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Die Nachbarn

Um die Ecke von unserem Büro in Süd-Tel Aviv hat ein Kaffee aufgemacht, parterre in einem Hostel, an einer 4-spurigen Strasse. Ein karger Raum mit hoher Decke und rohen Betonwänden, vorher wird es eine Autowerkstatt oder Klempnerei gewesen sein, wie die meisten Läden hier im Kiez, noch. Der Vibe ist New York in den 90ern, Berlin in den 00er Jahren, roh, grossstädtisch. Ich wollte immer mal nach Buenos Aires, und als mir der langhaarige grauhaarige Barista heute Morgen den Kaffee im Glas zum Tisch bringt, denke ich plötzlich: genau so stelle ich mir ein Hostel in Buenos Aires vor. Gute Musik, gute Grafik, guter Kaffee und dicke Sandwiches im Schaukasten am Tresen. Eklektische Einrichtung und in einer Ecke eine Kleiderstange mit Graffiti-T-Shirts. Freundliches Personal, einige spannend aussehende Leute, die hinter ihren Macbooks hocken und innerlich mitwippen zur coolen Musik. Alles in dem Raum atmet Möglichkeiten. Alles wäre auch anders möglich. Und wenn ich in dem Kaffee sitze, gehöre ich dazu, zur Welt da draussen.

Doch so weltläufig der Laden aufgemacht ist – auch hier verkehren derzeit nur Locals. Das Land ist isoliert. In Tel Aviv sind noch Weltenbürger unterwegs, doch der Krieg schnürt dem Land und langsam auch der Stadt den Atem ab. Es riecht immer weniger nach Welt, und immer mehr nach Enge. Und nach Trauer und Wut. Was wird sein?

Die Weltpolitik fragt: Was ist Israel’s Plan für den ‘Morgen danach’? Wie soll’s nach dem Krieg weitergehen? Die Antwort der Rechtsnationalen Regierung hier: wir machen solange weiter, bis wir alle rundherum plattgemacht haben. Widerspruch gegen diesen Leitgedanken gibt’s nicht, weder im Privaten noch im öffentlich politischen Raum. Nur wenn’s um die Taktik zur Geiselbefreiung geht, gibt’s unterschiedliche Meinungen.

Wir werden einen ‘Morgen danach’ hier nicht mehr erleben. Ein echter ‘Morgen danach’, ein Tag nach dem Konflikt, ist überhaupt kaum vorstellbar. Das Rad wird sich auch in absehbarer Zukunft weiterdrehen, Auge um Auge, Krieg und Waffenstillstand und wieder Krieg. So sehr sich die Ereignisse der letzten 6 Monate wegen ihrer offenen Brutalität und Blutrünstigkeit wie eine Zäsur anfühlen, ist es doch nur die logische Fortsetzung der Politik der letzten Jahrzehnte. Die Gewaltfantasien hüben wie drüben waren schon lange offen ausgesprochen. Und so sehr man sich einen Kurswechsel wünschen kann (jetzt erst recht!) – geht es hier nur um Dominanz und Unterwerfung (jetzt erst recht!). Ihr oder wir.

Unser ‘Morgen danach’ wird der erste Morgen in der Schweiz, irgendwann im Sommer. In unserer neuen Wohnung.

Oh, wie werde ich den guten Kaffee und die Weltläufigkeit der Leute in dem Hostel in Süd-Tel Aviv vermissen…

So, jetzt hat’s bei uns um die Ecke geknallt. Ein Araber aus dem Norden Israels hat in unserer Strasse um sich geschossen, zwei Menschen getötet, ein Dutzend verletzt, Hunderte traumatisiert. Was für eine abscheuliche Tat.

In einer israelischen Zeitung wunderte man sich, wie der Täter entkommen konnte und warum niemand eingegriffen hat. In Jerusalem hätte sich irgendein Sicherheitsmann/Selbstverteidiger eine Medaille geschossen. Hier auf der Dizengof, unter all den Passanten, hatte offenbar keiner eine Gun im Hosenbund. Dafür liebe ich Tel Aviv. Genau darum leben wir in Tel Aviv.

Doch was ändert sich nun mit diesem Anschlag (Amoklauf?) für mich und für uns?

Ja, wir haben in unserer Wohnung die Krankenwagen, die Polizeisirenen, die Helikopter gehört, und wir haben uns gesorgt, noch bevor die Nachrichten berichteten. Ja, wir sitzen oft in dieser Strasse in Kaffees. Ja, theoretisch hätten wir dort, 10 Minuten Spaziergang die Strasse hinauf, sitzen oder gehen oder stehen können.

Es ist näher. Es ist nicht dasselbe, wie wenn Siedler in der Westbank oder Soldaten in Jerusalem von Arabern erstochen oder überfahren werden.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

G sagt: Was, wenn es unser Stammcafe erwischt hätte..?

Ich sage: Dieser Anschlag ändert gar nichts. Mein Wohlsein oder Unwohlsein hier hat nur in zweiter Linie damit zu tun, an welcher Adresse ein Anschlag passiert. Natürlich, eine Horrorvision wäre, dass wir hier nicht mehr vor die Tür können, ohne um Leib und Leben zu fürchten. Weil es wöchentlich knallt im Stadtzentrum. Aber davon sind wir weit weg. Der israelische Sicherheitsapparat funktioniert zu gut. Und so dramatisch die einzelnen Vorkommnisse sind: es ist kein Volksaufstand. 2 Millionen Araber leben in Israel – ihre Kultur wird diskriminiert und ausgegrenzt, sie haben schlechte Karten in der israelischen Gesellschaft. Aber sie haben fliessend Wasser, Stabilität und Sicherheit. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich hier in der Gegend umschaut. G’s Kosmetikerin kommt ursprünglich aus Gaza, jetzt betreibt sie ein Nagelstudio hier unten auf der Strasse und sagt, sie hätte Jahre gebraucht, um ihren Hass auf Juden abzubauen. Irgendwie hat sie es geschafft, zumindest zwischen den Kulturen zu leben.

Und das ist, was mich viel mehr umtriebt: das Zusammenleben – oder eben leider Gegeneinander-Leben. Das gesellschaftliche Klima hier wird immer und immer toxischer. Möglicherweise, bis es bald nicht mehr auszuhalten ist. Ich höre von manchen, die ihr Leben lang hier waren: ich halte es nicht mehr aus hier. Und sie ziehen weg und eröffnen einen Humus-Laden in Madrid.

Jede neue Gewaltwelle treibt die beiden Völker noch weiter auseinander. Und die, die an der Macht sind, die etwas zu sagen haben, giessen hüben wie drüben Öl ins Feuer. Netanyahu packte auch diese Gelegenheit nun wieder beim Schopf, um bei einem Kurzbesuch am Tatort alle Araber in Israel für den Anschlag mitverantwortlich zu machen.

