Archive

Unser Leben

Die letzten Wochen waren zum Kotzen. Seit ein paar Tagen ist’s nun ruhiger in Tel Aviv und der Alpdruck von dem Krieg löst sich langsam. Diese vier Wochen Krieg haben aber sehr grundsätzliche Fragen aufgeworfen (nicht nur für mich). Es hat sich gezeigt, was es heissen kann, hier die Zukunft zu ‘planen’. Dass man trotz der Bubble und der Eisenkuppel die brenzlige politische Situation nicht für immer ausblenden kann, so angenehm das auch wäre. Das schlimmste war aber, die ultra-nationalistische Seite vieler Israelis zu spüren (komplett unfähig zu Kritik an ihrer Armee und an ihrer Staatsgewalt). Und bei allen friedliebenden tollen Menschen hier: Nach meinem Geschmack finden es zu viele Israelis ok, Araber zu töten.

Jetzt wachen wir mal schnell auf aus diesem bösen Traum – den Luxus haben wir ja hier in Tel Aviv – und hoffen, dass man sich auf beiden Seiten nicht wieder mit einem ‘Waffenstillstand’ zufriedengibt. Dass die Regierung und die Palis und die Welt und alle an echtem Zusammenleben arbeiten.

Am Samstag ist eine PeaceNow Demo, die genau danach verlangt. Nach einem echten Friedensprozess. Wir haben noch nicht entschieden, ob wir hinfahren.

“Bis vor drei Wochen fühlte ich mich hier wie im Paradies,” sagte mir eine junge Türkin. Sie erhält in ein paar Wochen die israelische Staatsbürgerschaft. – Sie sei sich aber ihrer Sache jetzt nicht mehr so sicher.

Hatte sie vor dem Krieg nichts von den Palästinensern in Gaza und der Westbank gewusst? Haben die Israelis nicht immer mehr oder weniger offen gesagt, die einzige Lösung sei, Gaza ins Meer zu kippen (natürlich meinten sie das nicht wirklich, sondern sagten das nur, um ihre Hoffnungslosigkeit zu illustrieren)? Hatte die Neu-Israelin geglaubt, absolute militärische Überlegenheit garantiere ausreichend und nachhaltig Sicherheit und Wohlbefinden? War sie überzeugt dass ‘Deckel draufhalten’ auf Dauer gut geht?

Die Raketenalarme sind erst schockierend, dann mühsam, und jetzt nur noch ein kleiner dummer Running Gag in dieser grossen deprimierenden Kriegsrealität um uns herum. Man ist ja nicht unmittelbar gefährdet hier in Tel Aviv. Die Raketen werden abgefangen von der ‘Eisernen Kippa’, wie der Iron Dome auf Hebräisch heisst. (Und bis jetzt wurden hier in Tel Aviv auch alle anderen Versionen von Tod und Untergang made by Hamas abgewendet.) Aber ist es nicht nur eine Frage der Zeit bis es hier in einer Bar oder in einem Bus knallt..? 

Die täglich, stündlich steigende Zahl Toter und Verletzter in Gaza drücken einem auf die Brust wie ein Albtraum. 

Und das schmerzhafteste (und vielleicht der wahre Schock für die Türkin) ist dass die ganze Leichtigkeit verpufft ist. Israel zeigt ein hässliches Gesicht. Die gefeierte Fassade der Start-up-Nation – Israel als phänomenales High-Tech Center mit dem sexy Schwulenparadies Tel Aviv als Herz und Schrittmacher – diese Kulisse ist erstmal im Theaterhimmel verschwunden.

Israel hat viele zum Teil widersprüchliche Gesichter. Widersprüche stören hier nicht. Das macht Israel oft reizvoll, facettenreich – aber es kann auch Angst machen. Was ist denn das echte Israel? 

Ist die so vielgelobte und herumproletete Toleranz der israelischen Gesellschaft gegenüber Schwulen, Transsexuellen etc. nur eine willkommene, regenbogenfarbene Maske vor der hässlichen, rassistischen Fratze eines gnadenlosen Kriegers?

Dieser Tage ist schwer zu glauben, dass Israel wirklich beides ist.

Wo sind all die Menschenfreunde hin..?

