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Typisch Israel

Die israelische Fluglinie El Al wirbt auf Hebräisch mit dem Claim ‘Wie Zuhause in der Welt’. Nach einer Woche in Zürich freute ich mich nicht unbedingt auf den Rückflug, aber doch auf mein Zuhause.

Nach der 5minütigen obligatorischen El Al Sicherheitsbefragung am Gate in Zürich – ich war stolz, dass ich das Interview auf Hebräisch bestanden hatte, ich fühlte mich ein bisschen schon wie zuhause – sagte der israelische Security mit Pokerface zu mir „We have to do an extra-check. You can sit here“.

Ich setzte mich und wartete. Ich hasse die Willkür von Türstehern, Gorillas, Sicherheitsdiensten. Und ich kenne die Routine: El Al / Israel hat eigene Leute, die sämtliche Reisende vor dem Boarding befragen. Je nach Antworten, Nachnamen, vielleicht auch Wetter oder Tagesform werden dann einzelne Subjekte einem ‘extra-check’ unterzogen. Willkommen zuhause.

Es geht natürlich um die Flugsicherheit – doch es fühlt sich nicht so an.

Die Fragen der Sicherheitsleute sind so entworfen, dass sie zwangsläufig alle jene diskriminieren, die nicht jüdisch und in Israel geboren sind. Freunde hier versichern mir, dass sie auch gefilzt werden, es diene nur der Sicherheit, man dürfe es nicht persönlich nehmen …

“Hast du Freunde in Israel?” hatte er mich gefragt.
“Ja, viele,” lachte ich. Was sollte diese Frage?
“Wie heissen sie?”
Das Lachen verging mir.

“Ahmed, Mohammed, Yasser … ” wollte ich sagen, um ihm etwas zu Denken zu geben “… und Friedensaktivist Hans Z. aus Bern.”

Ich dachte wieder wie unheimlich es ist, dass ich noch immer keinen einzigen Araber kennengelernt habe. Seit bald vier Jahren in Israel.

Im Interview hatte er mich auch ausgefragt: Wo wir wohnen, ob wir Kinder haben …

“Woher ist deine Frau?”
“Israel.”
“Und die Eltern?”
“Israel.”

Wenn ihre Eltern vor 70 Jahren in Israel geboren wurden, ist die Chance gross dass sie Palästinenser sind – zumal der Familiennamen meiner Frau nicht Cohen oder Birnbaum ist.

Verdächtig.

Es ist beleidigend. Ich lebe seit bald vier Jahren in Israel, arbeite fleissig für wenig Geld, bezahle die hohe Wohnungsmiete, um in dem einen teuren Viertel in Israel zu leben, zu dem ich Schweizer problemlos kompatibel bin, ich schaffe Werte, mache Freunde, stecke den ganzen Kriegsscheiss weg – und die behandeln mich, als begehre ich Einlass in einen elitären Club.

“Wo hast du Hebräisch gelernt?” eine beliebte Frage. Oft eine der ersten.
“In Israel.”
“Aha.“

Ich bin mir sicher, das übersetzt sich in Sicherheitsdeutsch zur Antwort: ‘Er ist nicht mit Hebräisch aufgewachsen, also nicht jüdisch aufgewachsen, also möglicherweise gar kein Jude, also möglicherweise ein Feind.’

Manchmal setzen sie noch nach:
“Gar kein Hebräisch als Kind..?”
“Nein”

Ein Goy.
Warum würde ein Goy freiwillig nach Israel ziehen?

Alarm.

“Wie lange dauert’s noch, bis du einen israelischen Pass hast?” wieder eine Frage, die ich noch nicht kannte.
“Ich glaube drei, vier Jahre.”
“Aber das geht doch schneller, wenn du konvertierst?”
“Ich konvertiere nicht.”

Alarm.

Im Pass sind meine Ferien in Jordanien, und zwei Reisen in die Türkei vermerkt.

Alarm.

Alarm!

Nach 20 Minuten werde ich aufgerufen. Ich muss in’s Räumchen, mein Handgepäck wird ausgepackt und ausgelegt, auf Sprengstoffspuren untersucht.

Der Typ hört nicht auf zu quatschen, stellt mir erst dieselben Fragen wie sein Kollege und als ich ihm sage ich hätte sämtliche Fragen beantwortet und hätte die Schnauze voll davon, versucht er mich krampfhaft auf andere Art in ein Gespräch zu verwickeln und Informationen abzurufen.

Er erzählt mir, dass Hebräisch eine einfache und sehr alte Sprache sei und dass Sprachen je moderner je komplizierter sind – ich verklemme mir den Kommentar, dass das moderne Hebräisch erst knappe 100 Jahre alt ist. (Das wäre ja wie an der ewig alten Geschichte und Bestimmung der Juden zu kratzen.)

Er legt mir noch einen Köder aus, er erzählt mir von einer Sprachschule die seine Mutter gegründet habe, die auch Arabisch unterrichtet … Ja, ich würde gerne Arabisch lernen. Ich verklemme mir jeden Kommentar. Ich will einfach nur auf den Flieger. Nach Hause.

„Ich verstehe nicht, warum jemand in Israel Arabisch lernen sollte …“ hätte die Prozedur wohl abgekürzt. Oder „Wenn ich Arabisch höre, läuft mir jedesmal kalt den Rücken runter …“

Mitten in der Untersuchung erreicht den Gorilla ein Funkspruch, dass auch mein eingechecktes Gepäck geöffnet werde. Die drei Gläser Ovo-Schoko-Brotaufstrich würden entnommen und in eine Spezialbox zur Spedition verladen.

In meinem Gepäck ausserdem: Bratwürste und Weisswürste.

Sie sollten mich gar nicht mitnehmen, denke ich frustriert. Nicht genug dass ich, Unbeschnittener, eine propere Israelin vom auserwählten Volk verführte, ihr ein Kind machte, ich versorge ausserdem das heilige Land mit Schweinefleisch, schere mich einen Dreck um’s Konvertieren und unterwandere das herrschende Schokoladenmonopol. Auch wenn ich kein Terrorist bin – ich trage dazu bei, dass die Traditionen und Sitten im heiligen Land verludern, dass der jüdische Staat etwas un-jüdischer wird. Und als Christ bin ich als potenzieller Antisemit geboren.

Die Sonne Israels zieht eben nicht nur Juden an. Aber wo kommen wir denn hin, wenn immer mehr nicht-Juden ins gelobte Land ziehen wollen..? Plötzlich sind die Juden wieder in der Minderheit.

