Letzte Woche spazierte ich Abends mit einer Freundin die Dizengoff runter, und was sehe ich: Einen FREITAG-Store! Was für eine Freude! Die Qualität der Produkte! Die Konsequenz in Design und Marketing! Die Qualität! Der unverwechselbare Style! Die Einfachkeit! Die Qualität … FREITAG steht für vieles, was in Tel Aviv (noch) fehlt, und was Zürich ausmacht.

Man sieht der Produktauswahl hier in den Läden an, wie Israelis einkaufen: Billiger ist besser. Qualität ist beim Kaufentscheid zweitrangig. Selbst die teure italienische Mode: Es sind die Modelle von letzter Saison – dafür lässt sich mit dem Verkäufer über den Preis verhandeln. (Die sich’s wirklich leisten können, kaufen wohl sowieso direkt in Mailand oder Zürich, wo die Auswahl grösser ist.) Aber Tel Aviv ist bereit für mehr Stil, Mode. Die Jungen sind es, die sich nach Europa orientieren.

Vor dem kleinen FREITAG-Shop stand der eine Bruder Freitag. Ich schüttelte ihm die Hand und hiess ihn herzlich willkommen in Tel Aviv. Er war eingeflogen für die Eröffnung des Popup-Stores, der die Marke in Tel Aviv einführt. Er wirkte etwas verloren zwischen den Israelis. Offenbar hatten sie ihn jahrelang bestürmt, FREITAG nach Tel Aviv zu bringen. Viel Glück! Die Freundin, die mit mir da war, fand den Laden und die Produkte super, aber sie konnte sich nicht mehr davon erholen, dass eine kleine Handtasche 800 Schekel kosten sollte…

Ich sitze auf der Terrasse des Loveat beim Lunch. Plötzlich tauchen wieder Kamerateams und Profi-Fotografen mit langer Linse auf. Ein dicker weisser Audi mit Blumendeko auf dem Kühler fährt vor: Noch eine Hochzeit. Das Brautpaar steigt aus, die Paparazzi geben Anweisungen, lächeln, küssen, Hand-in-Hand gehen. Anders als in der Schweiz, führt hier in Israel kein Weg an der Norm-Hochzeit vorbei. Die Norm ist: die Familien laden mehrere hundert Gäste zu Essen, Rabbi und Musik in eine der Event-Hallen. Davor absolviert das Brautpaar den Foto-Shoot und Filmdreh auf der Dizengoff-Strasse, am Meer im Abendlicht und in der Altstadt in Jaffa. Im Frühjahr vergeht hier kein Tag ohne Shooting.

Einige tausend israelische Paare im Jahr entziehen sich diesem Druck von Religion und Tradition und fliegen für ihre Trauung nach Zypern. Das ist der einzige Weg am Rabbi vorbei, die Trauung im Ausland der einzige Weg zur Ziviltrauung (in Israel dürfen nur die religiösen Autoritäten Ehen schliessen – und auflösen). Mangels Ziviltrauung in Israel ist es auch der einzige Weg für Paare mit einem nicht-jüdischen Partner. Bereits zwei meiner Bekannten aus der Ulpan waren «auf Zypern». Sie kamen nicht besonders glücklich zurück. Charterflug voller ungläubiger Paare hin, fünf Minuten in einem zypriotischen Amt, Charterflug zurück: So hatten sie sich ihren schönsten Tag nicht vorgestellt.

Heute habe ich die neue Webseite für Rene Kirchheimer aufgeschaltet. Danach haben wir den Start standesgemäss bei einem Grill-Lunch gefeiert (im Restaurant Rak Basar, Nur Fleisch im arabischen Teil Tel Avivs; ein Fensterloser Raum mit einer Fleischer-Theke an der Stirnseite, wo sich jeder Gast seine Fleischplatte zusammenstellt, die zehn Minuten später gut gegrillt auf dem Tisch serviert wird).

Für mich war es ein absolutes Traum-Projekt, Rene und seine Arbeit im Netz zu präsentieren. Er lebt seit Jahrzehnten in Israel und hat einen gigantischen Erfahrungsschatz. Sein Unternehmen “Israel Einmal Anders” organisiert seit über 20 Jahren massgeschneiderte Israel-Reisen für Gruppen, Familien, Paare, Individualreisende. Rene kennt alle Seiten und Facetten Israels und teilt sein Wissen mit Freude. – Die neue Webseite: israel-einmal-anders.com. Ich hoffe, die Seite gefällt, und bringt viele Reisende zu ihm.

Kein rotbraunes Laub auf der Strasse. Kein Nebel. Kein Regen. Herbst gibt’s hier nur in den Auslagen der Kleiderläden.

Die Temperaturen fallen jetzt aber auch mal unter 20 Grad – nachts. Die Restaurant-Terrassen werden zu Wintergärten umgebaut. Nach gefühlten sechs Monaten ohne Regen.

Das Licht verändert sich kaum merklich, der ewige Sommer bleicht etwas aus, wird fahl und dann bald auch für Tage grau und nass. Der Winter kommt.

Heute Mittag, nach vier Stunden Hebräisch-Unterricht, gebe ich die Ziffern für den Zahlencode am Fahrrad verkehrt herum ein, von rechts nach links, 4307 anstatt 7034. In meinem Kopf spiegelt sich alles ob der ganzen Rechts-nach-Links-Schreibe.

