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Krieg

Bange Tage des Terrors. Bange Tage des Krieges.

Wir sind privilegiert, müssen bisher nur drei, vier Mal in den Schutzraum. Doch der Terror im Süden, die Nachrichten vom Überfall der Hamas vor einer Woche, sitzen uns tief in den Knochen und die Angst vor einer weiteren Eskalation liegt schwer im Bauch. 

Wir halten die Bubble aufrecht für die Kids. 

Wir arbeiten so gut es geht.

Letzten Samstag, Sirenen um halb sieben Morgens, wir erwachen und stehen im Schlafzimmer der Kids, an den Betten der beiden schlafenden Buben – sollen wir sie wecken? Ist es ein Fehlalarm?

Wir ignorieren die Sirenen, doch dann kommen die ersten Posts in den Sozialen Medien aus der Gaza-Nachbarschaft, während die Redaktoren der kuratierten Medien noch ihre Laptops hochfahren. Die verwackelten Videos auf Twitter aus Sderot, die Meldungen von dutzenden und hunderten marodierenden Hamas-Kämpfer in den Kibutzim, Dörfern und Städten rund um Gaza, wecken das Gefühl wie im September 2001, als die Türme des WTC kollabierten: Feinde unserer Welt haben es geschafft, mit ihren grausamen, ja teuflischen Ideen in unsere Realität und in unsere Leben einzubrechen.

Sympathien für den Freiheitskampf und den Protest gegen die Unterdrückung der Palästinenser können in diesem Kontext nicht Thema sein. Hamas hat sich für den geduldigsten Wohltäter aus dem Spiel genommen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, eintausend Menschen gezielt abzuschlachten und dutzende Geiseln zu nehmen, Kinder und Senioren eingeschlossen, einzig um Horror zu säen.

Die beängstigende Frage heute, ziemlich genau eine Woche später: War das nur der Auftakt eines mächtigeren Plans? Die Führer der Hamas wissen, wenn sie Dutzende Israelis nach Gaza verschleppen und hunderte töten, wird die Regierung Israels (und insbesondere die jetzige rechte Siedler-Regierung) Rache nehmen. In diesem Szenario ist die Hamas krass unterlegen, die Führungsriege wird per Luftschlag oder von Kommandos ermordet werden, mit hunderten anderen Unschuldigen.

Was kann also das Ziel dieses Erstschlags sein? Dass Israel abgelenkt wird, und verletzlich wird an anderen Fronten?

Oder aber, Hamas funktioniert nicht nach unserer Ratio. Der Terrorakt ist ein Terrorakt als End-Ziel. Der Märtyrertod ein Teilziel. Die Annahme, dass ein grösserer Plan dahinter steckt, entspricht unserer Logik. Auf den Angriffsbefehl wartende Truppen im Libanon und in Syrien, oder noch unvorstellbare andere zweite Akte – das entspricht unserer Logik. Der Hamas genügen möglicherweise tatsächlich tausende Tote. Jeder Tote ein Erfolg. Egal ob toter Feind, oder toter Märtyrer.

Nicht wenige Isarelis haben die letzten Tage fieberhaft nach Flugtickets gesucht, um hier wegzukommen. Ungeplanter Herbsturlaub wo auch immer, ein Flugticket einfach nach Georgien, Mailand – Hauptsache weg.

Das habe ich so hier noch nicht erlebt in den letzten 12 Jahren. Und es zeugt vielleicht am meisten von der tiefen Erschütterung und Enttäuschung der Leute hier über die fehlende Souveränität der Armee und Sicherheitsdienste. Der Glaube an die Überlegenheit des israelischen Nachrichten- und Sicherheitsapparats war grenzenlos. Die daraus folgende Überheblichkeit war wohl mit ein Hauptgrund für das Versagen der Landesverteidigung. Selbstüberschätzung und Inkompetenz trifft man hier an jeder Ecke, nur die Landesverteidigung schien bisher eine Ausnahme von der Regel.

Wir haben ein Blick in die Hölle geworfen. Wie das Land hier aus diesem Albtraum erwachen wird – das wird auch entscheiden, ob wir hier bleiben wollen und können. Zuerst warten wir jetzt jede neue Meldung ab, hoffen auf De-eskalation, oder zumindest militärische Überlegenheit, so dass dann in einigen Wochen und Monaten nach der Aufarbeitung dieser Katastrophe ein neues Kapitel aufgeschlagen werden kann … oder dass wir die Hölle wieder Hölle sein lassen, und in unserer Welt und unserer Bubble weiterexistieren.

‘Are you excited about the rain?’

Fragt mich eine Mitarbeiterin im Büro und lächelt verschmitzt. Ich kuck sie verwundert an.

‘Wollte nur sehen wie Israelisch du schon bist …’ schiebt sie hinterher.

Lustig, dachte ich, gerade gestern kam ich mir recht Israelisch vor, als 400 Raketen aus Gaza in unsre Richtung zischten, und ich das zwar unangenehm, aber irgendwie normal fand. That’s life. So israelisch wie ich dachte, bin ich aber offensichtlich noch nicht – die Aufregung und den Aufruhr über die Regentage im Winter kann ich (noch?) nicht mitfühlen.

