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Kulturschock

Nach Shabbat am Meer in der Sonne, am wilden Strand, mit dem Auto gut eine Stunde nördlich von Tel Aviv, Richtung Haifa, Richtung Libanon, stehen wir auf einem sandigen Parkplatz in den Dünen. Wir sind mit einer Handvoll Freunden in zwei kleinen Stadtautos unterwegs. Wir haben Hunger.

Wir waschen uns mit sonnenwarmem Wasser aus der Flasche das Salz vom Gesicht. Der Parkplatz ist schon beinahe leer, obwohl die Sonne noch recht hoch am Himmel steht. Viele sind schon auf dem Heimweg. Shabbat endet – und die neue Woche beginnt – mit Sonnenuntergang. Wir sind hungrig auf Hummus, Chips, Salat.

Israel ist munzig wie die Schweiz. Hier im Norden steht alle drei Kehren auf der Landstrasse ein Dorf. Wo in der grünen Schweiz in der Dorfbeiz Wurstsalat auf Papier-Platzdeckchen serviert wird, gibt’s hier einen offenen Imbiss mit schmuddeliger Theke, mit Hummus, Pita, Fleisch vom Drehspiess oder Falafel im Angebot und Blechtöpfchen voller Essiggemüse und Oliven als Beilage. Man sitzt auf weichgesessenen Plastikstühlen an Plastiktischen im Staub.

Wir werweissen, wo wir essen gehen. Man kennt sich aus am Strand, aber keiner von uns kennt einen guten Laden hier in der Gegend.

Ich sage, an der grossen Kreuzung wo’s zur Autobahn nach Tel Aviv geht, da haben wir letztes Jahr unseren Sonnenschirm gekauft, die waren nett, da gibt’s auch einen Imbiss nebenan.

Die ganzen Läden da an der grossen Kreuzung werden von Arabern betrieben.

Schon beim Zigarettenholen am Kiosk war mir aufgefallen, wie anders die Welt hier oben im Norden tickt. Weicher, weniger hart als in Tel Aviv. Weil das Araber sind? Oder sind’s einfach nur die Landeier? Aufm Dorf im Zürcher Oberland ticken die Leute auch anders als an der Langstrasse.

An Tel Aviv hab ich mich gewöhnt. Eine Stunde weg mit dem Auto bin ich komplett in der Fremde.

Wir hatten letztes Jahr da an der Kreuzung gehalten, eben um einen Sonnenschirm zu kaufen. Gabi wartete im Auto. Der Laden da ist ein übergrosser Unterstand, eine kleine Lagerhalle mit Wellblechdach, vollgepackt mit Plastik und Blech, Zeugs und Mobiliar für Haus und Küche. Strand-Utensilien stehen zuvorderst, für die Städter die hier am Wochenende langfahren zu den abgelegenen Stränden. Für uns.

Ich fragte erst noch einen Typen der da rumstand und rauchte, was er an Auswahl hätte. Er wusste nichts zu sagen. Also wählte ich einen Schirm mit grünen Palmen auf Meerblau, made in China, und brachte ihn zur Kasse. Ich musste warten, die Frau an der Kasse war mit einem anderen Kunden beschäftigt. Ein Junge reichte mir ein kleines Glas arabischen Kaffee. Ich verstand nichts von seinem Hebräisch, fühlte mich erst als Tourist und dann doch als Besatzer, bezahlte, wollte nichts falsch machen, wollte auch nicht beschissen werden und zu viel für den Schirm bezahlen, dachte, das ist die Arabische Art, man kriegt Kaffee. Nett sind sie. Versuchte noch zu handeln, zählte mein Wechselgeld.

Erst als ich wieder ins Auto stieg ging mir auf, dass ich dem Junge was hätte geben sollen. Ich fühlte mich schlecht. Typisch, Städter, reich, ohne Anstand und ohne Respekt. Der Junge dachte wohl: Es stimmt schon, was sie über die Juden sagen.

Ich fühlte mich, als hätte ich eine Gelegenheit verpasst, etwas für den Frieden zu tun.

Das war letztes Jahr. Ich wollte gerne dahin zurück. Auch zum Kiosk, zum Imbiss. Diese andere Welt hier kennenlernen, die mir noch immer fremd ist. Und wenn ich’s mir recht überlege: die mir irgendwie immer fremder wird.

Unsere Freunde wischen auf ihren iPhones herum, mein Vorschlag wird nicht gestützt. Niemand will da hin. Man sehe an dem Imbiss da nie Leute sitzen, sagt der eine. Das sei ein schlechtes Zeichen.

