Archive

Essen

Eggs Benedict gab ich mir zum Geburtstag, Brioche drauf feinster Lachs unter pochiertem Ei und sämiger Sauce Hollandaise, in einer Ganztags-Frühstücks-Bar an der Dizengoff, begleitet von Kir Royale und einem Geburtstags-Shot Campari-Gin, offeriert von einer jungen typisch unprofessionell aber sperrig-charmanten Tel Avivi Waitress, und ihrem Barman, nachdem wir eine halbe Stunde auf der Strasse draussen in der warmen Novembersonne auf einen freien Tisch gewartet hatten (an einem gewöhnlichen Donnerstag um 11 Uhr Morgens!).

An der Dizengoffstrasse da sitzen jetzt auf vielen Parkbänken dicke Teddybären in Menschengrösse, mit blutigen Einschuss- und schwarzen Brand-Löchern im nussbraunen Fell.

Dazu ist der Dizengoff-Platz in Sichtdistanz von unserem Geburtstags-Cafe ein grosses Mahnmal, den Opfern der Hamas und den Geiseln gewidmet, mit Fotos ausgelegt, Kerzen, Erinnerungsstücken. Wer die letzten Wochen ferngesehen hat, erkennt viele der Gesichter auf den Fotos wieder, und erinnert die Geschichten dazu. G erzählt mir die Geschichte eines jungen Paars, deren Fotos da liegen, dass die beiden, Eltern von zwei Babies, in ihrem Haus erschossen wurden. Nachdem sie die Eltern getötet hatten, machten es sich die Hamasniks bequem in dem Haus, und jeder und jede, die der nach den schreienden Babies schauen wollte, wurde auf der Türschwelle erschossen. Ein gut meinender Helfer nach dem anderen. Die Kleinkinder überlebten.

In unserer kleinen Frühstücks-Bar war die Stimmung gelöst, der Laden draussen, drinnen und an der Bar voll besetzt, bis beim zweiten Kaffee plötzlich kontrollierte Eile ausbrach, alle im Lokal aufstanden, Raketenalarm, um sich im Eingang des Hotels nebenan einzufinden, im ‘Safe Space’.

Es donnerte am Himmel über uns, so laut wie schon lange nicht mehr.

Unsere Buben hatten in Kindergarten und Schule zum ersten Mal überhaupt auch Alarm.

So machten wir uns gleich auf den Weg, um sie abzuholen.

Die beiden waren nicht weiter beunruhigt, wobei der ältere den Geburtstagskuchen mit Kerzenausblasen zuhause am selben Nachmittag fiebrig und müde verschlief… Kriegskrank? Oder wars doch nur ein Virus?

Was man sicher weiss: es könnte alles noch viel schlimmer sein.

Der Plastik-Weihnachtsbaum zuhause steht – frohe Weihnachten!

“Speck, Schinken und Wurst ist krebserregend”, diese WHO-Meldung macht Schlagzeilen. Die Juden haben’s ja schon immer gewusst, denke ich, die ganzen unkoscheren Schweinereien sind nicht gut für uns. Die Bibel. Die Bibel weiss es eben.

Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Stimmung passiert mir das Unverzeihliche: Ich serviere unseren Freunden M und L meine feine selbstgemachte Bolognese. Sie waren schon öfter bei uns zum Essen, auch zum Grill mit Schweizer Würsten und anderen Leckereien.

Die ersten Bissen Bolognese sind gegessen, da sagt M: MMhh das schmeckt aber fein, was hast du da reingemacht?

Ich sage: Rindfleisch …
… und ein bisschen Speck zur Würze.

Er sagt einen Moment lang gar nichts.

Dann lacht seine Frau ihr lautes Lachen.
Und sie ruft: Yes! Yes! Yes! Speck! Schweinefleisch!

Er sagt ruhig: Es musste ja mal soweit kommen.

Sie steht auf und jubelt.

Er ignoriert sie. Sagt: Aber es schmeckt so verdammt gut, ich werde das jetzt essen. Weil Du es bist, und er hebt sein Weinglas in meine Richtung.

Mir wird heiss und kalt gleichzeitig.

