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Krieg

Natürlich, in diesen Zeiten, wenn geschossen wird, wird man ausgelacht, wenn man nach einer echten Lösung für den Konflikt fragt. Im Hotel Intercontinental unten am Strand fand gestern absurderweise die Haaretz Peace Conference statt.

Die erste Sirene am Abend erwischte die Gesellschaft aus NGOs, Medien und Politikern kalt. Als wollten die Hardliner in der Regierung den Diskutierenden und Fragenden sagen: Haltet die Klappe, jetzt sind wir dran.

Bitter finde ich, wie wenig die Regierung zu hören kriegt, dass sie Schuld trägt, weil sie noch immer keinen Frieden möglich gemacht hat. Diese Verantwortung zum Frieden trägt hier keiner. Nur die Verantwortung, das nächste Feuer zu löschen.

Im Feuerlöschen sind sie gut – keine Frage.

Jetzt gehts wieder rund, am frühen Abend hatten wir Raketenalarm. Gabi stand unter der Dusche, schamponiert, also blieben wir im Badezimmer ein paar Minuten stehen bis der Alarm durch war. Ist ja schön geschützt dort.

Ich hatte die Sirenen lauter in Erinnerung.

Hoffentlich kommt es nicht zu einer massiveren Eskalation als bei der letzten ‘Operation’ vor 18 Monaten im November.

Die Hamas sagt, sie wird uns überraschen.

Ich hoffe nicht.

Seit Ende der ‘Friedensverhandlungen’ vor zweidrei Monaten juckte der Finger am Abzug. Je länger je unerträglicher. Jetzt kann er endlich durchziehen. Aufatmen. Es herrschen wieder klare Verhältnisse.

Für viele Israelis ist klar: Dort sind die Tiere, die Teenager entführen und tot verscharren und Raketen auf Unschuldige schiessen. Hier die unbesiegten Helden und Beschützer Israels die nur ihre Arbeit machen – uns beschützen.

Alle sagen immer, die Situation hier ist komplexer, als der verwöhnte verweichlichte friedensverwöhnte Europäer denkt.

Ein Einwand mit einer gewissen Berechtigung.

Aber wirklich kompliziert wird es ja nur, wenn man über Frieden nachdenken muss.

Die Raketen, die toten Teenager, die gewalttätige Eskalation sorgt für eine grosse pervers erleichterte Klarheit und Einfachheit der Verhältnisse: Blinde Wut, Angst und Hass. Die Entführung der Teenager hat hüben wie drüben hässliche Hassgefühle entfesselt, mit einer Art perversen Erleichterung fast wurde all dieses Übel freigesetzt.

“Sie schiessen auf uns, diese Tiere entführen und töten hinterrücks Teenager. Jetzt schlagen wir zurück. Die ungeschlagene israelische Armee schützt und rettet uns.”

Wer will nicht beschützt werden im Angesicht von Raketen schiessenden Nachbarn.

Das Badezimmer sei kein sicherer Ort, sagen sie jetzt im TV. Drei Stunden lang wird live aus allen Landesteilen berichtet, Raketenalarm hier und dort, aber bis jetzt keine Treffer – und sie melden absichtlich Unwahrheiten im TV um die Hamas zu verwirren, man will ja keine Zielhilfe leisten.

Und ein gutes Dutzend tote Palästinenser in Gaza.

Ich versteh kaum ein Wort von dem was sie sagen am TV, aber gerade eben gabs die erste Werbeunterbrechung.

Wohl ein gutes Zeichen. Ausgeschossen. Ruhe.

Dann brüllendes Geschrei draussen auf der Strasse, in der Nachbarschafts-Bar – 1:0. Deutschland schiesst sich warm.

Schauen die in Gaza auch Fussball-Weltmeisterschaft?

Heute trauert Israel um seine gefallenen Soldaten. Als ich das erste Mal dabei war, wie Tausende zur Feier auf dem grossen Rabin-Platz strömten, fehlte mir die Volksfeststimmung, es gibt keinen Grill-Stand von Bell am Strassenrand, keine T-Shirts und Ballone und keine Feldschlösschen Bierzelte. Gabi meinte: „It’s not a celebration!“ Es gilt ernste, fast heilige Trauerpflicht für’s ganze Land. Alles ist geschlossen heute Abend, Läden, Kioske, Bars, Restaurants.

Zur Bekräftigung und Bestätigung dass die gefallenen Soldaten nicht umsonst ihr Leben liessen haute Netanyahu die Schlagzeile raus: „Israel ist die Heimat eines Volkes – der Juden.“ Purer Rassismus.