Alle versuchen, auf Google Maps eine Empfehlung für Hummus Chips Salat zu bekommen. Ich sage: Leute, hier hat’s ein Dorf am andern, lasst uns einfach reinfahren und irgendwo halten.

Einer sagt: Die mögen uns nicht hier in den Dörfern. They don’t like us here.

Ich sage nichts mehr. Wir fahren schliesslich los, dem anderen Auto hinterher. Sie haben angeblich auf Google was gefunden.

Nach zwanzig Minuten auf der Autobahn Richtung Tel Aviv biegen sie bei einer Autobahntanke ab, wir folgen ihnen, um zwei Ecken in einen alten Industriepark, auf einen riesigen verlassenen Parkplatz. Am einen Ende stehen einstöckige lange Barracken.

Unterm Dach hängt ein grosses Schild: Hummus Olga. Russischer Hummus.

Geschlossen an Shabbat.

Ich habe nie so gut gegessen wie in den letzten 18 Monaten hier in Israel. Das ganze Jahr über gibt’s im Supermarkt taufrisches, reifes Gemüse und Obst aus lokaler Produktion. Tel Aviv ist voll fantastischer Restaurants, die auch köstlich (un-koschere) Meeresfrüchte zu zahlbaren Preisen servieren. Un-koschere Supermärkte und Delis führen von Crevetten über Salami bis zu original Gruyère. Dass ‘koscher’ für viele wichtig ist, begegnet mir jeweils völlig unerwartet.

Die dicke Frau hinter der Fleischtheke im Coop diskutiert mit einer Kundin. Ich verstehe nur einige rohe Brocken des Gesprächs. Immerhin.

Die beiden lassen sich Zeit.
Die blassroten Koteletts in der Auslage sehen aus wie vom Schwein!
Ist das möglich?

Wir kaufen immer im un-koscheren Coop ein. Hier gibt’s auch gefrorene Crevetten und anderes Unheiliges mehr. Dass der Laden aber auch Schweinefleisch führt, wusste ich nicht. Die Schweinezucht ist verboten auf israelischem Grund und Boden, das heilige Land darf per Gesetz nicht von den unreinen Sauen betreten werden. (Der Trick: Man hält die Tiere auf einem Holzrost über Boden.)

Ich unterbreche die beiden Damen und frage: “Excuse me, was ist das für Fleisch?”
Die Kundin, eine stämmige bleiche Frau, wohl irgendwo im grauen Osten unter Sowjetherrschaft aufgewachsen, mustert mich misstrauisch und antwortet erstmal gar nichts.

Ich versuche es noch einmal: “Speak english..? Was ist das hier..?” sage ich, und zeige auf die üppigen Koteletts und Steaks.

Sie kuckt mich an, als spielte ich ihr einen bösen Streich.
Sie wendet sich wieder der Verkäuferin zu, die beiden tauschen sich kurz aus.

Dann sagt sie zu mir: “Pork?”
Ich habe sie beim Schwein kaufen erwischt.
Sie sagt es gleich noch einmal: “Pork.”
Ich nicke, freue mich, bedanke mich, lächle, damit sie nicht meint, ich hätte was gegen Schwein, oder gegen sie, die Schwein kauft.
Sie bestellt daraufhin sechs Stück der schweren Koteletts.
Dann kaufe ich eins für mich.

Eine Freundin von der Ulpan, Chinesin, erzählte mir, dass sie alle Luken ihrer kleinen Wohnung dicht macht, wenn sie für ihren israelischen Freund unkoschere Crevetten brät. Damit die Nachbarn nichts mitbekommen. Dann klingelte es eines Tages an der Tür, als sie gerade eine Portion sündige Crevetten im Wok brät: Der Postmann! Sie sagt, für einen Moment geriet sie in Panik. – Dabei ist das hierzulande einfach eine Frage des Umgangs. Viele unserer Freunde lieben Crevetten, nicht wenige freuen sich über einen Cervelat.

Ich brate mir mein Kotelett zuhause in der Pfanne an und lasse es im heissen Ofen schön durchziehen. Gabi fragt mich am nächsten Tag, ob das koschere Schweinskotelett anders schmeckt. Ich meine, es hat schon anders geschmeckt als eine Schweizer Sau.

Ob die Schweine in Israel wohl geschächtet werden…? – Ich sollte mal im Coop nachfragen.