Der Claim von El Al auf Englisch: ‘It’s not just an airline. It’s Israel.’

Natürlich, Sicherheit hat nicht nur konkrete Funde zu liefern, es geht auch um eine Demonstration der Sicherheit. Die Israelis beherrschen das Metier meisterhaft. Das israelische System leistet nahezu perfekte Kontrolle und Abschreckung, es ist in Sachen Sicherheitsapparat wohl das beste was die Welt je gesehen hat. Der Preis, den man dafür zahlt, ist schwierig zu benennen. Bei mir sind es 20 unangenehme Minuten am Flughafen – andere zahlen einen unendlich viel höheren Preis.

Beliebter machen sich die Israelis damit nicht. Aber sie halten so ihr Nest sauber, könnte man sagen, und das ist ja die primäre Absicht… Doch in diesen Momenten stelle ich mir die Frage: Will ich wirklich in diesem sauberen Nest hocken..?

1 – Unser Nord-Tel Aviv ist schwierig zu fassen.

Nord Tel Aviv ist (unter anderem) ein Spielplatz für Leute, die genauso gut in Europa, Berlin, Zürich, London oder vielleicht sogar so ziemlich überall auf der Welt wohnen könnten.

Nord Tel Avivis wohnen unter anderem hier, weil’s das einzige kleine Fleckchen Land ist im Umfeld von vielen vielen hunderten Kilometern, in dem sich das Leben ein bisschen normal anfühlt.

Natürlich, man lebt hier auch wegen dem nahen Strand, weil die Sonne jahrum scheint, vielleicht weil die Familie hier eine Wohnung besitzt, weil’s Sex-Appeal hat, weil’s mehr knistert als in Europa… Manchmal, wenn ich was getrunken habe, denke ich auch, es ist ein Aussenposten unserer Zivilisation. Das ist auch ein Kick. Als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet. Es ist nicht unbedingt der friedlichste Planet. Aber er hat was zu bieten.

Unser Spielplatz wird toleriert von Rest-Israel. Es macht sich gut nach aussen.

Tatsache ist, unser Leben hier hat praktisch keine Schnittstellen zum Land rundherum, zu Rest-Israel.

Das kann ein Zürcher oder ein Berliner wohl auch über die Schweiz respektive über Deutschland sagen. Nur ist hier in Israel die die Kluft zwischen den beiden Welten viel tiefer – und wenn sich die Verwerfungen zeigen, viel schmerzhafter.

Das Leben im völlig losgelösten Tel Aviv hat schon lange einen Namen: ‚Living in the Bubble’. In der Blase leben. Die Blase ist das säkulare, europäisch linke Tel Aviv, weit weg von Militär und Weihrauch. Der Alltag hier in Nord-Tel Aviv macht es einfach zu vergessen, dass zwischen uns und all dem Wahnsinn rundherum nur ein dünner, arg strapazierter Puffer liegt: Rest-Israel.

 

2 – Jetzt stehen Wahlen an.

Wir sind keine Aktivisten. Uns geht es gut. Wir wollen natürlich, dass das Leben zahlbarer wird, dass Friede gemacht wird … Aber unsere eigentliche tiefste Nord-Tel Aviv Angst: Dass die von Rest-Israel eine rechts-nationalistische Regierung an die Macht wählen, die das Land und die Gesellschaft über die nächsten Jahre noch weiter nach Rechts und in die Agression treibt, was Israel mittelfristig international unmöglich macht…

Israel hat genug von Bibi. So fühlte sich der Wahlkampf in Tel Aviv an.

Dann radelte ich am Sonntag vor der Wahl auf dem Heimweg von der Arbeit durch die lange Ibn Gabirol Strasse. Um sieben Uhr Abends nach der Stosszeit fliesst der Verkehr normalerweise wieder. An diesem Sonntag stauten sich Busse in der Spur Stadteinwärts: Die letzte grosse Kundgebung im Wahlkampf stand an. Die Rechte versammelte sich am Rabin Platz rund um ihre Anführer. Auch Bibi Netanyahu hatte einen Auftritt angekündigt.

Die Busse kamen von überallher, viele auch aus den Siedlungen der Westbank. Sie waren voller Jungs mit Kippas. Frauen mit Kopftüchern führten ihre 5, 6, 7, 8, 9, 10köpfigen Familien die Strasse runter. Kippas und Kopftücher sieht man an einem normalen Tag sehr wenige in Nord-Tel Aviv.

Die Haaretz Zeitung berichtete dass Siedler-Gemeinden aus der Westbank ihre Bewohner aufgefordert hatten, nach Tel Aviv zu reisen. Sie organisierten vom Staat subventionierte Bus-Reisen. Offenbar ist es legal für Siedler-Gemeinden, ihre Bewohner mit Steuergelder zu unterstützen bei Pro-Siedlungspolitik-Demos.

Sprich: Meine Steuergelder werden in die Westbank geführt, wo sie wiederum dafür zahlen, dass Siedler nach Tel Aviv gekarrt werden für eine pro-Siedlungspolitik Massendemo …

Bei dieser Vorstellung steigt ein fauliger Gestank auf aus den Bauhaus-Fundamenten unserer schicken Nord-Telaviv-Bubble.

 

3 – Nach den Wahlen

Die tausenden Siedler in meiner Strasse zu sehen war ein unheimliches Bild.

Wo lebe ich eigentlich hier?

Die Rechte gewinnt die Wahlen – nicht in Tel Aviv, aber in Israel. In Tel Aviv gewinnt die Links/Mitte-Liste mit grossem Abstand … in den arabischen Städten macht die Arabische Liste fantastische Zahlen. In der Westbank gewinnt die Rechte. In Jerusalem die Rechte und die Religiösen …

Wie lange hält unsere Bubble noch?

Wir haben uns Wohnungen in Jaffa angeschaut. Dort in Süd-Tel Aviv gibt es einen verschlafenen Fischerhafen, eine aus schwerem Stein gebaute Altstadt mit pittoresken Gässchen, wo sich zu Sonnenuntergang Brautpaare fürs Hochzeitsfoto aufstellen, es gibt einen Suq, orientalische Architektur, der Muezzin ruft zum Gebet, Männer rauchen Wasserpfeife (nur Männer), sogar eine alte Kreuzfahrerkirche mit Kruzifix und Glockenturm steht oben auf dem Hügel .. und das Wohnen ist viel billiger als im schmerzhaft überteuerten Tel Aviv! Wir könnten uns Meersicht leisten für den Preis unserer 65m2 parterre hier im Norden.