“Ich war ja immer links und gegen Krieg, aber …”

So beginnen viele Konversationen mit Israelis dieser Tage. Alle Israelis sagen, dass ihnen die toten palästinensischen Kinder, Frauen und Männer leid tun.

“… aber dieser Krieg muss sein, es ist ein gerechter Krieg.”

“… aber diesmal müssen wir Hamas erledigen.”

“… aber in Syrien töten sie viel mehr Menschen und da sagt keiner was.”

“… aber es gibt keinen anderen Weg.”

Das sagen die Linken.

Nur wenige gehen zu Demos, werden von rechten Hooligans eingeschüchtert – auch physisch bedroht. Bis sie aus Angst und Hoffnungslosigkeit damit aufhören.

Ich höre von Freunden, dass viele junge Israelis scharf drauf sind nach Gaza zu fahren und dort endlich mal auszuteilen, Terroristen zu jagen, abzuknallen, Bomben zu werfen etc. Um die Sache ‘ein für allemal zu erledigen’.

Natürlich haben die Israelis den Terror der Hamas satt. Natürlich ist Israel heute in einer Situation, wo Gewalt als einziges Mittel zur Verteidigung taugt. Doch warum muss das so bleiben? Israelis zeigen auf die Palästinenser. Mit jedem Tag Krieg nimmt der Hass auf beiden Seiten zu.   

Uns Europäern wird von den Israelis immer vorgeworfen wir seien naiv, weil wir an Dialog und Frieden glauben. Es sei alles viel komplizierter!

Kompliziert?

Wenn man heute hinhört ist’s ganz einfach: Man muss die Hamas auslöschen.

Eine Freundin (sie ist beruflich hier) verzweifelt: “Ich glaubte immer, die Israelis seien zwar nach aussen oft unfreundlich bis unerträglich, doch ich war bereit, an einen guten Kern zu glauben. – Mit all dem Hass, der jetzt zum Vorschein kommt, habe ich den Glauben verloren. Ich will nur noch weg.”

Ein anderer Freund, seit 6 Jahren hier und auch mit einer Israelin verheiratet: “Ich halte es nicht mehr aus im Büro. Sogar mit meiner Frau streite ich mich, sie liest nur israelische Presse. Die Israelis können nicht akzeptieren, dass ihre Armee und ihre Führung fehlbar ist.”

Wir gestern zuhause, Gabi deprimiert: “Was all diese Ausländer sagen, das gibt mir zu denken. So habe ich Israel noch nie gesehen. Ich zweifle.” Ihre Welt der klaren Fronten hat Schaden genommen.

Es wird spürbar, wie dieser Konflikt das Land auffrisst.

Der Krieg überzieht das ganze Leben mit einer matten Lähmung, einem Dämpfschaum, er vergiftet jede Minute und jede Freude. Wir wachen morgens auf und schauen erstmal bange nach, wie viele Tote es in der Nacht in Gaza gab. Tagsüber zucken wir zusammen wenn draussen jemand die Autotür zuknallt …

Die grosse unausgesprochene Angst ist, dass hier ein Bus oder ein Cafe in die Luft fliegt. Gestern war ein Tag ohne Raketenalarm, aber Abends beim Bier hörten wir plötzlich Explosionen aus der Ferne, als eine Rakete über einem Vorort Tel Avivs abgeschossen wurde.

Die Touristen bleiben aus. Die Stadt ist spürbar leerer und weniger fröhlich. Im Gym flimmert auf den Fernsehern rundum an der Wand die Live-Kriegsberichterstattung (und nicht mehr Fashion TV wie sonst). Die Feier zum 1. August beim Botschafter wurde abgesagt. Die Kollegen im Büro müssen einrücken, ich bin bald der einzige unter 40 auf Arbeit. Über 80’000 Reservisten wurden angeblich aufgeboten. Wer eingezogen wird, beruhigt: Die Reservisten (WK-Soldaten in der Schweiz) würden nur im Norden Israels ungefährdete Posten hüten, so dass die jungen ‘aktiven’ Soldaten, die 19, 20-jährigen in den Krieg ziehen können. Man schicke nicht die Familienväter, sondern die jungen, heissblütigen, pubertären Kämpfer nach Gaza.

