Archive

Unser Leben

Ich hocke seit gut 24 Stunden in Quarantäne, isoliert wegen Coronaverdacht, Begründung: 3 Tage Schweiz-Aufenthalt, Verbleibende Zeit: 13 Tage.

Es ist ja wohl eines dieser Erlebnisse im Leben, wo man erst denkt: “Nu, is ja gar nicht so schlimm …”. Ich freu mich soviel lesen, arbeiten, klavierspielen zu können wie ich will. Und ich freu mich auf die Nacht ohne tretende und schreiende Kids im Bett.

Aber ich befürchte, ab dem zweiten oder dritten Tag wird die Quarantäne ihr wahres Gesicht zeigen …

Konkret sitze ich bei uns zuhause im Büro, oben aufm Dach – was wir sonst auch immer mal als Gästezimmer nutzen. Ich schlafe auf der Luftmatratze. Im Gästebad steht ein Teekocher. Idyllisch.

Wir werden sehen. Oberste Priorität: niemanden anstecken, und selber schön gesund bleiben.

“In Israel fühl ich mich sicherer als in Europa” – die letzten Jahre hörte ich das immer dann, wenn’s in Deutschland oder Frankreich Terroranschläge auf jüdische Ziele gab. Ich dachte immer: so ein Stuss (jiddisch für ‘Unsinn’), das ist doch Äpfel mit Birnen verglichen.

Jetzt hör ich’s wieder dass Leute sagen hier sei’s viel sicherer als irgendwo sonst. Israel macht die Grenze dicht, um Corona draussen zu halten. Das ist machbar hier, denn der einzige echte Grenzübergang ist der am Ben Gurion Flughafen. Und da weiss man genau wer wann woher kommt und kann Corona-Verdächtige gleich postwendend zurückschicken.

“Recht so”, sagen viele, so bleiben wir gesund.

Flüge nach Asien und ins verseuchte Europa gibt’s kaum mehr. (Nur in die USA wird weiter fleissig gereist, denn dort hat Netanyahu’s Intimus Donald Trump ja die Coronakrise zu 100% vorhergesehen und alles unter Kontrolle. Da kann man die Amerikaner natürlich nicht auf eine Seuchenliste setzen zusammen mit den Europäern und den Asiaten. Oder erst mit vornehmer Verzögerung, jedenfalls.)

Nur: Kann sich das kleine Israel mit einem strikten Quarantänen-Regime wirklich raushalten? No way. Das Virus ist ja längst hier.

Und mir wäre lieber, die Fliegerei ginge weiter, denn wenn hier das chronisch überlastete Gesundheitswesen unter der Last tausender Coronapatienten kollabiert in ca 2 Wochen, hätte ich gerne die Option kurz in die Schweiz zu fliegen. Da stehen bestimmt noch einige tausend Beatmungsgeräte als Reserve in Armeekrankenhäusern aus dem kalten Krieg.

“Gesundheit!” allerseits – und immer schön Hände waschen und in die Armbeuge husten und niesen.

‘Are you excited about the rain?’

Fragt mich eine Mitarbeiterin im Büro und lächelt verschmitzt. Ich kuck sie verwundert an.

‘Wollte nur sehen wie Israelisch du schon bist …’ schiebt sie hinterher.

Lustig, dachte ich, gerade gestern kam ich mir recht Israelisch vor, als 400 Raketen aus Gaza in unsre Richtung zischten, und ich das zwar unangenehm, aber irgendwie normal fand. That’s life. So israelisch wie ich dachte, bin ich aber offensichtlich noch nicht – die Aufregung und den Aufruhr über die Regentage im Winter kann ich (noch?) nicht mitfühlen.

Meine Sorge wegen der Raketen war: Was sagen wir unsrem 3jährigen Sohn, wenn das Sirenengeheul losgeht und wir uns unterm Tisch (oder ähnlich) in Sicherheit bringen müssen? 

Im Kindergarten hatten sie’s neulich vom Leuchtturm kam mir dann in den Sinn, und wie das Leuchtfeuer oben auf dem Turm im Sturm hilft die Schiffe in Sicherheit zu bringen. Vielleicht sollten wir ihm sagen, dass die Sirene uns anzeigt, dass gleich ein Sturm kommt mit Blitz und Donner und dass wir uns wie die Schiffe auf dem Meer in Sicherheit bringen müssen … 

Wäre das eine erlaubte Lüge um unsreren Sohn noch nicht über die bösen Araber aufklären zu müssen?

Dann flogen in der Nacht aber (noch) keine der 400 Raketen bis nach Tel Aviv. 

Und am Morgen ist er ja dann im Kindergarten. Was die ihm wohl erzählen wenn das Geheul losgeht? Ich muss morgen die Kindergärtnerin fragen…. 

So, jetzt hat’s bei uns um die Ecke geknallt. Ein Araber aus dem Norden Israels hat in unserer Strasse um sich geschossen, zwei Menschen getötet, ein Dutzend verletzt, Hunderte traumatisiert. Was für eine abscheuliche Tat.

In einer israelischen Zeitung wunderte man sich, wie der Täter entkommen konnte und warum niemand eingegriffen hat. In Jerusalem hätte sich irgendein Sicherheitsmann/Selbstverteidiger eine Medaille geschossen. Hier auf der Dizengof, unter all den Passanten, hatte offenbar keiner eine Gun im Hosenbund. Dafür liebe ich Tel Aviv. Genau darum leben wir in Tel Aviv.

