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Israel! Israel!

Der Kleine (4) fragte neulich in der Badewanne in unserer temporären Wohnung in Zürich aus heiterem Himmel: “Ima, wegen dem Krieg zuhause … wer hat eigentlich gewonnen?”

Es ist wahnsinnig schwierig zu akzeptieren, dass wir keine Zukunft haben in Israel, dass wir unser Leben nicht einfach weiterleben können.

Unser Haus steht noch. 
Unsere Freunde sind – wieder – in Israel, die meisten jedenfalls. (Zwei Familien unserer kleinen Schule sind Hals über Kopf ausgewandert.)
Unsere Familie – die Familie von G – ist hier. Ihre Grosseltern und Urgrosseltern haben das Land mit aufgebaut. (Die Schwester hatte schon Jahre vor, mit Mann und Kind nach Kanada zu ziehen, jetzt haben sie die Reissleine gezogen und sind auf und davon.)
Unsere Schule und unsere Arbeit sind in Israel, genau wie vor dem 7. Oktober.

Und trotzdem sagen wir jetzt, wir können hier nicht mehr leben? 

“Was hat sich denn verändert, dass ihr plötzlich weg wollt..?” – hat mich natürlich niemand in der Schweiz gefragt. Obwohl es keine dumme Frage wäre: Die Grosswetterlage ist unverändert. Die politische Krise ist schon älter als der 7. Oktober. Die Bedrohung ausgehend von Iran und seinen Proxys wurde jahrzehntelang beschrieben.

“Wir haben’s ja immer gesagt…” – Auch diesen Satz habe ich erstaunlicherweise nie gehört jetzt, in diesem Monat in der Schweiz. Man wusste ja was kommt! Rechts wie Links.

Heute haben die Linken endlich die Bestätigung dafür, was sie Jahrzehntelang gepredigt haben: seht ihr, man kann kein Volk dauerhaft unterdrücken, ohne dass es irgendwann den Deckel lupft. 

Und die Rechten haben endlich den lang erwarteten Freibrief, Gaza plattzumachen. Denn “die in Gaza” haben auch dem letzten Brüsseler Schönredner ihre un-menschlichkeit beweisen. (Nach meinem Erleben hegte eine grosse Mehrheit in Israel schon vor dem 7. Oktober Rachegefühle unterschiedlicher Schattierung.)

Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sowas passiert – was hat sich nun also am 7. Oktober für uns geändert?

Die Tatsache, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es wieder knallt. Auf verbrannter Erde aufzuwachsen, und in blutgetränktem Boden Wurzeln zu schlagen ist nicht, was wir für unsere Kinder im Sinn haben.

Trotzdem – erstmal fliegen wir zurück, denn wir leben in Israel.
Noch leben wir in Israel.

Ich wurde eingeladen, einen Vortrag zu halten über die kulturellen Unterschiede zwischen Israel und der Schweiz. Der Kontext: Das israelische Management einer israelischen HighTech-Firma versteht die Entscheide ihres Schweizer Mutterkonzerns nicht.

Die Israelis fragen sich: ‘Warum wollen die Schweizer unsere Projekte nicht? Wir haben doch so gute Ideen!’ Israelis haben immer gute Ideen – und sie wollen ihre Ideen umsetzen. Konzepte schreiben, Machbarkeitsstudien? Fehlanzeige. Los! Machen!

Die Aufgabenstellung an mich, wie ich die Einladung zum ‘Cultural Differences’-Workshop als Schweizer verstehe: Kulturelle Unterschiede aufzeigen, Verständnis schaffen für den Anderen und das Andere, interkultureller Dialog …

Als Israeli verstehe ich: Ich soll bitte bitte ein Rezept liefern, wo und wie man beim Schweizer den Hebel ansetzen muss. (Und gerne bestätigen, dass dass die Schweizer langsam und zögerlich sind.)

Am Ende leite ich eine knapp zweistündige Session währendder wir viel über die Eigenheiten beider Länder lachen. Über die korrekten Schweizer und die wilden Israelis.

Mein Lieblingsmoment kommt, als die Manager fragen, wie man denn einem Schweizer eine Meinung entlockt. ‘Was meint der Schweizer, wenn er sagt er hat keine Meinung?’ fragen sie. Ich sage: ‘Möglicherweise hat er keine Meinung.’ Die Israelis denken ich scherze – sie können’s nicht glauben dass jemand ‘keine Meinung’ hat.