Wir tun was gegen den Krieg

Und dann gibt’s noch die Momente des schlechten Gewissens: Wir tun nichts. Wir könnten ja immerhin demonstrieren gehen, entweder mit den Judenhassern (Friedensdemo) oder mit den Arabermördern (für den gerechten und nötigen Krieg).

Im Fernsehen zeigen sie auch wie tausende Israelis mit Wagenladungen Schokolade, Rasierklingen, Zigaretten zu den Soldaten im Süden fahren. Oder Israelis, die ihre Gitarre einpacken, um den vor den Toren Gazas wartenden Soldaten ein Ständchen zu bringen.

Was wir gegen den Krieg tun: wir gehen aus, gut essen in der hochklassigen soliden Brasserie am Rabin Platz (leicht besorgt, weil dort auf dem Rabin Platz jeden Abend demonstriert und gegendemonstriert wird). Wir schlürfen Austern während draussen die Leute von der Friedensbewegung Reden halten und Plakate ausrollen.

Wir fahren am Wochenende zum Strand im Norden (leicht besorgt, weil der Strand gleich neben einem arabischen Dorf liegt).

Doch der abgelegene Strand ist ungewöhnlich voll, weil für diesen Tag eine 12-Stündige Feuerpause ausgerufen wurde. Ich bin erleichtert und erfreut. Wie deprimierend wäre das denn, alleine am Strand zu liegen …

Nach Hause in die Türkei könne sie auch nicht zurück, sagte die Türkin. Der Antisemitismus dort sei offen und unerträglich. 

Immerhin können wir jederzeit in die Schweiz abhauen.

Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.

Hoffen wir, dass diesmal nach einer echten Lösung gesucht wird.

Natürlich wird dies nicht der letzte Konflikt gewesen sein. Doch der fiese Teufelskreis hin zu immer mehr Hass, Entfremdung und Bitterkeit auf beiden Seiten muss gebrochen werden. Sonst verkommt die ganze positive Energie Tel Avivs wirklich zur Kulisse. Und Kulissen halten nicht für lange.

Bei uns zuhause geht das Internet nicht mehr. In der Service-Hotline warten 78 Anrufer vor uns. “Wegen der Situation bitten wir um Verständis für lange Wartezeiten”. “Die Situation” (hebr: “HaMatzav”) ist natürlich kein Unwetter oder Stromausfall, sondern dass zehntausende Israelis in die Armee eingezogen wurden, um der Hamas den Garaus zu machen. Dass ausgerechnet jetzt unser Internet aussteigt, wo viele Service-Mitarbeiter im Krieg stecken, ist einfach nur Pech.

Gestern verbrachten wir den Nachmittag bei zwei Flaschen Weissem mit Freunden in einem kleinen Bistro am Meer. Einmal ging die Sirene los, wir fanden mit den anderen Restaurantbesuchern und Angestellten Schutz im Hauptquartier der Hafenpolizei. Es donnerte zwei, drei Mal – dann ging’s zurück zum Tisch und zur zweiten Flasche.

Hoch am blauen Himmel über uns schwebte ein kleines weisses Wölkchen aufs Meer hinaus, das Rauchzeichen einer der abgefangenen Raketen.

Weisses Wölkchen

Weisses Wölkchen. Rauchzeichen aus Gaza.

Man gewöhnt sich an alles?

Die ‘anti-israelische’ linke Tageszeitung Haaretz hatte sogar einen Waffen-Experten gefunden, der den Raketenschutzschild, die Eisenkuppel (hebräisch: Eisen-Kippa), als Propagandavehikel abtut. Derart irreal scheinen die Raketen aus Gaza, nach Dutzenden folgenlosen Alarmen und Explosionen, dass man denken könnte, es kommt gar nix aus Gaza hier an. Die Eisenkuppel beschert uns nur immer mal wieder einen zünftigen Bumms im blauen Himmel, damit wir ja nicht einen Krieg in Frage stellen. Verschwörungstheorien und Gerüchte haben Hochkultur.

Heute wurde ein Dutzend toter Israelische Soldaten gemeldet. Das ist neu.