Doch was ändert sich nun mit diesem Anschlag (Amoklauf?) für mich und für uns?

Ja, wir haben in unserer Wohnung die Krankenwagen, die Polizeisirenen, die Helikopter gehört, und wir haben uns gesorgt, noch bevor die Nachrichten berichteten. Ja, wir sitzen oft in dieser Strasse in Kaffees. Ja, theoretisch hätten wir dort, 10 Minuten Spaziergang die Strasse hinauf, sitzen oder gehen oder stehen können.

Es ist näher. Es ist nicht dasselbe, wie wenn Siedler in der Westbank oder Soldaten in Jerusalem von Arabern erstochen oder überfahren werden.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

G sagt: Was, wenn es unser Stammcafe erwischt hätte..?

Ich sage: Dieser Anschlag ändert gar nichts. Mein Wohlsein oder Unwohlsein hier hat nur in zweiter Linie damit zu tun, an welcher Adresse ein Anschlag passiert. Natürlich, eine Horrorvision wäre, dass wir hier nicht mehr vor die Tür können, ohne um Leib und Leben zu fürchten. Weil es wöchentlich knallt im Stadtzentrum. Aber davon sind wir weit weg. Der israelische Sicherheitsapparat funktioniert zu gut. Und so dramatisch die einzelnen Vorkommnisse sind: es ist kein Volksaufstand. 2 Millionen Araber leben in Israel – ihre Kultur wird diskriminiert und ausgegrenzt, sie haben schlechte Karten in der israelischen Gesellschaft. Aber sie haben fliessend Wasser, Stabilität und Sicherheit. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich hier in der Gegend umschaut. G’s Kosmetikerin kommt ursprünglich aus Gaza, jetzt betreibt sie ein Nagelstudio hier unten auf der Strasse und sagt, sie hätte Jahre gebraucht, um ihren Hass auf Juden abzubauen. Irgendwie hat sie es geschafft, zumindest zwischen den Kulturen zu leben.

Und das ist, was mich viel mehr umtriebt: das Zusammenleben – oder eben leider Gegeneinander-Leben. Das gesellschaftliche Klima hier wird immer und immer toxischer. Möglicherweise, bis es bald nicht mehr auszuhalten ist. Ich höre von manchen, die ihr Leben lang hier waren: ich halte es nicht mehr aus hier. Und sie ziehen weg und eröffnen einen Humus-Laden in Madrid.

Jede neue Gewaltwelle treibt die beiden Völker noch weiter auseinander. Und die, die an der Macht sind, die etwas zu sagen haben, giessen hüben wie drüben Öl ins Feuer. Netanyahu packte auch diese Gelegenheit nun wieder beim Schopf, um bei einem Kurzbesuch am Tatort alle Araber in Israel für den Anschlag mitverantwortlich zu machen.

In der selben Woche verbietet die Regierung – über den Kopf der Bildungskomission hinweg – ein Buch in der Schule, in dem es um die Liebe zwischen einer Jüdin und einem Muslim geht. “Junge Menschen seien naiv und romantisch, sie verstehen das Konzept der Kulturerhaltung noch nicht, man könne sie nicht so verwirren”, liess sich eine Regierungsvertreterin zitieren. Kurz: Schulstoff kann nicht das übergeordnete Konzept der Rassenreinheit unterwandern.

Der Siedlungsbau wird weiter vorangetrieben. Die Zweistaaten-Lösung wird derzeit von niemandem mehr ernsthaft verfolgt oder propagiert…

Anstatt dass man das Zusammenleben lernt und fördert, wird das Auseinanderleben propagiert.

Die Autorin Sibylle Berg hat den Anschlag an der Dizengofstrasse miterlebt, es knallte offenbar unter dem Balkon ihrer Schreibstube hier in Tel Aviv. Sie hat im Affekt eine wehleidige Kolumne für Die Welt geschrieben, in der sie sich von einer eingebildeten heilen Welt verabschiedet.

Berg, die Tel Aviv-Touristin, liess sich von der Offenheit und Weltlichkeit unserer Stadt und ihrer Bewohner verzaubern. Die Realität ist, Tel Aviv ist Teil von Israel. Und Israel ist bis heute gut gefahren mit einer Politik der Unterdrückung und andauernder Demonstration der Stärke gegenüber den Anderen, den Nachbarn. Davon profitiert auch Tel Aviv – darunter leidet auch Tel Aviv.

Was braucht es wohl, um dieses Angst- und Machtgetriebene Gegeneinander-Prinzip zu durchbrechen, dass Israel zu einer neuen Politik findet? Und was braucht es, damit auch die anderen, die Israel hassen, zu einer gemeinsamen Zukunft bereit sind? Ist es schon zu spät dafür? Sitzen wir’s aus? Wird’s erst schlimmer, auf dass es nacher erst recht besser werden kann?

Es ist nicht ein einzelner Anschlag, der mir hier das Leben verleidet. Wenn es mir hier verleidet, ist es wegen der rassistischen Imprägnierung, der Hoffnungslosigkeit und Fantasielosigkeit wenn es ums Zusammenleben mit den anderen, den ‘Cousins’ hier geht.

