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Typisch Israel

“In Israel fühl ich mich sicherer als in Europa” – die letzten Jahre hörte ich das immer dann, wenn’s in Deutschland oder Frankreich Terroranschläge auf jüdische Ziele gab. Ich dachte immer: so ein Stuss (jiddisch für ‘Unsinn’), das ist doch Äpfel mit Birnen verglichen.

Jetzt hör ich’s wieder dass Leute sagen hier sei’s viel sicherer als irgendwo sonst. Israel macht die Grenze dicht, um Corona draussen zu halten. Das ist machbar hier, denn der einzige echte Grenzübergang ist der am Ben Gurion Flughafen. Und da weiss man genau wer wann woher kommt und kann Corona-Verdächtige gleich postwendend zurückschicken.

“Recht so”, sagen viele, so bleiben wir gesund.

Flüge nach Asien und ins verseuchte Europa gibt’s kaum mehr. (Nur in die USA wird weiter fleissig gereist, denn dort hat Netanyahu’s Intimus Donald Trump ja die Coronakrise zu 100% vorhergesehen und alles unter Kontrolle. Da kann man die Amerikaner natürlich nicht auf eine Seuchenliste setzen zusammen mit den Europäern und den Asiaten. Oder erst mit vornehmer Verzögerung, jedenfalls.)

Nur: Kann sich das kleine Israel mit einem strikten Quarantänen-Regime wirklich raushalten? No way. Das Virus ist ja längst hier.

Und mir wäre lieber, die Fliegerei ginge weiter, denn wenn hier das chronisch überlastete Gesundheitswesen unter der Last tausender Coronapatienten kollabiert in ca 2 Wochen, hätte ich gerne die Option kurz in die Schweiz zu fliegen. Da stehen bestimmt noch einige tausend Beatmungsgeräte als Reserve in Armeekrankenhäusern aus dem kalten Krieg.

“Gesundheit!” allerseits – und immer schön Hände waschen und in die Armbeuge husten und niesen.

‘Are you excited about the rain?’

Fragt mich eine Mitarbeiterin im Büro und lächelt verschmitzt. Ich kuck sie verwundert an.

‘Wollte nur sehen wie Israelisch du schon bist …’ schiebt sie hinterher.

Lustig, dachte ich, gerade gestern kam ich mir recht Israelisch vor, als 400 Raketen aus Gaza in unsre Richtung zischten, und ich das zwar unangenehm, aber irgendwie normal fand. That’s life. So israelisch wie ich dachte, bin ich aber offensichtlich noch nicht – die Aufregung und den Aufruhr über die Regentage im Winter kann ich (noch?) nicht mitfühlen.

Meine Sorge wegen der Raketen war: Was sagen wir unsrem 3jährigen Sohn, wenn das Sirenengeheul losgeht und wir uns unterm Tisch (oder ähnlich) in Sicherheit bringen müssen? 

Im Kindergarten hatten sie’s neulich vom Leuchtturm kam mir dann in den Sinn, und wie das Leuchtfeuer oben auf dem Turm im Sturm hilft die Schiffe in Sicherheit zu bringen. Vielleicht sollten wir ihm sagen, dass die Sirene uns anzeigt, dass gleich ein Sturm kommt mit Blitz und Donner und dass wir uns wie die Schiffe auf dem Meer in Sicherheit bringen müssen … 

Wäre das eine erlaubte Lüge um unsreren Sohn noch nicht über die bösen Araber aufklären zu müssen?

Dann flogen in der Nacht aber (noch) keine der 400 Raketen bis nach Tel Aviv. 

Und am Morgen ist er ja dann im Kindergarten. Was die ihm wohl erzählen wenn das Geheul losgeht? Ich muss morgen die Kindergärtnerin fragen…. 