Meine Sorge wegen der Raketen war: Was sagen wir unsrem 3jährigen Sohn, wenn das Sirenengeheul losgeht und wir uns unterm Tisch (oder ähnlich) in Sicherheit bringen müssen? 

Im Kindergarten hatten sie’s neulich vom Leuchtturm kam mir dann in den Sinn, und wie das Leuchtfeuer oben auf dem Turm im Sturm hilft die Schiffe in Sicherheit zu bringen. Vielleicht sollten wir ihm sagen, dass die Sirene uns anzeigt, dass gleich ein Sturm kommt mit Blitz und Donner und dass wir uns wie die Schiffe auf dem Meer in Sicherheit bringen müssen … 

Wäre das eine erlaubte Lüge um unsreren Sohn noch nicht über die bösen Araber aufklären zu müssen?

Dann flogen in der Nacht aber (noch) keine der 400 Raketen bis nach Tel Aviv. 

Und am Morgen ist er ja dann im Kindergarten. Was die ihm wohl erzählen wenn das Geheul losgeht? Ich muss morgen die Kindergärtnerin fragen…. 

So, jetzt hat’s bei uns um die Ecke geknallt. Ein Araber aus dem Norden Israels hat in unserer Strasse um sich geschossen, zwei Menschen getötet, ein Dutzend verletzt, Hunderte traumatisiert. Was für eine abscheuliche Tat.

In einer israelischen Zeitung wunderte man sich, wie der Täter entkommen konnte und warum niemand eingegriffen hat. In Jerusalem hätte sich irgendein Sicherheitsmann/Selbstverteidiger eine Medaille geschossen. Hier auf der Dizengof, unter all den Passanten, hatte offenbar keiner eine Gun im Hosenbund. Dafür liebe ich Tel Aviv. Genau darum leben wir in Tel Aviv.

Doch was ändert sich nun mit diesem Anschlag (Amoklauf?) für mich und für uns?

Ja, wir haben in unserer Wohnung die Krankenwagen, die Polizeisirenen, die Helikopter gehört, und wir haben uns gesorgt, noch bevor die Nachrichten berichteten. Ja, wir sitzen oft in dieser Strasse in Kaffees. Ja, theoretisch hätten wir dort, 10 Minuten Spaziergang die Strasse hinauf, sitzen oder gehen oder stehen können.

Es ist näher. Es ist nicht dasselbe, wie wenn Siedler in der Westbank oder Soldaten in Jerusalem von Arabern erstochen oder überfahren werden.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

G sagt: Was, wenn es unser Stammcafe erwischt hätte..?

Ich sage: Dieser Anschlag ändert gar nichts. Mein Wohlsein oder Unwohlsein hier hat nur in zweiter Linie damit zu tun, an welcher Adresse ein Anschlag passiert. Natürlich, eine Horrorvision wäre, dass wir hier nicht mehr vor die Tür können, ohne um Leib und Leben zu fürchten. Weil es wöchentlich knallt im Stadtzentrum. Aber davon sind wir weit weg. Der israelische Sicherheitsapparat funktioniert zu gut. Und so dramatisch die einzelnen Vorkommnisse sind: es ist kein Volksaufstand. 2 Millionen Araber leben in Israel – ihre Kultur wird diskriminiert und ausgegrenzt, sie haben schlechte Karten in der israelischen Gesellschaft. Aber sie haben fliessend Wasser, Stabilität und Sicherheit. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich hier in der Gegend umschaut. G’s Kosmetikerin kommt ursprünglich aus Gaza, jetzt betreibt sie ein Nagelstudio hier unten auf der Strasse und sagt, sie hätte Jahre gebraucht, um ihren Hass auf Juden abzubauen. Irgendwie hat sie es geschafft, zumindest zwischen den Kulturen zu leben.

Und das ist, was mich viel mehr umtriebt: das Zusammenleben – oder eben leider Gegeneinander-Leben. Das gesellschaftliche Klima hier wird immer und immer toxischer. Möglicherweise, bis es bald nicht mehr auszuhalten ist. Ich höre von manchen, die ihr Leben lang hier waren: ich halte es nicht mehr aus hier. Und sie ziehen weg und eröffnen einen Humus-Laden in Madrid.

Jede neue Gewaltwelle treibt die beiden Völker noch weiter auseinander. Und die, die an der Macht sind, die etwas zu sagen haben, giessen hüben wie drüben Öl ins Feuer. Netanyahu packte auch diese Gelegenheit nun wieder beim Schopf, um bei einem Kurzbesuch am Tatort alle Araber in Israel für den Anschlag mitverantwortlich zu machen.

In der selben Woche verbietet die Regierung – über den Kopf der Bildungskomission hinweg – ein Buch in der Schule, in dem es um die Liebe zwischen einer Jüdin und einem Muslim geht. “Junge Menschen seien naiv und romantisch, sie verstehen das Konzept der Kulturerhaltung noch nicht, man könne sie nicht so verwirren”, liess sich eine Regierungsvertreterin zitieren. Kurz: Schulstoff kann nicht das übergeordnete Konzept der Rassenreinheit unterwandern.

