Goldener Herbst
In Tel Aviv gibt’s keinen goldenen Herbst, die Baumkronen entlang der Sderots (Boulevards) sind immergrüner Ficus und Palmwedel. Herbst geht so: Kranwagen mit motorsägenden Arbeitern auf Hebebühnen machen die Runde, die mächtigen Baumkronen werden vor dem ersten Wintersturm zurückgeschnitten. Es grünt immer weiter.
Es war sowieso kein goldener Herbst. Die unheimliche Kriegsdüsternis des Sommers blieb hängen lange in den Winter hinein. Es gab keine Zäsur, keinen Frieden, keine Läuterung.
So sehr die Schönwetter-Mantras nerven – von wegen ‚Tel Aviv ist die hipste Party-Stadt der Welt’ und das ‚Silicon Valley des Ostens’ und die ‚Schwulendestination Nummer 1′ – sie stehen auch für eine Realität, die ich vermissen lernte.
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.
Diesmal fühlte es sich wirklich so an.
Einige tausend Menschen sind tot und es war als ob es keinen kümmerte. Alles was während und nach dem Krieg in der öffentlichen Diskussion interessierte: Was können Armee und Geheimdienst in der nächsten Schlacht besser machen?
Die viel wichtigere Frage, wie man eine nächste Schlacht vermeiden könnte, blieb und bleibt ungestellt. Oder vielmehr wohl: diese Frage ist derart allgegenwärtig seit 70 Jahren dass alle möglichen Antworten erschöpft scheinen. In den Ohren der Israelis tönt jeder Kommentar wie das dünne kraftlose Echo aus dem Archiv … jaja, das hatten wir schon.
Dieselben Gesichter sind heute an der Macht, hüben wie drüben, und sagen dieselben Dinge wie vor der Schlacht, rechts wie links.
Dann wurden von Netanyahu Neuwahlen ausgerufen, praktisch nahtlos ging es vom Krieg in den Wahlkampf wo sowieso nur noch Personalisierung und Polemik zählen.
Die Lektionen des Sommers sind allesamt deprimierend.
Der unbedingte Glaube an die Überlegenheit und an die Unterdrückung der Anderen als einzige taugliche Strategie sitzt fester denn je. Das Handwerk wurde über Jahrzehnte perfektioniert und hat sich einmal mehr bewährt.
Die Machtdemonstration der israelischen Rechten ist unheimlich. Die ‚Opposition’ hat nichts anzubieten.
Die Fantasie der Leute ist erschöpft. Keiner glaubt daran, dass echter Frieden hergestellt werden könnte, alle geben sich mit dem Status Quo zufrieden. Eine Perspektive ist das nicht. Aber alltagstauglich ist es allemal, denn der Horizont im Alltag ist der nächste Samstag Abend und bis dahin sieht’s gut aus.
Die Toten werden hingenommen. Im eigenen Land wie auch rundherum. „In anderen Konflikten gibt’s ja noch viel mehr Tote.“ Friedensdenker Amos Oz zeigt mit dem Finger auf Europa und auf die zwei Weltkriege „soviel Schaden werden wir garantiert nicht anrichten“ verspricht er in einer Rede.
Israel wird nichts an seiner Strategie ändern.
Es gibt keinen Grund dazu. Die Welt schaut zu. Die USA schicken Geld für Waffen und liefern Rückendeckung in der UNO.
Die kranken Islamisten rundherum verleihen der Strategie zusätzliche Legitimation. Verstanden wird nur Gewalt. Freiheit zählt nichts – und führt nur zu neuer Gewalt.
Irgendwann, in einigen Jahren wird Israel Reservate ausrufen und diese Gebiete den Palästinensern als ‚Palästina’ zur ‚Selbstbestimmung’ überlassen.
Eine Umkehr oder Abkehr von diesem Weg scheint unmöglich.