Morgen krieg ich eine Führung durch den Golan von meinem Freund R, ein echter Israelveteran, gute 60 Jahre alt, mit 20 aus der Schweiz weg nach Israel, seit 30 Jahren Reiseführer hier. Ein alter Krieger, wie man so salopp sagt. Wir fahren in den Golan, ein bisschen Syrienkucken, Wein probieren, Ruinen abklopfen. Er kennt hier jeden Stein.

Und er hat was zu erzählen.

Bis zu seinem ersten Krieg war er ganz schön Rechts, sagt er von sich selbst. Dann, nach dem Erlebnis mit dem Töten und getötet werden, wurde ihm anders. Heute ist er eine linke Socke. Israeli-Links.

Ich sage ich bringe Sandwiches mit, und er sagt Schinken. Und ich sage Schinken-Käse, doppelt unkoscher genäht hält besser.

Wer weiss, bei guter Sicht sehen wir vielleicht Damaskus.

Von Norden her machen die Türken mit Panzern eine Tour in Syrien, stand heute in den Schlagzeilen.

Ich bereite noch eine Playlist vor.

Kann ich Wagners ‘Walküre’ spielen? Ich stelle mir vor, das wird so ein ‘Apocalypse Now’-Moment auf dem Aussichtspunkt mit Blick nach Syrien (und Libanon). “I love the smell of Napalm in the early morning”. Im israelischen iTunes-Shop gibt’s Wagner, aber in Israel ist es verboten, Wagner zu spielen. Nibelungennazischwein.

Muss ja nicht sein.
Nick Cave passt glaube ich ganz gut, God is in the House.

Ich wurde eingeladen, einen Vortrag zu halten über die kulturellen Unterschiede zwischen Israel und der Schweiz. Der Kontext: Das israelische Management einer israelischen HighTech-Firma versteht die Entscheide ihres Schweizer Mutterkonzerns nicht.

Die Israelis fragen sich: ‘Warum wollen die Schweizer unsere Projekte nicht? Wir haben doch so gute Ideen!’ Israelis haben immer gute Ideen – und sie wollen ihre Ideen umsetzen. Konzepte schreiben, Machbarkeitsstudien? Fehlanzeige. Los! Machen!

Die Aufgabenstellung an mich, wie ich die Einladung zum ‘Cultural Differences’-Workshop als Schweizer verstehe: Kulturelle Unterschiede aufzeigen, Verständnis schaffen für den Anderen und das Andere, interkultureller Dialog …

Als Israeli verstehe ich: Ich soll bitte bitte ein Rezept liefern, wo und wie man beim Schweizer den Hebel ansetzen muss. (Und gerne bestätigen, dass dass die Schweizer langsam und zögerlich sind.)

Am Ende leite ich eine knapp zweistündige Session währendder wir viel über die Eigenheiten beider Länder lachen. Über die korrekten Schweizer und die wilden Israelis.

Mein Lieblingsmoment kommt, als die Manager fragen, wie man denn einem Schweizer eine Meinung entlockt. ‘Was meint der Schweizer, wenn er sagt er hat keine Meinung?’ fragen sie. Ich sage: ‘Möglicherweise hat er keine Meinung.’ Die Israelis denken ich scherze – sie können’s nicht glauben dass jemand ‘keine Meinung’ hat.

Dann wird ein konkretes Projekt angesprochen, was vom Schweizer Hauptsitz nicht genehmigt wird. Da frage ich: ‘Versteht ihr denn, warum die Schweizer das nicht wollten?’ Sie sagen: ‘Ja, es ist ein logischer Entscheid: zu viel Risiko.’

Natürlich will der Israeli trotzdem ran. Es ist nicht so dass er das Risiko nicht sieht – er nimmt es einfach in Kauf.

Der CEO, eine Israelin, sagt gegen Ende: ‘Das hört sich ja an als leben wir im Dschungel!’

Die runde lacht laut – und etwas stolz auch.

So, jetzt hat’s bei uns um die Ecke geknallt. Ein Araber aus dem Norden Israels hat in unserer Strasse um sich geschossen, zwei Menschen getötet, ein Dutzend verletzt, Hunderte traumatisiert. Was für eine abscheuliche Tat.