Der Siedlungsbau wird weiter vorangetrieben. Die Zweistaaten-Lösung wird derzeit von niemandem mehr ernsthaft verfolgt oder propagiert…

Anstatt dass man das Zusammenleben lernt und fördert, wird das Auseinanderleben propagiert.

Die Autorin Sibylle Berg hat den Anschlag an der Dizengofstrasse miterlebt, es knallte offenbar unter dem Balkon ihrer Schreibstube hier in Tel Aviv. Sie hat im Affekt eine wehleidige Kolumne für Die Welt geschrieben, in der sie sich von einer eingebildeten heilen Welt verabschiedet.

Berg, die Tel Aviv-Touristin, liess sich von der Offenheit und Weltlichkeit unserer Stadt und ihrer Bewohner verzaubern. Die Realität ist, Tel Aviv ist Teil von Israel. Und Israel ist bis heute gut gefahren mit einer Politik der Unterdrückung und andauernder Demonstration der Stärke gegenüber den Anderen, den Nachbarn. Davon profitiert auch Tel Aviv – darunter leidet auch Tel Aviv.

Was braucht es wohl, um dieses Angst- und Machtgetriebene Gegeneinander-Prinzip zu durchbrechen, dass Israel zu einer neuen Politik findet? Und was braucht es, damit auch die anderen, die Israel hassen, zu einer gemeinsamen Zukunft bereit sind? Ist es schon zu spät dafür? Sitzen wir’s aus? Wird’s erst schlimmer, auf dass es nacher erst recht besser werden kann?

Es ist nicht ein einzelner Anschlag, der mir hier das Leben verleidet. Wenn es mir hier verleidet, ist es wegen der rassistischen Imprägnierung, der Hoffnungslosigkeit und Fantasielosigkeit wenn es ums Zusammenleben mit den anderen, den ‘Cousins’ hier geht.

Vor vier Jahren kam ich her und war überzeugt, der Nahe Osten würde von Europa lernen, von der Prosperität dank Toleranz und respektvollem Zusammenleben und offener Grenzen. Hoffte auf Bahnreisen nach Beirut, Tel Aviv, Damaskus, Amman, Kairo.

Es war mitten im Arabischen Frühling!

Es war Arabischer Frühling in Europa.

Hier sagten alle: vergiss die Träumereien.

Im Moment sieht es tatsächlich nach dem Gegenteil aus und Europa lernt von Israel, wie man sich hermetisch abschottet.

Die Israelis schlagen mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch und rufen: Jetzt seht ihr dann mal, wie das ist mit denen. Wir haben’s euch immer gesagt! Schon heute werden ja Teile von Frankreich und England von Muslimen und islamischem Recht kontrolliert. Viel Glück dabei, mit Samthandschuhen Terroristen zu stoppen. Ihr Naivlinge! Europa hat gut moralisch referieren, solange die Pufferzonen funktionieren. Und solange die Politik des langen Armes funktioniert: den ‘anderen’ mit ganz weit ausgestreckten Arm die Hand zu reichen .. etc. etc.

Der Israeli sieht in jedem syrischen Flüchtling einen potenziellen Terroristen. (Hier kennt man auch nur die Flüchtlinge aus den eigenen Kriegen – die Palästinenser, die zurück wollen, wo jetzt Juden ihr Haus gebaut haben.)

Ich verteidige Europa, spreche von Integration, Investition .. denke an flüchtige Professoren, Lehrer, Frisöre, die nichts sehnlicher wollen, als ein normales aufgeklärtes Leben.

Hoffen wir, dass Europa stark genug ist, die Flüchtlinge einzuschliessen in die Gesellschaft. Und dass die Flüchtlinge bereit sind, Europäische Werte zu akzeptieren.

Heute Nachmittag im Park, wo wir vom Strand zurück nach Hause bummeln, passieren wir nicht nur die Fitness-Gruppen und Yogi-Zirkel, die auf der grünen Wiese Hintern straffen, wir sehen auch ein gutes Dutzend Leute im Kreis unter Anleitung Krav Maga üben, die legendäre israelische Selbstverteidigungstechnik.

Ich sage zu G: ‘Da üben sie Palästinenser töten.’

Sie: ‘Nein, bei Krav Maga geht’s nur um Selbstverteidigung.’

In der Zeitung stand geschrieben: es werden jetzt kostenlose Krav Maga Kurse angeboten. Wegen der “Situation”. Damit sich jeder gegen messerstechende Palästinenser wehren kann.

Eine neue Runde der Gewalt eskaliert, wir haben wieder eine “Situation”. Wie letzten Sommer die Raketen aus Gaza. Diesmal gibt es aber keinen Iron Dome, keinen Schutzschild, keine Sirenen, keine Warnungen, jeder ist auf sich allein gestellt: Palästinenser, meist junge Männer, Teenager, aber auch Frauen, gehen auf der Strasse mit Messern (oder auch einem Schraubenzieher) auf Israelis los und stechen so viele wie möglich ab, bevor sie selbst erschossen werden.

Palästinensische Teenager stürmen so in den (fast) sicheren Tod.
In den Heldentod, der Jungfrauen im Jenseits verspricht, und ewiges Leben als Märtyrer auf Facebook.

