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Nord-Tel Aviv

Eggs Benedict gab ich mir zum Geburtstag, Brioche drauf feinster Lachs unter pochiertem Ei und sämiger Sauce Hollandaise, in einer Ganztags-Frühstücks-Bar an der Dizengoff, begleitet von Kir Royale und einem Geburtstags-Shot Campari-Gin, offeriert von einer jungen typisch unprofessionell aber sperrig-charmanten Tel Avivi Waitress, und ihrem Barman, nachdem wir eine halbe Stunde auf der Strasse draussen in der warmen Novembersonne auf einen freien Tisch gewartet hatten (an einem gewöhnlichen Donnerstag um 11 Uhr Morgens!).

An der Dizengoffstrasse da sitzen jetzt auf vielen Parkbänken dicke Teddybären in Menschengrösse, mit blutigen Einschuss- und schwarzen Brand-Löchern im nussbraunen Fell.

Dazu ist der Dizengoff-Platz in Sichtdistanz von unserem Geburtstags-Cafe ein grosses Mahnmal, den Opfern der Hamas und den Geiseln gewidmet, mit Fotos ausgelegt, Kerzen, Erinnerungsstücken. Wer die letzten Wochen ferngesehen hat, erkennt viele der Gesichter auf den Fotos wieder, und erinnert die Geschichten dazu. G erzählt mir die Geschichte eines jungen Paars, deren Fotos da liegen, dass die beiden, Eltern von zwei Babies, in ihrem Haus erschossen wurden. Nachdem sie die Eltern getötet hatten, machten es sich die Hamasniks bequem in dem Haus, und jeder und jede, die der nach den schreienden Babies schauen wollte, wurde auf der Türschwelle erschossen. Ein gut meinender Helfer nach dem anderen. Die Kleinkinder überlebten.

In unserer kleinen Frühstücks-Bar war die Stimmung gelöst, der Laden draussen, drinnen und an der Bar voll besetzt, bis beim zweiten Kaffee plötzlich kontrollierte Eile ausbrach, alle im Lokal aufstanden, Raketenalarm, um sich im Eingang des Hotels nebenan einzufinden, im ‘Safe Space’.

Es donnerte am Himmel über uns, so laut wie schon lange nicht mehr.

Unsere Buben hatten in Kindergarten und Schule zum ersten Mal überhaupt auch Alarm.

So machten wir uns gleich auf den Weg, um sie abzuholen.

Die beiden waren nicht weiter beunruhigt, wobei der ältere den Geburtstagskuchen mit Kerzenausblasen zuhause am selben Nachmittag fiebrig und müde verschlief… Kriegskrank? Oder wars doch nur ein Virus?

Was man sicher weiss: es könnte alles noch viel schlimmer sein.

Der Plastik-Weihnachtsbaum zuhause steht – frohe Weihnachten!

Ich war heute in Jerusalem, das erste Mal seit Jahren wiedermal, mit M. unserem Kleinen bin ich mit dem Zug hochgefahren, um zumindest ein bisschen zu protestieren gegen die Regierung überhaupt, und im Besonderen gegen die Pläne, die Justiz zu gängeln. 

Der Zug war voll bis unters Dach mit guten Leuten, die DE-MO-KRATIE skandierten, kaum standen wir auf der Rolltreppe im Hauptbahnhof Jerusalem. Und das war gleich mehrfach ermutigend: dass es diese schicken elektrischen Schnellzüge von Tel Aviv nach Jerusalem gibt, voller guter Leute die sich kümmern. 

Nur: unsere Bubble mag voller guter Leute sein, aber es ist eine viel zu kleine Bubble in diesem 10Mio Land (sind’s mittlerweile schon 11Mio?). 

Wie lange noch, bis diese Blase implodiert? Bis das Klima hier uns entweder vertreibt, vergrämt – oder den Geist einfach vernichtet und auslöscht.

Ausserdem fiel mir schon auch auf: Die On-Schuhe-Träger, die heute ‘streikten’ und nicht zur Arbeit gingen, an diesem ‘Tag der nationalen Blockade’ … mal ehrlich: wir arbeiten ja sowieso ein paar Tage die Woche remote, und die Stunde im Zug nach Jlem haben wir genutzt, um am Telefon die wichtigsten Emails zu beantworten, und die fürs Business wichtigen Calls hielten wir dann auch am Abend zu Bürozeiten in den USA ab. Zählt das als Streik?  

Die mir gegenüber gesessen haben auf der Rückfahrt berichteten am Telefon ihren Freunden: ‚Hat’s was gebracht? Keine Ahnung. Wir waren dabei…‘  Dabei sein ist alles. Zählt das als Protest?

So ging es mir ja auch. Nach den ersten Sprech-Chören im Bahnhof wurde es dem Kleinen zu laut. Er mochte dann lieber das Tram probefahren, und … eines gab das andere. Wir landeten nicht in der Masse vor dem Parlament, sondern im Mahne Yehuda-Markt zum leckeren Hummus Mittagessen…

Wird das reichen, um unsere Bubble hier zu retten?