Dann wird ein konkretes Projekt angesprochen, was vom Schweizer Hauptsitz nicht genehmigt wird. Da frage ich: ‘Versteht ihr denn, warum die Schweizer das nicht wollten?’ Sie sagen: ‘Ja, es ist ein logischer Entscheid: zu viel Risiko.’

Natürlich will der Israeli trotzdem ran. Es ist nicht so dass er das Risiko nicht sieht – er nimmt es einfach in Kauf.

Der CEO, eine Israelin, sagt gegen Ende: ‘Das hört sich ja an als leben wir im Dschungel!’

Die runde lacht laut – und etwas stolz auch.

1 – Unser Nord-Tel Aviv ist schwierig zu fassen.

Nord Tel Aviv ist (unter anderem) ein Spielplatz für Leute, die genauso gut in Europa, Berlin, Zürich, London oder vielleicht sogar so ziemlich überall auf der Welt wohnen könnten.

Nord Tel Avivis wohnen unter anderem hier, weil’s das einzige kleine Fleckchen Land ist im Umfeld von vielen vielen hunderten Kilometern, in dem sich das Leben ein bisschen normal anfühlt.

Natürlich, man lebt hier auch wegen dem nahen Strand, weil die Sonne jahrum scheint, vielleicht weil die Familie hier eine Wohnung besitzt, weil’s Sex-Appeal hat, weil’s mehr knistert als in Europa… Manchmal, wenn ich was getrunken habe, denke ich auch, es ist ein Aussenposten unserer Zivilisation. Das ist auch ein Kick. Als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet. Es ist nicht unbedingt der friedlichste Planet. Aber er hat was zu bieten.

Unser Spielplatz wird toleriert von Rest-Israel. Es macht sich gut nach aussen.

Tatsache ist, unser Leben hier hat praktisch keine Schnittstellen zum Land rundherum, zu Rest-Israel.

Das kann ein Zürcher oder ein Berliner wohl auch über die Schweiz respektive über Deutschland sagen. Nur ist hier in Israel die die Kluft zwischen den beiden Welten viel tiefer – und wenn sich die Verwerfungen zeigen, viel schmerzhafter.

Das Leben im völlig losgelösten Tel Aviv hat schon lange einen Namen: ‚Living in the Bubble’. In der Blase leben. Die Blase ist das säkulare, europäisch linke Tel Aviv, weit weg von Militär und Weihrauch. Der Alltag hier in Nord-Tel Aviv macht es einfach zu vergessen, dass zwischen uns und all dem Wahnsinn rundherum nur ein dünner, arg strapazierter Puffer liegt: Rest-Israel.

 

2 – Jetzt stehen Wahlen an.

Wir sind keine Aktivisten. Uns geht es gut. Wir wollen natürlich, dass das Leben zahlbarer wird, dass Friede gemacht wird … Aber unsere eigentliche tiefste Nord-Tel Aviv Angst: Dass die von Rest-Israel eine rechts-nationalistische Regierung an die Macht wählen, die das Land und die Gesellschaft über die nächsten Jahre noch weiter nach Rechts und in die Agression treibt, was Israel mittelfristig international unmöglich macht…

Israel hat genug von Bibi. So fühlte sich der Wahlkampf in Tel Aviv an.

Dann radelte ich am Sonntag vor der Wahl auf dem Heimweg von der Arbeit durch die lange Ibn Gabirol Strasse. Um sieben Uhr Abends nach der Stosszeit fliesst der Verkehr normalerweise wieder. An diesem Sonntag stauten sich Busse in der Spur Stadteinwärts: Die letzte grosse Kundgebung im Wahlkampf stand an. Die Rechte versammelte sich am Rabin Platz rund um ihre Anführer. Auch Bibi Netanyahu hatte einen Auftritt angekündigt.

Die Busse kamen von überallher, viele auch aus den Siedlungen der Westbank. Sie waren voller Jungs mit Kippas. Frauen mit Kopftüchern führten ihre 5, 6, 7, 8, 9, 10köpfigen Familien die Strasse runter. Kippas und Kopftücher sieht man an einem normalen Tag sehr wenige in Nord-Tel Aviv.