Die jungen Araber sind getrieben von ihrer Kultur Juden zu hassen, und Israel vernichten zu wollen. Das sagen die Rechten. – Sie tun es aus Frust und Verzweiflung über die israelische Besatzung, sagen die Linken.

Die israelische Gesellschaft reagiert komplett psychotisch auf diese neue Form des Terrors.

Unter anderem werden die Bedingungen für den Waffenerwerb gelockert.

Waffennarren aus ganz Israel polieren jetzt ihre Schiesseisen, nehmen sich ein paar Tage frei, und pilgern zu den Hotspots – beispielsweise in die Altstadt Jerusalems – in der Hoffnung einen Arber mit Messer abknallen zu können. Helden!

Das ist übertrieben.
Aber so fühlt es sich in etwa an.

Die Diskussion darüber, wer wann schiessen darf, wird geführt, im Fernsehen diskutieren Experten den Abend weg, Politiker profilieren sich zum Thema. Doch auf der Strasse, in der Praxis, scheint es keine Zweifel zu geben: Ein Palästinenser mit Messer gehört abgeknallt. Der will es ja so! Der weiss ja was ihm blüht! Soll er eben nicht mit Messer auf Israelis losgehen. Wie, der Polizist soll noch seine Gesundheit riskieren und sich bemühen ihn festzunehmen? Was denn noch!?!

(Was, nach Rechtsstaat verlangt ihr? Ihr Europäer werdet schon sehen wie das ist, wenn die hunderttausenden syrischen Flüchtlinge in ein paar Monaten mal kurz Luft geholt haben, um dann ihren Hass auf euch zu entladen. Dann unterhalten wir uns wieder. – So tönt’s von vielen Israelis.)

Neulich im Zug: Eine Gruppe Soldatinnen, Mädchen in Uniform, glauben plötzlich, der Araber im Abteil nebenan habe ein Messer. Sie rufen: „Da sitz ein Terrorist!“ Ein Offizier, ein Abteil weiter, springt auf, zögert nicht, zieht seine Pistole und schiesst in die Luft. Das Chaos ist perfekt. Notbremse. Grossaufgebot der Polizei. Der Zug wird evakuiert … falscher Alarm.

Noch so eine traurig groteske Meldung: In der letzten Woche sind zwei Mal Juden mit Messer auf Araber losgegangen. Um Rache zu nehmen. Der eine von ihnen hatte sich aber beim Aussuchen seines Opfers vertan. Er schrie wohl ‘Stirb, Araber!’ und stach zu – es stellte sich heraus, dass er nicht einen Ahmed sondern einen Moshe erwischt hatte, der wie ein Ahmed aussah.

Bekannte von uns betreiben ein Bed and Breakfast am Rande Jerusalems. Letzte Woche waren drei Araber aus einem arabischen Dorf im Norden Israels zu Gast. Die Araber, Zahnärzte die beruflich in Jerusalem zu tun hatten, fragten beim Einchecken: ‘Ist es sicher hier für uns?’ Alle haben Angst.

Das Szenario von letztem Jahr wiederholt sich auf der politischen Bühne: Die Rechten und mit ihnen die Siedler in der Westbank schreien Zetermordio – und lachen sich ins Fäustchen. Denn jetzt können sie sich endlich mal wieder richtig um die Palästinenser in der Westbank kümmern. Dörfer abriegeln, Durchsuchungen, Checkpoints aufbauen … Und man wusste es ja immer schon: seht nur, die Palästinenser sind wie Tiere, sie achten das Leben nicht! Wie soll man mit so jemandem verhandeln!

In wen soll man Hoffnung setzen? In die eine Gesellschaft, wo Teenager mit Messern ausziehen um als mordende Volkshelden zu sterben; oder in die andere Gesellschaft, die ihre Stärke und Überlegenheit rücksichtslos nur zum eigenen Vorteil nutzt … Das Bedrückende ist, dass die Menschlichkeit hüben wie drüben verloren geht. Wer den Anderen nicht mehr als Mensch sieht, macht sich selbst zum Unmenschen.

In diesen Tagen wird die ‚nächste Intifada’ unterdrückt, mit aller Gewalt und Kompromisslosigkeit.

Palästinenser werfen Steine – ein neues Gesetz wurde verabschiedet: es fordert bis zu 20 Jahre Haft für Steinewerfer (so stand es in den Zeitungen).

Doch wie bestraft man jemanden, der aus einem Volk kommt das Märtyrer verehrt? Eine archaische Bestrafung wurde wieder aufgenommen: Man zerstört die Wohnhäuser der Familien von verurteilten / toten Terroristen. (Man hatte das früher auch schon gemacht, aber dann realisiert dass die Familien danach Geld für den Bau eines grösseren schöneren Hauses bekamen.)

Du willst Märtyrer sein?
Also zerstören wir das Leben deiner Familie.

Der letzte ‚Terroranschlag’ der gemeldet wurde: Ein Mann stach mit einem Schraubenzieher einem 35-jährigen Israeli in den Rücken.

Terroranschlag?

Wie unendlich ziellos, frustriert und wütend ist ein Mensch, der sein Leben auf diese Art wegwirft..?