Er zu ihr weiter: Aber das ändert gar nichts bei uns zu Hause.
Offenbar will sie auch mal mit Speck – und er ohne.
Sie kocht gerne.

Er tut es ausdrücklich mir zuliebe?

Ich bin gerührt.
Ich schäme mich für meinen Fauxpas. Ich war überzeugt dass er sich nicht um die Koscher-Geschichte schert.

Er isst es für mich. Wenn ich es nicht wäre, dann würde er es nicht essen.
Ist das seine Art zu sagen: Du bist also imfall Schuld?

Ich werde also in der Hölle schmoren.

Oder er?

Wird er in der Hölle schmoren? Ich vermute, er wird entschuldigt, weil er es ja für mich gemacht hat, einen ahnungslosen, gemeinen Christen. Er hat es aus Liebe zu mir gemacht…

Im selben Moment fährt mir die ganze Tragweite dieser Situation ein: Genau darum sollten Juden keine Nicht-Juden heiraten. Genau darum muss Israel rein bleiben, so jüdisch wie möglich. Darum werde ich beim Boarding von El Al Sicherheitsmitarbeitern mit unangenehmen Fragen kleingemacht, das Handgepäck durchsucht, damit ich am liebsten woanders hinfliegen würde.

Meine Frau hätte mit dem richtigen Mann auf den richtigen Weg zurückgefunden!!

Doch wie’s gekommen ist, sitze ich jetzt hier mit aufrichtigen guten Juden am Tisch, füttere sie mit Speck, versorge sie an einem anderen Abend mit Bratwurst und Cervelat (Schweinedarm!).

Und beim Kaffee stelle ich Fragen nach der Menschlichkeit der israelischen Politik.

Meine Anwesenheit hier erodiert das Fundament Israels!

Bei schönerem Wetter hätte mir Ramallah besseren Eindruck gemacht. Was im Zürcher November der graue nieselige Hochnebel ist, sind hier Sandwolken, feiner Staub der sich auch tagelang hält, auf Bäume und Autos legt, man spürt ihn manchmal auf der Zunge und der Dreck hängt wie ein feiner Schleier vor der Sonne. An manchen Tagen sieht man die obersten Geschosse der Hochhäuser am Ende unserer Strasse nicht mehr.

Zwei oder drei Mal im Jahr liegt so viel Staub in der Luft, dass es tagsüber apokalyptisch eindunkelt und die Sonne blutrot anläuft, als kriege sie keine Luft mehr und ersticke gleich. Danach regnet es erstmal dreckiges Wasser.

Meine Freundin aus dem diplomatischen Korps hatte mich am Samstag in einer SMS spontan eingeladen, sie zu einem Lunch am Sonntag in Ramallah zu begleiten.

 

Angeblich die Flaggen aller Staaten, die Palästina bis dato als Staat anerkannt haben. Manche von Wind und Wetter zerfetzt, manche auf Halbmast. Eine grosse Baubrache neben Arafats ehemaligem Machtzentrum.

 

Ich hatte ihr ein paar Wochen zuvor gestanden: Mit jedem Monat, den ich länger hier in Israel lebte, wurde die Vorstellung eines Besuchs beim Feind unheimlicher. Warum, weiss ich nicht. Die Medien? Die Gehirnwäsche einer Nation im Kriegszustand? Gruppenzwang eines traumatisierten Volks? Die Raketen aus Gaza im letzten Herbst?

Ich sagte meine Bürotermine für Sonntag ab.

Tel Aviv Richtung Jerusalem, nach 45 Minuten rechts abbiegen

Beim ersten Besuch in Israel, vor zwei Jahren, war ich mit Gabi unterwegs nach Jerusalem, da stand Ramallah angeschrieben auf einem Autobahnschild.

Ich hatte sie gefragt: „DA ist Ramallah?“

Ich hatte im MAGAZIN des TagesAnzeigers gelesen, dass dort viele junge Expats leben, UNO-Mitarbeiter und NGO-Workers, Hilfswerker, Friedensstifter, Abenteurer, und dass sie cool drauf sind und gute Bars und Parties machen zusammen mit den Palis. Es hatte sich aufregend und vielversprechend angehört. Etwas gefährlich vielleicht, aber ohne wirklich gefährlich zu sein. Nicht wie Saigon 1965 oder Beirut 1985. Aber doch irgendwie mit diesem schwitzigen Uniform-Geruch in der Luft, den blauäugigen blonden Fotoreportern, zähen Geschäftemachern und Abenteuern.