Und wie seit Tagen immer mehr tote Palästinenser. Hunderte.

Wie alle haben wir Freunde, die für die ‘Operation’ eingezogen wurden. Wie kommen die zurück? Wann?

Die israelischen TV-Stationen zeigen praktisch rund um die Uhr News – auch wenn es kaum etwas zu zeigen und zu melden gibt.

In den Abendnachrichten zeigen sie anti-israelische Demos in Paris, London, Sri Lanka, der ganzen Welt. Es scheint unwirklich, dass sich die ganze Welt für uns hier und für die Palästinenser interessieren soll.

Davor zeigen sie in den Nachrichten die Demos in Tel Aviv und Haifa, wo die nationalistische Rechte die Friedensdemos angreift, Israelis brüllen “Tod den Arabern” in die TV-Kameras, die Linke diagnostiziert einen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft.

Jemand schreibt, es sei eine Stimmung wie vor der Ermordung Rabins.

Der Ruf nach ‘Vernichtung’ Gazas scheint salonfähig. Natürlich meint das niemand ‘wirklich’. Es soll einfach die Hoffnungslosigkeit der Situation ausdrücken.

Nur die ‘anti-israelische’ linke Haaretz-Zeitung zeigt immer mal wieder auch auf die israelische Regierung als Mit-schuldige an der Katastrophe. Alle anderen zeigen nach Süden auf die Hamas. “Wir tun alles, um zivile Opfer zu vermeiden …” Das stimmt wohl schon. Nur, dass es zum Krieg kommt ist das Versagen der Regierung hier und der ganzen Welt.

Tel Aviv verliert seine Leichtigkeit.

Nicht nur für mich, scheint mir. Es gibt freie Parkplätze in unserer Gegend. Freie Tische am Mittag im Restaurant am Baselplatz. Die Gesichter der Leute auf der Strasse scheinen mir ernster. Der Verkehr weniger dicht. Die vorbeifahrenden Busse besonders leer. Die Diskussionen sind weniger laut.

Ach, und wegen unserem Internet: “Biglal HaMatzav” (“wegen der Situation”) kann kostenlos und unlimitiert im mobilen Internet gesurft werden. Auch alle PayTV-Kanäle wurden offenbar freigeschaltet für alle. Sogar die Banken seien nachsichtig mit säumigen Schuldnern.

Man muss ja irgendwie weitermachen, trotz “der Situation”.

Natürlich, in diesen Zeiten, wenn geschossen wird, wird man ausgelacht, wenn man nach einer echten Lösung für den Konflikt fragt. Im Hotel Intercontinental unten am Strand fand gestern absurderweise die Haaretz Peace Conference statt.

Die erste Sirene am Abend erwischte die Gesellschaft aus NGOs, Medien und Politikern kalt. Als wollten die Hardliner in der Regierung den Diskutierenden und Fragenden sagen: Haltet die Klappe, jetzt sind wir dran.

Bitter finde ich, wie wenig die Regierung zu hören kriegt, dass sie Schuld trägt, weil sie noch immer keinen Frieden möglich gemacht hat. Diese Verantwortung zum Frieden trägt hier keiner. Nur die Verantwortung, das nächste Feuer zu löschen.

Im Feuerlöschen sind sie gut – keine Frage.

Jetzt gehts wieder rund, am frühen Abend hatten wir Raketenalarm. Gabi stand unter der Dusche, schamponiert, also blieben wir im Badezimmer ein paar Minuten stehen bis der Alarm durch war. Ist ja schön geschützt dort.

Ich hatte die Sirenen lauter in Erinnerung.

Hoffentlich kommt es nicht zu einer massiveren Eskalation als bei der letzten ‘Operation’ vor 18 Monaten im November.

Die Hamas sagt, sie wird uns überraschen.

Ich hoffe nicht.

Seit Ende der ‘Friedensverhandlungen’ vor zweidrei Monaten juckte der Finger am Abzug. Je länger je unerträglicher. Jetzt kann er endlich durchziehen. Aufatmen. Es herrschen wieder klare Verhältnisse.