Oder israelisch gedacht: So primitiv und tierisch sind unsere Feinde. Mit solchen Unmenschen kann man nicht verhandeln und schon gar nicht kann man denen das Vertrauen für einen Frieden schenken.

Einen verzweifelteren und hoffnungsloseren Angriff als den mit dem Schraubenzieher kann ich mir nur schwer vorstellen. Andere ‚Terroristen’ haben zweidrei Pssanten überfahren und werden dann auf offener Strasse vom Sicherheitsdienst ‚neutralisiert’ (erschossen). Man spricht von ‚Lone Wolf’ Terrorismus, von einsamen Wölfen…

Eine verzweifeltere Strafe als die Zerstörung des Wohnhauses eines Terroristen kann mich mir auch kaum vorstellen.

Was mir Angst macht, ist nicht der Typ mit dem Schraubenzieher. Was mir Angst macht ist das drohende Ende dieser Spirale aus Gewalt und Verzweiflung und Gewalt und Verzweiflung.

Wo endet diese Spirale? Wie?

Ich kann es mir nicht vorstellen.
Es ist ganz eigentlich unvorstellbar.

Vielleicht: Frieden?

Vielleicht: Ein grosser Knall? Das Ende von zwei drei vier fünf Millionen Israelis und das nächste unermessliche Drama in der Geschichte des jüdischen Volkes? Wer daran glaubt, dass sich Geschichte immer in anderer Form wiederholt muss wohl gelegentlich aus Israel wegziehen.

Bei der von Netanyahu ewig beschworenen Bedrohung durch die “Atom-Macht Iran” geht es genau um diese Angst: Endlich nach Jahrtausenden hat sich das jüdische Volk erstarkt zusammengefunden im Land der Urväter, die Nation prosperiert und ist stark genug sich zu verteidigen. Bis …

Derweil unterdrückt der Staat die ‚nächste Intifada’ mit einer unheimlich beeindruckenden Effizienz und Allmacht. Die Wähler werden es der Regierung danken bei den vorgezogenen Wahlen im März.

In Tel Aviv gibt’s keinen goldenen Herbst, die Baumkronen entlang der Sderots (Boulevards) sind immergrüner Ficus und Palmwedel. Herbst geht so: Kranwagen mit motorsägenden Arbeitern auf Hebebühnen machen die Runde, die mächtigen Baumkronen werden vor dem ersten Wintersturm zurückgeschnitten. Es grünt immer weiter.

Es war sowieso kein goldener Herbst. Die unheimliche Kriegsdüsternis des Sommers blieb hängen lange in den Winter hinein. Es gab keine Zäsur, keinen Frieden, keine Läuterung.

So sehr die Schönwetter-Mantras nerven – von wegen ‚Tel Aviv ist die hipste Party-Stadt der Welt’ und das ‚Silicon Valley des Ostens’ und die ‚Schwulendestination Nummer 1′ – sie stehen auch für eine Realität, die ich vermissen lernte.

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

Diesmal fühlte es sich wirklich so an.

Einige tausend Menschen sind tot und es war als ob es keinen kümmerte. Alles was während und nach dem Krieg in der öffentlichen Diskussion interessierte: Was können Armee und Geheimdienst in der nächsten Schlacht besser machen?

Die viel wichtigere Frage, wie man eine nächste Schlacht vermeiden könnte, blieb und bleibt ungestellt. Oder vielmehr wohl: diese Frage ist derart allgegenwärtig seit 70 Jahren dass alle möglichen Antworten erschöpft scheinen. In den Ohren der Israelis tönt jeder Kommentar wie das dünne kraftlose Echo aus dem Archiv … jaja, das hatten wir schon.

Dieselben Gesichter sind heute an der Macht, hüben wie drüben, und sagen dieselben Dinge wie vor der Schlacht, rechts wie links.

Dann wurden von Netanyahu Neuwahlen ausgerufen, praktisch nahtlos ging es vom Krieg in den Wahlkampf wo sowieso nur noch Personalisierung und Polemik zählen.

Die Lektionen des Sommers sind allesamt deprimierend.

Der unbedingte Glaube an die Überlegenheit und an die Unterdrückung der Anderen als einzige taugliche Strategie sitzt fester denn je. Das Handwerk wurde über Jahrzehnte perfektioniert und hat sich einmal mehr bewährt.

Die Machtdemonstration der israelischen Rechten ist unheimlich. Die ‚Opposition’ hat nichts anzubieten.

Die Fantasie der Leute ist erschöpft. Keiner glaubt daran, dass echter Frieden hergestellt werden könnte, alle geben sich mit dem Status Quo zufrieden. Eine Perspektive ist das nicht. Aber alltagstauglich ist es allemal, denn der Horizont im Alltag ist der nächste Samstag Abend und bis dahin sieht’s gut aus.

Die Toten werden hingenommen. Im eigenen Land wie auch rundherum. „In anderen Konflikten gibt’s ja noch viel mehr Tote.“ Friedensdenker Amos Oz zeigt mit dem Finger auf Europa und auf die zwei Weltkriege „soviel Schaden werden wir garantiert nicht anrichten“ verspricht er in einer Rede.