Viele Tel Avivis überlegen sich jetzt, nach Jaffa zu ziehen. Alle, die wir fragen haben eine Meinung dazu, die meisten sind allerdings skeptisch, schauen uns an: “Ja, Wohnungen sind billig, aber wollt ihr das wirklich?” Nicht, dass Jaffa weit weg wäre. Mit dem Fahrrad sind es 10, 15 Minuten ins Stadtzentrum Tel Avivs.

Nur die wenigsten tun es, weil, nun, weil Jaffa eben arabisch ist.

Es wird renoviert und gebaut wie verrückt in Jaffa. Vom Norden, von Tel Aviv her werden Strassenzüge erneuert, Häuser abgerissen, grosse Wohnanlagen neu gebaut, am Strand wurde ein gigantischer Park mit Spielplatz angelegt. Und alle rechnen damit, dass der Boom weitergeht. Dennoch, israelische Israelis ziehen (noch) nicht hin.

 

Jaffa

Unsere Stadt heisst offiziell “Tel Aviv – Jaffa”. Top-Treffer der Bildersuche auf Google nach “Jaffa” …

 

Wir kennen eine, zwei linke Künstlerseelen, die neuerdings in Jaffa leben. Und wir kennen eine gute Handvoll Zugezogene, Diplomaten, NGO Mitarbeiter, Neu-Israelis, die ihre Zelte in Jaffa aufgeschlagen haben. Die Neulinge haben weniger Berührungsangst. Sie haben keine Assoziationen und Erinnerungen an die arabische Stadt, die Jaffa vor wenigen Jahren noch war. Die Expats schicken ihre Kinder sowieso in die private internationale Schule. Sie sind oft auch nur für einige Jahre hier.  Auswärtige reizt der orientalische Charakter Jaffas. Israelis weniger. 

Neue Appartments am Strand (Wohnlagen, die sich hier 15 Minuten nördlich davon keiner mehr leisten kann) werden als günstige Investitionsobjekte angeboten. Nach dem Motto: Jetzt kaufen – und für die nächsten Jahre an Expats vermieten, bis Jaffa komplett ‘saniert’ ist… Jahrzehntelang wurde Jaffa vernachlässigt, noch heute werden Nachbarschaften in Jaffas Süden von Clans regiert, Korruption ist allgegenwärtig. So gehen wenigstens die Geschichten – und irgendwas muss schon dran sein. 

Die alteingesessenen Araber werden verdrängt. Entweder weil sie verkaufen und wegziehen, oder weil sie sich das Leben im sanierten Jaffa nicht mehr leisten können – oder weil sie bei der Wohnungsvergabe übergangen werden. Manche neue Projekte würden exklusiv für jüdische Mieter entwickelt, liest man.

Im Norden Jaffas ist die ‘Entwicklung’ bald abgeschlossen. Der arabische Stil der Nachbarschaft ist als hübsche Kulisse aufbereitet für Touristen und boomendes Nachtleben – doch Araber arbeiten bestenfalls noch in den Shops. Einige Strassenzüge weiter im Süden wird ein Haus nach dem anderen, eine Strasse um die andere saniert.

Ein klarer Fall von Gentrifizierung! Das gibt’s doch auch im Berliner Kreuzberg, wo die zugezogenen Süddeutschen die Türken weg-renovieren.

Doch der Vergleich mit der Gentrfifizierung in anderen Metropolen hinkt.

Die Vertreibung hunderttausender Palästinenser im ‘Unabhängigkeitskrieg’ von 1948 (die Palästinenser nennen den Krieg ‘Nakba’, die Katastrophe), die Siedlungspolitik seit 1967 in den besetzten Gebieten, das Ignorieren und mehr oder weniger subtile Abwürgen arabischer Kultur in Israel .. diese Sünden der israelischen Entwicklung, für die sich hier vielleicht die Linke interessiert aber die von den meisten ausgeblendet oder schöngeredet werden, Sünden, für die Israel in der internationalen Agenda ein ums andere Mal Haue kassiert, diese Sünden liegen wie ein Schatten auf dem aufgehübschten Jaffa. Allerlei Gespenster wohnen in den Schatten der schicken Neubauten. Man weiss nicht, unter welchen Umständen dieses oder jenes Landstück für Neubauten freigemacht wurde.

Die Gentrifizierung Jaffas ist nur oberflächlich ein ökonomisches Phänomen. Die Stadt gehörte den Arabern. Aber die Juden haben jetzt das Sagen. Die Araber werden bestenfalls behandelt wie in der Schweiz oder in Deutschland Zugezogene, wie ungeliebte Einwanderer oder Flüchtlinge, die ihre Würde und Würdigkeit immer neu beweisen müssen. Manchmal werden sie besser behandelt, manchmal schlechter, sie bekommen Unterstützung von Bürgergruppen … am Ende müssen sie sich komplett anpassen, oder sie ziehen den Kürzeren. Weil die ‘Leitkultur’ eine andere ist. Israel hat die Palästinenser zu Fremden in ihrem eigenen Land gemacht. Und sie werden immer fremder.

Jetzt ist Jaffa fällig. 

Im Abschiedsartikel der NZZ-Korrespondentin geht es um Jaffa.

Der letzte Artikel von Monika Bolliger aus Israel – leicht missverständlich hoffnungsvoll aufgemacht mit ‘Israels gemischte Stadt‘ – zeigt über weite Strecken die unschöne Seite von ‘gemischt’ in Israel. Wie das Zusammenleben hier eben oft ein Gegeneinanderleben von Arabern und Juden ist.

 

Top-Treffer Bildersuche nach "Tel Aviv"

.. und Top-Treffer Bildersuche auf Google nach “Tel Aviv”.

 

Der Artikel beschreibt Jaffa, meint aber Israel. Unter anderem besucht die NZZ-Journalistin eine Yeshiva, eine (private) religiös-nationalistische jüdische Schule, die unlängst mitten in Jaffa etabliert wurde: „Die Yeshiva hier in Jaffa sei wichtig, um die jüdische Präsenz zu stärken, wird uns erklärt; nicht nur gegenüber den Arabern, sondern auch gegenüber den säkularen Juden, die in Jaffa lebten.“

Die Anschieber der Yeshiva – das Personal kommt offenbar aus Siedlungen im Westjordanland – hatten wohl eine schreckliche Vision: Sie sahen ein Jaffa der Koexistenz heranwachsen … Wo gibt’s denn sowas! rufen sie aus, Hört mal, das ist Israel hier! Israel ist kein Experiment in Völkerverständigung! Hier muss ein jüdischer Staat zementiert werden. Wir zeigen euch wie das geht. 

