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Religion

Wir haben ja jetzt einen Sohn.

Mit ihm waren wir die letzten Wochen oft am Strand.
Er ist der einzige mit Vorhaut.

(In der Umkleid eim Gym ziehe ich die Vorhaut zurück, um nicht ganz offensichtlich aufzufallen.)

Unter anderem waren wir mit Freunden am Strand, die haben einen 2.5 jährigen Jungen. Er hat das kleinste Schnäbi was ich je gesehen habe – es sieht aus wie ein zweiter Bauchnabel.
Da habe ich Gabi gesagt: ich erinnere mich an früher, beim Duschen, wenn überhaupt, dann fällt ein besonders Grosser oder Kleiner auf.

Details?

Das hatte mich nicht interessiert. Vor allem: Jeder Pimmel sieht ja wieder anders aus. Und je nach Wassertemperatur auch!!

Gut, wenn alle, wirklich 100% alle beschnitten sind, und man hat noch nie einen unbeschnittenen Penis gesehen, dann schaut dann ein unbeschnittener wohl schon etwas anders aus der Wäsche. Unsere Freunde sind schon neugierig, wenn sie den riesigen unbeschnittenen Poller unseres Sohns sehen.

Noch was ist mir in den Sinn gekommen um die Bedenken von G meiner Frau zu beruhigen: Jungs reden viiiiiel weniger über ihren Körper als Mädchen. Da haben Frauen möglicherweise einen verzerrten Blick und übertriebene Ängste.

Ich kann mich nicht erinnern, je über Penisköpfe mit Freunden gesprochen zu haben.
Es ist lustig, jetzt darüber zu tratschen. Ich spreche es mit einigen Freunden an, hier und in der Schweiz.

Gespräche mit Freunden hier haben bisher jedenfalls alle so geendet dass sie sagten: kein Problem.

Ab kann er’s ja im Übrigen auch später noch schneiden.

Trotz Monaten in der Sprachschule reicht mein Hebräisch noch nicht viel weiter als bis ‘Kaffee schwarz’. Schriftlich kommuniziere ich mit Hilfe von Google’s Übersetzungs-App. Telefongespräche vermeide ich nach Möglichkeit. Was unter anderem ein Handicap ist, weil hier viel, gerne und günstig Essen nach Hause bestellt wird.

Letzte Woche, home alone, rief ich bei Domino’s an und bestellte eine PIzza (irgendwann musste ich mich dieser Situation stellen).

Eine hungrige halbe Ewigkeit nach dem Anruf kam eine SMS von unbekannter Nummer und ich liess Google übersetzen. “Domino’s Apostel wird gleich mit Dir sein,” wurde mir verkündet. Natürlich! Heiliges Land! Ich jubilierte. Der Apostel brachte mir eine Familienpizza mit Peperoni – blieb aber nicht zum Essen.

 

 

Ich habe nie so gut gegessen wie in den letzten 18 Monaten hier in Israel. Das ganze Jahr über gibt’s im Supermarkt taufrisches, reifes Gemüse und Obst aus lokaler Produktion. Tel Aviv ist voll fantastischer Restaurants, die auch köstlich (un-koschere) Meeresfrüchte zu zahlbaren Preisen servieren. Un-koschere Supermärkte und Delis führen von Crevetten über Salami bis zu original Gruyère. Dass ‘koscher’ für viele wichtig ist, begegnet mir jeweils völlig unerwartet.

Die dicke Frau hinter der Fleischtheke im Coop diskutiert mit einer Kundin. Ich verstehe nur einige rohe Brocken des Gesprächs. Immerhin.

Die beiden lassen sich Zeit.
Die blassroten Koteletts in der Auslage sehen aus wie vom Schwein!
Ist das möglich?

