Archive

Unser Leben

Ah, du sprichst Deutsch..!? Dieses lustige YouTube-Video wird mir öfter mal auf iPhones vorgespielt: Ein Brite in Trenchcoat nuschelt: “Butterfly“. Ein Junge mit Mexikanerhut raspelt ein heissblütiges: “Mariposa“. Eine Französin mit neckischem Béret singt: “Papillon“. Ein tätowierter Italiener: “Farfallo“. Dann bellt ein Deutscher in Krachlederner und Münchner Trachtenhut: “SCHMETTER-LING!“.

Dann geht dasselbe Übersetzungs-Spielchen weiter mit anderen sinnlichen Deutschvokabeln wie “Ambulance, Ambulance, KRANKEN-WAGEN!” oder “Sex, Sexe, Sesso, GESCHLECHTS-VERKEHR!”

Mein Vorschlag für eine Fortsetzung des Videos, aus aktuellem Anlass: “Licence, Permis, FÜHRER-SCHEIN!“. Ich musste Sonntag zur Fahrprüfung.

Ich musste für einen Tag die hier herrschende Verkehrskultur des “Das-geht-auch-schneller” ablegen. In meiner vorbereitenden Fahrstunde hatte ich zwei Fragen, die mir in den zwei Jahren niemand beantworten konnte: Was ist die Höchstgeschwindigkeit? (Gibt es das? Im speziellen innerorts, ausserorts und auf der AUTO-BAHN?) Und: Gibt es sowas wie Rechtsvortritt? (Nein, sagte der Fahrlehrer, und verstand die Frage nicht, eine Seite der Kreuzung hat immer ein Strassenschild.)

Ich musste auf der Strasse beweisen, dass ich meinen Führerschein nicht wie der Russe bei einem korrupten Beamten gekauft hatte, sondern dass ich mir das Recht zum Lenken eines Fahrzeugs in Lektionen und Fahrstunden in meinem Heimatland redlich erarbeitet hatte.

Der Taxifahrer, der mich an dem Tag zum Misrad HaRishui brachte –Hebräisch für FÜHRERSCHEIN-MELDESTELLE! – hatte auch nur Verkehrsregeln im Kopf. Er schilderte mir in den 15 Minuten Fahrt, wie sehr Araber und Nazis auf Sex mit jüdischen Frauen stehen. Er wechselte ohne Atem zu holen zwischen schwärmerisch aufgegeilt („Schau mal diese heisse Braut dort drüben! Ich verstehe die Araber schon!“) und angewiderter Empörung über die Nazis und Mörderaraber, die ob der heissen jüdischen Bräute ihre Überzeugungen verraten.

Ich glaube, er wollte mit seiner feurigen Rede sein weltmännisches Verständnis für meinen Liebes-Umzug nach Israel ausdrücken. Nicht dass ich Araber oder Nazi wäre, aber: Alle Männer lieben sexy Jüdinnen.

Der Experte stieg zu mir ins Auto ohne mich anzuschauen, alles was er in den 2 Minuten sagte war: Smola (nach links), yamina (nach rechts), smola (nach links), smola (nach links). Dann kletterte er wieder aus dem Subaru Rallyewagen ohne mich anzuschauen. Mein Fahrlehrer sagte, es wird schon gut sein.

Dann wartete ich mit Los-Nummer 934 eine gute Stunde auf die Schalterbeamtin.

Jetzt kann ich legal Auto fahren. Wenn ich allerdings Innerorts die 50 fahre wie in der Prüfung, werde ich irgendwann von der Strasse geschoben. Vorschriften sind bestenfalls Anhaltspunkt hier. Es liegt mehr drin hier.

Hier der Link zum Deutsch-Video:
 http://www.youtube.com/watch?v=ZlATOHGj9EY

Wir haben noch immer keine Gasmaske. Dafür haben wir jetzt Atropin für zwei im Badezimmerschrank – das Gegengift für Nervengas aus Syrien. Das war einfacher zu bekommen.