In der selben Woche verbietet die Regierung – über den Kopf der Bildungskomission hinweg – ein Buch in der Schule, in dem es um die Liebe zwischen einer Jüdin und einem Muslim geht. “Junge Menschen seien naiv und romantisch, sie verstehen das Konzept der Kulturerhaltung noch nicht, man könne sie nicht so verwirren”, liess sich eine Regierungsvertreterin zitieren. Kurz: Schulstoff kann nicht das übergeordnete Konzept der Rassenreinheit unterwandern.

Der Siedlungsbau wird weiter vorangetrieben. Die Zweistaaten-Lösung wird derzeit von niemandem mehr ernsthaft verfolgt oder propagiert…

Anstatt dass man das Zusammenleben lernt und fördert, wird das Auseinanderleben propagiert.

Die Autorin Sibylle Berg hat den Anschlag an der Dizengofstrasse miterlebt, es knallte offenbar unter dem Balkon ihrer Schreibstube hier in Tel Aviv. Sie hat im Affekt eine wehleidige Kolumne für Die Welt geschrieben, in der sie sich von einer eingebildeten heilen Welt verabschiedet.

Berg, die Tel Aviv-Touristin, liess sich von der Offenheit und Weltlichkeit unserer Stadt und ihrer Bewohner verzaubern. Die Realität ist, Tel Aviv ist Teil von Israel. Und Israel ist bis heute gut gefahren mit einer Politik der Unterdrückung und andauernder Demonstration der Stärke gegenüber den Anderen, den Nachbarn. Davon profitiert auch Tel Aviv – darunter leidet auch Tel Aviv.

Was braucht es wohl, um dieses Angst- und Machtgetriebene Gegeneinander-Prinzip zu durchbrechen, dass Israel zu einer neuen Politik findet? Und was braucht es, damit auch die anderen, die Israel hassen, zu einer gemeinsamen Zukunft bereit sind? Ist es schon zu spät dafür? Sitzen wir’s aus? Wird’s erst schlimmer, auf dass es nacher erst recht besser werden kann?

Es ist nicht ein einzelner Anschlag, der mir hier das Leben verleidet. Wenn es mir hier verleidet, ist es wegen der rassistischen Imprägnierung, der Hoffnungslosigkeit und Fantasielosigkeit wenn es ums Zusammenleben mit den anderen, den ‘Cousins’ hier geht.

Vor vier Jahren kam ich her und war überzeugt, der Nahe Osten würde von Europa lernen, von der Prosperität dank Toleranz und respektvollem Zusammenleben und offener Grenzen. Hoffte auf Bahnreisen nach Beirut, Tel Aviv, Damaskus, Amman, Kairo.

Es war mitten im Arabischen Frühling!

Es war Arabischer Frühling in Europa.

Hier sagten alle: vergiss die Träumereien.

Im Moment sieht es tatsächlich nach dem Gegenteil aus und Europa lernt von Israel, wie man sich hermetisch abschottet.

Die Israelis schlagen mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch und rufen: Jetzt seht ihr dann mal, wie das ist mit denen. Wir haben’s euch immer gesagt! Schon heute werden ja Teile von Frankreich und England von Muslimen und islamischem Recht kontrolliert. Viel Glück dabei, mit Samthandschuhen Terroristen zu stoppen. Ihr Naivlinge! Europa hat gut moralisch referieren, solange die Pufferzonen funktionieren. Und solange die Politik des langen Armes funktioniert: den ‘anderen’ mit ganz weit ausgestreckten Arm die Hand zu reichen .. etc. etc.

Der Israeli sieht in jedem syrischen Flüchtling einen potenziellen Terroristen. (Hier kennt man auch nur die Flüchtlinge aus den eigenen Kriegen – die Palästinenser, die zurück wollen, wo jetzt Juden ihr Haus gebaut haben.)

Ich verteidige Europa, spreche von Integration, Investition .. denke an flüchtige Professoren, Lehrer, Frisöre, die nichts sehnlicher wollen, als ein normales aufgeklärtes Leben.

Hoffen wir, dass Europa stark genug ist, die Flüchtlinge einzuschliessen in die Gesellschaft. Und dass die Flüchtlinge bereit sind, Europäische Werte zu akzeptieren.

Heute Nachmittag im Park, wo wir vom Strand zurück nach Hause bummeln, passieren wir nicht nur die Fitness-Gruppen und Yogi-Zirkel, die auf der grünen Wiese Hintern straffen, wir sehen auch ein gutes Dutzend Leute im Kreis unter Anleitung Krav Maga üben, die legendäre israelische Selbstverteidigungstechnik.

Ich sage zu G: ‘Da üben sie Palästinenser töten.’

Sie: ‘Nein, bei Krav Maga geht’s nur um Selbstverteidigung.’

In der Zeitung stand geschrieben: es werden jetzt kostenlose Krav Maga Kurse angeboten. Wegen der “Situation”. Damit sich jeder gegen messerstechende Palästinenser wehren kann.

Eine neue Runde der Gewalt eskaliert, wir haben wieder eine “Situation”. Wie letzten Sommer die Raketen aus Gaza. Diesmal gibt es aber keinen Iron Dome, keinen Schutzschild, keine Sirenen, keine Warnungen, jeder ist auf sich allein gestellt: Palästinenser, meist junge Männer, Teenager, aber auch Frauen, gehen auf der Strasse mit Messern (oder auch einem Schraubenzieher) auf Israelis los und stechen so viele wie möglich ab, bevor sie selbst erschossen werden.

Palästinensische Teenager stürmen so in den (fast) sicheren Tod.
In den Heldentod, der Jungfrauen im Jenseits verspricht, und ewiges Leben als Märtyrer auf Facebook.

Die jungen Araber sind getrieben von ihrer Kultur Juden zu hassen, und Israel vernichten zu wollen. Das sagen die Rechten. – Sie tun es aus Frust und Verzweiflung über die israelische Besatzung, sagen die Linken.

Die israelische Gesellschaft reagiert komplett psychotisch auf diese neue Form des Terrors.

Unter anderem werden die Bedingungen für den Waffenerwerb gelockert.

Waffennarren aus ganz Israel polieren jetzt ihre Schiesseisen, nehmen sich ein paar Tage frei, und pilgern zu den Hotspots – beispielsweise in die Altstadt Jerusalems – in der Hoffnung einen Arber mit Messer abknallen zu können. Helden!

Das ist übertrieben.
Aber so fühlt es sich in etwa an.

Die Diskussion darüber, wer wann schiessen darf, wird geführt, im Fernsehen diskutieren Experten den Abend weg, Politiker profilieren sich zum Thema. Doch auf der Strasse, in der Praxis, scheint es keine Zweifel zu geben: Ein Palästinenser mit Messer gehört abgeknallt. Der will es ja so! Der weiss ja was ihm blüht! Soll er eben nicht mit Messer auf Israelis losgehen. Wie, der Polizist soll noch seine Gesundheit riskieren und sich bemühen ihn festzunehmen? Was denn noch!?!