Ich whatsappte die Schlagzeile an Freunde. „Jude sein ist eine Frage der Einstellung,“ schrieb eine zurück. „Aber ich mag die Schweizer,“ schrieb eine andere.

Die linke Politik schrie auf, man werde keine Einschränkung demokratischer Grundwerte zulassen, Israel sei ganz zuerst eine Demokratie mit gleichen Bürgerrechten für alle und erst dann die Heimat der Juden etc etc.

Und ich sitze in unserem Garten und gegen acht wird es still auf der Strasse, die lauten Dieselbusse fahren nicht mehr.

Leute spazieren die Strasse runter, in Richtung Rabin Platz.

Um 20 Uhr heult die alles betäubende Kriegs-Sirene los, ein langgezogener schriller ton, nicht das auf und ab der Raketenalarme. Alles steht still. Eine Minute lang heult ganz Israel, wer am Tisch sitzt, steht auf, wer im Auto unterwegs ist stoppt, steigt aus. Ich im Garten. Gizmo der Kater miaut.

20 Uhr 01 Autotüren fallen zu. Motoren heulen auf, die paar wenigen Autos und Busse auf der Dizengoff fahren weiter.

Von der Klagemauer mit Staatspräsident und Ehrengarde geht’s via Schaltung ins TV-Studio raus zur Live-Schaltung von der Feier in Rishon Le Zion, eine Stadt südlich von Tel Aviv.

Auch hier in Tel Aviv auf dem Rabin-Platz wird mit Kerzen, Streichern und sehr mittelmässigen Sängern vor Videowänden den Soldaten gedacht. Gespielt werden Lieder, die für Aussenstehende wie mich wie schlechter Heimatpop klingen, die aber für Israelis sentimentale Herzensangelegenheit sind, nicht zuletzt weil sie jedes Jahr an Memorial Day vorgetragen werden.

Auf den Videowänden und zuhause im Fernsehen werden zwischen den Songs und Reden die Porträts gefallener Soldaten und ihre Geschichte in 3:30′ Form vorgestellt: Mama erzählt eine Anekdote, Kinderfotos werden eingeblendet, Papa erzählt eine Geschichte, Fotos, mit Kameraden, mit der Freundin, dann weinen sie und die Streicher setzen ein fürs nächste Lied.

Schnitt ins Publikum zu weinenden schönen Menschen, die ich oder du sein könnten, die alle diese Lieder im Herzen tragen, und die weinen weil sie diesen Soldaten auf der Videowand gekannt haben, oder weil sie einen Bruder, Onkel oder Cousin haben der im Krieg gefallen ist, oder ganz einfach weil alles so traurig ist.

In den USA ist Memorial Day der Tag für BBQs und Shopping. Hier ist es das sehr lebendige Ritual einer Nation in ständiger Kampfbereitschaft. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

memorialday

Memorial Day Zeremonie auf dem Rabin Platz (2012)

Wir haben noch immer keine Gasmaske. Dafür haben wir jetzt Atropin für zwei im Badezimmerschrank – das Gegengift für Nervengas aus Syrien. Das war einfacher zu bekommen.

Ich verbringe wieder viel Zeit damit, das Undenkbare zu denken, wie letzten November, während dem Raketenbeschuss aus Gaza. Was, wenn tatsächlich Bomben fallen? In der New York Times berichtete ein Augenzeuge vom Giftgaseinsatz in Syrien: “Die Detonationen hörten sich an wie platzende Wasserfässer…” Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Was tun wir dann? Wie können wir uns vorbereiten? Will ich mich überhaupt vorbereiten? Oder gehöre ich zu jenen, die sagen: Passiert eh nichts..?

Vom Undenkbaren ist es nicht weit zum Schwarzen Humor. Gestern Abend treffe ich auf einer Party einen Bekannten, einen schwulen feinen Ballett-Tänzer, der viel in Europa auf Tournee ist, und der sein Leben in Israel mit ganzem Herzen hasst. Er ruft: “Kommt schon! Beschiesst uns und löscht die eine oder andere israelische Stadt aus! Dann kann ich endlich als Kriegsflüchtling nach Europa!” Ich lache. Er lacht nicht.

Die gefühlte Bedrohungslage hat sich seit dem Nay im Britischen Unterhaus entschärft. Die kriegsmüden englischen Lords haben unser Wochenende gerettet.

Donnerstag waren wir wie geplant am Strand, Freitag war ich mit Freunden auf einem kleinen Katamaran segeln (ich liebe mein Leben hier!) … und dachte, während wir in herrlichem Südwestwind vor der Küste kreuzten, ein bisschen weiter raus aufs Meer, da liegen die US Zerstörer und warten auf Zielkoordinaten aus Washington.