Ich verbringe wieder viel Zeit damit, das Undenkbare zu denken, wie letzten November, während dem Raketenbeschuss aus Gaza. Was, wenn tatsächlich Bomben fallen? In der New York Times berichtete ein Augenzeuge vom Giftgaseinsatz in Syrien: “Die Detonationen hörten sich an wie platzende Wasserfässer…” Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Was tun wir dann? Wie können wir uns vorbereiten? Will ich mich überhaupt vorbereiten? Oder gehöre ich zu jenen, die sagen: Passiert eh nichts..?

Vom Undenkbaren ist es nicht weit zum Schwarzen Humor. Gestern Abend treffe ich auf einer Party einen Bekannten, einen schwulen feinen Ballett-Tänzer, der viel in Europa auf Tournee ist, und der sein Leben in Israel mit ganzem Herzen hasst. Er ruft: “Kommt schon! Beschiesst uns und löscht die eine oder andere israelische Stadt aus! Dann kann ich endlich als Kriegsflüchtling nach Europa!” Ich lache. Er lacht nicht.

Die gefühlte Bedrohungslage hat sich seit dem Nay im Britischen Unterhaus entschärft. Die kriegsmüden englischen Lords haben unser Wochenende gerettet.

Donnerstag waren wir wie geplant am Strand, Freitag war ich mit Freunden auf einem kleinen Katamaran segeln (ich liebe mein Leben hier!) … und dachte, während wir in herrlichem Südwestwind vor der Küste kreuzten, ein bisschen weiter raus aufs Meer, da liegen die US Zerstörer und warten auf Zielkoordinaten aus Washington.

Auf der anderen Seite geht das Morden in Syrien weiter. Wo sind die Völker, die sich von ihren Tyrannen befreien und Demokratien starten? Ich verstehe gar nichts. Und es scheint, dass es Obama ähnlich geht. Dabei hatten sie doch letzte Woche die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern neu gestartet …

Denkt das Undenkbare! Das könnte auch ein Zitat aus einem Kurs für angehende Manager sein. So entsteht Innovation! Die Israelis können das gut. Da einen Zusammenhang zu konstruieren, ist aber wohl Schwachsinn.

Abendessen am Strand: Irgendwo da draussen dümpeln die Kriegsschiffe.

Abendessen am Strand, Nachtschwimmer im Wasser: Irgendwo da draussen dümpeln die Kriegsschiffe.

 

Vor ein paar Tagen war es nur beiläufiges Tischgespräch: Hast du deine Gasmaske schon..? Smalltalk beim Bier. Einige Familienväter im Freundeskreis hatten nach den furchtbaren Berichten über den Giftgaseinsatz in Syrien für ihre Familien vorgesorgt. Alle anderen ignorierten das Thema. (Es ist wie mit den Fahrrad-Helmen. Man fühlt sich albern, einen zu tragen, hier in Tel Aviv tragen nur Eltern und ihre Kleinen einen. Ausserdem: wohin mit den doofen Masken? Dann haben wir wieder zwei Schachteln mehr, die in unsrer kleinen Wohnung rumliegen.)

Man gewöhnt sich hier ans Säbelrasseln. Aber heute, wenn die Israelis Schlange stehen für Gasmasken, und Freunde am Telefon allen Ernstes fragen, ob man die Gasmaske schon geholt hat, weckt das schlechte Erinnerungen an die Bomben im letzten November. Da redeten auch alle vom Golfkrieg ’91, als das letzte Mal Raketen auf Tel Aviv niedergingen und Giftgasangriffe befürchtet wurden.

Soll ich mir nun den Nachmittag frei nehmen, und mich in die Schlange stellen vor dem Postbüro, um eine Gasmaske abzuholen? Ich weiss nicht, ob ich mir das leisten kann, gerade eben habe ich zwei  neue Projekte gestartet. Und morgen wollten wir zum Strand fahren … und soll ich das Rauchen jetzt wirklich bleiben lassen, oder ist das albern..?