In einer israelischen Zeitung wunderte man sich, wie der Täter entkommen konnte und warum niemand eingegriffen hat. In Jerusalem hätte sich irgendein Sicherheitsmann/Selbstverteidiger eine Medaille geschossen. Hier auf der Dizengof, unter all den Passanten, hatte offenbar keiner eine Gun im Hosenbund. Dafür liebe ich Tel Aviv. Genau darum leben wir in Tel Aviv.

Doch was ändert sich nun mit diesem Anschlag (Amoklauf?) für mich und für uns?

Ja, wir haben in unserer Wohnung die Krankenwagen, die Polizeisirenen, die Helikopter gehört, und wir haben uns gesorgt, noch bevor die Nachrichten berichteten. Ja, wir sitzen oft in dieser Strasse in Kaffees. Ja, theoretisch hätten wir dort, 10 Minuten Spaziergang die Strasse hinauf, sitzen oder gehen oder stehen können.

Es ist näher. Es ist nicht dasselbe, wie wenn Siedler in der Westbank oder Soldaten in Jerusalem von Arabern erstochen oder überfahren werden.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

G sagt: Was, wenn es unser Stammcafe erwischt hätte..?

Ich sage: Dieser Anschlag ändert gar nichts. Mein Wohlsein oder Unwohlsein hier hat nur in zweiter Linie damit zu tun, an welcher Adresse ein Anschlag passiert. Natürlich, eine Horrorvision wäre, dass wir hier nicht mehr vor die Tür können, ohne um Leib und Leben zu fürchten. Weil es wöchentlich knallt im Stadtzentrum. Aber davon sind wir weit weg. Der israelische Sicherheitsapparat funktioniert zu gut. Und so dramatisch die einzelnen Vorkommnisse sind: es ist kein Volksaufstand. 2 Millionen Araber leben in Israel – ihre Kultur wird diskriminiert und ausgegrenzt, sie haben schlechte Karten in der israelischen Gesellschaft. Aber sie haben fliessend Wasser, Stabilität und Sicherheit. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich hier in der Gegend umschaut. G’s Kosmetikerin kommt ursprünglich aus Gaza, jetzt betreibt sie ein Nagelstudio hier unten auf der Strasse und sagt, sie hätte Jahre gebraucht, um ihren Hass auf Juden abzubauen. Irgendwie hat sie es geschafft, zumindest zwischen den Kulturen zu leben.

Und das ist, was mich viel mehr umtriebt: das Zusammenleben – oder eben leider Gegeneinander-Leben. Das gesellschaftliche Klima hier wird immer und immer toxischer. Möglicherweise, bis es bald nicht mehr auszuhalten ist. Ich höre von manchen, die ihr Leben lang hier waren: ich halte es nicht mehr aus hier. Und sie ziehen weg und eröffnen einen Humus-Laden in Madrid.

Jede neue Gewaltwelle treibt die beiden Völker noch weiter auseinander. Und die, die an der Macht sind, die etwas zu sagen haben, giessen hüben wie drüben Öl ins Feuer. Netanyahu packte auch diese Gelegenheit nun wieder beim Schopf, um bei einem Kurzbesuch am Tatort alle Araber in Israel für den Anschlag mitverantwortlich zu machen.

In der selben Woche verbietet die Regierung – über den Kopf der Bildungskomission hinweg – ein Buch in der Schule, in dem es um die Liebe zwischen einer Jüdin und einem Muslim geht. “Junge Menschen seien naiv und romantisch, sie verstehen das Konzept der Kulturerhaltung noch nicht, man könne sie nicht so verwirren”, liess sich eine Regierungsvertreterin zitieren. Kurz: Schulstoff kann nicht das übergeordnete Konzept der Rassenreinheit unterwandern.