Proteste im Bahnhof Jerusalem, Februar 2023

Der Strassenwischer findet auf seiner Morgenrunde ein grosses iPhone 7 unter einer Sitzbank in der Dizengof.
Er hebt es auf.

Er trägt Latexhandschuhe, trotz der Sommerhitze lange Arbeitskleidung in Leuchtfarben und vor dem Gesicht eine dieser leichten, textilen Wegwerf-Atemschutz-Masken wie man sie von Zeitungsfotos aus asiatischen Grossstadtmolochs kennt.
Alles was man von ihm sieht ist die Nase und krause schwarze Haare.

Einer der afrikanischen Juden hier, die nicht viel zu melden haben.
Das silbern glänzende grosse iPhone ist ein Fremdkörper in seinen Händen.

Er drückt auf der Seite, auf den Home Knopf wischt über den Bildschirm, es scheint nicht zu funktionieren, oder die Batterie ist alle, oder er weiss nicht was tun damit.
Oder es lässt sich mit Latexhandschuhen nicht bedienen.

Da geht schon eine Blondine auf ihn zu, Typ Mercedes-SUV-Mommy, die den ganzen Vormittag mit ihren Freundinnen – alle im knallengen orange-schwarzen Pilates-Outfit – im Strassenkaffee sitzt.
Sie zeigt auf’s herrenlose Telefon in seiner weissen Latexhand.
Er nickt und gibt es ihr.
Sie kehrt mit dem iPhone zurück an ihren Tisch.

Es ist offensichtlich nicht ihr’s.
Aber es gehört jemandem wie ihr.
Nicht jemandem wie ihm.

Die Idee der beiden war wohl richtig: wenn jemand das Telefon vermisst, wird er wohl anrufen, oder gar zurückkommen und danach suchen.

Eine halbe Stunde später sehe ich die Mutti mit ihrem kleinen 2jhrigen Kind in pinkem Dress das Kaffee verlassen, das Kind spielt mit dem grossen iPhone.

Hätt’s der Strassenputzer nicht besser selber eingesteckt?

So, jetzt hat’s bei uns um die Ecke geknallt. Ein Araber aus dem Norden Israels hat in unserer Strasse um sich geschossen, zwei Menschen getötet, ein Dutzend verletzt, Hunderte traumatisiert. Was für eine abscheuliche Tat.

In einer israelischen Zeitung wunderte man sich, wie der Täter entkommen konnte und warum niemand eingegriffen hat. In Jerusalem hätte sich irgendein Sicherheitsmann/Selbstverteidiger eine Medaille geschossen. Hier auf der Dizengof, unter all den Passanten, hatte offenbar keiner eine Gun im Hosenbund. Dafür liebe ich Tel Aviv. Genau darum leben wir in Tel Aviv.

Doch was ändert sich nun mit diesem Anschlag (Amoklauf?) für mich und für uns?

Ja, wir haben in unserer Wohnung die Krankenwagen, die Polizeisirenen, die Helikopter gehört, und wir haben uns gesorgt, noch bevor die Nachrichten berichteten. Ja, wir sitzen oft in dieser Strasse in Kaffees. Ja, theoretisch hätten wir dort, 10 Minuten Spaziergang die Strasse hinauf, sitzen oder gehen oder stehen können.

Es ist näher. Es ist nicht dasselbe, wie wenn Siedler in der Westbank oder Soldaten in Jerusalem von Arabern erstochen oder überfahren werden.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

G sagt: Was, wenn es unser Stammcafe erwischt hätte..?

Ich sage: Dieser Anschlag ändert gar nichts. Mein Wohlsein oder Unwohlsein hier hat nur in zweiter Linie damit zu tun, an welcher Adresse ein Anschlag passiert. Natürlich, eine Horrorvision wäre, dass wir hier nicht mehr vor die Tür können, ohne um Leib und Leben zu fürchten. Weil es wöchentlich knallt im Stadtzentrum. Aber davon sind wir weit weg. Der israelische Sicherheitsapparat funktioniert zu gut. Und so dramatisch die einzelnen Vorkommnisse sind: es ist kein Volksaufstand. 2 Millionen Araber leben in Israel – ihre Kultur wird diskriminiert und ausgegrenzt, sie haben schlechte Karten in der israelischen Gesellschaft. Aber sie haben fliessend Wasser, Stabilität und Sicherheit. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich hier in der Gegend umschaut. G’s Kosmetikerin kommt ursprünglich aus Gaza, jetzt betreibt sie ein Nagelstudio hier unten auf der Strasse und sagt, sie hätte Jahre gebraucht, um ihren Hass auf Juden abzubauen. Irgendwie hat sie es geschafft, zumindest zwischen den Kulturen zu leben.

Und das ist, was mich viel mehr umtriebt: das Zusammenleben – oder eben leider Gegeneinander-Leben. Das gesellschaftliche Klima hier wird immer und immer toxischer. Möglicherweise, bis es bald nicht mehr auszuhalten ist. Ich höre von manchen, die ihr Leben lang hier waren: ich halte es nicht mehr aus hier. Und sie ziehen weg und eröffnen einen Humus-Laden in Madrid.