(Was, nach Rechtsstaat verlangt ihr? Ihr Europäer werdet schon sehen wie das ist, wenn die hunderttausenden syrischen Flüchtlinge in ein paar Monaten mal kurz Luft geholt haben, um dann ihren Hass auf euch zu entladen. Dann unterhalten wir uns wieder. – So tönt’s von vielen Israelis.)

Neulich im Zug: Eine Gruppe Soldatinnen, Mädchen in Uniform, glauben plötzlich, der Araber im Abteil nebenan habe ein Messer. Sie rufen: „Da sitz ein Terrorist!“ Ein Offizier, ein Abteil weiter, springt auf, zögert nicht, zieht seine Pistole und schiesst in die Luft. Das Chaos ist perfekt. Notbremse. Grossaufgebot der Polizei. Der Zug wird evakuiert … falscher Alarm.

Noch so eine traurig groteske Meldung: In der letzten Woche sind zwei Mal Juden mit Messer auf Araber losgegangen. Um Rache zu nehmen. Der eine von ihnen hatte sich aber beim Aussuchen seines Opfers vertan. Er schrie wohl ‘Stirb, Araber!’ und stach zu – es stellte sich heraus, dass er nicht einen Ahmed sondern einen Moshe erwischt hatte, der wie ein Ahmed aussah.

Bekannte von uns betreiben ein Bed and Breakfast am Rande Jerusalems. Letzte Woche waren drei Araber aus einem arabischen Dorf im Norden Israels zu Gast. Die Araber, Zahnärzte die beruflich in Jerusalem zu tun hatten, fragten beim Einchecken: ‘Ist es sicher hier für uns?’ Alle haben Angst.

Das Szenario von letztem Jahr wiederholt sich auf der politischen Bühne: Die Rechten und mit ihnen die Siedler in der Westbank schreien Zetermordio – und lachen sich ins Fäustchen. Denn jetzt können sie sich endlich mal wieder richtig um die Palästinenser in der Westbank kümmern. Dörfer abriegeln, Durchsuchungen, Checkpoints aufbauen … Und man wusste es ja immer schon: seht nur, die Palästinenser sind wie Tiere, sie achten das Leben nicht! Wie soll man mit so jemandem verhandeln!

In wen soll man Hoffnung setzen? In die eine Gesellschaft, wo Teenager mit Messern ausziehen um als mordende Volkshelden zu sterben; oder in die andere Gesellschaft, die ihre Stärke und Überlegenheit rücksichtslos nur zum eigenen Vorteil nutzt … Das Bedrückende ist, dass die Menschlichkeit hüben wie drüben verloren geht. Wer den Anderen nicht mehr als Mensch sieht, macht sich selbst zum Unmenschen.

Wir haben uns Wohnungen in Jaffa angeschaut. Dort in Süd-Tel Aviv gibt es einen verschlafenen Fischerhafen, eine aus schwerem Stein gebaute Altstadt mit pittoresken Gässchen, wo sich zu Sonnenuntergang Brautpaare fürs Hochzeitsfoto aufstellen, es gibt einen Suq, orientalische Architektur, der Muezzin ruft zum Gebet, Männer rauchen Wasserpfeife (nur Männer), sogar eine alte Kreuzfahrerkirche mit Kruzifix und Glockenturm steht oben auf dem Hügel .. und das Wohnen ist viel billiger als im schmerzhaft überteuerten Tel Aviv! Wir könnten uns Meersicht leisten für den Preis unserer 65m2 parterre hier im Norden.

Viele Tel Avivis überlegen sich jetzt, nach Jaffa zu ziehen. Alle, die wir fragen haben eine Meinung dazu, die meisten sind allerdings skeptisch, schauen uns an: “Ja, Wohnungen sind billig, aber wollt ihr das wirklich?” Nicht, dass Jaffa weit weg wäre. Mit dem Fahrrad sind es 10, 15 Minuten ins Stadtzentrum Tel Avivs.

Nur die wenigsten tun es, weil, nun, weil Jaffa eben arabisch ist.

Es wird renoviert und gebaut wie verrückt in Jaffa. Vom Norden, von Tel Aviv her werden Strassenzüge erneuert, Häuser abgerissen, grosse Wohnanlagen neu gebaut, am Strand wurde ein gigantischer Park mit Spielplatz angelegt. Und alle rechnen damit, dass der Boom weitergeht. Dennoch, israelische Israelis ziehen (noch) nicht hin.

 

Jaffa

Unsere Stadt heisst offiziell “Tel Aviv – Jaffa”. Top-Treffer der Bildersuche auf Google nach “Jaffa” …

 

Wir kennen eine, zwei linke Künstlerseelen, die neuerdings in Jaffa leben. Und wir kennen eine gute Handvoll Zugezogene, Diplomaten, NGO Mitarbeiter, Neu-Israelis, die ihre Zelte in Jaffa aufgeschlagen haben. Die Neulinge haben weniger Berührungsangst. Sie haben keine Assoziationen und Erinnerungen an die arabische Stadt, die Jaffa vor wenigen Jahren noch war. Die Expats schicken ihre Kinder sowieso in die private internationale Schule. Sie sind oft auch nur für einige Jahre hier.  Auswärtige reizt der orientalische Charakter Jaffas. Israelis weniger. 

Neue Appartments am Strand (Wohnlagen, die sich hier 15 Minuten nördlich davon keiner mehr leisten kann) werden als günstige Investitionsobjekte angeboten. Nach dem Motto: Jetzt kaufen – und für die nächsten Jahre an Expats vermieten, bis Jaffa komplett ‘saniert’ ist… Jahrzehntelang wurde Jaffa vernachlässigt, noch heute werden Nachbarschaften in Jaffas Süden von Clans regiert, Korruption ist allgegenwärtig. So gehen wenigstens die Geschichten – und irgendwas muss schon dran sein. 

Die alteingesessenen Araber werden verdrängt. Entweder weil sie verkaufen und wegziehen, oder weil sie sich das Leben im sanierten Jaffa nicht mehr leisten können – oder weil sie bei der Wohnungsvergabe übergangen werden. Manche neue Projekte würden exklusiv für jüdische Mieter entwickelt, liest man.

Im Norden Jaffas ist die ‘Entwicklung’ bald abgeschlossen. Der arabische Stil der Nachbarschaft ist als hübsche Kulisse aufbereitet für Touristen und boomendes Nachtleben – doch Araber arbeiten bestenfalls noch in den Shops. Einige Strassenzüge weiter im Süden wird ein Haus nach dem anderen, eine Strasse um die andere saniert.