Vor vier Jahren kam ich her und war überzeugt, der Nahe Osten würde von Europa lernen, von der Prosperität dank Toleranz und respektvollem Zusammenleben und offener Grenzen. Hoffte auf Bahnreisen nach Beirut, Tel Aviv, Damaskus, Amman, Kairo.

Es war mitten im Arabischen Frühling!

Es war Arabischer Frühling in Europa.

Hier sagten alle: vergiss die Träumereien.

Im Moment sieht es tatsächlich nach dem Gegenteil aus und Europa lernt von Israel, wie man sich hermetisch abschottet.

Die Israelis schlagen mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch und rufen: Jetzt seht ihr dann mal, wie das ist mit denen. Wir haben’s euch immer gesagt! Schon heute werden ja Teile von Frankreich und England von Muslimen und islamischem Recht kontrolliert. Viel Glück dabei, mit Samthandschuhen Terroristen zu stoppen. Ihr Naivlinge! Europa hat gut moralisch referieren, solange die Pufferzonen funktionieren. Und solange die Politik des langen Armes funktioniert: den ‘anderen’ mit ganz weit ausgestreckten Arm die Hand zu reichen .. etc. etc.

Der Israeli sieht in jedem syrischen Flüchtling einen potenziellen Terroristen. (Hier kennt man auch nur die Flüchtlinge aus den eigenen Kriegen – die Palästinenser, die zurück wollen, wo jetzt Juden ihr Haus gebaut haben.)

Ich verteidige Europa, spreche von Integration, Investition .. denke an flüchtige Professoren, Lehrer, Frisöre, die nichts sehnlicher wollen, als ein normales aufgeklärtes Leben.

Hoffen wir, dass Europa stark genug ist, die Flüchtlinge einzuschliessen in die Gesellschaft. Und dass die Flüchtlinge bereit sind, Europäische Werte zu akzeptieren.

“Speck, Schinken und Wurst ist krebserregend”, diese WHO-Meldung macht Schlagzeilen. Die Juden haben’s ja schon immer gewusst, denke ich, die ganzen unkoscheren Schweinereien sind nicht gut für uns. Die Bibel. Die Bibel weiss es eben.

Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Stimmung passiert mir das Unverzeihliche: Ich serviere unseren Freunden M und L meine feine selbstgemachte Bolognese. Sie waren schon öfter bei uns zum Essen, auch zum Grill mit Schweizer Würsten und anderen Leckereien.

Die ersten Bissen Bolognese sind gegessen, da sagt M: MMhh das schmeckt aber fein, was hast du da reingemacht?

Ich sage: Rindfleisch …
… und ein bisschen Speck zur Würze.

Er sagt einen Moment lang gar nichts.

Dann lacht seine Frau ihr lautes Lachen.
Und sie ruft: Yes! Yes! Yes! Speck! Schweinefleisch!

Er sagt ruhig: Es musste ja mal soweit kommen.

Sie steht auf und jubelt.

Er ignoriert sie. Sagt: Aber es schmeckt so verdammt gut, ich werde das jetzt essen. Weil Du es bist, und er hebt sein Weinglas in meine Richtung.

Mir wird heiss und kalt gleichzeitig.

Er zu ihr weiter: Aber das ändert gar nichts bei uns zu Hause.
Offenbar will sie auch mal mit Speck – und er ohne.
Sie kocht gerne.

Er tut es ausdrücklich mir zuliebe?

Ich bin gerührt.
Ich schäme mich für meinen Fauxpas. Ich war überzeugt dass er sich nicht um die Koscher-Geschichte schert.

Er isst es für mich. Wenn ich es nicht wäre, dann würde er es nicht essen.
Ist das seine Art zu sagen: Du bist also imfall Schuld?

Ich werde also in der Hölle schmoren.

Oder er?

Wird er in der Hölle schmoren? Ich vermute, er wird entschuldigt, weil er es ja für mich gemacht hat, einen ahnungslosen, gemeinen Christen. Er hat es aus Liebe zu mir gemacht…

Im selben Moment fährt mir die ganze Tragweite dieser Situation ein: Genau darum sollten Juden keine Nicht-Juden heiraten. Genau darum muss Israel rein bleiben, so jüdisch wie möglich. Darum werde ich beim Boarding von El Al Sicherheitsmitarbeitern mit unangenehmen Fragen kleingemacht, das Handgepäck durchsucht, damit ich am liebsten woanders hinfliegen würde.

Meine Frau hätte mit dem richtigen Mann auf den richtigen Weg zurückgefunden!!

Doch wie’s gekommen ist, sitze ich jetzt hier mit aufrichtigen guten Juden am Tisch, füttere sie mit Speck, versorge sie an einem anderen Abend mit Bratwurst und Cervelat (Schweinedarm!).

Und beim Kaffee stelle ich Fragen nach der Menschlichkeit der israelischen Politik.

Meine Anwesenheit hier erodiert das Fundament Israels!

Wir haben ja jetzt einen Sohn.

Mit ihm waren wir die letzten Wochen oft am Strand.
Er ist der einzige mit Vorhaut.

(In der Umkleid eim Gym ziehe ich die Vorhaut zurück, um nicht ganz offensichtlich aufzufallen.)