Jede neue Gewaltwelle treibt die beiden Völker noch weiter auseinander. Und die, die an der Macht sind, die etwas zu sagen haben, giessen hüben wie drüben Öl ins Feuer. Netanyahu packte auch diese Gelegenheit nun wieder beim Schopf, um bei einem Kurzbesuch am Tatort alle Araber in Israel für den Anschlag mitverantwortlich zu machen.

In der selben Woche verbietet die Regierung – über den Kopf der Bildungskomission hinweg – ein Buch in der Schule, in dem es um die Liebe zwischen einer Jüdin und einem Muslim geht. “Junge Menschen seien naiv und romantisch, sie verstehen das Konzept der Kulturerhaltung noch nicht, man könne sie nicht so verwirren”, liess sich eine Regierungsvertreterin zitieren. Kurz: Schulstoff kann nicht das übergeordnete Konzept der Rassenreinheit unterwandern.

Der Siedlungsbau wird weiter vorangetrieben. Die Zweistaaten-Lösung wird derzeit von niemandem mehr ernsthaft verfolgt oder propagiert…

Anstatt dass man das Zusammenleben lernt und fördert, wird das Auseinanderleben propagiert.

Die Autorin Sibylle Berg hat den Anschlag an der Dizengofstrasse miterlebt, es knallte offenbar unter dem Balkon ihrer Schreibstube hier in Tel Aviv. Sie hat im Affekt eine wehleidige Kolumne für Die Welt geschrieben, in der sie sich von einer eingebildeten heilen Welt verabschiedet.

Berg, die Tel Aviv-Touristin, liess sich von der Offenheit und Weltlichkeit unserer Stadt und ihrer Bewohner verzaubern. Die Realität ist, Tel Aviv ist Teil von Israel. Und Israel ist bis heute gut gefahren mit einer Politik der Unterdrückung und andauernder Demonstration der Stärke gegenüber den Anderen, den Nachbarn. Davon profitiert auch Tel Aviv – darunter leidet auch Tel Aviv.

Was braucht es wohl, um dieses Angst- und Machtgetriebene Gegeneinander-Prinzip zu durchbrechen, dass Israel zu einer neuen Politik findet? Und was braucht es, damit auch die anderen, die Israel hassen, zu einer gemeinsamen Zukunft bereit sind? Ist es schon zu spät dafür? Sitzen wir’s aus? Wird’s erst schlimmer, auf dass es nacher erst recht besser werden kann?

Es ist nicht ein einzelner Anschlag, der mir hier das Leben verleidet. Wenn es mir hier verleidet, ist es wegen der rassistischen Imprägnierung, der Hoffnungslosigkeit und Fantasielosigkeit wenn es ums Zusammenleben mit den anderen, den ‘Cousins’ hier geht.

1 – Unser Nord-Tel Aviv ist schwierig zu fassen.

Nord Tel Aviv ist (unter anderem) ein Spielplatz für Leute, die genauso gut in Europa, Berlin, Zürich, London oder vielleicht sogar so ziemlich überall auf der Welt wohnen könnten.

Nord Tel Avivis wohnen unter anderem hier, weil’s das einzige kleine Fleckchen Land ist im Umfeld von vielen vielen hunderten Kilometern, in dem sich das Leben ein bisschen normal anfühlt.

Natürlich, man lebt hier auch wegen dem nahen Strand, weil die Sonne jahrum scheint, vielleicht weil die Familie hier eine Wohnung besitzt, weil’s Sex-Appeal hat, weil’s mehr knistert als in Europa… Manchmal, wenn ich was getrunken habe, denke ich auch, es ist ein Aussenposten unserer Zivilisation. Das ist auch ein Kick. Als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet. Es ist nicht unbedingt der friedlichste Planet. Aber er hat was zu bieten.

Unser Spielplatz wird toleriert von Rest-Israel. Es macht sich gut nach aussen.

Tatsache ist, unser Leben hier hat praktisch keine Schnittstellen zum Land rundherum, zu Rest-Israel.

Das kann ein Zürcher oder ein Berliner wohl auch über die Schweiz respektive über Deutschland sagen. Nur ist hier in Israel die die Kluft zwischen den beiden Welten viel tiefer – und wenn sich die Verwerfungen zeigen, viel schmerzhafter.

Das Leben im völlig losgelösten Tel Aviv hat schon lange einen Namen: ‚Living in the Bubble’. In der Blase leben. Die Blase ist das säkulare, europäisch linke Tel Aviv, weit weg von Militär und Weihrauch. Der Alltag hier in Nord-Tel Aviv macht es einfach zu vergessen, dass zwischen uns und all dem Wahnsinn rundherum nur ein dünner, arg strapazierter Puffer liegt: Rest-Israel.

 

2 – Jetzt stehen Wahlen an.