Ein klarer Fall von Gentrifizierung! Das gibt’s doch auch im Berliner Kreuzberg, wo die zugezogenen Süddeutschen die Türken weg-renovieren.

Doch der Vergleich mit der Gentrfifizierung in anderen Metropolen hinkt.

Die Vertreibung hunderttausender Palästinenser im ‘Unabhängigkeitskrieg’ von 1948 (die Palästinenser nennen den Krieg ‘Nakba’, die Katastrophe), die Siedlungspolitik seit 1967 in den besetzten Gebieten, das Ignorieren und mehr oder weniger subtile Abwürgen arabischer Kultur in Israel .. diese Sünden der israelischen Entwicklung, für die sich hier vielleicht die Linke interessiert aber die von den meisten ausgeblendet oder schöngeredet werden, Sünden, für die Israel in der internationalen Agenda ein ums andere Mal Haue kassiert, diese Sünden liegen wie ein Schatten auf dem aufgehübschten Jaffa. Allerlei Gespenster wohnen in den Schatten der schicken Neubauten. Man weiss nicht, unter welchen Umständen dieses oder jenes Landstück für Neubauten freigemacht wurde.

Die Gentrifizierung Jaffas ist nur oberflächlich ein ökonomisches Phänomen. Die Stadt gehörte den Arabern. Aber die Juden haben jetzt das Sagen. Die Araber werden bestenfalls behandelt wie in der Schweiz oder in Deutschland Zugezogene, wie ungeliebte Einwanderer oder Flüchtlinge, die ihre Würde und Würdigkeit immer neu beweisen müssen. Manchmal werden sie besser behandelt, manchmal schlechter, sie bekommen Unterstützung von Bürgergruppen … am Ende müssen sie sich komplett anpassen, oder sie ziehen den Kürzeren. Weil die ‘Leitkultur’ eine andere ist. Israel hat die Palästinenser zu Fremden in ihrem eigenen Land gemacht. Und sie werden immer fremder.

Jetzt ist Jaffa fällig. 

Im Abschiedsartikel der NZZ-Korrespondentin geht es um Jaffa.

Der letzte Artikel von Monika Bolliger aus Israel – leicht missverständlich hoffnungsvoll aufgemacht mit ‘Israels gemischte Stadt‘ – zeigt über weite Strecken die unschöne Seite von ‘gemischt’ in Israel. Wie das Zusammenleben hier eben oft ein Gegeneinanderleben von Arabern und Juden ist.

 

Top-Treffer Bildersuche nach "Tel Aviv"

.. und Top-Treffer Bildersuche auf Google nach “Tel Aviv”.

 

Der Artikel beschreibt Jaffa, meint aber Israel. Unter anderem besucht die NZZ-Journalistin eine Yeshiva, eine (private) religiös-nationalistische jüdische Schule, die unlängst mitten in Jaffa etabliert wurde: „Die Yeshiva hier in Jaffa sei wichtig, um die jüdische Präsenz zu stärken, wird uns erklärt; nicht nur gegenüber den Arabern, sondern auch gegenüber den säkularen Juden, die in Jaffa lebten.“

Die Anschieber der Yeshiva – das Personal kommt offenbar aus Siedlungen im Westjordanland – hatten wohl eine schreckliche Vision: Sie sahen ein Jaffa der Koexistenz heranwachsen … Wo gibt’s denn sowas! rufen sie aus, Hört mal, das ist Israel hier! Israel ist kein Experiment in Völkerverständigung! Hier muss ein jüdischer Staat zementiert werden. Wir zeigen euch wie das geht. 

Diese Siedler-Mentalität macht mich ganz direkt betroffen.  

Alle sind gleich, aber wir sind besser.

Ich bin der nicht-Araber und nicht-Jude. Für mich sehen auch Juden arabischer Herkunft gerne mal arabisch aus. (Während der Israeli den Araber Araber im Dunkeln mit geschlossenen Augen erkennt.) Ich schätze Jaffa für den Mix der Kulturen, den es dort (noch) gibt. Ich gehe in Jaffa aus zum Essen und freue mich, wenn ich Schwein vom Grill auf der Karte finde.

Die Siedler, die politische Rechte will keinen Mix der Kulturen – und die meisten Israelis glauben nicht daran, dass Offenheit funktionieren kann.  

Unsereins hat hier in Israel wenig Lobby.

Sollten die Rechten im März in der Regierung zulegen, dann werden sie das Judengesetz durchs Parlament drücken: In diesem viel diskutierten Zusatz im Grundgesetz soll festgeschrieben werden, dass Israel ganz zuerst jüdischer Staat ist. Ergo, dass alles nicht-jüdische vielleicht geduldet wird aber eigentlich un-israelisch ist. Es wäre eine Steilvorlage für Diskriminierung aller Art. Von der israelischen Linken wird das Gesetz als un-demokratisch vehement zurückgewiesen.

Unmittelbar würde sich wohl mit dem neuen Gesetz nichts ändern, denn Israel funktioniert bereits weitgehend nach diesem Prinzip. Schon jetzt, beklagen sich Bewohner Jaffas im NZZ Artikel, fördert der Staat jüdische Schulen und einige Zentren für Koexistenz – aber keine arabischen Initiativen.

Kommentatoren sehen das Gesetz auch als Vorbereitung auf die ‘Einstaaten-Lösung’. (Die ‘Einstaaten-Lösung’ ist das grammatikalische Gegenstück zur ‘Zweistaaten-Lösung’, derzeit noch mehr eine Worthülse als echtes politisches Programm.) Das Gesetz soll zur Absicherung dienen, es soll Werkzeug bereitgelegt werden, um den jüdischen Charakter Israels festzunageln, falls in den nächsten Jahren der Anteil palästinensisch/arabischer Israelis wächst. Beispielsweise weil Israel Teile der Westbank annektiert.

So gesehen: wir würden eigentlich ganz gut nach Jaffa passen. 

Wären da nicht all die Gespenster.

Oder existieren diese Gespenster nur in unseren Köpfen? Die Berichte aus erster Hand aus Jaffa sind fast alle positiv. Kein Problem mit den arabischen Nachbarn. Sie seien laut und sie schmeissen den Abfall irgendwohin. Lappalien!

Die beste Geschichte erzählt uns ein schwedischer Diplomat beim Bier in Jaffa, ein blonder Zwei-Meter Schlaks mit Babyface, der mit seiner Familie seit einem Jahr in Jaffa lebt. Gelangweilte Strassenkids aus der Nachbarschaft schmissen Steine gegen sein Wohnzimmerfenster. Er eilte nach draussen und verpasste den Kids auf Arabisch eine Standpauke – die wussten nicht wie ihnen geschieht, dass der lange Blonde Arabisch spricht. Sie grüssen ihn jetzt, sagt er, wie einen Ausserirdischen.

Trotzdem.