Für viele Israelis ist klar: Dort sind die Tiere, die Teenager entführen und tot verscharren und Raketen auf Unschuldige schiessen. Hier die unbesiegten Helden und Beschützer Israels die nur ihre Arbeit machen – uns beschützen.

Alle sagen immer, die Situation hier ist komplexer, als der verwöhnte verweichlichte friedensverwöhnte Europäer denkt.

Ein Einwand mit einer gewissen Berechtigung.

Aber wirklich kompliziert wird es ja nur, wenn man über Frieden nachdenken muss.

Die Raketen, die toten Teenager, die gewalttätige Eskalation sorgt für eine grosse pervers erleichterte Klarheit und Einfachheit der Verhältnisse: Blinde Wut, Angst und Hass. Die Entführung der Teenager hat hüben wie drüben hässliche Hassgefühle entfesselt, mit einer Art perversen Erleichterung fast wurde all dieses Übel freigesetzt.

“Sie schiessen auf uns, diese Tiere entführen und töten hinterrücks Teenager. Jetzt schlagen wir zurück. Die ungeschlagene israelische Armee schützt und rettet uns.”

Wer will nicht beschützt werden im Angesicht von Raketen schiessenden Nachbarn.

Das Badezimmer sei kein sicherer Ort, sagen sie jetzt im TV. Drei Stunden lang wird live aus allen Landesteilen berichtet, Raketenalarm hier und dort, aber bis jetzt keine Treffer – und sie melden absichtlich Unwahrheiten im TV um die Hamas zu verwirren, man will ja keine Zielhilfe leisten.

Und ein gutes Dutzend tote Palästinenser in Gaza.

Ich versteh kaum ein Wort von dem was sie sagen am TV, aber gerade eben gabs die erste Werbeunterbrechung.

Wohl ein gutes Zeichen. Ausgeschossen. Ruhe.

Dann brüllendes Geschrei draussen auf der Strasse, in der Nachbarschafts-Bar – 1:0. Deutschland schiesst sich warm.

Schauen die in Gaza auch Fussball-Weltmeisterschaft?

Mittsommer hat hier kaum eine Bedeutung. Die Tage im Sommer sind nur unwesentlich länger. Es ist immer Sommer. Gerade sitze ich im Zug von Haifa (Büro, Nord-Israel) nach Tel Aviv (Zuhause). Es geht den sandigen Dünen am Mittelmeer entlang und die tief stehende Abendsonne vergoldet alles.

Heute Nachmittag, im Büro, hat’s draussen aus heiterhellem Himmel laut gerummst, die dünnen Fenster zitterten. Der Tischnachbar sagte: Das sind Lawinensprengungen. Ich lachte. Niemand weiss, was es war.

An der Grenze zu Syrien starb am Mittag ein Israeli, hatte ich in einer Schlagzeile gelesen.

Syrien ist vom Büro geschätzte 50 Kilometer Luftlinie weg.

Mittag hatte ich zum ersten Mal alleine mit Hanan gegessen, einem netten jungen Familienvater. Er hatte das Bedürfnis, über Politik zu sprechen. Über die Entführten drei Jugendlichen, und wie die israelische Politik/das israelische Militär das missbraucht, um die Hamas zu bestrafen und zu quälen.

Dann verwandelte sich sein Gesicht von einer Sekunde zur nächsten in das eines alten Mannes: “Ich war in Gaza, im Militär, als wir noch Gaza besetzten. Ich sah die Männer, die einfach nur zur Arbeit wollen. Die Kids, die Steine nach uns warfen – für die ist es ein Spiel.” Grau, traurig, selbst seine Zähne wurden aschig, er hatte Mühe zu atmen.

Wir waren fertig mit dem Lunch. Wir standen auf. Ich weiss nicht mehr was er sagte, ich glaube etwas über Musik oder Fernsehen oder Kino…

Heute trauert Israel um seine gefallenen Soldaten. Als ich das erste Mal dabei war, wie Tausende zur Feier auf dem grossen Rabin-Platz strömten, fehlte mir die Volksfeststimmung, es gibt keinen Grill-Stand von Bell am Strassenrand, keine T-Shirts und Ballone und keine Feldschlösschen Bierzelte. Gabi meinte: „It’s not a celebration!“ Es gilt ernste, fast heilige Trauerpflicht für’s ganze Land. Alles ist geschlossen heute Abend, Läden, Kioske, Bars, Restaurants.