Koscher Schwein

Auf dem kleinen Päckli aus Züri klebt eine alarmrote Warnung: «Lieber Bürger – zu deiner Sicherheit!!!» steht da. Man soll das Päckli nur öffnen, wenn man wirklich ein Päckli von dem Absender erwartet. Die liebe Post erinnert mich daran, dass das Päckli aus Züri durchaus auch eine Briefbombe sein könnte.

A propos, das mit den Geschenken unterm Weihnachtsbaum ist ja überhaupt ganz schön heikel: Wer weiss schon, wer da was ablegt. Der Santa Claus war da, das Christkind … Und vor allem weiss keiner, was in diesen Geschenken drin ist. Also bevor ihr das nächste Geschenk öffnet, fragt euch zu eurer eigenen Sicherheit(!!!): Kann es sein, dass das wirklich für euch ist…? So ein grosses Geschenk..? Was könnte da drin sein(!!!)?

Vielleicht gewöhne ich mich auch irgendwann einfach an all die Ausrufezeichen und an die Paranoia/Bedrohungslage.

Aufkleber auf dem Weihnachtspäckli aus Zürich: Vorsicht, Bombe!

Ich sitze draussen in der Sonne. Im Coop hier an der Dizengoff steht ein Weihnachtsbaum. Ansonsten ist Nord-Tel Aviv frei von Weihnachtsstimmung.

Gerüchteweise hatte ich in der Ulpan gehört, man kriege in Yaffo, im mehrheitlich arabischen Süden Tel Avivs, Weihnachtsbäume zu kaufen. (Den christlich-orthodoxen Kirchen gehört dort offenbar die halbe Stadt.) Erst dachte ich noch: Tannenbäume. Mein Kumpel aus Kanada korrigierte dann meine Erwartungen: Plastikbäume.

Es dunkelt schon ein, als wir uns am Sonntag schliesslich auf die Suche machen. Die eine Strasse runter finden wir Kioske und Imbisse mit Weihnachtsdekoration. Ich frage nach einem Weihnachtsbedarfs-Händler. Die Verkäuferin sagt: Es ist Sonntag, die Läden der Christen sind geschlossen.

Zum Glück halten nicht alle Christen den Ruhetag heilig. Am Ende der Strasse spielt ein angeketteter Elektro-Nikolaus Saxofon und schüttelt im Takt zu ‘Last Christmas’ seinen Plastik-Rumpf.

Wir haben jetzt einen Mannshohen Baum mit Kugeln, Girlanden, Glöckchen, einem Stern obenauf und farbigen Blinklichtern rundum. Und für Freitag haben wir Freunde zu einer fröhlichen Nacht eingeladen. Es wird ihr allererstes Weihnachtsfest.

Wir kaufen einen Weihnachtsbaum in Yaffo

Wie ich am Donnerstag früh in meine hohen Schuhe steige – es ziehen jetzt fast täglich Regenschauer vom Meer her über die Stadt und setzen die Strassen unter Wasser – stosse ich mit dem Fuss auf eine Plastiktüte mit Süssigkeiten. Ich brauche eine Weile, bis ich verstehe: Nikolaus war hier. Gabi hat sich an Samichlaus erinnert – und ihre Frankfurter Freundin  erklärte ihr, wie man’s macht. (Mit all den Deutschen in Zürich wird der Samichlaus auch Stiefel füllen lernen.)

Vor einem Jahr sassen wir am Chlausabend im Mate, dem Quartier-Pub mit Billardtisch. Bei einem Bier erklärte ich Gabi den Samichlaus. Natürlich habe ich beste Erinnerungen an den Samichlaus und seinen Schmutzli, an ihre Besuche bei uns zuhause, der Mann mit dem dicken Buch, dem grossen Jutesack mit Spanisch Nüssli und den Mandarinli, die kurzen Gedichte, die wir aufsagen mussten … Gabi hörte nicht die Musik, sie gab sich geschockt, dass Eltern einen bärtigen fremden Mann in ihr Zuhause kommen lassen, der ihre Kinder schlägt und/oder in den dunklen Wald entführt, wenn sie nicht ‘gut’ waren. Ich verteidigte meinen Samichlaus mit Herzblut. Aber sie wollte mich nicht verstehen und trieb mich vor sich her.