Wie’s aussieht ziehen wir nicht nach Jaffa. Weil weil dies den täglichen Arbeitsweg um 15-20 Minuten verlängern würde. Und weil wir nicht aus Tel Aviv wegziehen wollen… noch etwas, was Expats nicht haben: nostalgische Heimat-Gefühle für die Betonklötze Tel Avivs.

Wir schauen uns jetzt wieder Wohnungen hier im guten alten Norden an.

Hier im Alten Norden hält die Tel Aviver ‘Bubble’ alle bösen Gespenster fern. Hier wohnen die Ärzte, die High-Tech Yuppies und die DINKS, die Startup-Millionäre und die Erben. Hier kaufen die vor dem Antisemitismus / Steuerfahnder geflüchteten Franzosen ihre teuren Appartements (und lassen sie dann 11 Monate im Jahr leer stehen). Hier wird die Gay-Pride Schwulenparade gefeiert. Hier wohnen keine Araber – und keine Religionsschüler. Palästina scheint von hier genauso weit weg wie von Zürich (der Lärm rund um die Raketen aus Gaza ist im Alltag schnell wieder vergessen). Hier – zwanzig Minuten von Jaffa mit dem Rad den Strand hoch – hier zeigt Israel sein beinahe europäisches Gesicht. Es gibt französische Patisserie, italienische Pizza, Sushi und Gruyère beim Deli… weltoffen, säkular …

Nach Jaffa werden wir weiterhin fahren, um guten Hummus und Fisch zu essen. Für ein paar Stunden fühlen uns wie Touristen in der eigenen Stadt – dann kehren wir zurück in unsere Bubble.

 

Die Regierung Netanyahu provoziert seit Jahren scheints chaotische Schlagzeilen, “Ja zum Friedensprozess”, “Nein zum Friedensprozess”, “Ja zu zwei Staaten”, “Nein zu Palästina”, neulich, kurz vor einem Deutschlandbesuch: “Die Palästinenser sind für den Holocaust verantwortlich” … So konfus dies im Alltag wirken mag, so zielstrebig und konsequent wird hinter diesem Dauerlärm gearbeitet. Das Leitmotiv: Palästinenser gibt es nicht, es gibt nur Araber, und von denen wissen wir ja, wie die sind, also ignorieren wir sie wo es geht, bauen hohe Zäune und versuchen sie so gut es geht zu beschäftigen bis … bis …. bis … ja bis wann?

Irgendwann, in einigen Jahren wird Israel Reservate ausrufen und diese Gebiete den Palästinensern als ‚Palästina’ zur ‚Selbstbestimmung’ überlassen.

Eine Abkehr oder gar Umkehr von diesem Weg scheint hier unmöglich.

Seit Oslo wird die Westbank konsequent ‘zersiedelt’ und jede Minute der ‘Friedensverhandlungen’, jede Minute Status Quo, wird dazu genutzt, Tatsachen zu schaffen.

Ist es nicht am Ende so, dass wir das Schicksal der Indianer zwar bedauern, aber dass wir keine echte Alternative anzubieten haben?

Mit unserer „Toleranz“ und „Offenheit“ gegenüber anderen Kulturen wollen wir doch nur das Beste für alle. Wir wollen dass alle Menschen gleich und frei und glücklich sind.

Wirklich?

Unsere westliche Kultur ist expansiv, sie übernimmt, erleuchtet, befreit – gliedert ein in unser Wirtschaftssytem – und löscht alles andere aus oder verdrängt es bestenfalls in die Folklore. Fortschritt.

Darum geht es uns heute so gut.

In diesen Tagen wird die ‚nächste Intifada’ unterdrückt, mit aller Gewalt und Kompromisslosigkeit.

Palästinenser werfen Steine – ein neues Gesetz wurde verabschiedet: es fordert bis zu 20 Jahre Haft für Steinewerfer (so stand es in den Zeitungen).

Doch wie bestraft man jemanden, der aus einem Volk kommt das Märtyrer verehrt? Eine archaische Bestrafung wurde wieder aufgenommen: Man zerstört die Wohnhäuser der Familien von verurteilten / toten Terroristen. (Man hatte das früher auch schon gemacht, aber dann realisiert dass die Familien danach Geld für den Bau eines grösseren schöneren Hauses bekamen.)

Du willst Märtyrer sein?
Also zerstören wir das Leben deiner Familie.

Der letzte ‚Terroranschlag’ der gemeldet wurde: Ein Mann stach mit einem Schraubenzieher einem 35-jährigen Israeli in den Rücken.

Terroranschlag?

Wie unendlich ziellos, frustriert und wütend ist ein Mensch, der sein Leben auf diese Art wegwirft..?

Oder israelisch gedacht: So primitiv und tierisch sind unsere Feinde. Mit solchen Unmenschen kann man nicht verhandeln und schon gar nicht kann man denen das Vertrauen für einen Frieden schenken.

Einen verzweifelteren und hoffnungsloseren Angriff als den mit dem Schraubenzieher kann ich mir nur schwer vorstellen. Andere ‚Terroristen’ haben zweidrei Pssanten überfahren und werden dann auf offener Strasse vom Sicherheitsdienst ‚neutralisiert’ (erschossen). Man spricht von ‚Lone Wolf’ Terrorismus, von einsamen Wölfen…

Eine verzweifeltere Strafe als die Zerstörung des Wohnhauses eines Terroristen kann mich mir auch kaum vorstellen.

Was mir Angst macht, ist nicht der Typ mit dem Schraubenzieher. Was mir Angst macht ist das drohende Ende dieser Spirale aus Gewalt und Verzweiflung und Gewalt und Verzweiflung.

Wo endet diese Spirale? Wie?

Ich kann es mir nicht vorstellen.
Es ist ganz eigentlich unvorstellbar.

Vielleicht: Frieden?

Vielleicht: Ein grosser Knall? Das Ende von zwei drei vier fünf Millionen Israelis und das nächste unermessliche Drama in der Geschichte des jüdischen Volkes? Wer daran glaubt, dass sich Geschichte immer in anderer Form wiederholt muss wohl gelegentlich aus Israel wegziehen.

Bei der von Netanyahu ewig beschworenen Bedrohung durch die “Atom-Macht Iran” geht es genau um diese Angst: Endlich nach Jahrtausenden hat sich das jüdische Volk erstarkt zusammengefunden im Land der Urväter, die Nation prosperiert und ist stark genug sich zu verteidigen. Bis …

Derweil unterdrückt der Staat die ‚nächste Intifada’ mit einer unheimlich beeindruckenden Effizienz und Allmacht. Die Wähler werden es der Regierung danken bei den vorgezogenen Wahlen im März.

