Jüdisch und Anti-Israelisch? Jüdisch und Anti-Zionistisch? Anti-Semitisch? Lesenswerter Text, unten hinter dem Link. Nicht nur unbedingt der Artikel von Judith Butler (steckt auf sehr intelligente, klare Art einen Allgemeinplatz ab), vor allem auch die Kommentare. Sie verteidigt ihre Position als Jüdin und Israel-Kritikerin. – Zusammen mit den Kommentaren gibt das einen spannenden Eindruck von scharfer, intelligenter(!), zionismus-kritischer Argumentation:
Israel! – Israel! (4)
In loser Folge: Beispiele für Gegensätze, die mich als Neuling in Israel ratlos machen ..
Sünde! Sünde! – In den Hochburgen der Ultraorthodoxen in Jerusalem oder in Beit Shemesh haben die extremen Orthodoxen die Hosen an. Es werden Werbeplakate, auf denen Frauen zu sehen sind, weggerissen (oder gar verboten), Ladenbetreiber werden von radikalen Orthodoxen zum Teil gewalttätig bedrängt, ihr Sortiment auf genehme Produkte zu beschränken …
Sünde! Sünde! – Die Stimmung in den Bars und Clubs des jungen Tel Avivs könnte lockerer nicht sein. Am Strand schöne Körper so weit das Auge reicht. Auf der Strasse mehr Hotpants und Minis als sonstwo auf der Welt – es ist heiss hier.
Sinai: Urlaub jenseits der schwarzen Wand aus Angst
Meine Freundin und viele andere hier im jungen Tel Aviv trauern den Zeiten nach, als ‘echter Friede’ war mit den Ägyptern, und man den 5-Euro-am-Tag-All-Inclusive-Starndurlaub in Strohhütten bei den Beduinen am Roten Meer verbrachte. Kiffend, schnorchelnd, essend, rauchend, lesend, teetrinkend, tauchend, schlafend – bei 40 Grad plus.
Nach Ausbruch der zweiten Intifada 2000 knickte der Tourismus aus Israel ein und erholte sich in den Jahren danach nur langsam. Nach den ‘Sinai Bombings’ 2004 traute sich keiner mehr über die Grenze. Drei bei Israelis beliebte Urlaubsorte wurden gleichzeitig von Terroristen angegriffen. Über ein Dutzend Israelis wurden getötet, 32 Menschen insgesamt kamen ums Leben.
Seit DEM Frühling 2011 in Kairo wirft die israelische Regierung Kairo ausserdem vor, nicht genügend Kontrolle über die Banditen und Terroristen in der Wüste auszuüben. An der Grenze kam es in den letzten zwölf Monaten zu einer Handvoll Scharmützeln zwischen der israelischen Armee und Terroristen aus dem Gazastreifen, Palästinensern, Beduinen, Schmugglern, Polizisten, Grenzern – wem auch immer da drüben. Ein 250 km langer israelischer Grenz-Zaun soll bis Ende 2012 fertiggestellt werden.
Manche Israelis wissen gar nicht, dass es überhaupt möglich ist, hinzufahren. Die Angst vor “den Terroristen da draussen” wirkt wie eine dunkle unüberwindbare Wand entlang der Grenzen Israels.
Hier ein Artikel zum Thema von einer, die sagt: So gefährlich ist das gar nicht! Freunde von uns waren auch da – wir trauen uns nicht. Bis jetzt.
Nachtrag vom 6. August: Gestern wurde ein ägyptischer Sicherheitsposten im Grenz-Dreieck Gaza/Israel/Ägypten attackiert. Die militanten Kämpfer töteten 10-15 ägyptische Beamte/Soldaten und erbeuteten gepanzerte Fahrzeuge, mit denen sie dann ein israelisches Grenz-Camp angriffen. Die Israelis schlugen den Angriff zurück und töteten einige der Kämpfer. Wo ist Mad Max?
So viel Kredit!
Kulturschock! In Israel prüft kein Verkäufer meine Unterschrift, wenn ich mit Kreditkarte zahle! Was ist denn hier los? Der Schweizer in mir versteht das nicht. Da könnte ja jeder kommen!
Vielleicht geht die Erklärung dafür so: Das kleine Land Israel lebt von gegenseitigem Vertrauen, überliefert aus den Gründerjahren, als die Kibbuzim als Kooperativen funktionierten. Als man sich das Einkommen aus den verkauften Orangen teilte und gemeinsam im Speisesaal zu Abend ass. “Mein jüdischer Bruder wird mich nicht betrügen. Wir sind eine grosse Familie!”
Oder so: Polizei und Geheimdienst haben einen perfekten Überwachungs- und Repressionsapparat aufgebaut, um den Terrorsumpf auszutrocknen. Und im Vorbeiweg haben sie auch die Kleinkriminalität abgeschafft. Es ist hier alles so gut überwacht, dass man mit dieser plumpen Art des Diebstahls nicht davonkommt.