Israel wird nichts an seiner Strategie ändern.

Es gibt keinen Grund dazu. Die Welt schaut zu. Die USA schicken Geld für Waffen und liefern Rückendeckung in der UNO.

Die kranken Islamisten rundherum verleihen der Strategie zusätzliche Legitimation. Verstanden wird nur Gewalt. Freiheit zählt nichts – und führt nur zu neuer Gewalt.

Irgendwann, in einigen Jahren wird Israel Reservate ausrufen und diese Gebiete den Palästinensern als ‚Palästina’ zur ‚Selbstbestimmung’ überlassen.

Eine Umkehr oder Abkehr von diesem Weg scheint unmöglich.

Die letzten Wochen waren zum Kotzen. Seit ein paar Tagen ist’s nun ruhiger in Tel Aviv und der Alpdruck von dem Krieg löst sich langsam. Diese vier Wochen Krieg haben aber sehr grundsätzliche Fragen aufgeworfen (nicht nur für mich). Es hat sich gezeigt, was es heissen kann, hier die Zukunft zu ‘planen’. Dass man trotz der Bubble und der Eisenkuppel die brenzlige politische Situation nicht für immer ausblenden kann, so angenehm das auch wäre. Das schlimmste war aber, die ultra-nationalistische Seite vieler Israelis zu spüren (komplett unfähig zu Kritik an ihrer Armee und an ihrer Staatsgewalt). Und bei allen friedliebenden tollen Menschen hier: Nach meinem Geschmack finden es zu viele Israelis ok, Araber zu töten.

Jetzt wachen wir mal schnell auf aus diesem bösen Traum – den Luxus haben wir ja hier in Tel Aviv – und hoffen, dass man sich auf beiden Seiten nicht wieder mit einem ‘Waffenstillstand’ zufriedengibt. Dass die Regierung und die Palis und die Welt und alle an echtem Zusammenleben arbeiten.

Am Samstag ist eine PeaceNow Demo, die genau danach verlangt. Nach einem echten Friedensprozess. Wir haben noch nicht entschieden, ob wir hinfahren.

“Bis vor drei Wochen fühlte ich mich hier wie im Paradies,” sagte mir eine junge Türkin. Sie erhält in ein paar Wochen die israelische Staatsbürgerschaft. – Sie sei sich aber ihrer Sache jetzt nicht mehr so sicher.

Hatte sie vor dem Krieg nichts von den Palästinensern in Gaza und der Westbank gewusst? Haben die Israelis nicht immer mehr oder weniger offen gesagt, die einzige Lösung sei, Gaza ins Meer zu kippen (natürlich meinten sie das nicht wirklich, sondern sagten das nur, um ihre Hoffnungslosigkeit zu illustrieren)? Hatte die Neu-Israelin geglaubt, absolute militärische Überlegenheit garantiere ausreichend und nachhaltig Sicherheit und Wohlbefinden? War sie überzeugt dass ‘Deckel draufhalten’ auf Dauer gut geht?

Die Raketenalarme sind erst schockierend, dann mühsam, und jetzt nur noch ein kleiner dummer Running Gag in dieser grossen deprimierenden Kriegsrealität um uns herum. Man ist ja nicht unmittelbar gefährdet hier in Tel Aviv. Die Raketen werden abgefangen von der ‘Eisernen Kippa’, wie der Iron Dome auf Hebräisch heisst. (Und bis jetzt wurden hier in Tel Aviv auch alle anderen Versionen von Tod und Untergang made by Hamas abgewendet.) Aber ist es nicht nur eine Frage der Zeit bis es hier in einer Bar oder in einem Bus knallt..? 

Die täglich, stündlich steigende Zahl Toter und Verletzter in Gaza drücken einem auf die Brust wie ein Albtraum. 

Und das schmerzhafteste (und vielleicht der wahre Schock für die Türkin) ist dass die ganze Leichtigkeit verpufft ist. Israel zeigt ein hässliches Gesicht. Die gefeierte Fassade der Start-up-Nation – Israel als phänomenales High-Tech Center mit dem sexy Schwulenparadies Tel Aviv als Herz und Schrittmacher – diese Kulisse ist erstmal im Theaterhimmel verschwunden.

Israel hat viele zum Teil widersprüchliche Gesichter. Widersprüche stören hier nicht. Das macht Israel oft reizvoll, facettenreich – aber es kann auch Angst machen. Was ist denn das echte Israel? 

Ist die so vielgelobte und herumproletete Toleranz der israelischen Gesellschaft gegenüber Schwulen, Transsexuellen etc. nur eine willkommene, regenbogenfarbene Maske vor der hässlichen, rassistischen Fratze eines gnadenlosen Kriegers?

Dieser Tage ist schwer zu glauben, dass Israel wirklich beides ist.

Wo sind all die Menschenfreunde hin..?

“Ich war ja immer links und gegen Krieg, aber …”

So beginnen viele Konversationen mit Israelis dieser Tage. Alle Israelis sagen, dass ihnen die toten palästinensischen Kinder, Frauen und Männer leid tun.

“… aber dieser Krieg muss sein, es ist ein gerechter Krieg.”