Bei schönerem Wetter hätte mir Ramallah besseren Eindruck gemacht. Was im Zürcher November der graue nieselige Hochnebel ist, sind hier Sandwolken, feiner Staub der sich auch tagelang hält, auf Bäume und Autos legt, man spürt ihn manchmal auf der Zunge und der Dreck hängt wie ein feiner Schleier vor der Sonne. An manchen Tagen sieht man die obersten Geschosse der Hochhäuser am Ende unserer Strasse nicht mehr.

Zwei oder drei Mal im Jahr liegt so viel Staub in der Luft, dass es tagsüber apokalyptisch eindunkelt und die Sonne blutrot anläuft, als kriege sie keine Luft mehr und ersticke gleich. Danach regnet es erstmal dreckiges Wasser.

Meine Freundin aus dem diplomatischen Korps hatte mich am Samstag in einer SMS spontan eingeladen, sie zu einem Lunch am Sonntag in Ramallah zu begleiten.

 

Angeblich die Flaggen aller Staaten, die Palästina bis dato als Staat anerkannt haben. Manche von Wind und Wetter zerfetzt, manche auf Halbmast. Eine grosse Baubrache neben Arafats ehemaligem Machtzentrum.

 

Ich hatte ihr ein paar Wochen zuvor gestanden: Mit jedem Monat, den ich länger hier in Israel lebte, wurde die Vorstellung eines Besuchs beim Feind unheimlicher. Warum, weiss ich nicht. Die Medien? Die Gehirnwäsche einer Nation im Kriegszustand? Gruppenzwang eines traumatisierten Volks? Die Raketen aus Gaza im letzten Herbst?

Ich sagte meine Bürotermine für Sonntag ab.

Tel Aviv Richtung Jerusalem, nach 45 Minuten rechts abbiegen

Beim ersten Besuch in Israel, vor zwei Jahren, war ich mit Gabi unterwegs nach Jerusalem, da stand Ramallah angeschrieben auf einem Autobahnschild.

Ich hatte sie gefragt: „DA ist Ramallah?“

Ich hatte im MAGAZIN des TagesAnzeigers gelesen, dass dort viele junge Expats leben, UNO-Mitarbeiter und NGO-Workers, Hilfswerker, Friedensstifter, Abenteurer, und dass sie cool drauf sind und gute Bars und Parties machen zusammen mit den Palis. Es hatte sich aufregend und vielversprechend angehört. Etwas gefährlich vielleicht, aber ohne wirklich gefährlich zu sein. Nicht wie Saigon 1965 oder Beirut 1985. Aber doch irgendwie mit diesem schwitzigen Uniform-Geruch in der Luft, den blauäugigen blonden Fotoreportern, zähen Geschäftemachern und Abenteuern.

Sie sagte: „Ja klar, da ist Ramallah.“

Ich wollte sie fragen, ob wir da hinfahren können, aber ich hatte eine Ahnung.

Darum fragte ich vorsichtiger: „Warst du schonmal da?“

Meine Frau: „Spinnst du? Ich will nicht vergewaltigt werden.“

Araber stinken. Man lernt das so hier.

Die Diplomatin und ich im Botschafterwagen, wir fuhren am Sonntag um 10:30 in Tel Aviv los. Wir waren um 12 Uhr mit dem japanischen Diplomaten in Ramallah verabredet. Er würde uns vor einem der bekannten Expat-Hotels treffen und dann in ein gutes Restaurant mitnehmen.

Eine gute Dreiviertelstunde Ostwärts auf der Siedler-Autobahn, Schnellstrasse 443, lag vor uns. Die Siedler-Autobahn ist eine von zwei Autostrecken zwischen Tel Aviv und Jerusalem.

Die 1 ist die Haupt-Achse, sie wird derzeit durchgängig auf 6 Spuren erweitert. Die 443 führt durch die Westbank und bedient unterwegs Settlements. Palästinensern ist der Zugang zur Strasse gesperrt. Sie ist links und rechts eingezäunt. Siedler-Autobahn.

Ramallah ist Teil der Zone A, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert wird. Aus Sicherheitsgründen ist Juden der Zugang zur Zone A verboten. Egal mit welchem Pass. Ich bin weder Israeli noch Jude. Ich sehe auch nicht aus wie ein Israeli (Juden sehen ja so und so aus, aber Israeli erkennt man).

Darum hatte die Diplomatin auch kein Problem, mich in die Zone mitzunehmen.

Meine grösste Sorge: dass ich bei der nächsten Ausreise und Einreise am Flughafen drangenommen werde. Oder unangenehmer: dass sie mir plötzlich Probleme machen beim Erneuern meiner provisorischen Niederlassungsbewilligung, wenn sie erfahren, dass ich in Ramallah mittagesse.

Ich suchte mir meine Klamotten an dem Morgen sorgfältig aus, um für den Palästinenser zwar möglichst Schweizerisch auszuschauen, aber nicht verwöhnt wohlhabend.

Unterwegs im Auto nach Ramallah fühlte ich mich zum ersten Mal seit langem wieder als Schweizer: Neutral. Als Tourist. Als Gast und ohne Verantwortung. Hände ausgestreckt und Handflächen nach oben gedreht. Mal kucken gehen.

Wenn ich in der Schweiz bin, bin ich Besucher aus Israel. Wenn Freunde uns in Tel Aviv besuchen, bin ich der Tel Avivi.

Wenn ich mit meiner Frau reise, behaupten wir in Istanbul, Jordanien oder Kenia zwar beide, dass wir Schweizer sind – mit dem Resultat dass ich mich mit dieser halben Lüge als Israeli fühle. Potenziell von Entführung und Bombenanschlägen bedroht, von keinem gemocht, von allen kritisch beobachtet.

Besser, wenn mir heute kein Wort Hebräisch rausrutscht. Besser, wenn niemand weiss, dass ich in Israel lebe. Besser wenn keiner weiss, dass ich Samuel heisse und eine jüdische Frau habe.

Mal wieder richtig Schweizer sein

Einfach mal gucken gehen, wie die’s in Ramallah haben.

Es tut mir ja leid mit dem was hier alles geht, politisch. Aber ich kann da wirklich nichts dafür. Es ist einfach eine komplizierte Situation. Könnt ihr nicht einfach miteinander reden?

Wir verlassen die Autobahn bei einem der Settlements – mein erstes Settlement. Das Dorf sieht aus wie andere israelische, aus dem Boden gestampfte Kleinstädte. Vielleicht noch etwas trotzigere Architektur. Noch schneller gebaut. Noch weniger Charme.

Richtungsschilder an der Strasse gibt’s hier kaum. Meine Freundin kennt den Weg. Wir biegen mitten im Dorf in eine Seitenstrasse ein, 150m die Strasse runter steht ein trotziger Turm, darum herum viel Gitter, Betonblöcke, Strassenschwellen und Stacheldraht. Checkpoint.

