glaube, er wollte mit seiner feurigen Rede sein weltmännisches Verständnis für meinen Liebes-Umzug nach Israel ausdrücken. Nicht dass ich Araber oder Nazi wäre, aber: Alle Männer lieben sexy Jüdinnen.

Der Experte stieg zu mir ins Auto ohne mich anzuschauen, alles was er in den 2 Minuten sagte war: Smola (nach links), yamina (nach rechts), smola (nach links), smola (nach links). Dann kletterte er wieder aus dem Subaru Rallyewagen ohne mich anzuschauen. Mein Fahrlehrer sagte, es wird schon gut sein.

Dann wartete ich mit Los-Nummer 934 eine gute Stunde auf die Schalterbeamtin.

Jetzt kann ich legal Auto fahren. Wenn ich allerdings Innerorts die 50 fahre wie in der Prüfung, werde ich irgendwann von der Strasse geschoben. Vorschriften sind bestenfalls Anhaltspunkt hier. Es liegt mehr drin hier.

Hier der Link zum Deutsch-Video:
 http://www.youtube.com/watch?v=ZlATOHGj9EY

Zwei israelische Filme waren im Oscar-Rennen um den besten Dok-Film: The Gatekeepers und Five Broken Cameras. Israel hat aufgeatmet, als keiner der Filme gewonnen hat. Das Thema beider Filme: das besetzte Westjordanland. Hier mit Fokus auf die Sicherheitskräfte und Sicherheitspolitik Israels,  dort mit Fokus auf die traurige Realität der Palästinenser.

Wir waren mit Freunden im Kino in The Gatekeepers. Was mich erst überraschte: Die Wirkung des Films auf Israelis ist viel stärker, als man sich das als Europäer vorstellen kann. Die Reflexionen der alten abgebrühten Geheimdienst-Recken fahren den Israelis ein.

Meine Interpretation: So sehr man als Israeli die Politik des eigenen Landes kritisieren mag; das eigene Land, die Heimat, würde ohne den Sicherheitsapparat nicht existieren. Also ist man der Armee und den Sicherheitsbehörden hauptsächlich dankbar. Die Agenten und Soldaten erledigen das Unvermeidliche. Nicht mehr und nicht weniger. Israel muss sich verteidigen. Israel verteidigt sich erfolgreich. Die Wertschätzung und der Stolz auf diese Leistung hat jeder Israeli im Blut. Auch weil jeder Israeli seinen Dienst leistet und somit ein Teil dieses Systems ist. Weil schon Vater und Mutter im Krieg waren für Israel.

Der Film zeigt eine andere schmerzhafte Realität. Die sechs alten Männer, die die letzten 30 Jahre den Inlandgeheimdienst geleitet haben, geben zu Protokoll, dass die (Sicherheits-)Politik Israels versagt hat. Die blitzgescheiten starken Heldenfiguren brechen aus ihrer Rolle aus. Sie leiden unter ihrer Vergangenheit. Sie zeigen auf, wie hässlich der Kampf gegen den Terror ist. Wie skrupellos Israel agiert (agieren muss?). Und sie geben der Politik die Schuld daran. Sie klagen die Politiker an, die noch immer keine nachhatlige Lösung für die besetzten Gebiete anstreben. Sie klagen an, dass die Politik nie eine echte Strategie verfolgte. Dass nur immer taktisch argumentiert wurde. Und dass nur ein ehrlicher Dialog mit den Palästinensern eine bessere Zukunft bringen kann…

Das sagen keine besserwisserischen Europäer oder linke Träumer, sondern Männer, die mittendrin standen, die den roten Knopf drückten, die Tötungen und Folter verantworten. Die in ihrem Duktus über Tötungen und Folter sprechen – und damit das wahre Gesicht und die dreckige Arbeit der Sicherheitskräfte, der Helden, offenbaren.

Netanyahu sagte: Er schaut sich diesen Film nicht an.

Der Film erschüttert die Gewissheit, dass Israel richtig handelt und dass Israel auf dem richtigen Weg ist. Unbedingt sehenswert. Aber nicht angenehm anzusehen. Vor allem für Israelis.

Jetzt, heute Abend, halbzehn israelische Zeit, steht zuvorderst zuoberst auf Spiegel Online: «Palästinenser fürchten neuen Krieg». Dies, nachdem die israelischen Streitkräfte eine Offensive aus der Luft gestartet haben und weitere Attacken ankündigen. Heute Nachmittag sass ich mit einer Freundin in der French Bakery bei der Besprechung ihrer neuen Webseite, als sie im iPhone die Nachricht las über die Tötung des Hamas-Generals bei einem Luftschlag im Gaza-Streifen. Sie war nicht gerade ausser sich, aber beunruhigt, enttäuscht, auch ängstlich und wütend. Sie sagte etwas wie: «Das ist also unser Land!? Es tötet diesen Mann.» Ich legte die Nachricht ab, wie ich diese Nachrichten in der Schweiz abgelegt hatte.

Jeder hier weiss von jemandem, der jemanden kennt, der in einem Armee-Einsatz verletzt oder getötet wurde. Diese Nachrichten sind hier keine anonymen Nachrichten, es geht um Menschen. Dann, gerade vorhin, borgt sich der Nachbar vom 1. Stock Basilikum aus unserem Garten. Er sagt: «Es ist jedes Mal das gleiche.» Im Januar stehen Wahlen an für die Regierenden. Jetzt, zwei Monate vor den Wahlen, wischen sie mit einem kleinen, gut kontrollierbaren Krieg sämtliche nicht-kontrollierbaren, unangenehmen, aber für die Leute hier essenziellen Polit-Themen vom Tisch. Von wegen sozialer Gerechtigkeit. Der Nachbar hat eine linke Freundin.