Der Siedlungsbau wird weiter vorangetrieben. Die Zweistaaten-Lösung wird derzeit von niemandem mehr ernsthaft verfolgt oder propagiert…

Anstatt dass man das Zusammenleben lernt und fördert, wird das Auseinanderleben propagiert.

Die Autorin Sibylle Berg hat den Anschlag an der Dizengofstrasse miterlebt, es knallte offenbar unter dem Balkon ihrer Schreibstube hier in Tel Aviv. Sie hat im Affekt eine wehleidige Kolumne für Die Welt geschrieben, in der sie sich von einer eingebildeten heilen Welt verabschiedet.

Berg, die Tel Aviv-Touristin, liess sich von der Offenheit und Weltlichkeit unserer Stadt und ihrer Bewohner verzaubern. Die Realität ist, Tel Aviv ist Teil von Israel. Und Israel ist bis heute gut gefahren mit einer Politik der Unterdrückung und andauernder Demonstration der Stärke gegenüber den Anderen, den Nachbarn. Davon profitiert auch Tel Aviv – darunter leidet auch Tel Aviv.

Was braucht es wohl, um dieses Angst- und Machtgetriebene Gegeneinander-Prinzip zu durchbrechen, dass Israel zu einer neuen Politik findet? Und was braucht es, damit auch die anderen, die Israel hassen, zu einer gemeinsamen Zukunft bereit sind? Ist es schon zu spät dafür? Sitzen wir’s aus? Wird’s erst schlimmer, auf dass es nacher erst recht besser werden kann?

Es ist nicht ein einzelner Anschlag, der mir hier das Leben verleidet. Wenn es mir hier verleidet, ist es wegen der rassistischen Imprägnierung, der Hoffnungslosigkeit und Fantasielosigkeit wenn es ums Zusammenleben mit den anderen, den ‘Cousins’ hier geht.

“Na, was denkt ihr, wie reagieren die Pariser Bohemiens in ihren Cafes heute früh, wenn ein Araber die Tür aufstösst..?”

“Was — ah — die Bohemiens sitzen gar nicht in ihren Cafes heute Morgen?”

“Wird Europa die syrischen Flüchtlinge weiterhin mit offenen Armen empfangen?”

“Willkommen in der Realität!”

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Die Krise mit den syrischen Flüchtlingen hatte hier für Schlagzeilen gesorgt. Die Israelis haben nicht verstanden, wie man einfach so die Tür aufhalten kann.

Ich werkelte die letzten Wochen an einem Blogpost mit der Pointe: Europa ist stark, die Israelis sind Rassisten und verstehen nichts von Menschlichkeit. Die Araber sind auch nur Menschen wie du und ich.

Dieser Terroranschlag wird die Sache mit den Flüchtlingen und der Integration nicht einfacher machen. Doch nach dem ersten Schock sind es natürlich genau die ‘europäischen Werte’, auf die wir jetzt unsere Hoffnung setzen müssen.

Auf dass Kinder nicht lernen, instinktiv die Strassenseite zu wechseln wenn sie einem Araber begegnen. Auf dass die Bohemiens nicht zweimal hingucken, wenn ein Araber die Tür des Cafés aufstösst.

Das Ende des Syrien-Blogposts ging so: Hoffen wir, dass Europa stark genug ist, die Flüchtlinge einzuschliessen in die Gesellschaft. Und dass die Flüchtlinge bereit sind, Europäische Werte zu akzeptieren.

Hoffen wir’s.

Vor vier Jahren kam ich her und war überzeugt, der Nahe Osten würde von Europa lernen, von der Prosperität dank Toleranz und respektvollem Zusammenleben und offener Grenzen. Hoffte auf Bahnreisen nach Beirut, Tel Aviv, Damaskus, Amman, Kairo.

Es war mitten im Arabischen Frühling!

Es war Arabischer Frühling in Europa.

Hier sagten alle: vergiss die Träumereien.

Im Moment sieht es tatsächlich nach dem Gegenteil aus und Europa lernt von Israel, wie man sich hermetisch abschottet.