Unter anderem waren wir mit Freunden am Strand, die haben einen 2.5 jährigen Jungen. Er hat das kleinste Schnäbi was ich je gesehen habe – es sieht aus wie ein zweiter Bauchnabel.
Da habe ich Gabi gesagt: ich erinnere mich an früher, beim Duschen, wenn überhaupt, dann fällt ein besonders Grosser oder Kleiner auf.

Details?

Das hatte mich nicht interessiert. Vor allem: Jeder Pimmel sieht ja wieder anders aus. Und je nach Wassertemperatur auch!!

Gut, wenn alle, wirklich 100% alle beschnitten sind, und man hat noch nie einen unbeschnittenen Penis gesehen, dann schaut dann ein unbeschnittener wohl schon etwas anders aus der Wäsche. Unsere Freunde sind schon neugierig, wenn sie den riesigen unbeschnittenen Poller unseres Sohns sehen.

Noch was ist mir in den Sinn gekommen um die Bedenken von G meiner Frau zu beruhigen: Jungs reden viiiiiel weniger über ihren Körper als Mädchen. Da haben Frauen möglicherweise einen verzerrten Blick und übertriebene Ängste.

Ich kann mich nicht erinnern, je über Penisköpfe mit Freunden gesprochen zu haben.
Es ist lustig, jetzt darüber zu tratschen. Ich spreche es mit einigen Freunden an, hier und in der Schweiz.

Gespräche mit Freunden hier haben bisher jedenfalls alle so geendet dass sie sagten: kein Problem.

Ab kann er’s ja im Übrigen auch später noch schneiden.

Die israelische Fluglinie El Al wirbt auf Hebräisch mit dem Claim ‘Wie Zuhause in der Welt’. Nach einer Woche in Zürich freute ich mich nicht unbedingt auf den Rückflug, aber doch auf mein Zuhause.

Nach der 5minütigen obligatorischen El Al Sicherheitsbefragung am Gate in Zürich – ich war stolz, dass ich das Interview auf Hebräisch bestanden hatte, ich fühlte mich ein bisschen schon wie zuhause – sagte der israelische Security mit Pokerface zu mir „We have to do an extra-check. You can sit here“.

Ich setzte mich und wartete. Ich hasse die Willkür von Türstehern, Gorillas, Sicherheitsdiensten. Und ich kenne die Routine: El Al / Israel hat eigene Leute, die sämtliche Reisende vor dem Boarding befragen. Je nach Antworten, Nachnamen, vielleicht auch Wetter oder Tagesform werden dann einzelne Subjekte einem ‘extra-check’ unterzogen. Willkommen zuhause.

Es geht natürlich um die Flugsicherheit – doch es fühlt sich nicht so an.

Die Fragen der Sicherheitsleute sind so entworfen, dass sie zwangsläufig alle jene diskriminieren, die nicht jüdisch und in Israel geboren sind. Freunde hier versichern mir, dass sie auch gefilzt werden, es diene nur der Sicherheit, man dürfe es nicht persönlich nehmen …

“Hast du Freunde in Israel?” hatte er mich gefragt.
“Ja, viele,” lachte ich. Was sollte diese Frage?
“Wie heissen sie?”
Das Lachen verging mir.

“Ahmed, Mohammed, Yasser … ” wollte ich sagen, um ihm etwas zu Denken zu geben “… und Friedensaktivist Hans Z. aus Bern.”

Ich dachte wieder wie unheimlich es ist, dass ich noch immer keinen einzigen Araber kennengelernt habe. Seit bald vier Jahren in Israel.

Im Interview hatte er mich auch ausgefragt: Wo wir wohnen, ob wir Kinder haben …

“Woher ist deine Frau?”
“Israel.”
“Und die Eltern?”
“Israel.”

Wenn ihre Eltern vor 70 Jahren in Israel geboren wurden, ist die Chance gross dass sie Palästinenser sind – zumal der Familiennamen meiner Frau nicht Cohen oder Birnbaum ist.

Verdächtig.

Es ist beleidigend. Ich lebe seit bald vier Jahren in Israel, arbeite fleissig für wenig Geld, bezahle die hohe Wohnungsmiete, um in dem einen teuren Viertel in Israel zu leben, zu dem ich Schweizer problemlos kompatibel bin, ich schaffe Werte, mache Freunde, stecke den ganzen Kriegsscheiss weg – und die behandeln mich, als begehre ich Einlass in einen elitären Club.

“Wo hast du Hebräisch gelernt?” eine beliebte Frage. Oft eine der ersten.
“In Israel.”
“Aha.“

Ich bin mir sicher, das übersetzt sich in Sicherheitsdeutsch zur Antwort: ‘Er ist nicht mit Hebräisch aufgewachsen, also nicht jüdisch aufgewachsen, also möglicherweise gar kein Jude, also möglicherweise ein Feind.’

Manchmal setzen sie noch nach:
“Gar kein Hebräisch als Kind..?”
“Nein”

Ein Goy.
Warum würde ein Goy freiwillig nach Israel ziehen?

Alarm.

“Wie lange dauert’s noch, bis du einen israelischen Pass hast?” wieder eine Frage, die ich noch nicht kannte.
“Ich glaube drei, vier Jahre.”
“Aber das geht doch schneller, wenn du konvertierst?”
“Ich konvertiere nicht.”