Wahrscheinlich ist das alles viel zu weit gesucht. Es muss nicht alles hier mit dem ‘Konflikt’ oder mit den Mythen aus der Gründerzeit erklärt werden. Der von Haus aus maximal pragmatisch, praktisch und ökonomisch handelnde Israeli denkt sich wohl schlicht und einfach: Wenn einer die Unterschrift fälschen will, ist das ein Leichtes. Also was soll ich mir die Mühe machen, das zu überprüfen? Ich mache mich ja nur lächerlich.
Ein ganz kleines bisschen staunt der Schweizer in mir auch nach Monaten noch, dass ich davonkomme mit einem hingezeichneten Kreuzchen auf dem Kreditkartenbeleg. Einem Blümchen. Einem Sternchen… Und dann bin ich glücklich, hier leben zu können. Und ich denke an all die Spiesser in der alten Welt, die sich empören, wenn ihre Unterschrift nicht geprüft wird, weil die Regeln nicht befolgt werden – und ich vermisse dieses Denken kein bisschen.
Integration verhindern …
Ich lese die Meldung aus der Kabinetts-Sitzung der israelischen Regierung wieder und wieder:
7. The Cabinet decided to continue support, in partnership with the Jewish Agency for Israel, of the “Morasha” program, which is designed to introduce Jewish students from around the world, aged 17-30, to the State of Israel and the Jewish People and prevent assimilation via a two-year course of studies to enrich their knowledge of Judaism and Israel.
Ich lese: Die Regierung unterstützt ein Programm, um der ‘Assimilation’ jüdischer Studenten im Ausland entgegenzuwirken. Sprich: um die jüdische Identität und die Identifikation mit israel zu fördern. In meinem kleinen europäischen Kopf ist Assimilation und Integration bisher nur im politischen Kontext der lärmigen Integrationsdebatte in Deutschland und in der Schweiz vorgekommen. Integration als hohes Ziel für alle. Hässliches Stichwort: Leitkultur.
Deutschland schimpft auf die Türken, die sich nicht integrieren. Die Linke fordert von der Regierung mehr Integrationsprogramme, die über Sprachkurse hinausgehen. Die israelische Regierung unterstützt Programme zur Verhinderung von Assimilation im Ausland. Ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke. (Gleichzeitig gibt es natürlich hier im Einwandererland Israel sehr weitreichende Programme zur Integration und Assimilation der vielen Einwanderer. Wobei nicht-jüdische Einwanderer konsequent diskriminiert werden. Was damit beginnt, dass de facto nur jüdische Einwanderer als ‘Einwanderer’ gelten.)
Ob die Türkei ähnliche Programme zur Verhinderung von Assimilation in Berlin-Kreuzberg unterstützt? – Wie … ist das kein fairer Vergleich? – Ist es besser vergleichbar mit Unterstützung aus dem Vatikan für katholische Jugendprogramme, draussen in der Welt?
Israel! – Israel! (3)
In loser Folge: Beispiele für Gegensätze, die mich als Neuling hier ratlos machen ..
“Kompromisslosigkeit, Nationalismus, religiöser Extremismus zeichnen ein düsteres Bild, das eigentlich gar nicht zu der lebensfrohen Stimmung in diesem Land passen will.” – Ein toller Artikel aus dem Spiegel 22/2011 erarbeitet die so kritischen Gegensätze in Isarel.
Israel! – Israel! (2)
In loser Folge ein paar Beispiele für Gegensätze, die mich als Neuankömmling hier in Israel ratlos machen. Hier als Nummer 2 ..
Vorwärts! – Wir sind die ‘Startup-Nation’! Wir sind die Weltmeister der Pioniere. Wir haben die Cherry-Tomaten und den USB-Stick erfunden! Wir sind eines der innovativsten Länder der Welt. Wir begrüssen (und beschleunigen) den Fortschritt!
Rückwärts! – Gott hat uns dieses Land gegeben! Jerusalem ist unsere Stadt seit X-tausend Jahren. Unsere Religion ist unsere Kultur. Wir sind unseren Vorfahren verpflichtet, diese Kultur weiterzutragen. Unsere Vorfahren sollen nicht umsonst für das Judentum gestorben sein.
Anschlag in Bulgarien: Jeder Israeli ein Soldat?
In Tel Avivs Strassen sieht man wenig Uniformen. Besuch aus der Schweiz ist gerne überrascht, wie “friedlich” es hier aussieht. Doch jeder (jüdische) Israeli war drei Jahre seines Lebens im Wehrdienst, Frauen zwei Jahre. Die Armee ist Teil jedes Isrealis. Der ewige Kampf um die Heimat ist verinnerlicht. Es patrouillieren keine Panzer in Tel Aviv aber die Armee hat eine unendlich wichtige Rolle hier in Israel.