Die Israelis schlagen mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch und rufen: Jetzt seht ihr dann mal, wie das ist mit denen. Wir haben’s euch immer gesagt! Schon heute werden ja Teile von Frankreich und England von Muslimen und islamischem Recht kontrolliert. Viel Glück dabei, mit Samthandschuhen Terroristen zu stoppen. Ihr Naivlinge! Europa hat gut moralisch referieren, solange die Pufferzonen funktionieren. Und solange die Politik des langen Armes funktioniert: den ‘anderen’ mit ganz weit ausgestreckten Arm die Hand zu reichen .. etc. etc.

Der Israeli sieht in jedem syrischen Flüchtling einen potenziellen Terroristen. (Hier kennt man auch nur die Flüchtlinge aus den eigenen Kriegen – die Palästinenser, die zurück wollen, wo jetzt Juden ihr Haus gebaut haben.)

Ich verteidige Europa, spreche von Integration, Investition .. denke an flüchtige Professoren, Lehrer, Frisöre, die nichts sehnlicher wollen, als ein normales aufgeklärtes Leben.

Hoffen wir, dass Europa stark genug ist, die Flüchtlinge einzuschliessen in die Gesellschaft. Und dass die Flüchtlinge bereit sind, Europäische Werte zu akzeptieren.

“Speck, Schinken und Wurst ist krebserregend”, diese WHO-Meldung macht Schlagzeilen. Die Juden haben’s ja schon immer gewusst, denke ich, die ganzen unkoscheren Schweinereien sind nicht gut für uns. Die Bibel. Die Bibel weiss es eben.

Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Stimmung passiert mir das Unverzeihliche: Ich serviere unseren Freunden M und L meine feine selbstgemachte Bolognese. Sie waren schon öfter bei uns zum Essen, auch zum Grill mit Schweizer Würsten und anderen Leckereien.

Die ersten Bissen Bolognese sind gegessen, da sagt M: MMhh das schmeckt aber fein, was hast du da reingemacht?

Ich sage: Rindfleisch …
… und ein bisschen Speck zur Würze.

Er sagt einen Moment lang gar nichts.

Dann lacht seine Frau ihr lautes Lachen.
Und sie ruft: Yes! Yes! Yes! Speck! Schweinefleisch!

Er sagt ruhig: Es musste ja mal soweit kommen.

Sie steht auf und jubelt.

Er ignoriert sie. Sagt: Aber es schmeckt so verdammt gut, ich werde das jetzt essen. Weil Du es bist, und er hebt sein Weinglas in meine Richtung.

Mir wird heiss und kalt gleichzeitig.

Er zu ihr weiter: Aber das ändert gar nichts bei uns zu Hause.
Offenbar will sie auch mal mit Speck – und er ohne.
Sie kocht gerne.

Er tut es ausdrücklich mir zuliebe?

Ich bin gerührt.
Ich schäme mich für meinen Fauxpas. Ich war überzeugt dass er sich nicht um die Koscher-Geschichte schert.

Er isst es für mich. Wenn ich es nicht wäre, dann würde er es nicht essen.
Ist das seine Art zu sagen: Du bist also imfall Schuld?

Ich werde also in der Hölle schmoren.

Oder er?

Wird er in der Hölle schmoren? Ich vermute, er wird entschuldigt, weil er es ja für mich gemacht hat, einen ahnungslosen, gemeinen Christen. Er hat es aus Liebe zu mir gemacht…

Im selben Moment fährt mir die ganze Tragweite dieser Situation ein: Genau darum sollten Juden keine Nicht-Juden heiraten. Genau darum muss Israel rein bleiben, so jüdisch wie möglich. Darum werde ich beim Boarding von El Al Sicherheitsmitarbeitern mit unangenehmen Fragen kleingemacht, das Handgepäck durchsucht, damit ich am liebsten woanders hinfliegen würde.

Meine Frau hätte mit dem richtigen Mann auf den richtigen Weg zurückgefunden!!