Diese Siedler-Mentalität macht mich ganz direkt betroffen.  

Alle sind gleich, aber wir sind besser.

Ich bin der nicht-Araber und nicht-Jude. Für mich sehen auch Juden arabischer Herkunft gerne mal arabisch aus. (Während der Israeli den Araber Araber im Dunkeln mit geschlossenen Augen erkennt.) Ich schätze Jaffa für den Mix der Kulturen, den es dort (noch) gibt. Ich gehe in Jaffa aus zum Essen und freue mich, wenn ich Schwein vom Grill auf der Karte finde.

Die Siedler, die politische Rechte will keinen Mix der Kulturen – und die meisten Israelis glauben nicht daran, dass Offenheit funktionieren kann.  

Unsereins hat hier in Israel wenig Lobby.

Sollten die Rechten im März in der Regierung zulegen, dann werden sie das Judengesetz durchs Parlament drücken: In diesem viel diskutierten Zusatz im Grundgesetz soll festgeschrieben werden, dass Israel ganz zuerst jüdischer Staat ist. Ergo, dass alles nicht-jüdische vielleicht geduldet wird aber eigentlich un-israelisch ist. Es wäre eine Steilvorlage für Diskriminierung aller Art. Von der israelischen Linken wird das Gesetz als un-demokratisch vehement zurückgewiesen.

Unmittelbar würde sich wohl mit dem neuen Gesetz nichts ändern, denn Israel funktioniert bereits weitgehend nach diesem Prinzip. Schon jetzt, beklagen sich Bewohner Jaffas im NZZ Artikel, fördert der Staat jüdische Schulen und einige Zentren für Koexistenz – aber keine arabischen Initiativen.

Kommentatoren sehen das Gesetz auch als Vorbereitung auf die ‘Einstaaten-Lösung’. (Die ‘Einstaaten-Lösung’ ist das grammatikalische Gegenstück zur ‘Zweistaaten-Lösung’, derzeit noch mehr eine Worthülse als echtes politisches Programm.) Das Gesetz soll zur Absicherung dienen, es soll Werkzeug bereitgelegt werden, um den jüdischen Charakter Israels festzunageln, falls in den nächsten Jahren der Anteil palästinensisch/arabischer Israelis wächst. Beispielsweise weil Israel Teile der Westbank annektiert.

So gesehen: wir würden eigentlich ganz gut nach Jaffa passen. 

Wären da nicht all die Gespenster.

Oder existieren diese Gespenster nur in unseren Köpfen? Die Berichte aus erster Hand aus Jaffa sind fast alle positiv. Kein Problem mit den arabischen Nachbarn. Sie seien laut und sie schmeissen den Abfall irgendwohin. Lappalien!

Die beste Geschichte erzählt uns ein schwedischer Diplomat beim Bier in Jaffa, ein blonder Zwei-Meter Schlaks mit Babyface, der mit seiner Familie seit einem Jahr in Jaffa lebt. Gelangweilte Strassenkids aus der Nachbarschaft schmissen Steine gegen sein Wohnzimmerfenster. Er eilte nach draussen und verpasste den Kids auf Arabisch eine Standpauke – die wussten nicht wie ihnen geschieht, dass der lange Blonde Arabisch spricht. Sie grüssen ihn jetzt, sagt er, wie einen Ausserirdischen.

Trotzdem.

Wie’s aussieht ziehen wir nicht nach Jaffa. Weil weil dies den täglichen Arbeitsweg um 15-20 Minuten verlängern würde. Und weil wir nicht aus Tel Aviv wegziehen wollen… noch etwas, was Expats nicht haben: nostalgische Heimat-Gefühle für die Betonklötze Tel Avivs.

Wir schauen uns jetzt wieder Wohnungen hier im guten alten Norden an.

Hier im Alten Norden hält die Tel Aviver ‘Bubble’ alle bösen Gespenster fern. Hier wohnen die Ärzte, die High-Tech Yuppies und die DINKS, die Startup-Millionäre und die Erben. Hier kaufen die vor dem Antisemitismus / Steuerfahnder geflüchteten Franzosen ihre teuren Appartements (und lassen sie dann 11 Monate im Jahr leer stehen). Hier wird die Gay-Pride Schwulenparade gefeiert. Hier wohnen keine Araber – und keine Religionsschüler. Palästina scheint von hier genauso weit weg wie von Zürich (der Lärm rund um die Raketen aus Gaza ist im Alltag schnell wieder vergessen). Hier – zwanzig Minuten von Jaffa mit dem Rad den Strand hoch – hier zeigt Israel sein beinahe europäisches Gesicht. Es gibt französische Patisserie, italienische Pizza, Sushi und Gruyère beim Deli… weltoffen, säkular …

Nach Jaffa werden wir weiterhin fahren, um guten Hummus und Fisch zu essen. Für ein paar Stunden fühlen uns wie Touristen in der eigenen Stadt – dann kehren wir zurück in unsere Bubble.

 

Die Regierung Netanyahu provoziert seit Jahren scheints chaotische Schlagzeilen, “Ja zum Friedensprozess”, “Nein zum Friedensprozess”, “Ja zu zwei Staaten”, “Nein zu Palästina”, neulich, kurz vor einem Deutschlandbesuch: “Die Palästinenser sind für den Holocaust verantwortlich” … So konfus dies im Alltag wirken mag, so zielstrebig und konsequent wird hinter diesem Dauerlärm gearbeitet. Das Leitmotiv: Palästinenser gibt es nicht, es gibt nur Araber, und von denen wissen wir ja, wie die sind, also ignorieren wir sie wo es geht, bauen hohe Zäune und versuchen sie so gut es geht zu beschäftigen bis … bis …. bis … ja bis wann?

Irgendwann, in einigen Jahren wird Israel Reservate ausrufen und diese Gebiete den Palästinensern als ‚Palästina’ zur ‚Selbstbestimmung’ überlassen.

Eine Abkehr oder gar Umkehr von diesem Weg scheint hier unmöglich.

Seit Oslo wird die Westbank konsequent ‘zersiedelt’ und jede Minute der ‘Friedensverhandlungen’, jede Minute Status Quo, wird dazu genutzt, Tatsachen zu schaffen.

Ist es nicht am Ende so, dass wir das Schicksal der Indianer zwar bedauern, aber dass wir keine echte Alternative anzubieten haben?

Mit unserer „Toleranz“ und „Offenheit“ gegenüber anderen Kulturen wollen wir doch nur das Beste für alle. Wir wollen dass alle Menschen gleich und frei und glücklich sind.