Wir sind keine Aktivisten. Uns geht es gut. Wir wollen natürlich, dass das Leben zahlbarer wird, dass Friede gemacht wird … Aber unsere eigentliche tiefste Nord-Tel Aviv Angst: Dass die von Rest-Israel eine rechts-nationalistische Regierung an die Macht wählen, die das Land und die Gesellschaft über die nächsten Jahre noch weiter nach Rechts und in die Agression treibt, was Israel mittelfristig international unmöglich macht…

Israel hat genug von Bibi. So fühlte sich der Wahlkampf in Tel Aviv an.

Dann radelte ich am Sonntag vor der Wahl auf dem Heimweg von der Arbeit durch die lange Ibn Gabirol Strasse. Um sieben Uhr Abends nach der Stosszeit fliesst der Verkehr normalerweise wieder. An diesem Sonntag stauten sich Busse in der Spur Stadteinwärts: Die letzte grosse Kundgebung im Wahlkampf stand an. Die Rechte versammelte sich am Rabin Platz rund um ihre Anführer. Auch Bibi Netanyahu hatte einen Auftritt angekündigt.

Die Busse kamen von überallher, viele auch aus den Siedlungen der Westbank. Sie waren voller Jungs mit Kippas. Frauen mit Kopftüchern führten ihre 5, 6, 7, 8, 9, 10köpfigen Familien die Strasse runter. Kippas und Kopftücher sieht man an einem normalen Tag sehr wenige in Nord-Tel Aviv.

Die Haaretz Zeitung berichtete dass Siedler-Gemeinden aus der Westbank ihre Bewohner aufgefordert hatten, nach Tel Aviv zu reisen. Sie organisierten vom Staat subventionierte Bus-Reisen. Offenbar ist es legal für Siedler-Gemeinden, ihre Bewohner mit Steuergelder zu unterstützen bei Pro-Siedlungspolitik-Demos.

Sprich: Meine Steuergelder werden in die Westbank geführt, wo sie wiederum dafür zahlen, dass Siedler nach Tel Aviv gekarrt werden für eine pro-Siedlungspolitik Massendemo …

Bei dieser Vorstellung steigt ein fauliger Gestank auf aus den Bauhaus-Fundamenten unserer schicken Nord-Telaviv-Bubble.

 

3 – Nach den Wahlen

Die tausenden Siedler in meiner Strasse zu sehen war ein unheimliches Bild.

Wo lebe ich eigentlich hier?

Die Rechte gewinnt die Wahlen – nicht in Tel Aviv, aber in Israel. In Tel Aviv gewinnt die Links/Mitte-Liste mit grossem Abstand … in den arabischen Städten macht die Arabische Liste fantastische Zahlen. In der Westbank gewinnt die Rechte. In Jerusalem die Rechte und die Religiösen …

Wie lange hält unsere Bubble noch?

Wir haben uns Wohnungen in Jaffa angeschaut. Dort in Süd-Tel Aviv gibt es einen verschlafenen Fischerhafen, eine aus schwerem Stein gebaute Altstadt mit pittoresken Gässchen, wo sich zu Sonnenuntergang Brautpaare fürs Hochzeitsfoto aufstellen, es gibt einen Suq, orientalische Architektur, der Muezzin ruft zum Gebet, Männer rauchen Wasserpfeife (nur Männer), sogar eine alte Kreuzfahrerkirche mit Kruzifix und Glockenturm steht oben auf dem Hügel .. und das Wohnen ist viel billiger als im schmerzhaft überteuerten Tel Aviv! Wir könnten uns Meersicht leisten für den Preis unserer 65m2 parterre hier im Norden.

Viele Tel Avivis überlegen sich jetzt, nach Jaffa zu ziehen. Alle, die wir fragen haben eine Meinung dazu, die meisten sind allerdings skeptisch, schauen uns an: “Ja, Wohnungen sind billig, aber wollt ihr das wirklich?” Nicht, dass Jaffa weit weg wäre. Mit dem Fahrrad sind es 10, 15 Minuten ins Stadtzentrum Tel Avivs.

Nur die wenigsten tun es, weil, nun, weil Jaffa eben arabisch ist.

Es wird renoviert und gebaut wie verrückt in Jaffa. Vom Norden, von Tel Aviv her werden Strassenzüge erneuert, Häuser abgerissen, grosse Wohnanlagen neu gebaut, am Strand wurde ein gigantischer Park mit Spielplatz angelegt. Und alle rechnen damit, dass der Boom weitergeht. Dennoch, israelische Israelis ziehen (noch) nicht hin.

 

Jaffa

Unsere Stadt heisst offiziell “Tel Aviv – Jaffa”. Top-Treffer der Bildersuche auf Google nach “Jaffa” …

 

Wir kennen eine, zwei linke Künstlerseelen, die neuerdings in Jaffa leben. Und wir kennen eine gute Handvoll Zugezogene, Diplomaten, NGO Mitarbeiter, Neu-Israelis, die ihre Zelte in Jaffa aufgeschlagen haben. Die Neulinge haben weniger Berührungsangst. Sie haben keine Assoziationen und Erinnerungen an die arabische Stadt, die Jaffa vor wenigen Jahren noch war. Die Expats schicken ihre Kinder sowieso in die private internationale Schule. Sie sind oft auch nur für einige Jahre hier.  Auswärtige reizt der orientalische Charakter Jaffas. Israelis weniger. 