Sie sagte: „Ja klar, da ist Ramallah.“

Ich wollte sie fragen, ob wir da hinfahren können, aber ich hatte eine Ahnung.

Darum fragte ich vorsichtiger: „Warst du schonmal da?“

Meine Frau: „Spinnst du? Ich will nicht vergewaltigt werden.“

Araber stinken. Man lernt das so hier.

Die Diplomatin und ich im Botschafterwagen, wir fuhren am Sonntag um 10:30 in Tel Aviv los. Wir waren um 12 Uhr mit dem japanischen Diplomaten in Ramallah verabredet. Er würde uns vor einem der bekannten Expat-Hotels treffen und dann in ein gutes Restaurant mitnehmen.

Eine gute Dreiviertelstunde Ostwärts auf der Siedler-Autobahn, Schnellstrasse 443, lag vor uns. Die Siedler-Autobahn ist eine von zwei Autostrecken zwischen Tel Aviv und Jerusalem.

Die 1 ist die Haupt-Achse, sie wird derzeit durchgängig auf 6 Spuren erweitert. Die 443 führt durch die Westbank und bedient unterwegs Settlements. Palästinensern ist der Zugang zur Strasse gesperrt. Sie ist links und rechts eingezäunt. Siedler-Autobahn.

Ramallah ist Teil der Zone A, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert wird. Aus Sicherheitsgründen ist Juden der Zugang zur Zone A verboten. Egal mit welchem Pass. Ich bin weder Israeli noch Jude. Ich sehe auch nicht aus wie ein Israeli (Juden sehen ja so und so aus, aber Israeli erkennt man).

Darum hatte die Diplomatin auch kein Problem, mich in die Zone mitzunehmen.

Meine grösste Sorge: dass ich bei der nächsten Ausreise und Einreise am Flughafen drangenommen werde. Oder unangenehmer: dass sie mir plötzlich Probleme machen beim Erneuern meiner provisorischen Niederlassungsbewilligung, wenn sie erfahren, dass ich in Ramallah mittagesse.

Ich suchte mir meine Klamotten an dem Morgen sorgfältig aus, um für den Palästinenser zwar möglichst Schweizerisch auszuschauen, aber nicht verwöhnt wohlhabend.

Unterwegs im Auto nach Ramallah fühlte ich mich zum ersten Mal seit langem wieder als Schweizer: Neutral. Als Tourist. Als Gast und ohne Verantwortung. Hände ausgestreckt und Handflächen nach oben gedreht. Mal kucken gehen.

Wenn ich in der Schweiz bin, bin ich Besucher aus Israel. Wenn Freunde uns in Tel Aviv besuchen, bin ich der Tel Avivi.

Wenn ich mit meiner Frau reise, behaupten wir in Istanbul, Jordanien oder Kenia zwar beide, dass wir Schweizer sind – mit dem Resultat dass ich mich mit dieser halben Lüge als Israeli fühle. Potenziell von Entführung und Bombenanschlägen bedroht, von keinem gemocht, von allen kritisch beobachtet.

Besser, wenn mir heute kein Wort Hebräisch rausrutscht. Besser, wenn niemand weiss, dass ich in Israel lebe. Besser wenn keiner weiss, dass ich Samuel heisse und eine jüdische Frau habe.

Mal wieder richtig Schweizer sein

Einfach mal gucken gehen, wie die’s in Ramallah haben.

Es tut mir ja leid mit dem was hier alles geht, politisch. Aber ich kann da wirklich nichts dafür. Es ist einfach eine komplizierte Situation. Könnt ihr nicht einfach miteinander reden?

Wir verlassen die Autobahn bei einem der Settlements – mein erstes Settlement. Das Dorf sieht aus wie andere israelische, aus dem Boden gestampfte Kleinstädte. Vielleicht noch etwas trotzigere Architektur. Noch schneller gebaut. Noch weniger Charme.