Wir fahren im Schrittempo auf das grosse Maschendrahttor zu, der israelische Soldat verlässt nicht mal sein Kabäuschen, das Tor schwingt lautlos auf und wir fahren durch. Das war’s.

Unser Auto hat CD Nummernschilder. Corps Diplomatique. Diplomatisches Korps. Meine Freundin erklärt, dieser Checkpoint ist nur offen für Diplomaten, UN Mitarbeiter und Sondergenehmigungen.

In die andere Richtung, auf der anderen Strassenseite sehe ich die Schleusen für die Fussgänger, die Palästinenser, die durch den Checkpoint nach Israel wollen. Auf der palästinensischen Seite des Checkpoint stehen geparkte Autos, die Strasse ist bis auf eine Spur in der Mitte zugeparkt mit PWs von Tagesaufenthaltern in Israel.

Wir sind in Zone A.  Aber noch nicht in Ramallah.

Die Strasse hier ist schlechter. Es ist ein löchriges Asphaltband auf den Sand gelegt. Links und rechts stehen weissgraue rohe Betonbauten. Hier baut keiner fürs Auge. Es ist unklar, welche Häuser noch im Bau sind, welche schon fertig, bewohnt wirkt hier gar nichts, plötzlich kommt mir auch die Landschaft so anders vor, so trocken, so karg, so unbelebt, steinig, sandig, das diffuse milchige Licht tut das seine dazu, es kommt mir vor als hätte ich meinen Kopf in eine andere Welt gesteckt, in der das Licht diffus, die Frischluft knapp und das Land trocken ist.

Sogar die Karten auf dem Handy sind blank.

Auf Google Maps ist Ramallah als grauer Fleck markiert, ohne Strassennamen. Das Mövenpick Hotel Ramallah wird angezeigt. Das ist alles.

Meine Freundin kennt den Weg. Wir unterqueren die Siedler-Autobahn, deren Sichtschutz-Zäune die Landschaft zerschneiden. Hinter dem Band aus beigen Blachen könnten auch die Schienen eines riesenlangen Rollercoasters liegen, der hier über die Hügel vor Jerusalem flitzt. Irgendwo ist der Einstieg, da muss man anstehen, Karten kaufen und dann Schlange stehen für die nächste Abfahrt.

Dann erreichen wir auch schon die ersten Häuser Ramallahs. Wie’s aussieht wird auch hier wie überall in Israel viel gebaut. Pardon: Wie überall in Israel wird auch hier viel gebaut. Die Architekten scheinen noch etwas weniger gut ausgebildet. Die Ambitionen der Bauherren sind aber hoch. Es stehen einige Paläste an der Strasse, Mischung aus moderner Architektur, Festungsbau und Neureichen-Punk-Prunk.

Wir suchen unseren Treffpunkt

So euphorisch Lonely Planet Ramallah als Happening Place feiert, so dürftig ist auch da die Karte. Sie zeigt 800×800 Meter Innenstadt.

Das wäre eine Aktion: Ramallah auf Google Maps erfassen.

Wir verfahren uns, werden aber von netten Fussgängern zum Treffpunkt gewiesen. Dann folgen wir dem Japaner zum Restaurant.

Wir essen in einem von Christen betriebenen Restaurant. Es wird Tel Aviver Standard geboten, etwas bemühter, man spürt, das ist nicht normal hier. Das tut man für ‘die andern’. Der junge coole Inhaber oder Maitre d’ bedient uns zuvorkommend. Auch die Preise sind hoch. Wir trinken einen Orvieto.

Die Diplomaten tauschen Ansichten und Einsichten aus.

Der Japaner geht Bergsteigen in der Westbank.

Er kennt einige gute Wände in der Gegend.

 

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Nach dem Orvieto fahren wir zu Arafat

Anschliessend besuchen wir die Mukatah, das Hauptquartier der PLO zu Yassir Arafats Zeiten und sein ‘Gefängnis’ von 2002 bis 2004, als israelische Truppen seine Regierungsanlage belagert hielten – und zum grössten Teil zerstörten.

Es ist die einzige touristische Destination Ramallahs. 

Das Grab Arafats steht Besuchern offen, es wird von einer Handvoll Soldaten in Paradeuniform bewacht.

Es wird nicht als seine letzte Ruhestätte angesehen. Die soll in Jerusalem sein, wenn der Felsendom wieder zu Palästina und nicht mehr zu Israel gehört.

Nach der etwas surrealen, gespenstisch kahlen und fahlen Kulisse der Mukatah fahren wir ins nahegelege Stadtzentrum, spazieren durch die belebte Hauptstrasse, vorbei am Stars-and-Bucks zum schmutzigen und einfachen, aber gut besuchten Markt mit viel Frischwaren. Wir sind beinahe die einzigen Westler, ich sehe noch eine Asiatin mit einem palästinensischen Begleiter auf dem Markt und einen älteren Abenteurer oder Künstler, der vielleicht 1985 in Beirut war.

Die Türme frisches Gemüse und Früchte auf dem Markt sind wie ein Schock: Das maximal intensive Rot, Grün, Gelb der Peperonis. Das Orange der Khakis und Mandarinen. Die dicken Büschel Bananengelb. Grüner Lattich.

Wo sind die Gewürze? Gewürze machen sich gut als Mitbringsel.

Es ist alles spottbillig.

Während unser Restaurant durchaus Tel Aviver Preise verlangte, ist hier auf dem Markt alles ein Vielfaches billiger.

Gegen fünf stehen wir im massiven Stau im Berufsverkehr vor Tel Aviv. Die Autos in langen Kolonnen vor der Kulisse Tel Avivs, eine gute halbe Stunde weg vom ärmlichen Ramallah, sind Beleg für den Kontrast zwischen den beiden Welten.

Wie sag’ ich’s den andern? 

Am nächsten Tag auf Arbeit weiss ich nicht, ob ich die Geschichte erzählen kann.

Bis jetzt bin ich der naive Europäer, der gut meint – aber natürlich nichts versteht. Ich will nicht als Pali-Sympathisant angeschrieben werden.

Mein Foto am Schrein von Arafats Grab, grinsend zwischen den beiden Ehrenwachen, zeige ich keinem.

Als ich Kollege Y dann doch von meinem Ramallah Besuch erzähle, macht er ein sehr eigenartiges Gesicht. Etwas fasziniert, etwas ungläubig, leicht abgestossen, er macht einen Schritt zurück.

Ich hab’s noch einigen anderen Freunden erzählt. Sie stellen fast keine Fragen.

Y schaute, als hätte ich einen Brief von seinem Cousin mitgebracht, der wegen Vergewaltigung im Gefängnis sitzt. Niemand will diesen Brief aufmachen. Was kann da schon drinstehen was man lesen möchte?

Mit diesem Cousin, der eine Frau vergewaltigte (angeblich), hat man seit Jahren keinen Kontakt mehr. Und mittlerweile ist es einfacher so.