 

Drei Stunden Schlange stehen für eine Gasmaske.

Drei Stunden Schlange stehen für eine Gasmaske.

 

 

Trotz Monaten in der Sprachschule reicht mein Hebräisch noch nicht viel weiter als bis ‘Kaffee schwarz’. Schriftlich kommuniziere ich mit Hilfe von Google’s Übersetzungs-App. Telefongespräche vermeide ich nach Möglichkeit. Was unter anderem ein Handicap ist, weil hier viel, gerne und günstig Essen nach Hause bestellt wird.

Letzte Woche, home alone, rief ich bei Domino’s an und bestellte eine PIzza (irgendwann musste ich mich dieser Situation stellen).

Eine hungrige halbe Ewigkeit nach dem Anruf kam eine SMS von unbekannter Nummer und ich liess Google übersetzen. “Domino’s Apostel wird gleich mit Dir sein,” wurde mir verkündet. Natürlich! Heiliges Land! Ich jubilierte. Der Apostel brachte mir eine Familienpizza mit Peperoni – blieb aber nicht zum Essen.

 

 

In unseren Schweizferien wundern wir uns über das menschenleere Zürich, bis mir in den Sinn kommt: Sommerferien! Strandferien, Wanderferien, Camping, Kulturreisen, Abenteuerreisen: Der Zürcher fährt und fliegt weg. Gabi kann’s kaum glauben. Hier in Tel Aviv ist jetzt auch Schulfrei. Man merkt’s an den vollen Malls, Kinos, Highways, Stränden.

Familien verbringen den Tag gerne im klimatisierten Shoppingcenter. Draussen ist’s zu heiss. (Grosses Gesprächsthema sind die tragischen Schlagzeilen von Babies, die auf dem Rücksitz im Auto ‘vergessen’ werden und auf dem Parkplatz an Hitzschlag sterben. Vier tote Kleinkinder allein in den letzten fünf Wochen.)

Man fliegt hier nicht weg. Strand? Meer? Sonne? Hitze? Haben wir alles hier. Wohin also ausfliegen? Ausserdem ist Wegfliegen gemessen am Einkommen schweineteuer. Wer wirklich gut Kohle hat, der fliegt natürlich trotzdem weg. Aber die Mehrheit bleibt hier.

Wir sind noch schön braungebrannt von unsrer Woche in der Schweiz (die Israelis staunten).

Let’s go to the Mall! Schöne Ferien!

 

 

Ich mag die schwere Kraft der israelischen Hymne Ha’tikva (übersetzt: die Hoffnung). Die Melodie spielt in einer Tonart reserviert für Melodrama. Nur eine Handvoll anderer Nationalhymnen weltweit sind in Moll gehalten (Irak, Tadjikistan et al).

Der Text der Ha’tikva endet in einer Art stolzen Durchhalteparole: Die Hoffnung auf ein Leben als freies Volk in unserem Land (Zion, Jerusalem) ist nicht verloren, “solange noch im Herzen eine jüdische Seele wohnt”.

Hier die israelische Hymne, präsentiert von Néstlé:

Wir waren heute beim Botschafter geladen zum 1. August-Empfang mit Raclette, Schweizer Weissem und eben den beiden Hymnen ab Band (zuerst Israel, dann die Schweiz). Niemand hat mitgesungen. Weder bei den wenigen Israelis noch bei den zahlreicheren Schweizern regte sich was. Ich war enttäuscht. Ich vermute, es gehört zum diplomatischen Protokoll. Die Mehrzahl der Gäste waren Geschäftsträger anderer Länder.