Richtungsschilder an der Strasse gibt’s hier kaum. Meine Freundin kennt den Weg. Wir biegen mitten im Dorf in eine Seitenstrasse ein, 150m die Strasse runter steht ein trotziger Turm, darum herum viel Gitter, Betonblöcke, Strassenschwellen und Stacheldraht. Checkpoint.

Wir fahren im Schrittempo auf das grosse Maschendrahttor zu, der israelische Soldat verlässt nicht mal sein Kabäuschen, das Tor schwingt lautlos auf und wir fahren durch. Das war’s.

Unser Auto hat CD Nummernschilder. Corps Diplomatique. Diplomatisches Korps. Meine Freundin erklärt, dieser Checkpoint ist nur offen für Diplomaten, UN Mitarbeiter und Sondergenehmigungen.

In die andere Richtung, auf der anderen Strassenseite sehe ich die Schleusen für die Fussgänger, die Palästinenser, die durch den Checkpoint nach Israel wollen. Auf der palästinensischen Seite des Checkpoint stehen geparkte Autos, die Strasse ist bis auf eine Spur in der Mitte zugeparkt mit PWs von Tagesaufenthaltern in Israel.

Wir sind in Zone A.  Aber noch nicht in Ramallah.

Die Strasse hier ist schlechter. Es ist ein löchriges Asphaltband auf den Sand gelegt. Links und rechts stehen weissgraue rohe Betonbauten. Hier baut keiner fürs Auge. Es ist unklar, welche Häuser noch im Bau sind, welche schon fertig, bewohnt wirkt hier gar nichts, plötzlich kommt mir auch die Landschaft so anders vor, so trocken, so karg, so unbelebt, steinig, sandig, das diffuse milchige Licht tut das seine dazu, es kommt mir vor als hätte ich meinen Kopf in eine andere Welt gesteckt, in der das Licht diffus, die Frischluft knapp und das Land trocken ist.

Sogar die Karten auf dem Handy sind blank.

Auf Google Maps ist Ramallah als grauer Fleck markiert, ohne Strassennamen. Das Mövenpick Hotel Ramallah wird angezeigt. Das ist alles.

Meine Freundin kennt den Weg. Wir unterqueren die Siedler-Autobahn, deren Sichtschutz-Zäune die Landschaft zerschneiden. Hinter dem Band aus beigen Blachen könnten auch die Schienen eines riesenlangen Rollercoasters liegen, der hier über die Hügel vor Jerusalem flitzt. Irgendwo ist der Einstieg, da muss man anstehen, Karten kaufen und dann Schlange stehen für die nächste Abfahrt.

Dann erreichen wir auch schon die ersten Häuser Ramallahs. Wie’s aussieht wird auch hier wie überall in Israel viel gebaut. Pardon: Wie überall in Israel wird auch hier viel gebaut. Die Architekten scheinen noch etwas weniger gut ausgebildet. Die Ambitionen der Bauherren sind aber hoch. Es stehen einige Paläste an der Strasse, Mischung aus moderner Architektur, Festungsbau und Neureichen-Punk-Prunk.

Wir suchen unseren Treffpunkt

So euphorisch Lonely Planet Ramallah als Happening Place feiert, so dürftig ist auch da die Karte. Sie zeigt 800×800 Meter Innenstadt.

Das wäre eine Aktion: Ramallah auf Google Maps erfassen.

Wir verfahren uns, werden aber von netten Fussgängern zum Treffpunkt gewiesen. Dann folgen wir dem Japaner zum Restaurant.

Wir essen in einem von Christen betriebenen Restaurant. Es wird Tel Aviver Standard geboten, etwas bemühter, man spürt, das ist nicht normal hier. Das tut man für ‘die andern’. Der junge coole Inhaber oder Maitre d’ bedient uns zuvorkommend. Auch die Preise sind hoch. Wir trinken einen Orvieto.

Die Diplomaten tauschen Ansichten und Einsichten aus.

Der Japaner geht Bergsteigen in der Westbank.

Er kennt einige gute Wände in der Gegend.