“… aber diesmal müssen wir Hamas erledigen.”

“… aber in Syrien töten sie viel mehr Menschen und da sagt keiner was.”

“… aber es gibt keinen anderen Weg.”

Das sagen die Linken.

Nur wenige gehen zu Demos, werden von rechten Hooligans eingeschüchtert – auch physisch bedroht. Bis sie aus Angst und Hoffnungslosigkeit damit aufhören.

Ich höre von Freunden, dass viele junge Israelis scharf drauf sind nach Gaza zu fahren und dort endlich mal auszuteilen, Terroristen zu jagen, abzuknallen, Bomben zu werfen etc. Um die Sache ‘ein für allemal zu erledigen’.

Natürlich haben die Israelis den Terror der Hamas satt. Natürlich ist Israel heute in einer Situation, wo Gewalt als einziges Mittel zur Verteidigung taugt. Doch warum muss das so bleiben? Israelis zeigen auf die Palästinenser. Mit jedem Tag Krieg nimmt der Hass auf beiden Seiten zu.   

Uns Europäern wird von den Israelis immer vorgeworfen wir seien naiv, weil wir an Dialog und Frieden glauben. Es sei alles viel komplizierter!

Kompliziert?

Wenn man heute hinhört ist’s ganz einfach: Man muss die Hamas auslöschen.

Eine Freundin (sie ist beruflich hier) verzweifelt: “Ich glaubte immer, die Israelis seien zwar nach aussen oft unfreundlich bis unerträglich, doch ich war bereit, an einen guten Kern zu glauben. – Mit all dem Hass, der jetzt zum Vorschein kommt, habe ich den Glauben verloren. Ich will nur noch weg.”

Ein anderer Freund, seit 6 Jahren hier und auch mit einer Israelin verheiratet: “Ich halte es nicht mehr aus im Büro. Sogar mit meiner Frau streite ich mich, sie liest nur israelische Presse. Die Israelis können nicht akzeptieren, dass ihre Armee und ihre Führung fehlbar ist.”

Wir gestern zuhause, Gabi deprimiert: “Was all diese Ausländer sagen, das gibt mir zu denken. So habe ich Israel noch nie gesehen. Ich zweifle.” Ihre Welt der klaren Fronten hat Schaden genommen.

Es wird spürbar, wie dieser Konflikt das Land auffrisst.

Der Krieg überzieht das ganze Leben mit einer matten Lähmung, einem Dämpfschaum, er vergiftet jede Minute und jede Freude. Wir wachen morgens auf und schauen erstmal bange nach, wie viele Tote es in der Nacht in Gaza gab. Tagsüber zucken wir zusammen wenn draussen jemand die Autotür zuknallt …

Die grosse unausgesprochene Angst ist, dass hier ein Bus oder ein Cafe in die Luft fliegt. Gestern war ein Tag ohne Raketenalarm, aber Abends beim Bier hörten wir plötzlich Explosionen aus der Ferne, als eine Rakete über einem Vorort Tel Avivs abgeschossen wurde.

Die Touristen bleiben aus. Die Stadt ist spürbar leerer und weniger fröhlich. Im Gym flimmert auf den Fernsehern rundum an der Wand die Live-Kriegsberichterstattung (und nicht mehr Fashion TV wie sonst). Die Feier zum 1. August beim Botschafter wurde abgesagt. Die Kollegen im Büro müssen einrücken, ich bin bald der einzige unter 40 auf Arbeit. Über 80’000 Reservisten wurden angeblich aufgeboten. Wer eingezogen wird, beruhigt: Die Reservisten (WK-Soldaten in der Schweiz) würden nur im Norden Israels ungefährdete Posten hüten, so dass die jungen ‘aktiven’ Soldaten, die 19, 20-jährigen in den Krieg ziehen können. Man schicke nicht die Familienväter, sondern die jungen, heissblütigen, pubertären Kämpfer nach Gaza.

Wir tun was gegen den Krieg

Und dann gibt’s noch die Momente des schlechten Gewissens: Wir tun nichts. Wir könnten ja immerhin demonstrieren gehen, entweder mit den Judenhassern (Friedensdemo) oder mit den Arabermördern (für den gerechten und nötigen Krieg).

Im Fernsehen zeigen sie auch wie tausende Israelis mit Wagenladungen Schokolade, Rasierklingen, Zigaretten zu den Soldaten im Süden fahren. Oder Israelis, die ihre Gitarre einpacken, um den vor den Toren Gazas wartenden Soldaten ein Ständchen zu bringen.

Was wir gegen den Krieg tun: wir gehen aus, gut essen in der hochklassigen soliden Brasserie am Rabin Platz (leicht besorgt, weil dort auf dem Rabin Platz jeden Abend demonstriert und gegendemonstriert wird). Wir schlürfen Austern während draussen die Leute von der Friedensbewegung Reden halten und Plakate ausrollen.

Wir fahren am Wochenende zum Strand im Norden (leicht besorgt, weil der Strand gleich neben einem arabischen Dorf liegt).