Als ich die Schweizer Hymne dann zuhause anstimme, ist Gabi erstaunt ob all der Beterei und Gottesfürchtigkeit in unserem Psalm. Hier im Heiligen Land zu sitzen, von frommen Seelen und betenden freien Schweizern zu singen, kommt mir auch eigenartig vor. Jetzt alle zusammen:

«Trittst im Morgenrot daher,
Seh’ich dich im Strahlenmeer,
Dich, du Hocherhabener, Herrlicher!
Wenn der Alpenfirn sich rötet,
Betet, freie Schweizer, betet!
Eure fromme Seele ahnt
Eure fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.»

Update vom Sept 2013: Der Tagi publiziert ein Interview mit einem Lukas Niederberger, der per 1. Januar 2014 eine Initiative startet, um die Hymne zu modernisieren. Weil sie “eine Kreuzung aus Kirchenlied und Wetterbericht” sei und nicht zeitgemäss (hier geht’s zum Interview).

Nach Shabbat am Meer in der Sonne, am wilden Strand, mit dem Auto gut eine Stunde nördlich von Tel Aviv, Richtung Haifa, Richtung Libanon, stehen wir auf einem sandigen Parkplatz in den Dünen. Wir sind mit einer Handvoll Freunden in zwei kleinen Stadtautos unterwegs. Wir haben Hunger.

Wir waschen uns mit sonnenwarmem Wasser aus der Flasche das Salz vom Gesicht. Der Parkplatz ist schon beinahe leer, obwohl die Sonne noch recht hoch am Himmel steht. Viele sind schon auf dem Heimweg. Shabbat endet – und die neue Woche beginnt – mit Sonnenuntergang. Wir sind hungrig auf Hummus, Chips, Salat.

Israel ist munzig wie die Schweiz. Hier im Norden steht alle drei Kehren auf der Landstrasse ein Dorf. Wo in der grünen Schweiz in der Dorfbeiz Wurstsalat auf Papier-Platzdeckchen serviert wird, gibt’s hier einen offenen Imbiss mit schmuddeliger Theke, mit Hummus, Pita, Fleisch vom Drehspiess oder Falafel im Angebot und Blechtöpfchen voller Essiggemüse und Oliven als Beilage. Man sitzt auf weichgesessenen Plastikstühlen an Plastiktischen im Staub.

Wir werweissen, wo wir essen gehen. Man kennt sich aus am Strand, aber keiner von uns kennt einen guten Laden hier in der Gegend.

Ich sage, an der grossen Kreuzung wo’s zur Autobahn nach Tel Aviv geht, da haben wir letztes Jahr unseren Sonnenschirm gekauft, die waren nett, da gibt’s auch einen Imbiss nebenan.

Die ganzen Läden da an der grossen Kreuzung werden von Arabern betrieben.

Schon beim Zigarettenholen am Kiosk war mir aufgefallen, wie anders die Welt hier oben im Norden tickt. Weicher, weniger hart als in Tel Aviv. Weil das Araber sind? Oder sind’s einfach nur die Landeier? Aufm Dorf im Zürcher Oberland ticken die Leute auch anders als an der Langstrasse.

An Tel Aviv hab ich mich gewöhnt. Eine Stunde weg mit dem Auto bin ich komplett in der Fremde.

Wir hatten letztes Jahr da an der Kreuzung gehalten, eben um einen Sonnenschirm zu kaufen. Gabi wartete im Auto. Der Laden da ist ein übergrosser Unterstand, eine kleine Lagerhalle mit Wellblechdach, vollgepackt mit Plastik und Blech, Zeugs und Mobiliar für Haus und Küche. Strand-Utensilien stehen zuvorderst, für die Städter die hier am Wochenende langfahren zu den abgelegenen Stränden. Für uns.