 

IMG_9252

 

Nach dem Orvieto fahren wir zu Arafat

Anschliessend besuchen wir die Mukatah, das Hauptquartier der PLO zu Yassir Arafats Zeiten und sein ‘Gefängnis’ von 2002 bis 2004, als israelische Truppen seine Regierungsanlage belagert hielten – und zum grössten Teil zerstörten.

Es ist die einzige touristische Destination Ramallahs. 

Das Grab Arafats steht Besuchern offen, es wird von einer Handvoll Soldaten in Paradeuniform bewacht.

Es wird nicht als seine letzte Ruhestätte angesehen. Die soll in Jerusalem sein, wenn der Felsendom wieder zu Palästina und nicht mehr zu Israel gehört.

Nach der etwas surrealen, gespenstisch kahlen und fahlen Kulisse der Mukatah fahren wir ins nahegelege Stadtzentrum, spazieren durch die belebte Hauptstrasse, vorbei am Stars-and-Bucks zum schmutzigen und einfachen, aber gut besuchten Markt mit viel Frischwaren. Wir sind beinahe die einzigen Westler, ich sehe noch eine Asiatin mit einem palästinensischen Begleiter auf dem Markt und einen älteren Abenteurer oder Künstler, der vielleicht 1985 in Beirut war.

Die Türme frisches Gemüse und Früchte auf dem Markt sind wie ein Schock: Das maximal intensive Rot, Grün, Gelb der Peperonis. Das Orange der Khakis und Mandarinen. Die dicken Büschel Bananengelb. Grüner Lattich.

Wo sind die Gewürze? Gewürze machen sich gut als Mitbringsel.

Es ist alles spottbillig.

Während unser Restaurant durchaus Tel Aviver Preise verlangte, ist hier auf dem Markt alles ein Vielfaches billiger.

Gegen fünf stehen wir im massiven Stau im Berufsverkehr vor Tel Aviv. Die Autos in langen Kolonnen vor der Kulisse Tel Avivs, eine gute halbe Stunde weg vom ärmlichen Ramallah, sind Beleg für den Kontrast zwischen den beiden Welten.

Wie sag’ ich’s den andern? 

Am nächsten Tag auf Arbeit weiss ich nicht, ob ich die Geschichte erzählen kann.

Bis jetzt bin ich der naive Europäer, der gut meint – aber natürlich nichts versteht. Ich will nicht als Pali-Sympathisant angeschrieben werden.

Mein Foto am Schrein von Arafats Grab, grinsend zwischen den beiden Ehrenwachen, zeige ich keinem.

Als ich Kollege Y dann doch von meinem Ramallah Besuch erzähle, macht er ein sehr eigenartiges Gesicht. Etwas fasziniert, etwas ungläubig, leicht abgestossen, er macht einen Schritt zurück.

Ich hab’s noch einigen anderen Freunden erzählt. Sie stellen fast keine Fragen.

Y schaute, als hätte ich einen Brief von seinem Cousin mitgebracht, der wegen Vergewaltigung im Gefängnis sitzt. Niemand will diesen Brief aufmachen. Was kann da schon drinstehen was man lesen möchte?

Mit diesem Cousin, der eine Frau vergewaltigte (angeblich), hat man seit Jahren keinen Kontakt mehr. Und mittlerweile ist es einfacher so.

Sie fragen schon alle: Wie war’s?

Ich sage: Deprimierend.

Sie sagen: Ja natürlich.

Ich hatte mich in Afrika, in den Städten Kenias, so gefühlt. Vielleicht ist es das Lebensgefühl in Gesellschaften, in der es kein Vertrauen in die Gesellschaft gibt. Die Luft ist knapp für alle.

Dass diese Stadt als Hauptstadt und Teil eines ‘gleichberechtigten’ Staates neben Israels funktionieren könnte, scheint sehr weit hergeholt. Der Vorsprung Israels in jeder Hinsicht ist derart gigantisch, dass von einer Gleichberechtigung, wie sie die Zweistaatenlösung suggeriert, keine Rede sein kann.

Es fühlte sich eher an wie der Besuch in einem Reservat.

Der Besuch beim armen, verkrüppelten Nachbarn.