Neue Appartments am Strand (Wohnlagen, die sich hier 15 Minuten nördlich davon keiner mehr leisten kann) werden als günstige Investitionsobjekte angeboten. Nach dem Motto: Jetzt kaufen – und für die nächsten Jahre an Expats vermieten, bis Jaffa komplett ‘saniert’ ist… Jahrzehntelang wurde Jaffa vernachlässigt, noch heute werden Nachbarschaften in Jaffas Süden von Clans regiert, Korruption ist allgegenwärtig. So gehen wenigstens die Geschichten – und irgendwas muss schon dran sein. 

Die alteingesessenen Araber werden verdrängt. Entweder weil sie verkaufen und wegziehen, oder weil sie sich das Leben im sanierten Jaffa nicht mehr leisten können – oder weil sie bei der Wohnungsvergabe übergangen werden. Manche neue Projekte würden exklusiv für jüdische Mieter entwickelt, liest man.

Im Norden Jaffas ist die ‘Entwicklung’ bald abgeschlossen. Der arabische Stil der Nachbarschaft ist als hübsche Kulisse aufbereitet für Touristen und boomendes Nachtleben – doch Araber arbeiten bestenfalls noch in den Shops. Einige Strassenzüge weiter im Süden wird ein Haus nach dem anderen, eine Strasse um die andere saniert.

Ein klarer Fall von Gentrifizierung! Das gibt’s doch auch im Berliner Kreuzberg, wo die zugezogenen Süddeutschen die Türken weg-renovieren.

Doch der Vergleich mit der Gentrfifizierung in anderen Metropolen hinkt.

Die Vertreibung hunderttausender Palästinenser im ‘Unabhängigkeitskrieg’ von 1948 (die Palästinenser nennen den Krieg ‘Nakba’, die Katastrophe), die Siedlungspolitik seit 1967 in den besetzten Gebieten, das Ignorieren und mehr oder weniger subtile Abwürgen arabischer Kultur in Israel .. diese Sünden der israelischen Entwicklung, für die sich hier vielleicht die Linke interessiert aber die von den meisten ausgeblendet oder schöngeredet werden, Sünden, für die Israel in der internationalen Agenda ein ums andere Mal Haue kassiert, diese Sünden liegen wie ein Schatten auf dem aufgehübschten Jaffa. Allerlei Gespenster wohnen in den Schatten der schicken Neubauten. Man weiss nicht, unter welchen Umständen dieses oder jenes Landstück für Neubauten freigemacht wurde.

Die Gentrifizierung Jaffas ist nur oberflächlich ein ökonomisches Phänomen. Die Stadt gehörte den Arabern. Aber die Juden haben jetzt das Sagen. Die Araber werden bestenfalls behandelt wie in der Schweiz oder in Deutschland Zugezogene, wie ungeliebte Einwanderer oder Flüchtlinge, die ihre Würde und Würdigkeit immer neu beweisen müssen. Manchmal werden sie besser behandelt, manchmal schlechter, sie bekommen Unterstützung von Bürgergruppen … am Ende müssen sie sich komplett anpassen, oder sie ziehen den Kürzeren. Weil die ‘Leitkultur’ eine andere ist. Israel hat die Palästinenser zu Fremden in ihrem eigenen Land gemacht. Und sie werden immer fremder.

Jetzt ist Jaffa fällig. 

Im Abschiedsartikel der NZZ-Korrespondentin geht es um Jaffa.

Der letzte Artikel von Monika Bolliger aus Israel – leicht missverständlich hoffnungsvoll aufgemacht mit ‘Israels gemischte Stadt‘ – zeigt über weite Strecken die unschöne Seite von ‘gemischt’ in Israel. Wie das Zusammenleben hier eben oft ein Gegeneinanderleben von Arabern und Juden ist.

 

Top-Treffer Bildersuche nach "Tel Aviv"

.. und Top-Treffer Bildersuche auf Google nach “Tel Aviv”.

 

Der Artikel beschreibt Jaffa, meint aber Israel. Unter anderem besucht die NZZ-Journalistin eine Yeshiva, eine (private) religiös-nationalistische jüdische Schule, die unlängst mitten in Jaffa etabliert wurde: „Die Yeshiva hier in Jaffa sei wichtig, um die jüdische Präsenz zu stärken, wird uns erklärt; nicht nur gegenüber den Arabern, sondern auch gegenüber den säkularen Juden, die in Jaffa lebten.“

Die Anschieber der Yeshiva – das Personal kommt offenbar aus Siedlungen im Westjordanland – hatten wohl eine schreckliche Vision: Sie sahen ein Jaffa der Koexistenz heranwachsen … Wo gibt’s denn sowas! rufen sie aus, Hört mal, das ist Israel hier! Israel ist kein Experiment in Völkerverständigung! Hier muss ein jüdischer Staat zementiert werden. Wir zeigen euch wie das geht. 