Wir kaufen immer im un-koscheren Coop ein. Hier gibt’s auch gefrorene Crevetten und anderes Unheiliges mehr. Dass der Laden aber auch Schweinefleisch führt, wusste ich nicht. Die Schweinezucht ist verboten auf israelischem Grund und Boden, das heilige Land darf per Gesetz nicht von den unreinen Sauen betreten werden. (Der Trick: Man hält die Tiere auf einem Holzrost über Boden.)

Ich unterbreche die beiden Damen und frage: “Excuse me, was ist das für Fleisch?”
Die Kundin, eine stämmige bleiche Frau, wohl irgendwo im grauen Osten unter Sowjetherrschaft aufgewachsen, mustert mich misstrauisch und antwortet erstmal gar nichts.

Ich versuche es noch einmal: “Speak english..? Was ist das hier..?” sage ich, und zeige auf die üppigen Koteletts und Steaks.

Sie kuckt mich an, als spielte ich ihr einen bösen Streich.
Sie wendet sich wieder der Verkäuferin zu, die beiden tauschen sich kurz aus.

Dann sagt sie zu mir: “Pork?”
Ich habe sie beim Schwein kaufen erwischt.
Sie sagt es gleich noch einmal: “Pork.”
Ich nicke, freue mich, bedanke mich, lächle, damit sie nicht meint, ich hätte was gegen Schwein, oder gegen sie, die Schwein kauft.
Sie bestellt daraufhin sechs Stück der schweren Koteletts.
Dann kaufe ich eins für mich.

Eine Freundin von der Ulpan, Chinesin, erzählte mir, dass sie alle Luken ihrer kleinen Wohnung dicht macht, wenn sie für ihren israelischen Freund unkoschere Crevetten brät. Damit die Nachbarn nichts mitbekommen. Dann klingelte es eines Tages an der Tür, als sie gerade eine Portion sündige Crevetten im Wok brät: Der Postmann! Sie sagt, für einen Moment geriet sie in Panik. – Dabei ist das hierzulande einfach eine Frage des Umgangs. Viele unserer Freunde lieben Crevetten, nicht wenige freuen sich über einen Cervelat.

Ich brate mir mein Kotelett zuhause in der Pfanne an und lasse es im heissen Ofen schön durchziehen. Gabi fragt mich am nächsten Tag, ob das koschere Schweinskotelett anders schmeckt. Ich meine, es hat schon anders geschmeckt als eine Schweizer Sau.

Ob die Schweine in Israel wohl geschächtet werden…? – Ich sollte mal im Coop nachfragen.

Koscher Schwein

Diese Woche waren wir bei der Hochzeitsfeier von guten Freunden auf einer traumhaften Dachterrasse in der Altstadt Jaffas. Es war eine unorthodoxe Angelegenheit. Eingeladen waren nur 120 Gäste statt der obligaten drei-, vier- oder fünfhundert, die hier in Israel üblicherweise die Hochzeitshallen füllen. Niemand vor Ort nahm den Rabbi ernst. Kaum jemand trug Kippa, die Frauen waren unzüchtig gekleidet, zeigten Schultern und Bein.

Der untersetzte bärtige Rav unbestimmbaren Alters krampfte sich mit einem aufgesetzten Lächeln durch die auf knapp zehn Minuten abgekürzte Zeremonie. Der Bräutigam stand mit dunkler sportlicher Sonnenbrille unter der Chuppah neben seiner weiss verschleierten Frau, der Wind vom offenen Meer blies ihm zwei Mal während der Zeremonie die weisse geliehene Kippa vom Kopf.

Der Vater des Bräutigams verweigerte sich der Zeremonie ganz und erschien nicht unter der Chuppah. Die Schwester des Bräutigams hatte sich vor kurzem scheiden lassen. Die jüdische Scheidung ist eine erniedrigende Angelegenheit für die Frau. Sie muss sich von ihrem (Ex-)Mann in einer Zeremonie wegschicken lassen – vor einem Rabbiner, der die Scheidung vollzieht und die Papiere ausstellt, und in Anwesenheit von zwei Zeugen. Je nach Schule muss der Mann ihr sagen, sie sei nichts mehr wert, und in ihre Richtung spucken.