Die Haaretz Zeitung berichtete dass Siedler-Gemeinden aus der Westbank ihre Bewohner aufgefordert hatten, nach Tel Aviv zu reisen. Sie organisierten vom Staat subventionierte Bus-Reisen. Offenbar ist es legal für Siedler-Gemeinden, ihre Bewohner mit Steuergelder zu unterstützen bei Pro-Siedlungspolitik-Demos.

Sprich: Meine Steuergelder werden in die Westbank geführt, wo sie wiederum dafür zahlen, dass Siedler nach Tel Aviv gekarrt werden für eine pro-Siedlungspolitik Massendemo …

Bei dieser Vorstellung steigt ein fauliger Gestank auf aus den Bauhaus-Fundamenten unserer schicken Nord-Telaviv-Bubble.

 

3 – Nach den Wahlen

Die tausenden Siedler in meiner Strasse zu sehen war ein unheimliches Bild.

Wo lebe ich eigentlich hier?

Die Rechte gewinnt die Wahlen – nicht in Tel Aviv, aber in Israel. In Tel Aviv gewinnt die Links/Mitte-Liste mit grossem Abstand … in den arabischen Städten macht die Arabische Liste fantastische Zahlen. In der Westbank gewinnt die Rechte. In Jerusalem die Rechte und die Religiösen …

Wie lange hält unsere Bubble noch?

“Bis vor drei Wochen fühlte ich mich hier wie im Paradies,” sagte mir eine junge Türkin. Sie erhält in ein paar Wochen die israelische Staatsbürgerschaft. – Sie sei sich aber ihrer Sache jetzt nicht mehr so sicher.

Hatte sie vor dem Krieg nichts von den Palästinensern in Gaza und der Westbank gewusst? Haben die Israelis nicht immer mehr oder weniger offen gesagt, die einzige Lösung sei, Gaza ins Meer zu kippen (natürlich meinten sie das nicht wirklich, sondern sagten das nur, um ihre Hoffnungslosigkeit zu illustrieren)? Hatte die Neu-Israelin geglaubt, absolute militärische Überlegenheit garantiere ausreichend und nachhaltig Sicherheit und Wohlbefinden? War sie überzeugt dass ‘Deckel draufhalten’ auf Dauer gut geht?

Die Raketenalarme sind erst schockierend, dann mühsam, und jetzt nur noch ein kleiner dummer Running Gag in dieser grossen deprimierenden Kriegsrealität um uns herum. Man ist ja nicht unmittelbar gefährdet hier in Tel Aviv. Die Raketen werden abgefangen von der ‘Eisernen Kippa’, wie der Iron Dome auf Hebräisch heisst. (Und bis jetzt wurden hier in Tel Aviv auch alle anderen Versionen von Tod und Untergang made by Hamas abgewendet.) Aber ist es nicht nur eine Frage der Zeit bis es hier in einer Bar oder in einem Bus knallt..? 

Die täglich, stündlich steigende Zahl Toter und Verletzter in Gaza drücken einem auf die Brust wie ein Albtraum. 

Und das schmerzhafteste (und vielleicht der wahre Schock für die Türkin) ist dass die ganze Leichtigkeit verpufft ist. Israel zeigt ein hässliches Gesicht. Die gefeierte Fassade der Start-up-Nation – Israel als phänomenales High-Tech Center mit dem sexy Schwulenparadies Tel Aviv als Herz und Schrittmacher – diese Kulisse ist erstmal im Theaterhimmel verschwunden.

Israel hat viele zum Teil widersprüchliche Gesichter. Widersprüche stören hier nicht. Das macht Israel oft reizvoll, facettenreich – aber es kann auch Angst machen. Was ist denn das echte Israel? 

Ist die so vielgelobte und herumproletete Toleranz der israelischen Gesellschaft gegenüber Schwulen, Transsexuellen etc. nur eine willkommene, regenbogenfarbene Maske vor der hässlichen, rassistischen Fratze eines gnadenlosen Kriegers?

Dieser Tage ist schwer zu glauben, dass Israel wirklich beides ist.

Wo sind all die Menschenfreunde hin..?

“Ich war ja immer links und gegen Krieg, aber …”

So beginnen viele Konversationen mit Israelis dieser Tage. Alle Israelis sagen, dass ihnen die toten palästinensischen Kinder, Frauen und Männer leid tun.