A propos andere Länder, andere Sitten: Ich beschrieb in einer fröhlichen Runde die Schweizer Jasskarten. ‘Shields’, ‘Acorns’, ‘Bells’, ‘Roses’… Auch ein grosses Stück Heimat und Kindheit. Sagte eine in der Runde: King of Roses…? Und Boy of Roses…? Wie schwul sei das denn! Definitiv ist Schwulsein hier in Ordnung – aber ein Mann hat ein Mann zu sein.

Am Sonntag war der erste Hanukah-Tag. Die leckeren Weihnachtsguezli aus Zürich sind schon fast alle. Es hat nur noch eine Handvoll Mailänderli. Während Hanukah gibt’s hier an jeder Ecke Sufganiot – in Zürich nennen wir die Berliner.

Hanukah-Leuchter auf dem Basel-Platz: Jeden Abend zündet der Rav eine neue Kerze an.

Die Grafikerin sagte mir Freitag beim Frühstück: «Man kann sich wohl an den Raketenbeschuss gewöhnen, wie sich Frauen an ihren prügelnden Ehemann gewöhnen. Man liebt und leidet.» Raketen-Alarm in Tel Aviv ist auch für Israelis keine Alltäglichkeit. Aber Israelis wachsen in diesem Bewusstsein auf, in dieser Realität, die ich jetzt hautnah kennenlerne: Israel im Krieg ist gewissermassen Normalzustand. Es herrscht kein Ausnahmezustand. Ich bin im Ausnahmezustand. Willkommen zu Hause.

Draussen vor meinem Fenster rennt jemand die Baselstrasse runter – ich horche auf. Alarm? Nichts. – Heute früh, noch im Bett, schrecke ich hoch beim Aufheulen eines Autos, was sich entfernt wie die Sirene anhört. Nichts. – Mein Banknachbar in der Ulpan-Schule flüstert mir mitten im Unterricht zu: «Ist das eine Sirene?», steht auf und öffnet das Fenster. Nichts. – Heute bleibt es ruhig in Tel Aviv. Aber die Nerven sind gereizt. Die Strassen sind tagsüber ruhig wie an einem Feiertag, nur der Berufsverkehr brummt am Morgen und am Abend wie immer. Ein Abendessen mit Freunden wird abgesagt. Die Schwester von G sucht gestern bei uns Nestwärme, sie wohnt alleine in einer kleinen Studentenwohnung, sie übernachtet bei uns… Wir geben unseren Plan auf, das kommende Wochenende für ein paar Tage wegzufahren; die für den Krieg eingezogenen Ärzte fehlen im Krankenhaus, G wird arbeiten müssen … (Wohin auch fahren: In den Süden Richtung Gaza und Raketen? In den Norden auf die Golan-Höhen, in Sichtweite des syrischen Bürgerkriegs?) Das Leben in Tel Aviv geht nur auf den ersten Blick weiter wie immer.

Das Goethe-Institut Tel Aviv lädt diese Woche ein zu «Brüder Grimm und das Böse im Märchen». Vielleicht sollten wir da hingehen. Am Ende siegt immer das Gute. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Letzte Woche spazierte ich Abends mit einer Freundin die Dizengoff runter, und was sehe ich: Einen FREITAG-Store! Was für eine Freude! Die Qualität der Produkte! Die Konsequenz in Design und Marketing! Die Qualität! Der unverwechselbare Style! Die Einfachkeit! Die Qualität … FREITAG steht für vieles, was in Tel Aviv (noch) fehlt, und was Zürich ausmacht.

Man sieht der Produktauswahl hier in den Läden an, wie Israelis einkaufen: Billiger ist besser. Qualität ist beim Kaufentscheid zweitrangig. Selbst die teure italienische Mode: Es sind die Modelle von letzter Saison – dafür lässt sich mit dem Verkäufer über den Preis verhandeln. (Die sich’s wirklich leisten können, kaufen wohl sowieso direkt in Mailand oder Zürich, wo die Auswahl grösser ist.) Aber Tel Aviv ist bereit für mehr Stil, Mode. Die Jungen sind es, die sich nach Europa orientieren.

Vor dem kleinen FREITAG-Shop stand der eine Bruder Freitag. Ich schüttelte ihm die Hand und hiess ihn herzlich willkommen in Tel Aviv. Er war eingeflogen für die Eröffnung des Popup-Stores, der die Marke in Tel Aviv einführt. Er wirkte etwas verloren zwischen den Israelis. Offenbar hatten sie ihn jahrelang bestürmt, FREITAG nach Tel Aviv zu bringen. Viel Glück! Die Freundin, die mit mir da war, fand den Laden und die Produkte super, aber sie konnte sich nicht mehr davon erholen, dass eine kleine Handtasche 800 Schekel kosten sollte…

Vor einem Jahr haben mich solche Scharfmacher-Texte in der Jerusalem Post noch berührt und beunruhigt:

“On Iran, the thing to fear might be fear itself – Overconfidence should be avoided, but an army is useless if you’re afraid to use it.”