Die Palästinenser fürchten einen neuen Krieg. Natürlich! Wer nicht! Gestern Abend sitzen wir mit einem Arbeitskollegen meiner Frau am Tisch. Er erzählt, dass er nächste Woche für den jährlichen Armee-Dienst aufgeboten wurde. Ich wollte ihn noch fragen, was er macht in der Armee. Dann dachte ich: das ist eine Touristenfrage. Heute würde ich ihn fragen. Ich hoffe, er muss nicht nach Gaza. Genau wie die Palästinenser: Die Israelis fürchten einen neuen Krieg.

Schlagzeile auf Spiegel Online am Abend des 14. November

Auf der Suche nach Informationen zum Einwanderungs-Prozedere nach Israel, stosse ich im Internet auf offizielle Broschüren, mehrere Dutzend Seiten lang, die ausführlich beschreiben was zu tun ist, welche Unterstützung den Einwanderern zusteht, wie die Sprache zu lernen ist, wie man als Einwanderer in die Wirtschaft integriert wird etc.

Ich lese und bin begeistert, selbst ein fünfmonatiger Sprachkurs wird vom Staat bezahlt. Ich weiss auch, dass es die sogenannte Aalyah-Einwanderung gibt, die ‚Rückkehr’ der Juden nach Israel. Sprich: jüdische Russen, Amerikaner, Afrikaner, die in ihre Heimat Israel zurückkehren. Ich weiss, dass diese finanziell und logistisch maximal unterstützt werden. Von dieser Kategorie bin ich als Nicht-Jude ausgeschlossen. Ich suche also auf diesen Webseiten und in den Broschüren nach Informationen, was den olim chadash (wie sie auf hebräisch heissen) zusteht, und was mir zusteht. Es ist aber immer einfach die Rede von Einwanderern, es wird nie spezifiziert: soviel für die Juden, soviel für die anderen.

Stellt sich heraus: mit Einwanderer sind nur die jüdischen Einwanderer gemeint. Ich bin kein Einwanderer in Israel und werde nie einer sein. Ich bin entweder eine nützliche Arbeitskraft, einer der Glück hat und ein B1 Arbeitsvisum bekommt, oder meine Freundin muss mich auf dem Papier als ihren Partner ausgeben, damit ich ein Aufenthaltsrecht für ein Jahr bekomme.

Einwanderer, das sind nur die anderen, die Juden.

Ich bin jetzt offiziell: importierter Lebenspartner. Unsere Beziehung ist vom jüdischen Staat Israel geprüft und gutgeheissen. Seit heute habe ich eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung für 12 Monate.

Heute wurden wir auf dem Amt interviewt. Getrennt. Zuerst meine Freundin. Dann ich. Ich war nervös, als wir – erst gemeinsam, dann ich noch während ihrem Interview zwanzig Minuten alleine – mit all den anderen Ausländern im Korridor warteten.

Vor vier Monaten hatten wir den Antrag auf ein “Love-Visa” gestellt, und das verlangte dicke Paket voller Belege unserer Liebe eingereicht. Amtliche Papiere, Liebesbriefe, SMS die wir uns geschickt hatten, Fotos aus unserem gemeinsamen Leben, Briefe von Familie und Freunden, die unsere Liebe bestätigen…

Es war eine schöne Aufgabe, unsere Liebe zu dokumentieren. Man sollte das von allen Paaren verlangen. Dass sie alle fünf Jahre ihre Liebe dokumentieren müssen. Inklusive Briefe von Freunden, die ihre Liebe bezeugen. Es wäre auch ein guter Ausgangspunkt für eine künstlerische Arbeit. Dossiers von Paaren zu sammeln und dann zu Collagen zu verarbeiten. Oder Dossiers ganz zu erfinden. Oder beides.

Erst beneidete ich die Beamten um ihre Aufgabe, diese Dossiers zu prüfen. Was für eine schöne Aufgabe, den ganzen Tag Liebesgeschichten erzählt zu bekommen! Bis ich zum ersten Mal in dem Büro im “Misrad Hapnim” (Innenministerium) war. Wie traurig muss es sein, jeden Tag in diesen fensterlosen Räumen zu sitzen, und diese perfekten Liebesgeschichten vorgeführt zu bekommen. Was für ein Neid muss da wachsen! Den ganzen Tag Menschen zuzuhören, die eben in einem neuen Land und einem neuen Leben ankommen.

Unsere Beamtin war höflich, sie hatte keine überraschenden Fragen, versuchte keine Tricksereien: Wie haben wir uns kennengelernt? Was macht ihr Vater? Was macht dein Vater? Habt ihr einen guten Familiensinn in deiner Familie? War deine Familie schon hier in Israel? Etc.

Nur einmal zeigte die Beamtin Flagge: “Ah, was erzählst du mir da, ihr wart in Afrika reisen? … Hm, davon hat deine Freundin gar nichts erzählt…” – Sie sagte es leicht zweifelnd, eine Erklärung fordernd. Das wäre der Moment, wo ich bei einer erfundenen Geschichte unter Druck käme.

Ich musste an Depardieus erfundene Afrika-Reise im Film “Green Card” denken. Ich sage der Beamtin: “Da sind auch Fotos im File…” – Sie geht der Sache nicht weiter nach.

Ohne ein Lächeln lässt sie mich Gabi dazuholen und klebt für zwei mal 175 Schekel die Aufenhalts- und Arbeitsbewilligung in meinen Pass. Viel Spass denn auch.

In einem Jahr müssen wir zurückkommen und erneut unsere Liebe beweisen. Beweisen, dass wir noch immer glücklich sind.