Zur Bekräftigung und Bestätigung dass die gefallenen Soldaten nicht umsonst ihr Leben liessen haute Netanyahu die Schlagzeile raus: „Israel ist die Heimat eines Volkes – der Juden.“ Purer Rassismus.

Ich whatsappte die Schlagzeile an Freunde. „Jude sein ist eine Frage der Einstellung,“ schrieb eine zurück. „Aber ich mag die Schweizer,“ schrieb eine andere.

Die linke Politik schrie auf, man werde keine Einschränkung demokratischer Grundwerte zulassen, Israel sei ganz zuerst eine Demokratie mit gleichen Bürgerrechten für alle und erst dann die Heimat der Juden etc etc.

Und ich sitze in unserem Garten und gegen acht wird es still auf der Strasse, die lauten Dieselbusse fahren nicht mehr.

Leute spazieren die Strasse runter, in Richtung Rabin Platz.

Um 20 Uhr heult die alles betäubende Kriegs-Sirene los, ein langgezogener schriller ton, nicht das auf und ab der Raketenalarme. Alles steht still. Eine Minute lang heult ganz Israel, wer am Tisch sitzt, steht auf, wer im Auto unterwegs ist stoppt, steigt aus. Ich im Garten. Gizmo der Kater miaut.

20 Uhr 01 Autotüren fallen zu. Motoren heulen auf, die paar wenigen Autos und Busse auf der Dizengoff fahren weiter.

Von der Klagemauer mit Staatspräsident und Ehrengarde geht’s via Schaltung ins TV-Studio raus zur Live-Schaltung von der Feier in Rishon Le Zion, eine Stadt südlich von Tel Aviv.

Auch hier in Tel Aviv auf dem Rabin-Platz wird mit Kerzen, Streichern und sehr mittelmässigen Sängern vor Videowänden den Soldaten gedacht. Gespielt werden Lieder, die für Aussenstehende wie mich wie schlechter Heimatpop klingen, die aber für Israelis sentimentale Herzensangelegenheit sind, nicht zuletzt weil sie jedes Jahr an Memorial Day vorgetragen werden.

Auf den Videowänden und zuhause im Fernsehen werden zwischen den Songs und Reden die Porträts gefallener Soldaten und ihre Geschichte in 3:30′ Form vorgestellt: Mama erzählt eine Anekdote, Kinderfotos werden eingeblendet, Papa erzählt eine Geschichte, Fotos, mit Kameraden, mit der Freundin, dann weinen sie und die Streicher setzen ein fürs nächste Lied.

Schnitt ins Publikum zu weinenden schönen Menschen, die ich oder du sein könnten, die alle diese Lieder im Herzen tragen, und die weinen weil sie diesen Soldaten auf der Videowand gekannt haben, oder weil sie einen Bruder, Onkel oder Cousin haben der im Krieg gefallen ist, oder ganz einfach weil alles so traurig ist.

In den USA ist Memorial Day der Tag für BBQs und Shopping. Hier ist es das sehr lebendige Ritual einer Nation in ständiger Kampfbereitschaft. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

memorialday

Memorial Day Zeremonie auf dem Rabin Platz (2012)

Gabi insistierte vor zwei Jahren, dass wir uns einen Drucker mit Fax kaufen. Ich lachte: “Fax??! Du bist so süss. Ich bring’ dir jedesmal Blumen wenn wir einen Fax schicken oder empfangen. Wir leben doch im Silicon Valley 2.0!”

Der Kulturschock liess nicht lange auf sich warten: In der #Startupnation stellt der bürokratische Schriftverkehr aller Art komplett auf Fax ab.

Nichts geht ohne Fax. Man bekommt kaum eine Pizza geliefert ohne Fax.

Die Parkuhr in der Strasse lässt sich zwar per iPhone-App füttern, aber banale papierne Formulare werden hin und her gefaxt wie in den tiefen 80ern.