Ich weiss, ich habe nichts gesehen. Ich war gerade mal zwei, drei Stunden dort.

Ich weiss noch nicht, wann ich wieder hinfahre.

Es scheint so weit weg.

Und was soll ich dort …?

Es gibt dort nichts, was ich brauche.

Was habe ich damit zu tun?

 

Der Schrein Yasser Arafats, in der Anlage der Mukatah, dem ehemaligen Hauptsitz der PLO, der von israelischen Truppen 2002-2004 belagert und zerstört wurde.

 

Dass sie hier schwarze Lindt-Schoggi und Gruyère im grossen Stil importieren, geniesse ich sehr (auch wenn’s in der Schweiz gekauft besser schmeckt).

Die Begegnung mit Daniel Freitag bei der Eröffnung eines Freitag Popup-Stores fand ich grossartig. Diese Züri-Ikone an der Dizengoff zu sehen machte mich stolz (auch wenn die Taschen seither bei uns um die Ecke im Laden verstauben. Trotz der vielen Schwulen: die Tel Avivis sind komplett ahnungslos was Design und Qualität betrifft und träumen nicht mal davon, für Lifestyle-Zeugs viel Geld auszugeben.)

Was fehlt sind Kleinigkeiten wie Ovoschoggi, Bratwürste oder Cervelats, Kirsch, Tommy Mayonnaise, Nüsslisalat oder Sprüngli. Das bring’ ich mir mit und geniess es umso mehr, wenn ich in Zürich bin.

Das ist ja auch das Schöne daran, nicht zuhause zu sein. Dass man das Kirchenglockengeläut am Sonntag Morgen in Zürich vermisst.  

Dass die UBS hier neuerdings gross auffährt, das stört mich nicht weiter. Die haben’s auf die israelischen Millionäre abgesehen (jetzt wo das Bankgeheimnis futsch ist, muss man sich wohl neu organisieren und dem Geld nachreisen, es fliesst nicht mehr wie von alleine an den Paradeplatz).

Aber dass ein Bindella hier ein Restaurant eröffnen will… Vielleicht war’s ja nur eine 20minuten-Geschichte (“voraussichtlich im Oktober”). Aber ganz aus der Luft gegriffen scheint’s nicht: Eine Freundin, die im Herbst hier nach Tel Aviv übersiedelt, hat sich vom Bindellaspross schon einen Job versprechen lassen.

Es ist nichts persönliches. Aber wenn der sich hier wohl genug fühlt, um einen Laden zu eröffnen, dann ist das eine Form der Gentrifizierung, die ich genausowenig mag wie die Kreis 4-Bewohner in Zürich und die Kreuzberg-Bewohner in Berlin. Ich will keinen Züri-Chic hier.

Restaurants gibt’s hier wie Sand am Meer. Den perfekten Italiener habe ich tatsächlich noch nicht gefunden. Aber den gibt’s doch sowieso nur in Italien, oder?

Ich wünsche Bindella, dass er nicht über den Tisch gezogen wird von den Israelis – es herrschen keine Zürcher Bedingungen hier. Wenn er’s tatsächlich schafft, hier einen erfolgreichen Italiener aufzumachen: Danke!

Monday Night Skate ist hier Tuesday Night Skate. Erinnert mich auch an Zürich.

Trotz Monaten in der Sprachschule reicht mein Hebräisch noch nicht viel weiter als bis ‘Kaffee schwarz’. Schriftlich kommuniziere ich mit Hilfe von Google’s Übersetzungs-App. Telefongespräche vermeide ich nach Möglichkeit. Was unter anderem ein Handicap ist, weil hier viel, gerne und günstig Essen nach Hause bestellt wird.

Letzte Woche, home alone, rief ich bei Domino’s an und bestellte eine PIzza (irgendwann musste ich mich dieser Situation stellen).

Eine hungrige halbe Ewigkeit nach dem Anruf kam eine SMS von unbekannter Nummer und ich liess Google übersetzen. “Domino’s Apostel wird gleich mit Dir sein,” wurde mir verkündet. Natürlich! Heiliges Land! Ich jubilierte. Der Apostel brachte mir eine Familienpizza mit Peperoni – blieb aber nicht zum Essen.