“… aber dieser Krieg muss sein, es ist ein gerechter Krieg.”

“… aber diesmal müssen wir Hamas erledigen.”

“… aber in Syrien töten sie viel mehr Menschen und da sagt keiner was.”

“… aber es gibt keinen anderen Weg.”

Das sagen die Linken.

Nur wenige gehen zu Demos, werden von rechten Hooligans eingeschüchtert – auch physisch bedroht. Bis sie aus Angst und Hoffnungslosigkeit damit aufhören.

Ich höre von Freunden, dass viele junge Israelis scharf drauf sind nach Gaza zu fahren und dort endlich mal auszuteilen, Terroristen zu jagen, abzuknallen, Bomben zu werfen etc. Um die Sache ‘ein für allemal zu erledigen’.

Natürlich haben die Israelis den Terror der Hamas satt. Natürlich ist Israel heute in einer Situation, wo Gewalt als einziges Mittel zur Verteidigung taugt. Doch warum muss das so bleiben? Israelis zeigen auf die Palästinenser. Mit jedem Tag Krieg nimmt der Hass auf beiden Seiten zu.   

Uns Europäern wird von den Israelis immer vorgeworfen wir seien naiv, weil wir an Dialog und Frieden glauben. Es sei alles viel komplizierter!

Kompliziert?

Wenn man heute hinhört ist’s ganz einfach: Man muss die Hamas auslöschen.

Eine Freundin (sie ist beruflich hier) verzweifelt: “Ich glaubte immer, die Israelis seien zwar nach aussen oft unfreundlich bis unerträglich, doch ich war bereit, an einen guten Kern zu glauben. – Mit all dem Hass, der jetzt zum Vorschein kommt, habe ich den Glauben verloren. Ich will nur noch weg.”

Ein anderer Freund, seit 6 Jahren hier und auch mit einer Israelin verheiratet: “Ich halte es nicht mehr aus im Büro. Sogar mit meiner Frau streite ich mich, sie liest nur israelische Presse. Die Israelis können nicht akzeptieren, dass ihre Armee und ihre Führung fehlbar ist.”

Wir gestern zuhause, Gabi deprimiert: “Was all diese Ausländer sagen, das gibt mir zu denken. So habe ich Israel noch nie gesehen. Ich zweifle.” Ihre Welt der klaren Fronten hat Schaden genommen.

Es wird spürbar, wie dieser Konflikt das Land auffrisst.

Der Krieg überzieht das ganze Leben mit einer matten Lähmung, einem Dämpfschaum, er vergiftet jede Minute und jede Freude. Wir wachen morgens auf und schauen erstmal bange nach, wie viele Tote es in der Nacht in Gaza gab. Tagsüber zucken wir zusammen wenn draussen jemand die Autotür zuknallt …

Die grosse unausgesprochene Angst ist, dass hier ein Bus oder ein Cafe in die Luft fliegt. Gestern war ein Tag ohne Raketenalarm, aber Abends beim Bier hörten wir plötzlich Explosionen aus der Ferne, als eine Rakete über einem Vorort Tel Avivs abgeschossen wurde.

Die Touristen bleiben aus. Die Stadt ist spürbar leerer und weniger fröhlich. Im Gym flimmert auf den Fernsehern rundum an der Wand die Live-Kriegsberichterstattung (und nicht mehr Fashion TV wie sonst). Die Feier zum 1. August beim Botschafter wurde abgesagt. Die Kollegen im Büro müssen einrücken, ich bin bald der einzige unter 40 auf Arbeit. Über 80’000 Reservisten wurden angeblich aufgeboten. Wer eingezogen wird, beruhigt: Die Reservisten (WK-Soldaten in der Schweiz) würden nur im Norden Israels ungefährdete Posten hüten, so dass die jungen ‘aktiven’ Soldaten, die 19, 20-jährigen in den Krieg ziehen können. Man schicke nicht die Familienväter, sondern die jungen, heissblütigen, pubertären Kämpfer nach Gaza.

Wir tun was gegen den Krieg

Und dann gibt’s noch die Momente des schlechten Gewissens: Wir tun nichts. Wir könnten ja immerhin demonstrieren gehen, entweder mit den Judenhassern (Friedensdemo) oder mit den Arabermördern (für den gerechten und nötigen Krieg).