Alarm.

Im Pass sind meine Ferien in Jordanien, und zwei Reisen in die Türkei vermerkt.

Alarm.

Alarm!

Nach 20 Minuten werde ich aufgerufen. Ich muss in’s Räumchen, mein Handgepäck wird ausgepackt und ausgelegt, auf Sprengstoffspuren untersucht.

Der Typ hört nicht auf zu quatschen, stellt mir erst dieselben Fragen wie sein Kollege und als ich ihm sage ich hätte sämtliche Fragen beantwortet und hätte die Schnauze voll davon, versucht er mich krampfhaft auf andere Art in ein Gespräch zu verwickeln und Informationen abzurufen.

Er erzählt mir, dass Hebräisch eine einfache und sehr alte Sprache sei und dass Sprachen je moderner je komplizierter sind – ich verklemme mir den Kommentar, dass das moderne Hebräisch erst knappe 100 Jahre alt ist. (Das wäre ja wie an der ewig alten Geschichte und Bestimmung der Juden zu kratzen.)

Er legt mir noch einen Köder aus, er erzählt mir von einer Sprachschule die seine Mutter gegründet habe, die auch Arabisch unterrichtet … Ja, ich würde gerne Arabisch lernen. Ich verklemme mir jeden Kommentar. Ich will einfach nur auf den Flieger. Nach Hause.

„Ich verstehe nicht, warum jemand in Israel Arabisch lernen sollte …“ hätte die Prozedur wohl abgekürzt. Oder „Wenn ich Arabisch höre, läuft mir jedesmal kalt den Rücken runter …“

Mitten in der Untersuchung erreicht den Gorilla ein Funkspruch, dass auch mein eingechecktes Gepäck geöffnet werde. Die drei Gläser Ovo-Schoko-Brotaufstrich würden entnommen und in eine Spezialbox zur Spedition verladen.

In meinem Gepäck ausserdem: Bratwürste und Weisswürste.

Sie sollten mich gar nicht mitnehmen, denke ich frustriert. Nicht genug dass ich, Unbeschnittener, eine propere Israelin vom auserwählten Volk verführte, ihr ein Kind machte, ich versorge ausserdem das heilige Land mit Schweinefleisch, schere mich einen Dreck um’s Konvertieren und unterwandere das herrschende Schokoladenmonopol. Auch wenn ich kein Terrorist bin – ich trage dazu bei, dass die Traditionen und Sitten im heiligen Land verludern, dass der jüdische Staat etwas un-jüdischer wird. Und als Christ bin ich als potenzieller Antisemit geboren.

Die Sonne Israels zieht eben nicht nur Juden an. Aber wo kommen wir denn hin, wenn immer mehr nicht-Juden ins gelobte Land ziehen wollen..? Plötzlich sind die Juden wieder in der Minderheit.

Der Claim von El Al auf Englisch: ‘It’s not just an airline. It’s Israel.’

Natürlich, Sicherheit hat nicht nur konkrete Funde zu liefern, es geht auch um eine Demonstration der Sicherheit. Die Israelis beherrschen das Metier meisterhaft. Das israelische System leistet nahezu perfekte Kontrolle und Abschreckung, es ist in Sachen Sicherheitsapparat wohl das beste was die Welt je gesehen hat. Der Preis, den man dafür zahlt, ist schwierig zu benennen. Bei mir sind es 20 unangenehme Minuten am Flughafen – andere zahlen einen unendlich viel höheren Preis.

Beliebter machen sich die Israelis damit nicht. Aber sie halten so ihr Nest sauber, könnte man sagen, und das ist ja die primäre Absicht… Doch in diesen Momenten stelle ich mir die Frage: Will ich wirklich in diesem sauberen Nest hocken..?

1 – Unser Nord-Tel Aviv ist schwierig zu fassen.

Nord Tel Aviv ist (unter anderem) ein Spielplatz für Leute, die genauso gut in Europa, Berlin, Zürich, London oder vielleicht sogar so ziemlich überall auf der Welt wohnen könnten.

Nord Tel Avivis wohnen unter anderem hier, weil’s das einzige kleine Fleckchen Land ist im Umfeld von vielen vielen hunderten Kilometern, in dem sich das Leben ein bisschen normal anfühlt.

Natürlich, man lebt hier auch wegen dem nahen Strand, weil die Sonne jahrum scheint, vielleicht weil die Familie hier eine Wohnung besitzt, weil’s Sex-Appeal hat, weil’s mehr knistert als in Europa… Manchmal, wenn ich was getrunken habe, denke ich auch, es ist ein Aussenposten unserer Zivilisation. Das ist auch ein Kick. Als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet. Es ist nicht unbedingt der friedlichste Planet. Aber er hat was zu bieten.

Unser Spielplatz wird toleriert von Rest-Israel. Es macht sich gut nach aussen.

Tatsache ist, unser Leben hier hat praktisch keine Schnittstellen zum Land rundherum, zu Rest-Israel.

Das kann ein Zürcher oder ein Berliner wohl auch über die Schweiz respektive über Deutschland sagen. Nur ist hier in Israel die die Kluft zwischen den beiden Welten viel tiefer – und wenn sich die Verwerfungen zeigen, viel schmerzhafter.