Wirklich?

Unsere westliche Kultur ist expansiv, sie übernimmt, erleuchtet, befreit – gliedert ein in unser Wirtschaftssytem – und löscht alles andere aus oder verdrängt es bestenfalls in die Folklore. Fortschritt.

Darum geht es uns heute so gut.

Scherut heisst auf Hebräisch “Service”.

Sherutim ist die Mehrzahl: “Services”. 

Sherutim bedeutet aber auch Scheisshaus oder vornehmer: Toilette.

Warum das gut zusammenpasst? Oft ist der Service hier (Dienstleistungen aller Art) verschissen.

Ich habe ein paar gute Freunde, die können sich stundenlang darüber erregen. Besonders die zweite Geschichte, siehe unten, ist beinahe zu gut, um wahr zu sein. Israel pur! Ich schwöre mit Zeugen, es hat sich so zugetragen.

Zum Aufwärmen: Der private Taxibusfahrer gibt mir gestern gegen Ende der Strecke mein Fahrgeld zurück, als die beiden letzten anderen Fahrgäste, zwei Italiener ausgestiegen sind. Er sagt, er fahre nicht bis zur Endstation. Ich solle in den (langsameren) öffentlichen Bus der hinter uns fährt umsteigen.

Ich frag ihn, wo er denn hinfährt. Er gibt mir keine Antwort. Warum auch. Er schmeisst mich ja raus, also was kümmert mich, wo er nachher ohne mich hinfährt..?

Natürlich fährt kein Bus hinter uns her, aber irgendwann wird einer kommen, also steige ich aus. Man hat nicht immer die Lust, Kraft, oder Motivation, auf irgendwas zu beharren. Ich hab ausserdem Zeit, es wartet niemand zuhause ausser die Katze.

Gut, das geht ja noch, mag man jetzt denken, wer will sich schon echauffieren, weil ein armer kleiner alter Privatbusfahrer lieber umdreht und in die lukrativere Innenstadt zurückfährt.

Trotzdem.

Alle die je hier gelebt haben können bestätigen, es ist anstrengend, immer kampfbereit zu sein. Und der andere Taxifahrer neulich, der hat echt noch einen draufgesetzt, den könnte man so schön gar nicht erfinden:

Wir stiegen zu dritt in ein Taxi ein. Es stinkt nach Rauch. Nicht kalter Rauch. Der Fahrer, ein vielleicht vierzig Jahre alter Glatzkopf (wie fast alle Israelis ü35), fläzt in seinem Fahrersitz, ganz zurückgestossen, die Lehne praktisch horizontal. Bequeme Liege. Ein Styroporbecher klemmt am Armaturenbrett.

Auf freundliche Bitte, etwas Beinraum freizumachen sagt er: Lehne kaputt.

Ohne ein Sorry oder irgendwas, wohlgemerkt.

(Mir fällt das fehlende Sorry gar nicht mehr auf, erst wenn ich jetzt so drüber nachdenke: Ungeheuerlich. Aber Achtung, das ist nur der Anfang. Die Pointe kommt noch.)

Wir könnten jetzt protestieren und aussteigen.

Aber man hat nicht immer die Kraft.

Also fahren wir die zehn Minuten mit dem Typen, der ansonsten nicht unfreundlich wirkt. Es kümmert ihn einfach keinen Scheiss, ob man hinter ihm im Taxi sitzen kann oder nicht. Muss ja keiner dort sitzen! (Und Trinkgeld gibt’s ohnehin keines in israelischen Taxis. Man zahlt, was auf dem Meter steht, und manchmal etwas mehr, wenn sie einem mysteriöse Zuschläge wie den Shabbat-Zuschlag am Sonntag oder ähnliches verrechnen – man mag nicht immer kämpfen, also zahlt man die dreivier Schekel auch am Donnerstag extra. Was solls.)

Am Ende der Fahrt bezahlt die Freundin, die ihre langen Beine während der Fahrt wenn nicht grade auf meinem Schoss, denn doch quer auf dem Rücksitz parken musste. Hinter dem Fahrer geht kein Fuss zu Boden.

Sie ist Schweizerin mit viel internationaler Erfahrung auf allen Kontinenten. Und sie kennt den Israeli auch schon ein zweidrei Jahre.

Also fragt sie den Typen auf Englisch: Wie lange ist dein Sitz schon kaputt?

Er sagt: Jetzt kann ichs dir ja sagen, mein Sitz ist nicht kaputt, thats how i drive.

Diese Freunde mögen ihr Leben in Israel in der Regel nicht so gerne.

In diesen Tagen wird die ‚nächste Intifada’ unterdrückt, mit aller Gewalt und Kompromisslosigkeit.

Palästinenser werfen Steine – ein neues Gesetz wurde verabschiedet: es fordert bis zu 20 Jahre Haft für Steinewerfer (so stand es in den Zeitungen).

Doch wie bestraft man jemanden, der aus einem Volk kommt das Märtyrer verehrt? Eine archaische Bestrafung wurde wieder aufgenommen: Man zerstört die Wohnhäuser der Familien von verurteilten / toten Terroristen. (Man hatte das früher auch schon gemacht, aber dann realisiert dass die Familien danach Geld für den Bau eines grösseren schöneren Hauses bekamen.)

Du willst Märtyrer sein?
Also zerstören wir das Leben deiner Familie.

Der letzte ‚Terroranschlag’ der gemeldet wurde: Ein Mann stach mit einem Schraubenzieher einem 35-jährigen Israeli in den Rücken.

Terroranschlag?

Wie unendlich ziellos, frustriert und wütend ist ein Mensch, der sein Leben auf diese Art wegwirft..?

Oder israelisch gedacht: So primitiv und tierisch sind unsere Feinde. Mit solchen Unmenschen kann man nicht verhandeln und schon gar nicht kann man denen das Vertrauen für einen Frieden schenken.

Einen verzweifelteren und hoffnungsloseren Angriff als den mit dem Schraubenzieher kann ich mir nur schwer vorstellen. Andere ‚Terroristen’ haben zweidrei Pssanten überfahren und werden dann auf offener Strasse vom Sicherheitsdienst ‚neutralisiert’ (erschossen). Man spricht von ‚Lone Wolf’ Terrorismus, von einsamen Wölfen…

Eine verzweifeltere Strafe als die Zerstörung des Wohnhauses eines Terroristen kann mich mir auch kaum vorstellen.

Was mir Angst macht, ist nicht der Typ mit dem Schraubenzieher. Was mir Angst macht ist das drohende Ende dieser Spirale aus Gewalt und Verzweiflung und Gewalt und Verzweiflung.