Auf der anderen Seite geht das Morden in Syrien weiter. Wo sind die Völker, die sich von ihren Tyrannen befreien und Demokratien starten? Ich verstehe gar nichts. Und es scheint, dass es Obama ähnlich geht. Dabei hatten sie doch letzte Woche die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern neu gestartet …

Denkt das Undenkbare! Das könnte auch ein Zitat aus einem Kurs für angehende Manager sein. So entsteht Innovation! Die Israelis können das gut. Da einen Zusammenhang zu konstruieren, ist aber wohl Schwachsinn.

Abendessen am Strand: Irgendwo da draussen dümpeln die Kriegsschiffe.

Abendessen am Strand, Nachtschwimmer im Wasser: Irgendwo da draussen dümpeln die Kriegsschiffe.

 

Vor ein paar Tagen war es nur beiläufiges Tischgespräch: Hast du deine Gasmaske schon..? Smalltalk beim Bier. Einige Familienväter im Freundeskreis hatten nach den furchtbaren Berichten über den Giftgaseinsatz in Syrien für ihre Familien vorgesorgt. Alle anderen ignorierten das Thema. (Es ist wie mit den Fahrrad-Helmen. Man fühlt sich albern, einen zu tragen, hier in Tel Aviv tragen nur Eltern und ihre Kleinen einen. Ausserdem: wohin mit den doofen Masken? Dann haben wir wieder zwei Schachteln mehr, die in unsrer kleinen Wohnung rumliegen.)

Man gewöhnt sich hier ans Säbelrasseln. Aber heute, wenn die Israelis Schlange stehen für Gasmasken, und Freunde am Telefon allen Ernstes fragen, ob man die Gasmaske schon geholt hat, weckt das schlechte Erinnerungen an die Bomben im letzten November. Da redeten auch alle vom Golfkrieg ’91, als das letzte Mal Raketen auf Tel Aviv niedergingen und Giftgasangriffe befürchtet wurden.

Soll ich mir nun den Nachmittag frei nehmen, und mich in die Schlange stellen vor dem Postbüro, um eine Gasmaske abzuholen? Ich weiss nicht, ob ich mir das leisten kann, gerade eben habe ich zwei  neue Projekte gestartet. Und morgen wollten wir zum Strand fahren … und soll ich das Rauchen jetzt wirklich bleiben lassen, oder ist das albern..?

 

Drei Stunden Schlange stehen für eine Gasmaske.

Drei Stunden Schlange stehen für eine Gasmaske.

 

 

Ein Doktor Kollega von Gabi, auch Assistenzarzt, ist Kampfpilot bei der Luftwaffe. Ein wahres Alphatier. Es gibt wenig was hier mehr zählt als der Pilotenschein der IAF, der Israeli Airforce. Er ist ein netter Kerl mit eisblauen Augen. Wenn er mal wieder ein paar Tage auf Arbeit fehlt, und danach liest man über Detonationen in Syrien oder Gaza, denkt man sich seinen Teil.

Syrien 2013-05-26

Auf Spiegel.de wird ein hochrangiger syrischer Politiker zitiert: Syrien werde sein Volk mit allen verfügbaren Mitteln verteidigen. 

Aus einem Email an meine Mutter streiche ich diesen Satz: “Es sind alle bisschen angespannt heute wegen der Ereignisse in Syrien, man befürchtet eine Eskalation in den nächsten Tagen… Hoffen wir, dass es nicht gefährlich wird.”

Syrien 2013-05

Im Büro plaudern wir über den bevorstehenden Krieg. – Dann bittet mich S, positive Quoten über Israel zusammenzufassen für einen Blogpost auf der Firmenseite. 

Manchmal komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus hier. 

Zwei israelische Filme waren im Oscar-Rennen um den besten Dok-Film: The Gatekeepers und Five Broken Cameras. Israel hat aufgeatmet, als keiner der Filme gewonnen hat. Das Thema beider Filme: das besetzte Westjordanland. Hier mit Fokus auf die Sicherheitskräfte und Sicherheitspolitik Israels,  dort mit Fokus auf die traurige Realität der Palästinenser.

Wir waren mit Freunden im Kino in The Gatekeepers. Was mich erst überraschte: Die Wirkung des Films auf Israelis ist viel stärker, als man sich das als Europäer vorstellen kann. Die Reflexionen der alten abgebrühten Geheimdienst-Recken fahren den Israelis ein.