Das Leben im völlig losgelösten Tel Aviv hat schon lange einen Namen: ‚Living in the Bubble’. In der Blase leben. Die Blase ist das säkulare, europäisch linke Tel Aviv, weit weg von Militär und Weihrauch. Der Alltag hier in Nord-Tel Aviv macht es einfach zu vergessen, dass zwischen uns und all dem Wahnsinn rundherum nur ein dünner, arg strapazierter Puffer liegt: Rest-Israel.

 

2 – Jetzt stehen Wahlen an.

Wir sind keine Aktivisten. Uns geht es gut. Wir wollen natürlich, dass das Leben zahlbarer wird, dass Friede gemacht wird … Aber unsere eigentliche tiefste Nord-Tel Aviv Angst: Dass die von Rest-Israel eine rechts-nationalistische Regierung an die Macht wählen, die das Land und die Gesellschaft über die nächsten Jahre noch weiter nach Rechts und in die Agression treibt, was Israel mittelfristig international unmöglich macht…

Israel hat genug von Bibi. So fühlte sich der Wahlkampf in Tel Aviv an.

Dann radelte ich am Sonntag vor der Wahl auf dem Heimweg von der Arbeit durch die lange Ibn Gabirol Strasse. Um sieben Uhr Abends nach der Stosszeit fliesst der Verkehr normalerweise wieder. An diesem Sonntag stauten sich Busse in der Spur Stadteinwärts: Die letzte grosse Kundgebung im Wahlkampf stand an. Die Rechte versammelte sich am Rabin Platz rund um ihre Anführer. Auch Bibi Netanyahu hatte einen Auftritt angekündigt.

Die Busse kamen von überallher, viele auch aus den Siedlungen der Westbank. Sie waren voller Jungs mit Kippas. Frauen mit Kopftüchern führten ihre 5, 6, 7, 8, 9, 10köpfigen Familien die Strasse runter. Kippas und Kopftücher sieht man an einem normalen Tag sehr wenige in Nord-Tel Aviv.

Die Haaretz Zeitung berichtete dass Siedler-Gemeinden aus der Westbank ihre Bewohner aufgefordert hatten, nach Tel Aviv zu reisen. Sie organisierten vom Staat subventionierte Bus-Reisen. Offenbar ist es legal für Siedler-Gemeinden, ihre Bewohner mit Steuergelder zu unterstützen bei Pro-Siedlungspolitik-Demos.

Sprich: Meine Steuergelder werden in die Westbank geführt, wo sie wiederum dafür zahlen, dass Siedler nach Tel Aviv gekarrt werden für eine pro-Siedlungspolitik Massendemo …

Bei dieser Vorstellung steigt ein fauliger Gestank auf aus den Bauhaus-Fundamenten unserer schicken Nord-Telaviv-Bubble.

 

3 – Nach den Wahlen

Die tausenden Siedler in meiner Strasse zu sehen war ein unheimliches Bild.

Wo lebe ich eigentlich hier?

Die Rechte gewinnt die Wahlen – nicht in Tel Aviv, aber in Israel. In Tel Aviv gewinnt die Links/Mitte-Liste mit grossem Abstand … in den arabischen Städten macht die Arabische Liste fantastische Zahlen. In der Westbank gewinnt die Rechte. In Jerusalem die Rechte und die Religiösen …

Wie lange hält unsere Bubble noch?

Wir haben uns Wohnungen in Jaffa angeschaut. Dort in Süd-Tel Aviv gibt es einen verschlafenen Fischerhafen, eine aus schwerem Stein gebaute Altstadt mit pittoresken Gässchen, wo sich zu Sonnenuntergang Brautpaare fürs Hochzeitsfoto aufstellen, es gibt einen Suq, orientalische Architektur, der Muezzin ruft zum Gebet, Männer rauchen Wasserpfeife (nur Männer), sogar eine alte Kreuzfahrerkirche mit Kruzifix und Glockenturm steht oben auf dem Hügel .. und das Wohnen ist viel billiger als im schmerzhaft überteuerten Tel Aviv! Wir könnten uns Meersicht leisten für den Preis unserer 65m2 parterre hier im Norden.

Viele Tel Avivis überlegen sich jetzt, nach Jaffa zu ziehen. Alle, die wir fragen haben eine Meinung dazu, die meisten sind allerdings skeptisch, schauen uns an: “Ja, Wohnungen sind billig, aber wollt ihr das wirklich?” Nicht, dass Jaffa weit weg wäre. Mit dem Fahrrad sind es 10, 15 Minuten ins Stadtzentrum Tel Avivs.

Nur die wenigsten tun es, weil, nun, weil Jaffa eben arabisch ist.

Es wird renoviert und gebaut wie verrückt in Jaffa. Vom Norden, von Tel Aviv her werden Strassenzüge erneuert, Häuser abgerissen, grosse Wohnanlagen neu gebaut, am Strand wurde ein gigantischer Park mit Spielplatz angelegt. Und alle rechnen damit, dass der Boom weitergeht. Dennoch, israelische Israelis ziehen (noch) nicht hin.