Doch der abgelegene Strand ist ungewöhnlich voll, weil für diesen Tag eine 12-Stündige Feuerpause ausgerufen wurde. Ich bin erleichtert und erfreut. Wie deprimierend wäre das denn, alleine am Strand zu liegen …

Nach Hause in die Türkei könne sie auch nicht zurück, sagte die Türkin. Der Antisemitismus dort sei offen und unerträglich. 

Immerhin können wir jederzeit in die Schweiz abhauen.

Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.

Hoffen wir, dass diesmal nach einer echten Lösung gesucht wird.

Natürlich wird dies nicht der letzte Konflikt gewesen sein. Doch der fiese Teufelskreis hin zu immer mehr Hass, Entfremdung und Bitterkeit auf beiden Seiten muss gebrochen werden. Sonst verkommt die ganze positive Energie Tel Avivs wirklich zur Kulisse. Und Kulissen halten nicht für lange.

Bei uns zuhause geht das Internet nicht mehr. In der Service-Hotline warten 78 Anrufer vor uns. “Wegen der Situation bitten wir um Verständis für lange Wartezeiten”. “Die Situation” (hebr: “HaMatzav”) ist natürlich kein Unwetter oder Stromausfall, sondern dass zehntausende Israelis in die Armee eingezogen wurden, um der Hamas den Garaus zu machen. Dass ausgerechnet jetzt unser Internet aussteigt, wo viele Service-Mitarbeiter im Krieg stecken, ist einfach nur Pech.

Gestern verbrachten wir den Nachmittag bei zwei Flaschen Weissem mit Freunden in einem kleinen Bistro am Meer. Einmal ging die Sirene los, wir fanden mit den anderen Restaurantbesuchern und Angestellten Schutz im Hauptquartier der Hafenpolizei. Es donnerte zwei, drei Mal – dann ging’s zurück zum Tisch und zur zweiten Flasche.

Hoch am blauen Himmel über uns schwebte ein kleines weisses Wölkchen aufs Meer hinaus, das Rauchzeichen einer der abgefangenen Raketen.

Weisses Wölkchen

Weisses Wölkchen. Rauchzeichen aus Gaza.

Man gewöhnt sich an alles?

Die ‘anti-israelische’ linke Tageszeitung Haaretz hatte sogar einen Waffen-Experten gefunden, der den Raketenschutzschild, die Eisenkuppel (hebräisch: Eisen-Kippa), als Propagandavehikel abtut. Derart irreal scheinen die Raketen aus Gaza, nach Dutzenden folgenlosen Alarmen und Explosionen, dass man denken könnte, es kommt gar nix aus Gaza hier an. Die Eisenkuppel beschert uns nur immer mal wieder einen zünftigen Bumms im blauen Himmel, damit wir ja nicht einen Krieg in Frage stellen. Verschwörungstheorien und Gerüchte haben Hochkultur.

Heute wurde ein Dutzend toter Israelische Soldaten gemeldet. Das ist neu.

Und wie seit Tagen immer mehr tote Palästinenser. Hunderte.

Wie alle haben wir Freunde, die für die ‘Operation’ eingezogen wurden. Wie kommen die zurück? Wann?

Die israelischen TV-Stationen zeigen praktisch rund um die Uhr News – auch wenn es kaum etwas zu zeigen und zu melden gibt.

In den Abendnachrichten zeigen sie anti-israelische Demos in Paris, London, Sri Lanka, der ganzen Welt. Es scheint unwirklich, dass sich die ganze Welt für uns hier und für die Palästinenser interessieren soll.

Davor zeigen sie in den Nachrichten die Demos in Tel Aviv und Haifa, wo die nationalistische Rechte die Friedensdemos angreift, Israelis brüllen “Tod den Arabern” in die TV-Kameras, die Linke diagnostiziert einen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft.

Jemand schreibt, es sei eine Stimmung wie vor der Ermordung Rabins.

Der Ruf nach ‘Vernichtung’ Gazas scheint salonfähig. Natürlich meint das niemand ‘wirklich’. Es soll einfach die Hoffnungslosigkeit der Situation ausdrücken.

Nur die ‘anti-israelische’ linke Haaretz-Zeitung zeigt immer mal wieder auch auf die israelische Regierung als Mit-schuldige an der Katastrophe. Alle anderen zeigen nach Süden auf die Hamas. “Wir tun alles, um zivile Opfer zu vermeiden …” Das stimmt wohl schon. Nur, dass es zum Krieg kommt ist das Versagen der Regierung hier und der ganzen Welt.

Tel Aviv verliert seine Leichtigkeit.

Nicht nur für mich, scheint mir. Es gibt freie Parkplätze in unserer Gegend. Freie Tische am Mittag im Restaurant am Baselplatz. Die Gesichter der Leute auf der Strasse scheinen mir ernster. Der Verkehr weniger dicht. Die vorbeifahrenden Busse besonders leer. Die Diskussionen sind weniger laut.

Ach, und wegen unserem Internet: “Biglal HaMatzav” (“wegen der Situation”) kann kostenlos und unlimitiert im mobilen Internet gesurft werden. Auch alle PayTV-Kanäle wurden offenbar freigeschaltet für alle. Sogar die Banken seien nachsichtig mit säumigen Schuldnern.

Man muss ja irgendwie weitermachen, trotz “der Situation”.