Ich fragte erst noch einen Typen der da rumstand und rauchte, was er an Auswahl hätte. Er wusste nichts zu sagen. Also wählte ich einen Schirm mit grünen Palmen auf Meerblau, made in China, und brachte ihn zur Kasse. Ich musste warten, die Frau an der Kasse war mit einem anderen Kunden beschäftigt. Ein Junge reichte mir ein kleines Glas arabischen Kaffee. Ich verstand nichts von seinem Hebräisch, fühlte mich erst als Tourist und dann doch als Besatzer, bezahlte, wollte nichts falsch machen, wollte auch nicht beschissen werden und zu viel für den Schirm bezahlen, dachte, das ist die Arabische Art, man kriegt Kaffee. Nett sind sie. Versuchte noch zu handeln, zählte mein Wechselgeld.

Erst als ich wieder ins Auto stieg ging mir auf, dass ich dem Junge was hätte geben sollen. Ich fühlte mich schlecht. Typisch, Städter, reich, ohne Anstand und ohne Respekt. Der Junge dachte wohl: Es stimmt schon, was sie über die Juden sagen.

Ich fühlte mich, als hätte ich eine Gelegenheit verpasst, etwas für den Frieden zu tun.

Das war letztes Jahr. Ich wollte gerne dahin zurück. Auch zum Kiosk, zum Imbiss. Diese andere Welt hier kennenlernen, die mir noch immer fremd ist. Und wenn ich’s mir recht überlege: die mir irgendwie immer fremder wird.

Unsere Freunde wischen auf ihren iPhones herum, mein Vorschlag wird nicht gestützt. Niemand will da hin. Man sehe an dem Imbiss da nie Leute sitzen, sagt der eine. Das sei ein schlechtes Zeichen.

Alle versuchen, auf Google Maps eine Empfehlung für Hummus Chips Salat zu bekommen. Ich sage: Leute, hier hat’s ein Dorf am andern, lasst uns einfach reinfahren und irgendwo halten.

Einer sagt: Die mögen uns nicht hier in den Dörfern. They don’t like us here.

Ich sage nichts mehr. Wir fahren schliesslich los, dem anderen Auto hinterher. Sie haben angeblich auf Google was gefunden.

Nach zwanzig Minuten auf der Autobahn Richtung Tel Aviv biegen sie bei einer Autobahntanke ab, wir folgen ihnen, um zwei Ecken in einen alten Industriepark, auf einen riesigen verlassenen Parkplatz. Am einen Ende stehen einstöckige lange Barracken.

Unterm Dach hängt ein grosses Schild: Hummus Olga. Russischer Hummus.

Geschlossen an Shabbat.

Ein Doktor Kollega von Gabi, auch Assistenzarzt, ist Kampfpilot bei der Luftwaffe. Ein wahres Alphatier. Es gibt wenig was hier mehr zählt als der Pilotenschein der IAF, der Israeli Airforce. Er ist ein netter Kerl mit eisblauen Augen. Wenn er mal wieder ein paar Tage auf Arbeit fehlt, und danach liest man über Detonationen in Syrien oder Gaza, denkt man sich seinen Teil.

Syrien 2013-05-26

Auf Spiegel.de wird ein hochrangiger syrischer Politiker zitiert: Syrien werde sein Volk mit allen verfügbaren Mitteln verteidigen. 

Aus einem Email an meine Mutter streiche ich diesen Satz: “Es sind alle bisschen angespannt heute wegen der Ereignisse in Syrien, man befürchtet eine Eskalation in den nächsten Tagen… Hoffen wir, dass es nicht gefährlich wird.”

Syrien 2013-05

Im Büro plaudern wir über den bevorstehenden Krieg. – Dann bittet mich S, positive Quoten über Israel zusammenzufassen für einen Blogpost auf der Firmenseite. 

Manchmal komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus hier. 

