Meine Freundin in Kairo
Ich habe eine Freundin in Ägypten. Sie ist Deutsche und lebt seit vielen Jahren in Kairo und Zürich. Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Seit ich nach Tel Aviv gezogen bin, denke ich immer wieder an sie. Wir sitzen jetzt in mehr oder weniger feindlichen Lagern.
Wenn ich beunruhigende Nachrichten von Strassenschlachten, Militärputsch und vergewaltigten Frauen in Kairo höre, sorge ich mich um sie. Wenn ich höre, dass ein ägyptisches Gericht den amerikanischen Mohammed-Filmer zum Tode verurteilt hat, bin ich froh, dass ich auf der richtigen Seite sitze, dass ich im Takt der internationalen Empörung den Kopf schütteln kann über ‘diese Ägypter’.
Wenn die Hamas Israel mit Raketen beschiesst, hoffe ich, dass sie sich um mich sorgt. Wenn Netanyahu neue Siedlungen genehmigt, schwappt die Empörung gegen Israel hoch, dann beneide ich sie darum, dass sie auf der richtigen Seite sitzt. Wenn ich in der Zeitung von der Unterdrückung der ägyptischen Frauen lese, bin ich froh um die Freizügigkeit Tel Avivs. (Hier beschwert sich allerdings meine blonde deutsche Freundin, dass ihr die Strasse hoch und runter von den Israeli-Machos vulgär hinterhergezischelt wird. Nicht alles ist gut hier.) Ach ja, und dann gibt es hier noch die Ultra-Orthodoxen, die im Bus getrennte Sitzreihen für Frauen und Männer fordern, H&M-Plakate runterreissen, Buchläden dazu zwingen, un-koschere Literatur aus der Auslage zu entfernen … Aber in Kairo werden dafür Botschaften gestürmt und Wahlen gefälscht…
Sie spricht Arabisch. Ich kann hoffentlich bald Hebräisch. Sie ist schon lange hier im Nahost-Chaos zuhause. Für mich ist es noch immer eine neue Erfahrung, dass ich mich nicht mehr auf meine angeborene Neutralität berufen kann.