Diese Siedler-Mentalität macht mich ganz direkt betroffen.  

Alle sind gleich, aber wir sind besser.

Ich bin der nicht-Araber und nicht-Jude. Für mich sehen auch Juden arabischer Herkunft gerne mal arabisch aus. (Während der Israeli den Araber Araber im Dunkeln mit geschlossenen Augen erkennt.) Ich schätze Jaffa für den Mix der Kulturen, den es dort (noch) gibt. Ich gehe in Jaffa aus zum Essen und freue mich, wenn ich Schwein vom Grill auf der Karte finde.

Die Siedler, die politische Rechte will keinen Mix der Kulturen – und die meisten Israelis glauben nicht daran, dass Offenheit funktionieren kann.  

Unsereins hat hier in Israel wenig Lobby.

Sollten die Rechten im März in der Regierung zulegen, dann werden sie das Judengesetz durchs Parlament drücken: In diesem viel diskutierten Zusatz im Grundgesetz soll festgeschrieben werden, dass Israel ganz zuerst jüdischer Staat ist. Ergo, dass alles nicht-jüdische vielleicht geduldet wird aber eigentlich un-israelisch ist. Es wäre eine Steilvorlage für Diskriminierung aller Art. Von der israelischen Linken wird das Gesetz als un-demokratisch vehement zurückgewiesen.

Unmittelbar würde sich wohl mit dem neuen Gesetz nichts ändern, denn Israel funktioniert bereits weitgehend nach diesem Prinzip. Schon jetzt, beklagen sich Bewohner Jaffas im NZZ Artikel, fördert der Staat jüdische Schulen und einige Zentren für Koexistenz – aber keine arabischen Initiativen.

Kommentatoren sehen das Gesetz auch als Vorbereitung auf die ‘Einstaaten-Lösung’. (Die ‘Einstaaten-Lösung’ ist das grammatikalische Gegenstück zur ‘Zweistaaten-Lösung’, derzeit noch mehr eine Worthülse als echtes politisches Programm.) Das Gesetz soll zur Absicherung dienen, es soll Werkzeug bereitgelegt werden, um den jüdischen Charakter Israels festzunageln, falls in den nächsten Jahren der Anteil palästinensisch/arabischer Israelis wächst. Beispielsweise weil Israel Teile der Westbank annektiert.

So gesehen: wir würden eigentlich ganz gut nach Jaffa passen. 

Wären da nicht all die Gespenster.

Oder existieren diese Gespenster nur in unseren Köpfen? Die Berichte aus erster Hand aus Jaffa sind fast alle positiv. Kein Problem mit den arabischen Nachbarn. Sie seien laut und sie schmeissen den Abfall irgendwohin. Lappalien!

Die beste Geschichte erzählt uns ein schwedischer Diplomat beim Bier in Jaffa, ein blonder Zwei-Meter Schlaks mit Babyface, der mit seiner Familie seit einem Jahr in Jaffa lebt. Gelangweilte Strassenkids aus der Nachbarschaft schmissen Steine gegen sein Wohnzimmerfenster. Er eilte nach draussen und verpasste den Kids auf Arabisch eine Standpauke – die wussten nicht wie ihnen geschieht, dass der lange Blonde Arabisch spricht. Sie grüssen ihn jetzt, sagt er, wie einen Ausserirdischen.

Trotzdem.

Wie’s aussieht ziehen wir nicht nach Jaffa. Weil weil dies den täglichen Arbeitsweg um 15-20 Minuten verlängern würde. Und weil wir nicht aus Tel Aviv wegziehen wollen… noch etwas, was Expats nicht haben: nostalgische Heimat-Gefühle für die Betonklötze Tel Avivs.

Wir schauen uns jetzt wieder Wohnungen hier im guten alten Norden an.

Hier im Alten Norden hält die Tel Aviver ‘Bubble’ alle bösen Gespenster fern. Hier wohnen die Ärzte, die High-Tech Yuppies und die DINKS, die Startup-Millionäre und die Erben. Hier kaufen die vor dem Antisemitismus / Steuerfahnder geflüchteten Franzosen ihre teuren Appartements (und lassen sie dann 11 Monate im Jahr leer stehen). Hier wird die Gay-Pride Schwulenparade gefeiert. Hier wohnen keine Araber – und keine Religionsschüler. Palästina scheint von hier genauso weit weg wie von Zürich (der Lärm rund um die Raketen aus Gaza ist im Alltag schnell wieder vergessen). Hier – zwanzig Minuten von Jaffa mit dem Rad den Strand hoch – hier zeigt Israel sein beinahe europäisches Gesicht. Es gibt französische Patisserie, italienische Pizza, Sushi und Gruyère beim Deli… weltoffen, säkular …

Nach Jaffa werden wir weiterhin fahren, um guten Hummus und Fisch zu essen. Für ein paar Stunden fühlen uns wie Touristen in der eigenen Stadt – dann kehren wir zurück in unsere Bubble.