Wo endet diese Spirale? Wie?

Ich kann es mir nicht vorstellen.
Es ist ganz eigentlich unvorstellbar.

Vielleicht: Frieden?

Vielleicht: Ein grosser Knall? Das Ende von zwei drei vier fünf Millionen Israelis und das nächste unermessliche Drama in der Geschichte des jüdischen Volkes? Wer daran glaubt, dass sich Geschichte immer in anderer Form wiederholt muss wohl gelegentlich aus Israel wegziehen.

Bei der von Netanyahu ewig beschworenen Bedrohung durch die “Atom-Macht Iran” geht es genau um diese Angst: Endlich nach Jahrtausenden hat sich das jüdische Volk erstarkt zusammengefunden im Land der Urväter, die Nation prosperiert und ist stark genug sich zu verteidigen. Bis …

Derweil unterdrückt der Staat die ‚nächste Intifada’ mit einer unheimlich beeindruckenden Effizienz und Allmacht. Die Wähler werden es der Regierung danken bei den vorgezogenen Wahlen im März.

In Tel Aviv gibt’s keinen goldenen Herbst, die Baumkronen entlang der Sderots (Boulevards) sind immergrüner Ficus und Palmwedel. Herbst geht so: Kranwagen mit motorsägenden Arbeitern auf Hebebühnen machen die Runde, die mächtigen Baumkronen werden vor dem ersten Wintersturm zurückgeschnitten. Es grünt immer weiter.

Es war sowieso kein goldener Herbst. Die unheimliche Kriegsdüsternis des Sommers blieb hängen lange in den Winter hinein. Es gab keine Zäsur, keinen Frieden, keine Läuterung.

So sehr die Schönwetter-Mantras nerven – von wegen ‚Tel Aviv ist die hipste Party-Stadt der Welt’ und das ‚Silicon Valley des Ostens’ und die ‚Schwulendestination Nummer 1′ – sie stehen auch für eine Realität, die ich vermissen lernte.

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

Diesmal fühlte es sich wirklich so an.

Einige tausend Menschen sind tot und es war als ob es keinen kümmerte. Alles was während und nach dem Krieg in der öffentlichen Diskussion interessierte: Was können Armee und Geheimdienst in der nächsten Schlacht besser machen?

Die viel wichtigere Frage, wie man eine nächste Schlacht vermeiden könnte, blieb und bleibt ungestellt. Oder vielmehr wohl: diese Frage ist derart allgegenwärtig seit 70 Jahren dass alle möglichen Antworten erschöpft scheinen. In den Ohren der Israelis tönt jeder Kommentar wie das dünne kraftlose Echo aus dem Archiv … jaja, das hatten wir schon.

Dieselben Gesichter sind heute an der Macht, hüben wie drüben, und sagen dieselben Dinge wie vor der Schlacht, rechts wie links.

Dann wurden von Netanyahu Neuwahlen ausgerufen, praktisch nahtlos ging es vom Krieg in den Wahlkampf wo sowieso nur noch Personalisierung und Polemik zählen.

Die Lektionen des Sommers sind allesamt deprimierend.

Der unbedingte Glaube an die Überlegenheit und an die Unterdrückung der Anderen als einzige taugliche Strategie sitzt fester denn je. Das Handwerk wurde über Jahrzehnte perfektioniert und hat sich einmal mehr bewährt.

Die Machtdemonstration der israelischen Rechten ist unheimlich. Die ‚Opposition’ hat nichts anzubieten.

Die Fantasie der Leute ist erschöpft. Keiner glaubt daran, dass echter Frieden hergestellt werden könnte, alle geben sich mit dem Status Quo zufrieden. Eine Perspektive ist das nicht. Aber alltagstauglich ist es allemal, denn der Horizont im Alltag ist der nächste Samstag Abend und bis dahin sieht’s gut aus.

Die Toten werden hingenommen. Im eigenen Land wie auch rundherum. „In anderen Konflikten gibt’s ja noch viel mehr Tote.“ Friedensdenker Amos Oz zeigt mit dem Finger auf Europa und auf die zwei Weltkriege „soviel Schaden werden wir garantiert nicht anrichten“ verspricht er in einer Rede.

Israel wird nichts an seiner Strategie ändern.

Es gibt keinen Grund dazu. Die Welt schaut zu. Die USA schicken Geld für Waffen und liefern Rückendeckung in der UNO.

Die kranken Islamisten rundherum verleihen der Strategie zusätzliche Legitimation. Verstanden wird nur Gewalt. Freiheit zählt nichts – und führt nur zu neuer Gewalt.

Irgendwann, in einigen Jahren wird Israel Reservate ausrufen und diese Gebiete den Palästinensern als ‚Palästina’ zur ‚Selbstbestimmung’ überlassen.

Eine Umkehr oder Abkehr von diesem Weg scheint unmöglich.

Die letzten Wochen waren zum Kotzen. Seit ein paar Tagen ist’s nun ruhiger in Tel Aviv und der Alpdruck von dem Krieg löst sich langsam. Diese vier Wochen Krieg haben aber sehr grundsätzliche Fragen aufgeworfen (nicht nur für mich). Es hat sich gezeigt, was es heissen kann, hier die Zukunft zu ‘planen’. Dass man trotz der Bubble und der Eisenkuppel die brenzlige politische Situation nicht für immer ausblenden kann, so angenehm das auch wäre. Das schlimmste war aber, die ultra-nationalistische Seite vieler Israelis zu spüren (komplett unfähig zu Kritik an ihrer Armee und an ihrer Staatsgewalt). Und bei allen friedliebenden tollen Menschen hier: Nach meinem Geschmack finden es zu viele Israelis ok, Araber zu töten.

Jetzt wachen wir mal schnell auf aus diesem bösen Traum – den Luxus haben wir ja hier in Tel Aviv – und hoffen, dass man sich auf beiden Seiten nicht wieder mit einem ‘Waffenstillstand’ zufriedengibt. Dass die Regierung und die Palis und die Welt und alle an echtem Zusammenleben arbeiten.

Am Samstag ist eine PeaceNow Demo, die genau danach verlangt. Nach einem echten Friedensprozess. Wir haben noch nicht entschieden, ob wir hinfahren.

“Bis vor drei Wochen fühlte ich mich hier wie im Paradies,” sagte mir eine junge Türkin. Sie erhält in ein paar Wochen die israelische Staatsbürgerschaft. – Sie sei sich aber ihrer Sache jetzt nicht mehr so sicher.