 

Jaffa

Unsere Stadt heisst offiziell “Tel Aviv – Jaffa”. Top-Treffer der Bildersuche auf Google nach “Jaffa” …

 

Wir kennen eine, zwei linke Künstlerseelen, die neuerdings in Jaffa leben. Und wir kennen eine gute Handvoll Zugezogene, Diplomaten, NGO Mitarbeiter, Neu-Israelis, die ihre Zelte in Jaffa aufgeschlagen haben. Die Neulinge haben weniger Berührungsangst. Sie haben keine Assoziationen und Erinnerungen an die arabische Stadt, die Jaffa vor wenigen Jahren noch war. Die Expats schicken ihre Kinder sowieso in die private internationale Schule. Sie sind oft auch nur für einige Jahre hier.  Auswärtige reizt der orientalische Charakter Jaffas. Israelis weniger. 

Neue Appartments am Strand (Wohnlagen, die sich hier 15 Minuten nördlich davon keiner mehr leisten kann) werden als günstige Investitionsobjekte angeboten. Nach dem Motto: Jetzt kaufen – und für die nächsten Jahre an Expats vermieten, bis Jaffa komplett ‘saniert’ ist… Jahrzehntelang wurde Jaffa vernachlässigt, noch heute werden Nachbarschaften in Jaffas Süden von Clans regiert, Korruption ist allgegenwärtig. So gehen wenigstens die Geschichten – und irgendwas muss schon dran sein. 

Die alteingesessenen Araber werden verdrängt. Entweder weil sie verkaufen und wegziehen, oder weil sie sich das Leben im sanierten Jaffa nicht mehr leisten können – oder weil sie bei der Wohnungsvergabe übergangen werden. Manche neue Projekte würden exklusiv für jüdische Mieter entwickelt, liest man.

Im Norden Jaffas ist die ‘Entwicklung’ bald abgeschlossen. Der arabische Stil der Nachbarschaft ist als hübsche Kulisse aufbereitet für Touristen und boomendes Nachtleben – doch Araber arbeiten bestenfalls noch in den Shops. Einige Strassenzüge weiter im Süden wird ein Haus nach dem anderen, eine Strasse um die andere saniert.

Ein klarer Fall von Gentrifizierung! Das gibt’s doch auch im Berliner Kreuzberg, wo die zugezogenen Süddeutschen die Türken weg-renovieren.

Doch der Vergleich mit der Gentrfifizierung in anderen Metropolen hinkt.

Die Vertreibung hunderttausender Palästinenser im ‘Unabhängigkeitskrieg’ von 1948 (die Palästinenser nennen den Krieg ‘Nakba’, die Katastrophe), die Siedlungspolitik seit 1967 in den besetzten Gebieten, das Ignorieren und mehr oder weniger subtile Abwürgen arabischer Kultur in Israel .. diese Sünden der israelischen Entwicklung, für die sich hier vielleicht die Linke interessiert aber die von den meisten ausgeblendet oder schöngeredet werden, Sünden, für die Israel in der internationalen Agenda ein ums andere Mal Haue kassiert, diese Sünden liegen wie ein Schatten auf dem aufgehübschten Jaffa. Allerlei Gespenster wohnen in den Schatten der schicken Neubauten. Man weiss nicht, unter welchen Umständen dieses oder jenes Landstück für Neubauten freigemacht wurde.

Die Gentrifizierung Jaffas ist nur oberflächlich ein ökonomisches Phänomen. Die Stadt gehörte den Arabern. Aber die Juden haben jetzt das Sagen. Die Araber werden bestenfalls behandelt wie in der Schweiz oder in Deutschland Zugezogene, wie ungeliebte Einwanderer oder Flüchtlinge, die ihre Würde und Würdigkeit immer neu beweisen müssen. Manchmal werden sie besser behandelt, manchmal schlechter, sie bekommen Unterstützung von Bürgergruppen … am Ende müssen sie sich komplett anpassen, oder sie ziehen den Kürzeren. Weil die ‘Leitkultur’ eine andere ist. Israel hat die Palästinenser zu Fremden in ihrem eigenen Land gemacht. Und sie werden immer fremder.

Jetzt ist Jaffa fällig. 

Im Abschiedsartikel der NZZ-Korrespondentin geht es um Jaffa.

Der letzte Artikel von Monika Bolliger aus Israel – leicht missverständlich hoffnungsvoll aufgemacht mit ‘Israels gemischte Stadt‘ – zeigt über weite Strecken die unschöne Seite von ‘gemischt’ in Israel. Wie das Zusammenleben hier eben oft ein Gegeneinanderleben von Arabern und Juden ist.

 

Top-Treffer Bildersuche nach "Tel Aviv"

.. und Top-Treffer Bildersuche auf Google nach “Tel Aviv”.

 

Der Artikel beschreibt Jaffa, meint aber Israel. Unter anderem besucht die NZZ-Journalistin eine Yeshiva, eine (private) religiös-nationalistische jüdische Schule, die unlängst mitten in Jaffa etabliert wurde: „Die Yeshiva hier in Jaffa sei wichtig, um die jüdische Präsenz zu stärken, wird uns erklärt; nicht nur gegenüber den Arabern, sondern auch gegenüber den säkularen Juden, die in Jaffa lebten.“

Die Anschieber der Yeshiva – das Personal kommt offenbar aus Siedlungen im Westjordanland – hatten wohl eine schreckliche Vision: Sie sahen ein Jaffa der Koexistenz heranwachsen … Wo gibt’s denn sowas! rufen sie aus, Hört mal, das ist Israel hier! Israel ist kein Experiment in Völkerverständigung! Hier muss ein jüdischer Staat zementiert werden. Wir zeigen euch wie das geht. 