Möglich, dass die Bürokraten mit dem Faxgeräte-Importeur unter einer Decke stecken. (Das Leben hier lehrt einen, alles auf doppelte Böden abzuklopfen. Und es ist doch nicht möglich, dass sich kein Startup findet, was dieses Problem löst.)

Jetzt hat sich ein Haver Knesset, ein Parlamentarier, das Thema für eine Schlagzeile gekrallt. Er will eine staatliche Verordnung, die sämtlichen Dienstleistern eine Email-Alternative zum Schriftverkehr per Fax aufzwingt.

Vermutlich wird die Fax-Lobby den Wink verstehen und dem Parlamentarier eine lebenslängliche Versorgung mit Tinte für seinen Drucker (mit Fax) anbieten, wenn er seinen Vorschlag zurückzieht.

Vielleicht sollte ich auch den kleinen Blumenladen bei uns um die Ecke auf der Dizengoff warnen. Ich schulde Gabi noch geschätzte zwei Dutzend Fax-Blumensträusse, aber wenn der Parlamentarier durchkommt mit seinem Vorschlag brechen harte Zeiten an…

JPost - Aus für Fax in Israel

Wie ich nach einem Meeting in einem Kaffee in Tel Aviv um 20 Schekel ärmer war, während Kellner und Businesspartner auf meine Rechnung vorwärts machten.

Wir sassen zu dritt, dann zu zweit in einem Kaffee im Norden Tel Avivs bei einem Business Meeting. Wir assen einen der leckeren israelischen Salate.

Wir bezahlten, verabschiedeten uns dann draussen an der nächsten Ecke und ich musste nochmal zurück, ich hatte die Quittung vergessen. Der Kellner erkannte mich und streckte mir ungefragt 150 Schekel hin. Er sagte, das Geld sei unter dem Teller meines Geschäftspartners liegengeblieben.

Ich war gerührt, sagte ihm, ich sei nur für die Quittung zurückgekommen, nahm das Geld und steckte ihm 20 Schekel Trinkgeld zu.

Draussen überlegte ich eine Sekunde, ob ich die 150 für mich behalten sollte.

Dann sah ich aber meinen Geschäftspartner an der Bushalte auf der anderen Strassenseite, ich winkte, kreuzte die Strasse und gab ihm die 150 die der Kellner gefunden hatte. Ich sagte ihm, ich hätte dem Kellner zum Dank 20 gegeben.

Mein Geschäftspartner bedankte sich. Und er konnte kaum glauben, dass ich dem Kellner 20 Schekel gegeben hatte. Wofür denn..?

Ich erklärte ihm, das sei bei uns üblich, dass man 10 Prozent Finderlohn gibt.

Dann sagte er: Waren da nicht 200 Schekel unter dem Teller?

Ich sagte: Der Kellner hatte mir nur 150 gegeben.

Offenbar hatte der Kellner schon 50 Schekel Finderlohn abgezogen.

Ich merke mir: Finderlohn nimmt man sich in Israel selbst. Man vertraut nicht auf die Grosszügigkeit des Besitzers.

Israel ist keine Shopping-Destination. Alles ist überteuert und das meiste ist erst noch Mist und von minderer Qualität. Typisch kleiner abgeschotteter Markt. Weihnachtsgeschenke shoppen ist erst recht schwierig. Das gibt’s ja nicht hier. Es braucht ja kaum einer Weihnachtsgeschenke hier.

So fällt in all dem Mittelmass am Ende noch das eine oder andere schräge Stück auf. Dart’s vielleicht ein Sack Plastiksoldaten der PEACE FIGHTER COMBAT FORCE sein mit israelischer Flagge und allem? Made in China. (Gibt’s die auch im Franz Carl Weber an der Bahnhofstrasse Zürich mit Schweizerkreuz? Oder hat sich das jemand extra für Israel ausgedacht?)

Dann die Idee: Wir bringen allen eine Flasche Olivenöl mit, das gibt’s gutes hier. – Aber oh nein, das geht ja auch nicht, weil aus den besetzten Golan-Höhen. Kommt ja in der Schweiz nicht gut an.

Bleibt nur: Wir freuen uns auf Weihnachtsshopping im Globus Bahnhofstrasse am 24. Dezember. Dass es mal soweit kommt …

Xmas Fighters