“Bezüglich Iran: Furcht ist, was wir fürchten müssen – Überzogene Selbstsicherheit sollte vermieden werden. Aber eine Armee ist nutzlos, wenn man sie nicht einsetzt.”

Was will der Kommentator sagen: Wer eine gute (will nicht sagen: die beste) Armee hat, sollte gefälligst auch Krieg führen? Wer nicht in den Krieg zieht, kann den Krieg nicht gewinnen? Dass Israel bitte nicht aus Angst vor Krieg einen Krieg vermeiden sollte? Ihr seid alles Memmen, ich habe den Grössten?

Heute ringt mir das ständige Säbelrasseln ein etwas trauriges Lächeln ab. Zuviel wird hier gelärmt, gedroht, gezetert … man gewöhnt sich daran wie an den Autobahnlärm im Schlafzimmer.

A propos: Verteidigungsminister Ehud Barak hat gestern in einem Interview den Krieg mit dem Iran auf nächsten Sommer verschoben. Nach den Wahlen. Iran habe offenbar beschlossen, mit dem Bau der Atombombe noch ein Weilchen zuzuwarten. Also brauche man jetzt nicht sofort einen Krieg. Aber nächsten Sommer könnte es dann sein …

Meine Frau und ich suchen noch eine Honeymoon-Destination. Eine Freundin zeigt auf Facebook Fotos von ihrer Reise nach Bali. Die tropischen Inseln von Indonesien sehen traumhaft schön aus – ich surfe zu Wikipedia. Erster Satz dort: “Indonesien ist das Land mit der zahlenmässig grössten muslimischen Bevölkerung.” – Israelis benötigen für die Einreise (wie Nordkoreaner und Bürger ähnlicher Problemstaaten) ein spezielles Visum. Das Visum muss von einem Indonesier, der für den Israeli die ‘Bürgschaft’ übernimmt, vor Ort in einem Visums-Büro beantragt werden.

Ende der Übung. Für mich als Schweizer ist es ein Schock, dass ich nicht nach Bali reisen kann mit meiner Frau.

Kulturschock! In Israel prüft kein Verkäufer meine Unterschrift, wenn ich mit Kreditkarte zahle! Was ist denn hier los? Der Schweizer in mir versteht das nicht. Da könnte ja jeder kommen!

Vielleicht geht die Erklärung dafür so: Das kleine Land Israel lebt von gegenseitigem Vertrauen, überliefert aus den Gründerjahren, als die Kibbuzim als Kooperativen funktionierten. Als man sich das Einkommen aus den verkauften Orangen teilte und gemeinsam im Speisesaal zu Abend ass. “Mein jüdischer Bruder wird mich nicht betrügen. Wir sind eine grosse Familie!”

Oder so: Polizei und Geheimdienst haben einen perfekten Überwachungs- und Repressionsapparat aufgebaut, um den Terrorsumpf auszutrocknen. Und im Vorbeiweg haben sie auch die Kleinkriminalität abgeschafft. Es ist hier alles so gut überwacht, dass man mit dieser plumpen Art des Diebstahls nicht davonkommt.

Wahrscheinlich ist das alles viel zu weit gesucht. Es muss nicht alles hier mit dem ‘Konflikt’ oder mit den Mythen aus der Gründerzeit erklärt werden. Der von Haus aus maximal pragmatisch, praktisch und ökonomisch handelnde Israeli denkt sich wohl schlicht und einfach: Wenn einer die Unterschrift fälschen will, ist das ein Leichtes. Also was soll ich mir die Mühe machen, das zu überprüfen? Ich mache mich ja nur lächerlich.

Ein ganz kleines bisschen staunt der Schweizer in mir auch nach Monaten noch, dass ich davonkomme mit einem hingezeichneten Kreuzchen auf dem Kreditkartenbeleg. Einem Blümchen. Einem Sternchen… Und dann bin ich glücklich, hier leben zu können. Und ich denke an all die Spiesser in der alten Welt, die sich empören, wenn ihre Unterschrift nicht geprüft wird, weil die Regeln nicht befolgt werden – und ich vermisse dieses Denken kein bisschen.