Hatte sie vor dem Krieg nichts von den Palästinensern in Gaza und der Westbank gewusst? Haben die Israelis nicht immer mehr oder weniger offen gesagt, die einzige Lösung sei, Gaza ins Meer zu kippen (natürlich meinten sie das nicht wirklich, sondern sagten das nur, um ihre Hoffnungslosigkeit zu illustrieren)? Hatte die Neu-Israelin geglaubt, absolute militärische Überlegenheit garantiere ausreichend und nachhaltig Sicherheit und Wohlbefinden? War sie überzeugt dass ‘Deckel draufhalten’ auf Dauer gut geht?

Die Raketenalarme sind erst schockierend, dann mühsam, und jetzt nur noch ein kleiner dummer Running Gag in dieser grossen deprimierenden Kriegsrealität um uns herum. Man ist ja nicht unmittelbar gefährdet hier in Tel Aviv. Die Raketen werden abgefangen von der ‘Eisernen Kippa’, wie der Iron Dome auf Hebräisch heisst. (Und bis jetzt wurden hier in Tel Aviv auch alle anderen Versionen von Tod und Untergang made by Hamas abgewendet.) Aber ist es nicht nur eine Frage der Zeit bis es hier in einer Bar oder in einem Bus knallt..? 

Die täglich, stündlich steigende Zahl Toter und Verletzter in Gaza drücken einem auf die Brust wie ein Albtraum. 

Und das schmerzhafteste (und vielleicht der wahre Schock für die Türkin) ist dass die ganze Leichtigkeit verpufft ist. Israel zeigt ein hässliches Gesicht. Die gefeierte Fassade der Start-up-Nation – Israel als phänomenales High-Tech Center mit dem sexy Schwulenparadies Tel Aviv als Herz und Schrittmacher – diese Kulisse ist erstmal im Theaterhimmel verschwunden.

Israel hat viele zum Teil widersprüchliche Gesichter. Widersprüche stören hier nicht. Das macht Israel oft reizvoll, facettenreich – aber es kann auch Angst machen. Was ist denn das echte Israel? 

Ist die so vielgelobte und herumproletete Toleranz der israelischen Gesellschaft gegenüber Schwulen, Transsexuellen etc. nur eine willkommene, regenbogenfarbene Maske vor der hässlichen, rassistischen Fratze eines gnadenlosen Kriegers?

Dieser Tage ist schwer zu glauben, dass Israel wirklich beides ist.

Wo sind all die Menschenfreunde hin..?

“Ich war ja immer links und gegen Krieg, aber …”

So beginnen viele Konversationen mit Israelis dieser Tage. Alle Israelis sagen, dass ihnen die toten palästinensischen Kinder, Frauen und Männer leid tun.

“… aber dieser Krieg muss sein, es ist ein gerechter Krieg.”

“… aber diesmal müssen wir Hamas erledigen.”

“… aber in Syrien töten sie viel mehr Menschen und da sagt keiner was.”

“… aber es gibt keinen anderen Weg.”

Das sagen die Linken.

Nur wenige gehen zu Demos, werden von rechten Hooligans eingeschüchtert – auch physisch bedroht. Bis sie aus Angst und Hoffnungslosigkeit damit aufhören.

Ich höre von Freunden, dass viele junge Israelis scharf drauf sind nach Gaza zu fahren und dort endlich mal auszuteilen, Terroristen zu jagen, abzuknallen, Bomben zu werfen etc. Um die Sache ‘ein für allemal zu erledigen’.

Natürlich haben die Israelis den Terror der Hamas satt. Natürlich ist Israel heute in einer Situation, wo Gewalt als einziges Mittel zur Verteidigung taugt. Doch warum muss das so bleiben? Israelis zeigen auf die Palästinenser. Mit jedem Tag Krieg nimmt der Hass auf beiden Seiten zu.   

Uns Europäern wird von den Israelis immer vorgeworfen wir seien naiv, weil wir an Dialog und Frieden glauben. Es sei alles viel komplizierter!

Kompliziert?

Wenn man heute hinhört ist’s ganz einfach: Man muss die Hamas auslöschen.

Eine Freundin (sie ist beruflich hier) verzweifelt: “Ich glaubte immer, die Israelis seien zwar nach aussen oft unfreundlich bis unerträglich, doch ich war bereit, an einen guten Kern zu glauben. – Mit all dem Hass, der jetzt zum Vorschein kommt, habe ich den Glauben verloren. Ich will nur noch weg.”

Ein anderer Freund, seit 6 Jahren hier und auch mit einer Israelin verheiratet: “Ich halte es nicht mehr aus im Büro. Sogar mit meiner Frau streite ich mich, sie liest nur israelische Presse. Die Israelis können nicht akzeptieren, dass ihre Armee und ihre Führung fehlbar ist.”

Wir gestern zuhause, Gabi deprimiert: “Was all diese Ausländer sagen, das gibt mir zu denken. So habe ich Israel noch nie gesehen. Ich zweifle.” Ihre Welt der klaren Fronten hat Schaden genommen.

Es wird spürbar, wie dieser Konflikt das Land auffrisst.

Der Krieg überzieht das ganze Leben mit einer matten Lähmung, einem Dämpfschaum, er vergiftet jede Minute und jede Freude. Wir wachen morgens auf und schauen erstmal bange nach, wie viele Tote es in der Nacht in Gaza gab. Tagsüber zucken wir zusammen wenn draussen jemand die Autotür zuknallt …

Die grosse unausgesprochene Angst ist, dass hier ein Bus oder ein Cafe in die Luft fliegt. Gestern war ein Tag ohne Raketenalarm, aber Abends beim Bier hörten wir plötzlich Explosionen aus der Ferne, als eine Rakete über einem Vorort Tel Avivs abgeschossen wurde.

Die Touristen bleiben aus. Die Stadt ist spürbar leerer und weniger fröhlich. Im Gym flimmert auf den Fernsehern rundum an der Wand die Live-Kriegsberichterstattung (und nicht mehr Fashion TV wie sonst). Die Feier zum 1. August beim Botschafter wurde abgesagt. Die Kollegen im Büro müssen einrücken, ich bin bald der einzige unter 40 auf Arbeit. Über 80’000 Reservisten wurden angeblich aufgeboten. Wer eingezogen wird, beruhigt: Die Reservisten (WK-Soldaten in der Schweiz) würden nur im Norden Israels ungefährdete Posten hüten, so dass die jungen ‘aktiven’ Soldaten, die 19, 20-jährigen in den Krieg ziehen können. Man schicke nicht die Familienväter, sondern die jungen, heissblütigen, pubertären Kämpfer nach Gaza.