Sie fragen schon alle: Wie war’s?

Ich sage: Deprimierend.

Sie sagen: Ja natürlich.

Ich hatte mich in Afrika, in den Städten Kenias, so gefühlt. Vielleicht ist es das Lebensgefühl in Gesellschaften, in der es kein Vertrauen in die Gesellschaft gibt. Die Luft ist knapp für alle.

Dass diese Stadt als Hauptstadt und Teil eines ‘gleichberechtigten’ Staates neben Israels funktionieren könnte, scheint sehr weit hergeholt. Der Vorsprung Israels in jeder Hinsicht ist derart gigantisch, dass von einer Gleichberechtigung, wie sie die Zweistaatenlösung suggeriert, keine Rede sein kann.

Es fühlte sich eher an wie der Besuch in einem Reservat.

Der Besuch beim armen, verkrüppelten Nachbarn.

Ich weiss, ich habe nichts gesehen. Ich war gerade mal zwei, drei Stunden dort.

Ich weiss noch nicht, wann ich wieder hinfahre.

Es scheint so weit weg.

Und was soll ich dort …?

Es gibt dort nichts, was ich brauche.

Was habe ich damit zu tun?

 

Der Schrein Yasser Arafats, in der Anlage der Mukatah, dem ehemaligen Hauptsitz der PLO, der von israelischen Truppen 2002-2004 belagert und zerstört wurde.

 

Nach Shabbat am Meer in der Sonne, am wilden Strand, mit dem Auto gut eine Stunde nördlich von Tel Aviv, Richtung Haifa, Richtung Libanon, stehen wir auf einem sandigen Parkplatz in den Dünen. Wir sind mit einer Handvoll Freunden in zwei kleinen Stadtautos unterwegs. Wir haben Hunger.

Wir waschen uns mit sonnenwarmem Wasser aus der Flasche das Salz vom Gesicht. Der Parkplatz ist schon beinahe leer, obwohl die Sonne noch recht hoch am Himmel steht. Viele sind schon auf dem Heimweg. Shabbat endet – und die neue Woche beginnt – mit Sonnenuntergang. Wir sind hungrig auf Hummus, Chips, Salat.

Israel ist munzig wie die Schweiz. Hier im Norden steht alle drei Kehren auf der Landstrasse ein Dorf. Wo in der grünen Schweiz in der Dorfbeiz Wurstsalat auf Papier-Platzdeckchen serviert wird, gibt’s hier einen offenen Imbiss mit schmuddeliger Theke, mit Hummus, Pita, Fleisch vom Drehspiess oder Falafel im Angebot und Blechtöpfchen voller Essiggemüse und Oliven als Beilage. Man sitzt auf weichgesessenen Plastikstühlen an Plastiktischen im Staub.

Wir werweissen, wo wir essen gehen. Man kennt sich aus am Strand, aber keiner von uns kennt einen guten Laden hier in der Gegend.

Ich sage, an der grossen Kreuzung wo’s zur Autobahn nach Tel Aviv geht, da haben wir letztes Jahr unseren Sonnenschirm gekauft, die waren nett, da gibt’s auch einen Imbiss nebenan.

Die ganzen Läden da an der grossen Kreuzung werden von Arabern betrieben.

Schon beim Zigarettenholen am Kiosk war mir aufgefallen, wie anders die Welt hier oben im Norden tickt. Weicher, weniger hart als in Tel Aviv. Weil das Araber sind? Oder sind’s einfach nur die Landeier? Aufm Dorf im Zürcher Oberland ticken die Leute auch anders als an der Langstrasse.

An Tel Aviv hab ich mich gewöhnt. Eine Stunde weg mit dem Auto bin ich komplett in der Fremde.

Wir hatten letztes Jahr da an der Kreuzung gehalten, eben um einen Sonnenschirm zu kaufen. Gabi wartete im Auto. Der Laden da ist ein übergrosser Unterstand, eine kleine Lagerhalle mit Wellblechdach, vollgepackt mit Plastik und Blech, Zeugs und Mobiliar für Haus und Küche. Strand-Utensilien stehen zuvorderst, für die Städter die hier am Wochenende langfahren zu den abgelegenen Stränden. Für uns.

Ich fragte erst noch einen Typen der da rumstand und rauchte, was er an Auswahl hätte. Er wusste nichts zu sagen. Also wählte ich einen Schirm mit grünen Palmen auf Meerblau, made in China, und brachte ihn zur Kasse. Ich musste warten, die Frau an der Kasse war mit einem anderen Kunden beschäftigt. Ein Junge reichte mir ein kleines Glas arabischen Kaffee. Ich verstand nichts von seinem Hebräisch, fühlte mich erst als Tourist und dann doch als Besatzer, bezahlte, wollte nichts falsch machen, wollte auch nicht beschissen werden und zu viel für den Schirm bezahlen, dachte, das ist die Arabische Art, man kriegt Kaffee. Nett sind sie. Versuchte noch zu handeln, zählte mein Wechselgeld.

Erst als ich wieder ins Auto stieg ging mir auf, dass ich dem Junge was hätte geben sollen. Ich fühlte mich schlecht. Typisch, Städter, reich, ohne Anstand und ohne Respekt. Der Junge dachte wohl: Es stimmt schon, was sie über die Juden sagen.

Ich fühlte mich, als hätte ich eine Gelegenheit verpasst, etwas für den Frieden zu tun.

Das war letztes Jahr. Ich wollte gerne dahin zurück. Auch zum Kiosk, zum Imbiss. Diese andere Welt hier kennenlernen, die mir noch immer fremd ist. Und wenn ich’s mir recht überlege: die mir irgendwie immer fremder wird.

Unsere Freunde wischen auf ihren iPhones herum, mein Vorschlag wird nicht gestützt. Niemand will da hin. Man sehe an dem Imbiss da nie Leute sitzen, sagt der eine. Das sei ein schlechtes Zeichen.

Alle versuchen, auf Google Maps eine Empfehlung für Hummus Chips Salat zu bekommen. Ich sage: Leute, hier hat’s ein Dorf am andern, lasst uns einfach reinfahren und irgendwo halten.

Einer sagt: Die mögen uns nicht hier in den Dörfern. They don’t like us here.

Ich sage nichts mehr. Wir fahren schliesslich los, dem anderen Auto hinterher. Sie haben angeblich auf Google was gefunden.

Nach zwanzig Minuten auf der Autobahn Richtung Tel Aviv biegen sie bei einer Autobahntanke ab, wir folgen ihnen, um zwei Ecken in einen alten Industriepark, auf einen riesigen verlassenen Parkplatz. Am einen Ende stehen einstöckige lange Barracken.

Unterm Dach hängt ein grosses Schild: Hummus Olga. Russischer Hummus.

Geschlossen an Shabbat.