Alle hier sagen als erstes: «Wow, du willst hier leben? Und du bist nicht mal jüdisch? Respekt.» Und sie leuchten vor Stolz, wenn ich ihnen erzähle, wie viel Freude ich am Leben und an den Menschen hier habe. Israelis sind sich vor allem kritische Fragen gewohnt von Ausländern. Dann warnen sie mich vor den Schwierigkeiten und Problemen hier. – Auch oft gehört: «WAAS, DU KOMMST AUS DER SCHWEIZ!? Bist du verrückt? Aus dem besten Land der Welt kommst du hierher…?!» – Der Vater meiner Frau zieht den Umkehrschluss: «Man muss offenbar Schweizer sein, um dieses Land hier zu mögen…» Vielleicht hilft eine Portion Schweizerisches Gutmenschendenken und Naivität, um hier positiv zu bleiben. Mal sehen, ob und wann mich ‘die Realität’ einholt.

80 Prozent in meiner Hebräisch-Klasse sind hübsche Frauen im heiratsfähigen Alter: (angehende) Import-Ehefrauen. Einige sind gleichzeitig beim Rabbi in ‘Ausbildung’, um zu konvertieren (die Kinder sind nur jüdisch, wenn die Mutter jüdisch ist). Als Mann bin ich in diesem Segment die absolute Ausnahme. – Emanzipation in der Praxis. – Importiert wird von den Israelis natürlich, was zu Liebe, gutem Sex und Familie taugt. Immigration via Herzblatt.

Die tun was für den Genpool hier: Dralle und lange blonde Modell-Russinnen, gutgepflegte brünette Französinnen und Spanierinnen, die eine oder andere Südamerikanerin, naiv-optimistische US-Amerikanerinnen aus guten Familien. Lernbegierige Ost-Asiatinnen, Inderinnen, Afrikanerinnen sind eher die Ausnahme. Auch Deutsche.

Was wir alle gemeinsam haben: Dass es uns verdammt ernst ist mit Israel. Dass wir uns optimistisch und selbstbewusst auf die Herausforderung einlassen. Und dass wir alle mehr oder weniger frisch verliebt sind.

Ich sitze wieder vier Tage die Woche, vier Stunden am Tag in der Schulbank, der Hebräisch-Schule, der Ulpan.

Über das ganze Einwandererland Israel verteilt finden sich diese Ulpans. Alle Einwanderer werden hier durchgeschleust – das heisst: ein grosser Teil, mehr als ein Drittel der heutigen israelischen Bevölkerung, war als Einwanderer Schüler in einer Ulpan-Schule. Vermittelt wird Hebräisch in vier bis fünf Schwierigkeitsstufen. Und mitgeliefert wird auch eine gute Portion israelische Kultur. Insbesondere bei den Schulklassen für nichtjüdische Schüler auch: jüdische Traditionen. Feiertage werden in der Schule erklärt und symbolisch gemeinsam begangen.

Ruft da jemand Integration! Leitkultur!? – Jawohl! So geht das. Den jüdischen Einwanderern wird fünf Monate Unterricht vom Staat bezahlt. Wir anderen – vorwiegend Touristen und Import-Lebenspartner – zahlen einen (für Schweizerische Verhältnisse) bescheidenen Beitrag an die subventionierten und von Stiftungen unterstützten Schulen.

Das Unterrichtstempo ist atemberaubend. Vom ersten Tag an wird klar: wer hier in Israel Fuss fassen will, muss hier wirklich Fuss fassen wollen. Die Sprache ist eine erste hohe Hürde. Die jüdischen Einwanderer werden unterstützt mit Steuergeschenken, bezahltem Unterricht, Stellenbörsen und Mentoring. Wir andern müssen sehen, wo wir bleiben. Hier zieht keiner mal eben so schnell hin – ausser er ist jüdisch.

Vor einem Jahr haben mich solche Scharfmacher-Texte in der Jerusalem Post noch berührt und beunruhigt:

“On Iran, the thing to fear might be fear itself – Overconfidence should be avoided, but an army is useless if you’re afraid to use it.”

“Bezüglich Iran: Furcht ist, was wir fürchten müssen – Überzogene Selbstsicherheit sollte vermieden werden. Aber eine Armee ist nutzlos, wenn man sie nicht einsetzt.”

Was will der Kommentator sagen: Wer eine gute (will nicht sagen: die beste) Armee hat, sollte gefälligst auch Krieg führen? Wer nicht in den Krieg zieht, kann den Krieg nicht gewinnen? Dass Israel bitte nicht aus Angst vor Krieg einen Krieg vermeiden sollte? Ihr seid alles Memmen, ich habe den Grössten?

Heute ringt mir das ständige Säbelrasseln ein etwas trauriges Lächeln ab. Zuviel wird hier gelärmt, gedroht, gezetert … man gewöhnt sich daran wie an den Autobahnlärm im Schlafzimmer.

A propos: Verteidigungsminister Ehud Barak hat gestern in einem Interview den Krieg mit dem Iran auf nächsten Sommer verschoben. Nach den Wahlen. Iran habe offenbar beschlossen, mit dem Bau der Atombombe noch ein Weilchen zuzuwarten. Also brauche man jetzt nicht sofort einen Krieg. Aber nächsten Sommer könnte es dann sein …

Meine Frau und ich suchen noch eine Honeymoon-Destination. Eine Freundin zeigt auf Facebook Fotos von ihrer Reise nach Bali. Die tropischen Inseln von Indonesien sehen traumhaft schön aus – ich surfe zu Wikipedia. Erster Satz dort: “Indonesien ist das Land mit der zahlenmässig grössten muslimischen Bevölkerung.” – Israelis benötigen für die Einreise (wie Nordkoreaner und Bürger ähnlicher Problemstaaten) ein spezielles Visum. Das Visum muss von einem Indonesier, der für den Israeli die ‘Bürgschaft’ übernimmt, vor Ort in einem Visums-Büro beantragt werden.

Ende der Übung. Für mich als Schweizer ist es ein Schock, dass ich nicht nach Bali reisen kann mit meiner Frau.