Wir tun was gegen den Krieg

Und dann gibt’s noch die Momente des schlechten Gewissens: Wir tun nichts. Wir könnten ja immerhin demonstrieren gehen, entweder mit den Judenhassern (Friedensdemo) oder mit den Arabermördern (für den gerechten und nötigen Krieg).

Im Fernsehen zeigen sie auch wie tausende Israelis mit Wagenladungen Schokolade, Rasierklingen, Zigaretten zu den Soldaten im Süden fahren. Oder Israelis, die ihre Gitarre einpacken, um den vor den Toren Gazas wartenden Soldaten ein Ständchen zu bringen.

Was wir gegen den Krieg tun: wir gehen aus, gut essen in der hochklassigen soliden Brasserie am Rabin Platz (leicht besorgt, weil dort auf dem Rabin Platz jeden Abend demonstriert und gegendemonstriert wird). Wir schlürfen Austern während draussen die Leute von der Friedensbewegung Reden halten und Plakate ausrollen.

Wir fahren am Wochenende zum Strand im Norden (leicht besorgt, weil der Strand gleich neben einem arabischen Dorf liegt).

Doch der abgelegene Strand ist ungewöhnlich voll, weil für diesen Tag eine 12-Stündige Feuerpause ausgerufen wurde. Ich bin erleichtert und erfreut. Wie deprimierend wäre das denn, alleine am Strand zu liegen …

Nach Hause in die Türkei könne sie auch nicht zurück, sagte die Türkin. Der Antisemitismus dort sei offen und unerträglich. 

Immerhin können wir jederzeit in die Schweiz abhauen.

Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.

Hoffen wir, dass diesmal nach einer echten Lösung gesucht wird.

Natürlich wird dies nicht der letzte Konflikt gewesen sein. Doch der fiese Teufelskreis hin zu immer mehr Hass, Entfremdung und Bitterkeit auf beiden Seiten muss gebrochen werden. Sonst verkommt die ganze positive Energie Tel Avivs wirklich zur Kulisse. Und Kulissen halten nicht für lange.

Bei uns zuhause geht das Internet nicht mehr. In der Service-Hotline warten 78 Anrufer vor uns. “Wegen der Situation bitten wir um Verständis für lange Wartezeiten”. “Die Situation” (hebr: “HaMatzav”) ist natürlich kein Unwetter oder Stromausfall, sondern dass zehntausende Israelis in die Armee eingezogen wurden, um der Hamas den Garaus zu machen. Dass ausgerechnet jetzt unser Internet aussteigt, wo viele Service-Mitarbeiter im Krieg stecken, ist einfach nur Pech.

Gestern verbrachten wir den Nachmittag bei zwei Flaschen Weissem mit Freunden in einem kleinen Bistro am Meer. Einmal ging die Sirene los, wir fanden mit den anderen Restaurantbesuchern und Angestellten Schutz im Hauptquartier der Hafenpolizei. Es donnerte zwei, drei Mal – dann ging’s zurück zum Tisch und zur zweiten Flasche.

Hoch am blauen Himmel über uns schwebte ein kleines weisses Wölkchen aufs Meer hinaus, das Rauchzeichen einer der abgefangenen Raketen.

Weisses Wölkchen

Weisses Wölkchen. Rauchzeichen aus Gaza.

Man gewöhnt sich an alles?

Die ‘anti-israelische’ linke Tageszeitung Haaretz hatte sogar einen Waffen-Experten gefunden, der den Raketenschutzschild, die Eisenkuppel (hebräisch: Eisen-Kippa), als Propagandavehikel abtut. Derart irreal scheinen die Raketen aus Gaza, nach Dutzenden folgenlosen Alarmen und Explosionen, dass man denken könnte, es kommt gar nix aus Gaza hier an. Die Eisenkuppel beschert uns nur immer mal wieder einen zünftigen Bumms im blauen Himmel, damit wir ja nicht einen Krieg in Frage stellen. Verschwörungstheorien und Gerüchte haben Hochkultur.

Heute wurde ein Dutzend toter Israelische Soldaten gemeldet. Das ist neu.

Und wie seit Tagen immer mehr tote Palästinenser. Hunderte.

Wie alle haben wir Freunde, die für die ‘Operation’ eingezogen wurden. Wie kommen die zurück? Wann?

Die israelischen TV-Stationen zeigen praktisch rund um die Uhr News – auch wenn es kaum etwas zu zeigen und zu melden gibt.

In den Abendnachrichten zeigen sie anti-israelische Demos in Paris, London, Sri Lanka, der ganzen Welt. Es scheint unwirklich, dass sich die ganze Welt für uns hier und für die Palästinenser interessieren soll.

Davor zeigen sie in den Nachrichten die Demos in Tel Aviv und Haifa, wo die nationalistische Rechte die Friedensdemos angreift, Israelis brüllen “Tod den Arabern” in die TV-Kameras, die Linke diagnostiziert einen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft.

Jemand schreibt, es sei eine Stimmung wie vor der Ermordung Rabins.

Der Ruf nach ‘Vernichtung’ Gazas scheint salonfähig. Natürlich meint das niemand ‘wirklich’. Es soll einfach die Hoffnungslosigkeit der Situation ausdrücken.

Nur die ‘anti-israelische’ linke Haaretz-Zeitung zeigt immer mal wieder auch auf die israelische Regierung als Mit-schuldige an der Katastrophe. Alle anderen zeigen nach Süden auf die Hamas. “Wir tun alles, um zivile Opfer zu vermeiden …” Das stimmt wohl schon. Nur, dass es zum Krieg kommt ist das Versagen der Regierung hier und der ganzen Welt.

Tel Aviv verliert seine Leichtigkeit.

Nicht nur für mich, scheint mir. Es gibt freie Parkplätze in unserer Gegend. Freie Tische am Mittag im Restaurant am Baselplatz. Die Gesichter der Leute auf der Strasse scheinen mir ernster. Der Verkehr weniger dicht. Die vorbeifahrenden Busse besonders leer. Die Diskussionen sind weniger laut.

Ach, und wegen unserem Internet: “Biglal HaMatzav” (“wegen der Situation”) kann kostenlos und unlimitiert im mobilen Internet gesurft werden. Auch alle PayTV-Kanäle wurden offenbar freigeschaltet für alle. Sogar die Banken seien nachsichtig mit säumigen Schuldnern.

Man muss ja irgendwie weitermachen, trotz “der Situation”.