Im Fernsehen zeigen sie auch wie tausende Israelis mit Wagenladungen Schokolade, Rasierklingen, Zigaretten zu den Soldaten im Süden fahren. Oder Israelis, die ihre Gitarre einpacken, um den vor den Toren Gazas wartenden Soldaten ein Ständchen zu bringen.

Was wir gegen den Krieg tun: wir gehen aus, gut essen in der hochklassigen soliden Brasserie am Rabin Platz (leicht besorgt, weil dort auf dem Rabin Platz jeden Abend demonstriert und gegendemonstriert wird). Wir schlürfen Austern während draussen die Leute von der Friedensbewegung Reden halten und Plakate ausrollen.

Wir fahren am Wochenende zum Strand im Norden (leicht besorgt, weil der Strand gleich neben einem arabischen Dorf liegt).

Doch der abgelegene Strand ist ungewöhnlich voll, weil für diesen Tag eine 12-Stündige Feuerpause ausgerufen wurde. Ich bin erleichtert und erfreut. Wie deprimierend wäre das denn, alleine am Strand zu liegen …

Nach Hause in die Türkei könne sie auch nicht zurück, sagte die Türkin. Der Antisemitismus dort sei offen und unerträglich. 

Immerhin können wir jederzeit in die Schweiz abhauen.

Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.

Hoffen wir, dass diesmal nach einer echten Lösung gesucht wird.

Natürlich wird dies nicht der letzte Konflikt gewesen sein. Doch der fiese Teufelskreis hin zu immer mehr Hass, Entfremdung und Bitterkeit auf beiden Seiten muss gebrochen werden. Sonst verkommt die ganze positive Energie Tel Avivs wirklich zur Kulisse. Und Kulissen halten nicht für lange.

Gabi insistierte vor zwei Jahren, dass wir uns einen Drucker mit Fax kaufen. Ich lachte: “Fax??! Du bist so süss. Ich bring’ dir jedesmal Blumen wenn wir einen Fax schicken oder empfangen. Wir leben doch im Silicon Valley 2.0!”

Der Kulturschock liess nicht lange auf sich warten: In der #Startupnation stellt der bürokratische Schriftverkehr aller Art komplett auf Fax ab.

Nichts geht ohne Fax. Man bekommt kaum eine Pizza geliefert ohne Fax.

Die Parkuhr in der Strasse lässt sich zwar per iPhone-App füttern, aber banale papierne Formulare werden hin und her gefaxt wie in den tiefen 80ern.

Möglich, dass die Bürokraten mit dem Faxgeräte-Importeur unter einer Decke stecken. (Das Leben hier lehrt einen, alles auf doppelte Böden abzuklopfen. Und es ist doch nicht möglich, dass sich kein Startup findet, was dieses Problem löst.)

Jetzt hat sich ein Haver Knesset, ein Parlamentarier, das Thema für eine Schlagzeile gekrallt. Er will eine staatliche Verordnung, die sämtlichen Dienstleistern eine Email-Alternative zum Schriftverkehr per Fax aufzwingt.

Vermutlich wird die Fax-Lobby den Wink verstehen und dem Parlamentarier eine lebenslängliche Versorgung mit Tinte für seinen Drucker (mit Fax) anbieten, wenn er seinen Vorschlag zurückzieht.

Vielleicht sollte ich auch den kleinen Blumenladen bei uns um die Ecke auf der Dizengoff warnen. Ich schulde Gabi noch geschätzte zwei Dutzend Fax-Blumensträusse, aber wenn der Parlamentarier durchkommt mit seinem Vorschlag brechen harte Zeiten an…

JPost - Aus für Fax in Israel

Noch was politisch heikles zum Thema ‘Widersprüchliches Israel’ und was mir nach meinem ersten Krieg so durch den Kopf geht:

Sichere Heimat für alle Juden! – Endlich, nach Jahrhunderten in der Diaspora, hat das jüdische Volk eine Heimat und eine Armee und kann sich entsprechend verteidigen. Israel ist der einzige Ort auf der Welt, wo Juden selbstbestimmt und in Sicherheit leben können!