Diese Siedler-Mentalität macht mich ganz direkt betroffen.  

Alle sind gleich, aber wir sind besser.

Ich bin der nicht-Araber und nicht-Jude. Für mich sehen auch Juden arabischer Herkunft gerne mal arabisch aus. (Während der Israeli den Araber Araber im Dunkeln mit geschlossenen Augen erkennt.) Ich schätze Jaffa für den Mix der Kulturen, den es dort (noch) gibt. Ich gehe in Jaffa aus zum Essen und freue mich, wenn ich Schwein vom Grill auf der Karte finde.

Die Siedler, die politische Rechte will keinen Mix der Kulturen – und die meisten Israelis glauben nicht daran, dass Offenheit funktionieren kann.  

Unsereins hat hier in Israel wenig Lobby.

Sollten die Rechten im März in der Regierung zulegen, dann werden sie das Judengesetz durchs Parlament drücken: In diesem viel diskutierten Zusatz im Grundgesetz soll festgeschrieben werden, dass Israel ganz zuerst jüdischer Staat ist. Ergo, dass alles nicht-jüdische vielleicht geduldet wird aber eigentlich un-israelisch ist. Es wäre eine Steilvorlage für Diskriminierung aller Art. Von der israelischen Linken wird das Gesetz als un-demokratisch vehement zurückgewiesen.

Unmittelbar würde sich wohl mit dem neuen Gesetz nichts ändern, denn Israel funktioniert bereits weitgehend nach diesem Prinzip. Schon jetzt, beklagen sich Bewohner Jaffas im NZZ Artikel, fördert der Staat jüdische Schulen und einige Zentren für Koexistenz – aber keine arabischen Initiativen.

Kommentatoren sehen das Gesetz auch als Vorbereitung auf die ‘Einstaaten-Lösung’. (Die ‘Einstaaten-Lösung’ ist das grammatikalische Gegenstück zur ‘Zweistaaten-Lösung’, derzeit noch mehr eine Worthülse als echtes politisches Programm.) Das Gesetz soll zur Absicherung dienen, es soll Werkzeug bereitgelegt werden, um den jüdischen Charakter Israels festzunageln, falls in den nächsten Jahren der Anteil palästinensisch/arabischer Israelis wächst. Beispielsweise weil Israel Teile der Westbank annektiert.

So gesehen: wir würden eigentlich ganz gut nach Jaffa passen. 

Wären da nicht all die Gespenster.

Oder existieren diese Gespenster nur in unseren Köpfen? Die Berichte aus erster Hand aus Jaffa sind fast alle positiv. Kein Problem mit den arabischen Nachbarn. Sie seien laut und sie schmeissen den Abfall irgendwohin. Lappalien!

Die beste Geschichte erzählt uns ein schwedischer Diplomat beim Bier in Jaffa, ein blonder Zwei-Meter Schlaks mit Babyface, der mit seiner Familie seit einem Jahr in Jaffa lebt. Gelangweilte Strassenkids aus der Nachbarschaft schmissen Steine gegen sein Wohnzimmerfenster. Er eilte nach draussen und verpasste den Kids auf Arabisch eine Standpauke – die wussten nicht wie ihnen geschieht, dass der lange Blonde Arabisch spricht. Sie grüssen ihn jetzt, sagt er, wie einen Ausserirdischen.

Trotzdem.

Wie’s aussieht ziehen wir nicht nach Jaffa. Weil weil dies den täglichen Arbeitsweg um 15-20 Minuten verlängern würde. Und weil wir nicht aus Tel Aviv wegziehen wollen… noch etwas, was Expats nicht haben: nostalgische Heimat-Gefühle für die Betonklötze Tel Avivs.

Wir schauen uns jetzt wieder Wohnungen hier im guten alten Norden an.

Hier im Alten Norden hält die Tel Aviver ‘Bubble’ alle bösen Gespenster fern. Hier wohnen die Ärzte, die High-Tech Yuppies und die DINKS, die Startup-Millionäre und die Erben. Hier kaufen die vor dem Antisemitismus / Steuerfahnder geflüchteten Franzosen ihre teuren Appartements (und lassen sie dann 11 Monate im Jahr leer stehen). Hier wird die Gay-Pride Schwulenparade gefeiert. Hier wohnen keine Araber – und keine Religionsschüler. Palästina scheint von hier genauso weit weg wie von Zürich (der Lärm rund um die Raketen aus Gaza ist im Alltag schnell wieder vergessen). Hier – zwanzig Minuten von Jaffa mit dem Rad den Strand hoch – hier zeigt Israel sein beinahe europäisches Gesicht. Es gibt französische Patisserie, italienische Pizza, Sushi und Gruyère beim Deli… weltoffen, säkular …

Nach Jaffa werden wir weiterhin fahren, um guten Hummus und Fisch zu essen. Für ein paar Stunden fühlen uns wie Touristen in der eigenen Stadt – dann kehren wir zurück in unsere Bubble.