Doch wie’s gekommen ist, sitze ich jetzt hier mit aufrichtigen guten Juden am Tisch, füttere sie mit Speck, versorge sie an einem anderen Abend mit Bratwurst und Cervelat (Schweinedarm!).

Und beim Kaffee stelle ich Fragen nach der Menschlichkeit der israelischen Politik.

Meine Anwesenheit hier erodiert das Fundament Israels!

Heute Nachmittag im Park, wo wir vom Strand zurück nach Hause bummeln, passieren wir nicht nur die Fitness-Gruppen und Yogi-Zirkel, die auf der grünen Wiese Hintern straffen, wir sehen auch ein gutes Dutzend Leute im Kreis unter Anleitung Krav Maga üben, die legendäre israelische Selbstverteidigungstechnik.

Ich sage zu G: ‘Da üben sie Palästinenser töten.’

Sie: ‘Nein, bei Krav Maga geht’s nur um Selbstverteidigung.’

In der Zeitung stand geschrieben: es werden jetzt kostenlose Krav Maga Kurse angeboten. Wegen der “Situation”. Damit sich jeder gegen messerstechende Palästinenser wehren kann.

Eine neue Runde der Gewalt eskaliert, wir haben wieder eine “Situation”. Wie letzten Sommer die Raketen aus Gaza. Diesmal gibt es aber keinen Iron Dome, keinen Schutzschild, keine Sirenen, keine Warnungen, jeder ist auf sich allein gestellt: Palästinenser, meist junge Männer, Teenager, aber auch Frauen, gehen auf der Strasse mit Messern (oder auch einem Schraubenzieher) auf Israelis los und stechen so viele wie möglich ab, bevor sie selbst erschossen werden.

Palästinensische Teenager stürmen so in den (fast) sicheren Tod.
In den Heldentod, der Jungfrauen im Jenseits verspricht, und ewiges Leben als Märtyrer auf Facebook.

Die jungen Araber sind getrieben von ihrer Kultur Juden zu hassen, und Israel vernichten zu wollen. Das sagen die Rechten. – Sie tun es aus Frust und Verzweiflung über die israelische Besatzung, sagen die Linken.

Die israelische Gesellschaft reagiert komplett psychotisch auf diese neue Form des Terrors.

Unter anderem werden die Bedingungen für den Waffenerwerb gelockert.

Waffennarren aus ganz Israel polieren jetzt ihre Schiesseisen, nehmen sich ein paar Tage frei, und pilgern zu den Hotspots – beispielsweise in die Altstadt Jerusalems – in der Hoffnung einen Arber mit Messer abknallen zu können. Helden!

Das ist übertrieben.
Aber so fühlt es sich in etwa an.

Die Diskussion darüber, wer wann schiessen darf, wird geführt, im Fernsehen diskutieren Experten den Abend weg, Politiker profilieren sich zum Thema. Doch auf der Strasse, in der Praxis, scheint es keine Zweifel zu geben: Ein Palästinenser mit Messer gehört abgeknallt. Der will es ja so! Der weiss ja was ihm blüht! Soll er eben nicht mit Messer auf Israelis losgehen. Wie, der Polizist soll noch seine Gesundheit riskieren und sich bemühen ihn festzunehmen? Was denn noch!?!

(Was, nach Rechtsstaat verlangt ihr? Ihr Europäer werdet schon sehen wie das ist, wenn die hunderttausenden syrischen Flüchtlinge in ein paar Monaten mal kurz Luft geholt haben, um dann ihren Hass auf euch zu entladen. Dann unterhalten wir uns wieder. – So tönt’s von vielen Israelis.)

Neulich im Zug: Eine Gruppe Soldatinnen, Mädchen in Uniform, glauben plötzlich, der Araber im Abteil nebenan habe ein Messer. Sie rufen: „Da sitz ein Terrorist!“ Ein Offizier, ein Abteil weiter, springt auf, zögert nicht, zieht seine Pistole und schiesst in die Luft. Das Chaos ist perfekt. Notbremse. Grossaufgebot der Polizei. Der Zug wird evakuiert … falscher Alarm.