 

Bei uns zuhause geht das Internet nicht mehr. In der Service-Hotline warten 78 Anrufer vor uns. “Wegen der Situation bitten wir um Verständis für lange Wartezeiten”. “Die Situation” (hebr: “HaMatzav”) ist natürlich kein Unwetter oder Stromausfall, sondern dass zehntausende Israelis in die Armee eingezogen wurden, um der Hamas den Garaus zu machen. Dass ausgerechnet jetzt unser Internet aussteigt, wo viele Service-Mitarbeiter im Krieg stecken, ist einfach nur Pech.

Gestern verbrachten wir den Nachmittag bei zwei Flaschen Weissem mit Freunden in einem kleinen Bistro am Meer. Einmal ging die Sirene los, wir fanden mit den anderen Restaurantbesuchern und Angestellten Schutz im Hauptquartier der Hafenpolizei. Es donnerte zwei, drei Mal – dann ging’s zurück zum Tisch und zur zweiten Flasche.

Hoch am blauen Himmel über uns schwebte ein kleines weisses Wölkchen aufs Meer hinaus, das Rauchzeichen einer der abgefangenen Raketen.

Weisses Wölkchen

Weisses Wölkchen. Rauchzeichen aus Gaza.

Man gewöhnt sich an alles?

Die ‘anti-israelische’ linke Tageszeitung Haaretz hatte sogar einen Waffen-Experten gefunden, der den Raketenschutzschild, die Eisenkuppel (hebräisch: Eisen-Kippa), als Propagandavehikel abtut. Derart irreal scheinen die Raketen aus Gaza, nach Dutzenden folgenlosen Alarmen und Explosionen, dass man denken könnte, es kommt gar nix aus Gaza hier an. Die Eisenkuppel beschert uns nur immer mal wieder einen zünftigen Bumms im blauen Himmel, damit wir ja nicht einen Krieg in Frage stellen. Verschwörungstheorien und Gerüchte haben Hochkultur.

Heute wurde ein Dutzend toter Israelische Soldaten gemeldet. Das ist neu.

Und wie seit Tagen immer mehr tote Palästinenser. Hunderte.

Wie alle haben wir Freunde, die für die ‘Operation’ eingezogen wurden. Wie kommen die zurück? Wann?

Die israelischen TV-Stationen zeigen praktisch rund um die Uhr News – auch wenn es kaum etwas zu zeigen und zu melden gibt.

In den Abendnachrichten zeigen sie anti-israelische Demos in Paris, London, Sri Lanka, der ganzen Welt. Es scheint unwirklich, dass sich die ganze Welt für uns hier und für die Palästinenser interessieren soll.

Davor zeigen sie in den Nachrichten die Demos in Tel Aviv und Haifa, wo die nationalistische Rechte die Friedensdemos angreift, Israelis brüllen “Tod den Arabern” in die TV-Kameras, die Linke diagnostiziert einen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft.

Jemand schreibt, es sei eine Stimmung wie vor der Ermordung Rabins.

Der Ruf nach ‘Vernichtung’ Gazas scheint salonfähig. Natürlich meint das niemand ‘wirklich’. Es soll einfach die Hoffnungslosigkeit der Situation ausdrücken.

Nur die ‘anti-israelische’ linke Haaretz-Zeitung zeigt immer mal wieder auch auf die israelische Regierung als Mit-schuldige an der Katastrophe. Alle anderen zeigen nach Süden auf die Hamas. “Wir tun alles, um zivile Opfer zu vermeiden …” Das stimmt wohl schon. Nur, dass es zum Krieg kommt ist das Versagen der Regierung hier und der ganzen Welt.

Tel Aviv verliert seine Leichtigkeit.

Nicht nur für mich, scheint mir. Es gibt freie Parkplätze in unserer Gegend. Freie Tische am Mittag im Restaurant am Baselplatz. Die Gesichter der Leute auf der Strasse scheinen mir ernster. Der Verkehr weniger dicht. Die vorbeifahrenden Busse besonders leer. Die Diskussionen sind weniger laut.

Ach, und wegen unserem Internet: “Biglal HaMatzav” (“wegen der Situation”) kann kostenlos und unlimitiert im mobilen Internet gesurft werden. Auch alle PayTV-Kanäle wurden offenbar freigeschaltet für alle. Sogar die Banken seien nachsichtig mit säumigen Schuldnern.

Man muss ja irgendwie weitermachen, trotz “der Situation”.