Meine Interpretation: So sehr man als Israeli die Politik des eigenen Landes kritisieren mag; das eigene Land, die Heimat, würde ohne den Sicherheitsapparat nicht existieren. Also ist man der Armee und den Sicherheitsbehörden hauptsächlich dankbar. Die Agenten und Soldaten erledigen das Unvermeidliche. Nicht mehr und nicht weniger. Israel muss sich verteidigen. Israel verteidigt sich erfolgreich. Die Wertschätzung und der Stolz auf diese Leistung hat jeder Israeli im Blut. Auch weil jeder Israeli seinen Dienst leistet und somit ein Teil dieses Systems ist. Weil schon Vater und Mutter im Krieg waren für Israel.

Der Film zeigt eine andere schmerzhafte Realität. Die sechs alten Männer, die die letzten 30 Jahre den Inlandgeheimdienst geleitet haben, geben zu Protokoll, dass die (Sicherheits-)Politik Israels versagt hat. Die blitzgescheiten starken Heldenfiguren brechen aus ihrer Rolle aus. Sie leiden unter ihrer Vergangenheit. Sie zeigen auf, wie hässlich der Kampf gegen den Terror ist. Wie skrupellos Israel agiert (agieren muss?). Und sie geben der Politik die Schuld daran. Sie klagen die Politiker an, die noch immer keine nachhatlige Lösung für die besetzten Gebiete anstreben. Sie klagen an, dass die Politik nie eine echte Strategie verfolgte. Dass nur immer taktisch argumentiert wurde. Und dass nur ein ehrlicher Dialog mit den Palästinensern eine bessere Zukunft bringen kann…

Das sagen keine besserwisserischen Europäer oder linke Träumer, sondern Männer, die mittendrin standen, die den roten Knopf drückten, die Tötungen und Folter verantworten. Die in ihrem Duktus über Tötungen und Folter sprechen – und damit das wahre Gesicht und die dreckige Arbeit der Sicherheitskräfte, der Helden, offenbaren.

Netanyahu sagte: Er schaut sich diesen Film nicht an.

Der Film erschüttert die Gewissheit, dass Israel richtig handelt und dass Israel auf dem richtigen Weg ist. Unbedingt sehenswert. Aber nicht angenehm anzusehen. Vor allem für Israelis.

«Ich bin vom sechsten Lebensjahr an im Krieg», beginnt Yoram Kaniuk seinen neuen, sehr persönlichen Text für die Frankfurter Rundschau. Er ist greiser israelischer Schritftsteller, Maler, Weltbürger, Zeuge der Geschichte Israels, geboren in Palästina 1930, lange vor der Staatsgründung Israels. Er präsentiert in kantiger Prosa und etwas verschrobener Poesie, was der ‘ewige Kriegszustand’ Israels für ihn bedeutet. Dieser Zustand, mit dem ich mich neu arrangieren muss seit der ‘Eskalation’ im November (nicht: seit dem Krieg; der Krieg dauert ja an).

Kaniuks Text in der Frankfurter Rundschau «Blut über Blut mein Leben lang»: http://www.fr-online.de/politik/nahost-konflikt-blut-ueber-blut-mein-leben-lang,1472596,21001298.html

«This Land Is Mine» zum selben Thema:

Noch was politisch heikles zum Thema ‘Widersprüchliches Israel’ und was mir nach meinem ersten Krieg so durch den Kopf geht:

Sichere Heimat für alle Juden! – Endlich, nach Jahrhunderten in der Diaspora, hat das jüdische Volk eine Heimat und eine Armee und kann sich entsprechend verteidigen. Israel ist der einzige Ort auf der Welt, wo Juden selbstbestimmt und in Sicherheit leben können!

Sichere Heimat für alle Juden! – Israel ist seit seiner Gründung vor 60 Jahren im Kriegszustand und wird von seinen Nachbarn mit der Auslöschung bedroht … während Millionen Juden in der ganzen Welt ein gutes und sicheres Leben führen.

(Vorsicht! Minenfeld!! Ein falscher Schritt, ein falsches Wort zu diesem Thema, und es fetzt einem die Beine weg. Die glühenden Zionisten rufen: Mit solch Gedankengut soll Israel geschwächt werden!  Wer sagt, Israel ist nicht sicher und in der Diaspora lebt sich’s besser, der glaubt nicht an Israel, an die Berechtigung Israels! Siehe beispielsweise der Streit um Judith Butlers Suche nach ihrer jüdischen Identität im heutigen Zionismus.

Ich für meinen Teil denke während dem Krieg: Im grossartigen Tel Aviv unter einer Eisenkuppel zu sitzen, die Raketen abfängt .. das ist natürlich eine stolze Leistung jüdischer/israelischer Kampfkraft, keine Frage. Aber den Juden in Zürich geht’s in den Minuten trotzdem besser. Auch wenn diese mir am Telefon wiederum versicherten: Ach, wären wir doch in Israel, es ist schrecklich, diese Angriffe von hier aus mitzuerleben…)