Der «Playboy» ist auch nicht mehr, was er mal war. Trotzdem. Hier, in unserem kleinen französischen Cafe Colette an der Baselstrasse, wo altes Tel Aviver Geld verkehrt und Internetmillionäre sich breit machen; wo man im Mercato Gruyère, Brie und Pasta al Tartufo shoppt; im Haus neben unserem Buchhändler Chaim, wo man den New Yorker und die französische oder amerikanische Vogue mitnimmt; in der Strasse, wo es für Jungmütter und Grosseltern eine ganze Reihe Boutiquen mit Accessoires und Babyklamotten für Enkel/Kinder gibt (beinahe-chic, billig gemacht und überteuert wie das meiste in Tel Aviv); wo zwar nicht Nespresso Maschinen und Kapseln verkauft, aber die Kopie EspressoClub; in unserem unschuldigen kleinen Café Colette geführt von der Riesigen Matrone, wo je nach Wochentag der schwule gepiercte Schlaks mit den kurzen graumelierten Haaren und dem Modebart, oder die kleine süsse Studentin (knapp 18 und bald in der Armee) mit den weit auseinanderliegenden Mandelaugen, servieren; keine fünfzehn Minuten weg vom Orthodoxenquartier, wo die Männer mit Hut andere Frauen nicht mal ansehen, wenn sie mit ihnen sprechen, wo sich am Shabbes niemand mit dem Auto reinfahren traut, weil niemand ungestraft die biblische Ruhe bricht… In dem Kaffee hier also liegt der Playboy auf.

Es liegt einfach mehr drin hier. Es kommt so oft so viel so überraschend zusammen hier, im Kleinen wie im Grossen. Charakter zeigen fällt nicht auf. Kein Profil zeigen fällt auf. Dafür liebe ich das Leben hier. (Die Croissants im Colette sind anständig, das Frühstück ist nicht besonders toll im Vergleich, aber es ist der einzige Ort wo ich den Cafe Americano trinke ohne das kleine Milchkännchen anzurühren, lang, schwarz, kein bisschen bitter.)

Neulich war ich mit einem Start-Up-Professional aus Colorado beim Bier. Er lebt seit bald zwei Jahren in Tel Aviv, arbeitet an seinem zweiten Start-Up und wohnt bei der x-ten Frau. Er hat gar nie erst mit Hebräisch angefangen. Er fährt auch nicht Auto, sprich: er verlässt Tel Aviv nie. Sein Biotop ist die Bubble. So geht leben in ‘Israel’ gut ohne Hebräisch.

Ich kenne andere Zugezogene, die auf Anfänger-Niveau die Ulpan-Schule verlassen haben mit der Idee, alles weitere lerne man dann auf der Strasse. Jahre später sind sie nicht viel weiter. Ich bin nun gute sechs Monate in der Schule. Das sind jede Woche 20 Stunden und mehr Hebräisch. Doch ausserhalb des Schulzimmers spreche ich noch immer kaum. Zu einfach geht’s mit dem Englischen hier. Und für eine intelligente Konversation oder um die Zeitung zu lesen ist mein Hebräisch noch immer zu schwach.

Als Eliezer Ben Yehuda das erste (neu)hebräische Wörterbuch verfasste, musste er einen Teil des Vokabulars neu erfinden. Die Sakralsprache kannte keine ‘Würstchen’ und keine ‘Eisenbahn’, kein ‘Handtuch’ und kein ‘Omelett’. Dabei hat er sich auch mal vom Deutschen (oder Yiddischen) inspirieren lassen. Leider nur in Einzelfällen. Mein Leben wäre einiges einfacher, hätte er öfter mal wie bei ‘Schachmat‘ für ‘Schach’ ein Auge zugedrückt und einfach das Deutsche übernommen.

Am Ende ist Hebräisch aber auch einfach eine beeindruckende Willensleistung: Ein ganzes Land spricht heute eine Sprache, die vor etwas über 100 Jahren neu erfunden wurde. Man mache das mal nach.

Ben Yehuda hatte einen faulen Tag. Hebräisches Wort für Schach: ‘Schachmat’.