Das Schlusswort des Rabbis wurde vom brüllend lauten ‘La Bamba’ aus den Lautsprechern erschlagen. Der Rabbi schob sich mit leicht angewidertem Gesicht durch die sündige Gästeschar. Dann wurden Crevetten serviert. Ein Sakrileg. Meeresfrüchte sind unkoscher – und somit an einem Hochzeitsfest nicht erlaubt.

Es war ein Freitag, wir schauten von der über dem Hafen gelegenen Terrasse zu, wie die rote Sonne im Meer versank. Shabbat begann, wir tanzten, die Band spielte weiter, der Alkohol floss in Strömen, es wurde spät.

Wir glauben trotzdem an eine lange, glückliche Ehe unserer Freunde. Ich bin überzeugt, mein Lieber Gott freute sich über die unbeschwerte, ausgelassene Partystimmung.

Ich lese die Meldung aus der Kabinetts-Sitzung der israelischen Regierung wieder und wieder:

7. The Cabinet decided to continue support, in partnership with the Jewish Agency for Israel, of the “Morasha” program, which is designed to introduce Jewish students from around the world, aged 17-30, to the State of Israel and the Jewish People and prevent assimilation via a two-year course of studies to enrich their knowledge of Judaism and Israel.

Ich lese: Die Regierung unterstützt ein Programm, um der ‘Assimilation’ jüdischer Studenten im Ausland entgegenzuwirken. Sprich: um die jüdische Identität und die Identifikation mit israel zu fördern. In meinem kleinen europäischen Kopf ist Assimilation und Integration bisher nur im politischen Kontext der lärmigen Integrationsdebatte in Deutschland und in der Schweiz vorgekommen. Integration als hohes Ziel für alle. Hässliches Stichwort: Leitkultur.

Deutschland schimpft auf die Türken, die sich nicht integrieren. Die Linke fordert von der Regierung mehr Integrationsprogramme, die über Sprachkurse hinausgehen. Die israelische Regierung unterstützt Programme zur Verhinderung von Assimilation im Ausland. Ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke. (Gleichzeitig gibt es natürlich hier im Einwandererland Israel sehr weitreichende Programme zur Integration und Assimilation der vielen Einwanderer. Wobei nicht-jüdische Einwanderer konsequent diskriminiert werden. Was damit beginnt, dass de facto nur jüdische Einwanderer als ‘Einwanderer’ gelten.)

Ob die Türkei ähnliche Programme zur Verhinderung von Assimilation in Berlin-Kreuzberg unterstützt? – Wie … ist das kein fairer Vergleich? – Ist es besser vergleichbar mit Unterstützung aus dem Vatikan für katholische Jugendprogramme, draussen in der Welt?

In den letzten Wochen kochte die Diskussion hoch, ob die Ultra-Orthodoxen – und die Araber – auch in die Armee gehören. Bis heute sind sie vom Militärdienst ausgenommen. Die Araber weil .. nun ja, weil sie der Feind sind. Die Ultra-Orthodoxen darum, weil sie ihr Leben voll und ganz dem religiösen Studium widmen – vom Staat bezahlt.

Der Leitartikler der Zeitung Ma’ariv schlägt jetzt als Lösung vor: Man solle all die Orthodoxen sehr wohl einziehen zum Armeedienst und sie dann als “spirituelle Aussenposten” an der Grenze zu Libanon im Norden und Ägypten im Süden einsetzen. Dort können sie in aller Ruhe ihr Tora-Studium weitertreiben. Gottes Schutz den Landesgrenzen!

Was bedrückend ist: Die radikale Isolation dieser Sphären der israelischen Gesellschaft (und die ungleiche Verteilung der Rechte und Pflichten). Und der Staat sieht es offensichtlich nicht als seine Aufgabe, für Einheit und Gleichheit der israelischen Bürger zu sorgen.