Noch so eine traurig groteske Meldung: In der letzten Woche sind zwei Mal Juden mit Messer auf Araber losgegangen. Um Rache zu nehmen. Der eine von ihnen hatte sich aber beim Aussuchen seines Opfers vertan. Er schrie wohl ‘Stirb, Araber!’ und stach zu – es stellte sich heraus, dass er nicht einen Ahmed sondern einen Moshe erwischt hatte, der wie ein Ahmed aussah.

Bekannte von uns betreiben ein Bed and Breakfast am Rande Jerusalems. Letzte Woche waren drei Araber aus einem arabischen Dorf im Norden Israels zu Gast. Die Araber, Zahnärzte die beruflich in Jerusalem zu tun hatten, fragten beim Einchecken: ‘Ist es sicher hier für uns?’ Alle haben Angst.

Das Szenario von letztem Jahr wiederholt sich auf der politischen Bühne: Die Rechten und mit ihnen die Siedler in der Westbank schreien Zetermordio – und lachen sich ins Fäustchen. Denn jetzt können sie sich endlich mal wieder richtig um die Palästinenser in der Westbank kümmern. Dörfer abriegeln, Durchsuchungen, Checkpoints aufbauen … Und man wusste es ja immer schon: seht nur, die Palästinenser sind wie Tiere, sie achten das Leben nicht! Wie soll man mit so jemandem verhandeln!

In wen soll man Hoffnung setzen? In die eine Gesellschaft, wo Teenager mit Messern ausziehen um als mordende Volkshelden zu sterben; oder in die andere Gesellschaft, die ihre Stärke und Überlegenheit rücksichtslos nur zum eigenen Vorteil nutzt … Das Bedrückende ist, dass die Menschlichkeit hüben wie drüben verloren geht. Wer den Anderen nicht mehr als Mensch sieht, macht sich selbst zum Unmenschen.

Wir haben ja jetzt einen Sohn.

Mit ihm waren wir die letzten Wochen oft am Strand.
Er ist der einzige mit Vorhaut.

(In der Umkleid eim Gym ziehe ich die Vorhaut zurück, um nicht ganz offensichtlich aufzufallen.)

Unter anderem waren wir mit Freunden am Strand, die haben einen 2.5 jährigen Jungen. Er hat das kleinste Schnäbi was ich je gesehen habe – es sieht aus wie ein zweiter Bauchnabel.
Da habe ich Gabi gesagt: ich erinnere mich an früher, beim Duschen, wenn überhaupt, dann fällt ein besonders Grosser oder Kleiner auf.

Details?

Das hatte mich nicht interessiert. Vor allem: Jeder Pimmel sieht ja wieder anders aus. Und je nach Wassertemperatur auch!!

Gut, wenn alle, wirklich 100% alle beschnitten sind, und man hat noch nie einen unbeschnittenen Penis gesehen, dann schaut dann ein unbeschnittener wohl schon etwas anders aus der Wäsche. Unsere Freunde sind schon neugierig, wenn sie den riesigen unbeschnittenen Poller unseres Sohns sehen.

Noch was ist mir in den Sinn gekommen um die Bedenken von G meiner Frau zu beruhigen: Jungs reden viiiiiel weniger über ihren Körper als Mädchen. Da haben Frauen möglicherweise einen verzerrten Blick und übertriebene Ängste.

Ich kann mich nicht erinnern, je über Penisköpfe mit Freunden gesprochen zu haben.
Es ist lustig, jetzt darüber zu tratschen. Ich spreche es mit einigen Freunden an, hier und in der Schweiz.

Gespräche mit Freunden hier haben bisher jedenfalls alle so geendet dass sie sagten: kein Problem.

Ab kann er’s ja im Übrigen auch später noch schneiden.