Der «Playboy» ist auch nicht mehr, was er mal war. Trotzdem. Hier, in unserem kleinen französischen Cafe Colette an der Baselstrasse, wo altes Tel Aviver Geld verkehrt und Internetmillionäre sich breit machen; wo man im Mercato Gruyère, Brie und Pasta al Tartufo shoppt; im Haus neben unserem Buchhändler Chaim, wo man den New Yorker und die französische oder amerikanische Vogue mitnimmt; in der Strasse, wo es für Jungmütter und Grosseltern eine ganze Reihe Boutiquen mit Accessoires und Babyklamotten für Enkel/Kinder gibt (beinahe-chic, billig gemacht und überteuert wie das meiste in Tel Aviv); wo zwar nicht Nespresso Maschinen und Kapseln verkauft, aber die Kopie EspressoClub; in unserem unschuldigen kleinen Café Colette geführt von der Riesigen Matrone, wo je nach Wochentag der schwule gepiercte Schlaks mit den kurzen graumelierten Haaren und dem Modebart, oder die kleine süsse Studentin (knapp 18 und bald in der Armee) mit den weit auseinanderliegenden Mandelaugen, servieren; keine fünfzehn Minuten weg vom Orthodoxenquartier, wo die Männer mit Hut andere Frauen nicht mal ansehen, wenn sie mit ihnen sprechen, wo sich am Shabbes niemand mit dem Auto reinfahren traut, weil niemand ungestraft die biblische Ruhe bricht… In dem Kaffee hier also liegt der Playboy auf.

Es liegt einfach mehr drin hier. Es kommt so oft so viel so überraschend zusammen hier, im Kleinen wie im Grossen. Charakter zeigen fällt nicht auf. Kein Profil zeigen fällt auf. Dafür liebe ich das Leben hier. (Die Croissants im Colette sind anständig, das Frühstück ist nicht besonders toll im Vergleich, aber es ist der einzige Ort wo ich den Cafe Americano trinke ohne das kleine Milchkännchen anzurühren, lang, schwarz, kein bisschen bitter.)

Die Startup-Szene in der «Bubble» ist unglaublich heiss. Ich war an einem Startup-Apéro, wo ein grosser Accelerator oder Venture-wasauchimmer zu Drinks geladen hatte. Ich war in Startup-Werkstätten. Ich war bei Startup-Präsentationen. Und ich war auch bei denen, die es geschafft haben, die jetzt im Büro im siebten Stock mit Blick aufs Meer sitzen. Bei denen, die an AOL oder Reuters verkauft haben. Bei denen, die Millionen zahlender Nutzer auf ihren Diensten haben. Bei denen spreche ich vor, weil sie ja vielleicht einen Job haben für mich.

Mit den anderen – mit denen, die gerade «in between» sind, weil sie ihre Firma verkauft oder gegen die Wand gefahren haben – sitze ich in der Sonne beim Kaffee und tausche mich aus, was man als nächstes machen müsste. Man droppt Namen von Bekannten, von neuen Projekten, die man vom Hörensagen kennt, von unglaublichen Erfolgsgeschichten etc.

Es ist wie in Hollywood mit den Schauspielern. In jedem Arbeitslosen hier steckt ein kleiner Mark Zuckerberg. Es ist ja nur Internet! Kann ja jeder einen Blog schreiben oder sonst erfolgreich sein. Ich habe auch ein paar Leute kennengelernt, die eine Idee und Kohle haben. Die heuern Entwickler an. Und die werden dann enttäuscht, weil der russische Student, den sie per Skype angestellt haben, die geniale Idee nicht zu einem genialen Produkt macht.

Das Aussenministerium hat beschlossen, Israel künftig unter dem Label «Creative Energy» zu vermarkten. Der gute Ruf des aufregenden, zukunftsgerichteten Tel Aviv soll sich auf ganz Israel übertragen. Ich stelle derweil je länger je mehr fest, dass ich gar nicht in Israel lebe – sondern in Nord Tel Aviv. Das Quartier hier wurde in der Zeitung auch schon so charakterisiert, dass hier die israelischen Internet-Millionäre das süsse Nichtstun geniessen. Manchmal, wenn ich hier im Kaffee sitze, fühle ich mich deshalb auch ein bisschen wie ein Internet-Millionär. Am Montag habe ich ein Vorstellungsgespräch im hohen Norden Israels bei einem Sandalenproduzenten. Es würde mir gut tun, regelmässig aus der Bubble rauszukommen.

Stell dir vor, es ist Silvester – und keiner geht hin. Ein Freund, auch ein Zugezogener, wünscht mir guten Rutsch und frohe Feier, «obwohl die Pinguine oder Kohlesäcke versuchen, den Silvester abzuklemmen». Pinguine und Kohlesäcke sind charmante geläufige Übernamen hier für die Orthodoxen, die am 17. September schon ihr Neujahr 5773 feierten.

Tatsächlich sind 31. Dezember und 1. Januar keine offiziellen Feiertage. Doch Tel Aviv feiert zu gerne, jüdischer Kalender hin oder her. Obwohl alle am Tag darauf früh zur Arbeit müssen, steigen hier und dort Silvester-Partys. Wir sind mit anderen Internationalen zu einer Feier mit argentinischem Catering und einer afrikanischen Band eingeladen. Man findet hier garantiert immer eine Festgesellschaft. (So höre ich von Freunden, dass an Weihnachten in Nazareth ganz schön die Post abgeht. Irgendwann fahren wir da mal hin am 24. Dezember. Und irgendwann will ich auch die Neujahrs-Feier der Orthodoxen Christen sehen.)

Auf dass 2013 ein friedliches Jahr wird mit Gesundheit! Glück! Freude!
Es guets Nois!