 

 

Ich habe nie so gut gegessen wie in den letzten 18 Monaten hier in Israel. Das ganze Jahr über gibt’s im Supermarkt taufrisches, reifes Gemüse und Obst aus lokaler Produktion. Tel Aviv ist voll fantastischer Restaurants, die auch köstlich (un-koschere) Meeresfrüchte zu zahlbaren Preisen servieren. Un-koschere Supermärkte und Delis führen von Crevetten über Salami bis zu original Gruyère. Dass ‘koscher’ für viele wichtig ist, begegnet mir jeweils völlig unerwartet.

Die dicke Frau hinter der Fleischtheke im Coop diskutiert mit einer Kundin. Ich verstehe nur einige rohe Brocken des Gesprächs. Immerhin.

Die beiden lassen sich Zeit.
Die blassroten Koteletts in der Auslage sehen aus wie vom Schwein!
Ist das möglich?

Wir kaufen immer im un-koscheren Coop ein. Hier gibt’s auch gefrorene Crevetten und anderes Unheiliges mehr. Dass der Laden aber auch Schweinefleisch führt, wusste ich nicht. Die Schweinezucht ist verboten auf israelischem Grund und Boden, das heilige Land darf per Gesetz nicht von den unreinen Sauen betreten werden. (Der Trick: Man hält die Tiere auf einem Holzrost über Boden.)

Ich unterbreche die beiden Damen und frage: “Excuse me, was ist das für Fleisch?”
Die Kundin, eine stämmige bleiche Frau, wohl irgendwo im grauen Osten unter Sowjetherrschaft aufgewachsen, mustert mich misstrauisch und antwortet erstmal gar nichts.

Ich versuche es noch einmal: “Speak english..? Was ist das hier..?” sage ich, und zeige auf die üppigen Koteletts und Steaks.

Sie kuckt mich an, als spielte ich ihr einen bösen Streich.
Sie wendet sich wieder der Verkäuferin zu, die beiden tauschen sich kurz aus.

Dann sagt sie zu mir: “Pork?”
Ich habe sie beim Schwein kaufen erwischt.
Sie sagt es gleich noch einmal: “Pork.”
Ich nicke, freue mich, bedanke mich, lächle, damit sie nicht meint, ich hätte was gegen Schwein, oder gegen sie, die Schwein kauft.
Sie bestellt daraufhin sechs Stück der schweren Koteletts.
Dann kaufe ich eins für mich.

Eine Freundin von der Ulpan, Chinesin, erzählte mir, dass sie alle Luken ihrer kleinen Wohnung dicht macht, wenn sie für ihren israelischen Freund unkoschere Crevetten brät. Damit die Nachbarn nichts mitbekommen. Dann klingelte es eines Tages an der Tür, als sie gerade eine Portion sündige Crevetten im Wok brät: Der Postmann! Sie sagt, für einen Moment geriet sie in Panik. – Dabei ist das hierzulande einfach eine Frage des Umgangs. Viele unserer Freunde lieben Crevetten, nicht wenige freuen sich über einen Cervelat.

Ich brate mir mein Kotelett zuhause in der Pfanne an und lasse es im heissen Ofen schön durchziehen. Gabi fragt mich am nächsten Tag, ob das koschere Schweinskotelett anders schmeckt. Ich meine, es hat schon anders geschmeckt als eine Schweizer Sau.

Ob die Schweine in Israel wohl geschächtet werden…? – Ich sollte mal im Coop nachfragen.

Koscher Schwein

Was das Schnitzel für Wien, ist das Shnitzl für Israel. Die panierte, frittierte Hühnerbrust ist der Stolz jeder Ima (Mutter) und es gibt Shnitzl-Charts für die Restaurants in Tel Aviv. Beim Fleischer gibt’s die Hühnerbrüste fast ausschliesslich dünn tranchiert.

Mein Problem damit: So lecker Mutti die Panade auch hinkriegt – die magere Hühnerbrust darin macht keinen Spass. (Dass koscheres Essen generell nicht schmeckt ist natürlich genauso falsch wie die Pauschalisierung, dass deutsches Essen schwer ist.)