Sichere Heimat für alle Juden! – Israel ist seit seiner Gründung vor 60 Jahren im Kriegszustand und wird von seinen Nachbarn mit der Auslöschung bedroht … während Millionen Juden in der ganzen Welt ein gutes und sicheres Leben führen.

(Vorsicht! Minenfeld!! Ein falscher Schritt, ein falsches Wort zu diesem Thema, und es fetzt einem die Beine weg. Die glühenden Zionisten rufen: Mit solch Gedankengut soll Israel geschwächt werden!  Wer sagt, Israel ist nicht sicher und in der Diaspora lebt sich’s besser, der glaubt nicht an Israel, an die Berechtigung Israels! Siehe beispielsweise der Streit um Judith Butlers Suche nach ihrer jüdischen Identität im heutigen Zionismus.

Ich für meinen Teil denke während dem Krieg: Im grossartigen Tel Aviv unter einer Eisenkuppel zu sitzen, die Raketen abfängt .. das ist natürlich eine stolze Leistung jüdischer/israelischer Kampfkraft, keine Frage. Aber den Juden in Zürich geht’s in den Minuten trotzdem besser. Auch wenn diese mir am Telefon wiederum versicherten: Ach, wären wir doch in Israel, es ist schrecklich, diese Angriffe von hier aus mitzuerleben…)

In loser Folge: Beispiele für Gegensätze, die mich als Neuling in Israel ratlos machen ..

Sünde! Sünde! – In den Hochburgen der Ultraorthodoxen in Jerusalem oder in Beit Shemesh haben die extremen Orthodoxen die Hosen an. Es werden Werbeplakate, auf denen Frauen zu sehen sind, weggerissen (oder gar verboten), Ladenbetreiber werden von radikalen Orthodoxen zum Teil gewalttätig bedrängt, ihr Sortiment auf genehme Produkte zu beschränken …

Sünde! Sünde! – Die Stimmung in den Bars und Clubs des jungen Tel Avivs könnte lockerer nicht sein. Am Strand schöne Körper so weit das Auge reicht. Auf der Strasse mehr Hotpants und Minis als sonstwo auf der Welt – es ist heiss hier.

In loser Folge ein paar Beispiele für Gegensätze, die mich als Neuankömmling hier in Israel ratlos machen. Hier als Nummer 2 ..

Vorwärts! – Wir sind die ‘Startup-Nation’! Wir sind die Weltmeister der Pioniere. Wir haben die Cherry-Tomaten und den USB-Stick erfunden! Wir sind eines der innovativsten Länder der Welt. Wir begrüssen (und beschleunigen) den Fortschritt!

Rückwärts! – Gott hat uns dieses Land gegeben! Jerusalem ist unsere Stadt seit X-tausend Jahren. Unsere Religion ist unsere Kultur. Wir sind unseren Vorfahren verpflichtet, diese Kultur weiterzutragen. Unsere Vorfahren sollen nicht umsonst für das Judentum gestorben sein.

Was mich seit dem ersten Tag hier verrückt macht, sind die unlösbaren, offensichtlichen Widersprüche in diesem Land, in dieser Kultur, in der Befindlichkeit der Menschen hier, in den Strukturen der israelischen Gesellschaft.

Ich kann damit nicht gut umgehen. Wie kann ein Land so fortschrittlich und so rückständig sein, gleichzeitig? So tolerant in eine Richtung und so intolerant in eine andere? Wie kann ein Volk so maximal pragmatisch und so ungebrochen fanatisch handeln? Israel provoziert eine Hassliebe, es geht nicht anders, scheint es. So geht es nicht nur mir. So geht es den allermeisten Israelis, die ich kenne.

In loser Folge ein paar Beispiele für Gegensätze, die mich als Neuling hier ratlos machen. Hier als Nummer 1 ..

Wir sind die Grössten – Unsere Armee hat die ganzen Araber hier Mal für Mal klein gemacht. Iran? Wenn ihr uns lässt, machen wir die platt. Kein Problem für uns. Unsere Piloten sind die besten. Gegenschläge? Die israelische Armee hat keine echten Gegner. Was also soll schon passieren?

Wir sind Opfer – Seht ihr nicht, dass wir uns als kleine friedliche Einheit in einer riesigen feindlichen Masse behaupten? Der Antisemitismus wächst ungebremst (und unwidersprochen) in der ganzen Welt. Stoppt die Hasskampagne gegen Israel!