Um die Ecke von unserem Büro in Süd-Tel Aviv hat ein Kaffee aufgemacht, parterre in einem Hostel, an einer 4-spurigen Strasse. Ein karger Raum mit hoher Decke und rohen Betonwänden, vorher wird es eine Autowerkstatt oder Klempnerei gewesen sein, wie die meisten Läden hier im Kiez, noch. Der Vibe ist New York in den 90ern, Berlin in den 00er Jahren, roh, grossstädtisch. Ich wollte immer mal nach Buenos Aires, und als mir der langhaarige grauhaarige Barista heute Morgen den Kaffee im Glas zum Tisch bringt, denke ich plötzlich: genau so stelle ich mir ein Hostel in Buenos Aires vor. Gute Musik, gute Grafik, guter Kaffee und dicke Sandwiches im Schaukasten am Tresen. Eklektische Einrichtung und in einer Ecke eine Kleiderstange mit Graffiti-T-Shirts. Freundliches Personal, einige spannend aussehende Leute, die hinter ihren Macbooks hocken und innerlich mitwippen zur coolen Musik. Alles in dem Raum atmet Möglichkeiten. Alles wäre auch anders möglich. Und wenn ich in dem Kaffee sitze, gehöre ich dazu, zur Welt da draussen.

Doch so weltläufig der Laden aufgemacht ist – auch hier verkehren derzeit nur Locals. Das Land ist isoliert. In Tel Aviv sind noch Weltenbürger unterwegs, doch der Krieg schnürt dem Land und langsam auch der Stadt den Atem ab. Es riecht immer weniger nach Welt, und immer mehr nach Enge. Und nach Trauer und Wut. Was wird sein?
Die Weltpolitik fragt: Was ist Israel’s Plan für den ‘Morgen danach’? Wie soll’s nach dem Krieg weitergehen? Die Antwort der Rechtsnationalen Regierung hier: wir machen solange weiter, bis wir alle rundherum plattgemacht haben. Widerspruch gegen diesen Leitgedanken gibt’s nicht, weder im Privaten noch im öffentlich politischen Raum. Nur wenn’s um die Taktik zur Geiselbefreiung geht, gibt’s unterschiedliche Meinungen.
Wir werden einen ‘Morgen danach’ hier nicht mehr erleben. Ein echter ‘Morgen danach’, ein Tag nach dem Konflikt, ist überhaupt kaum vorstellbar. Das Rad wird sich auch in absehbarer Zukunft weiterdrehen, Auge um Auge, Krieg und Waffenstillstand und wieder Krieg. So sehr sich die Ereignisse der letzten 6 Monate wegen ihrer offenen Brutalität und Blutrünstigkeit wie eine Zäsur anfühlen, ist es doch nur die logische Fortsetzung der Politik der letzten Jahrzehnte. Die Gewaltfantasien hüben wie drüben waren schon lange offen ausgesprochen. Und so sehr man sich einen Kurswechsel wünschen kann (jetzt erst recht!) – geht es hier nur um Dominanz und Unterwerfung (jetzt erst recht!). Ihr oder wir.
Unser ‘Morgen danach’ wird der erste Morgen in der Schweiz, irgendwann im Sommer. In unserer neuen Wohnung.
Oh, wie werde ich den guten Kaffee und die Weltläufigkeit der Leute in dem Hostel in Süd-Tel Aviv vermissen…