Nach dem Attentat diese Woche auf israelische Touristen in Burgas, Bulgarien, wurden die sieben Toten gestern in einem Jet der Luftwaffe nach Hause überführt. Eine Zeitung meldete: “Am Flughafen Ben Gurion wurde eine militärische Zeremonie abgehalten” zu Ehren der Opfer. Eine militärische Zeremonie für Touristen, die in Bulgarien von Terroristen in den Tod gerissen wurden? Als Angehöriger hätte ich auf diese traurige “militärische Ehre” verzichten wollen. Das waren Zivilisten! Sie waren nicht im Krieg! – Oder waren sie es doch?
“Der Iran war es”, hiess es in Netanyahus Stellungnahme unmittelbar nach dem Anschlag. Das mag richtig sein. Doch die polizeilichen und geheimdienstlichen Untersuchungen waren zu dem Zeitpunkt eben erst angelaufen. Netanyahus Schuldzuweisung zementiert natürlich in erster Linie das Feindbild Iran weiter. Darüber hinaus lässt die Rhetorik der Regierung aber auch keinen Zweifel daran: die getöteten israelischen Touristen sind Kriegs-Opfer.
Bin ich nur überempfindlich, weil mich die Logik dieses un-greifbaren Kriegs ohnehin verrückt macht? Israel liquidiert seine Feinde im Ausland – Atomwissenschaftler im Iran, Hezbollah-Führer in Dubai – und versteht dann seine getöteten Touristen als mlitärische Opfer.
Was macht diese Logik aus mir, der ich hier in Israel lebe?
Liebe: Offiziell beglaubigt!
Ich bin jetzt offiziell: importierter Lebenspartner. Unsere Beziehung ist vom jüdischen Staat Israel geprüft und gutgeheissen. Seit heute habe ich eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung für 12 Monate.
Heute wurden wir auf dem Amt interviewt. Getrennt. Zuerst meine Freundin. Dann ich. Ich war nervös, als wir – erst gemeinsam, dann ich noch während ihrem Interview zwanzig Minuten alleine – mit all den anderen Ausländern im Korridor warteten.
Vor vier Monaten hatten wir den Antrag auf ein “Love-Visa” gestellt, und das verlangte dicke Paket voller Belege unserer Liebe eingereicht. Amtliche Papiere, Liebesbriefe, SMS die wir uns geschickt hatten, Fotos aus unserem gemeinsamen Leben, Briefe von Familie und Freunden, die unsere Liebe bestätigen…
Es war eine schöne Aufgabe, unsere Liebe zu dokumentieren. Man sollte das von allen Paaren verlangen. Dass sie alle fünf Jahre ihre Liebe dokumentieren müssen. Inklusive Briefe von Freunden, die ihre Liebe bezeugen. Es wäre auch ein guter Ausgangspunkt für eine künstlerische Arbeit. Dossiers von Paaren zu sammeln und dann zu Collagen zu verarbeiten. Oder Dossiers ganz zu erfinden. Oder beides.
Erst beneidete ich die Beamten um ihre Aufgabe, diese Dossiers zu prüfen. Was für eine schöne Aufgabe, den ganzen Tag Liebesgeschichten erzählt zu bekommen! Bis ich zum ersten Mal in dem Büro im “Misrad Hapnim” (Innenministerium) war. Wie traurig muss es sein, jeden Tag in diesen fensterlosen Räumen zu sitzen, und diese perfekten Liebesgeschichten vorgeführt zu bekommen. Was für ein Neid muss da wachsen! Den ganzen Tag Menschen zuzuhören, die eben in einem neuen Land und einem neuen Leben ankommen.
Unsere Beamtin war höflich, sie hatte keine überraschenden Fragen, versuchte keine Tricksereien: Wie haben wir uns kennengelernt? Was macht ihr Vater? Was macht dein Vater? Habt ihr einen guten Familiensinn in deiner Familie? War deine Familie schon hier in Israel? Etc.
Nur einmal zeigte die Beamtin Flagge: “Ah, was erzählst du mir da, ihr wart in Afrika reisen? … Hm, davon hat deine Freundin gar nichts erzählt…” – Sie sagte es leicht zweifelnd, eine Erklärung fordernd. Das wäre der Moment, wo ich bei einer erfundenen Geschichte unter Druck käme.
Ich musste an Depardieus erfundene Afrika-Reise im Film “Green Card” denken. Ich sage der Beamtin: “Da sind auch Fotos im File…” – Sie geht der Sache nicht weiter nach.
Ohne ein Lächeln lässt sie mich Gabi dazuholen und klebt für zwei mal 175 Schekel die Aufenhalts- und Arbeitsbewilligung in meinen Pass. Viel Spass denn auch.
In einem Jahr müssen wir zurückkommen und erneut unsere Liebe beweisen. Beweisen, dass wir noch immer glücklich sind.
Ultra-Orthodoxe an die Grenze!
In den letzten Wochen kochte die Diskussion hoch, ob die Ultra-Orthodoxen – und die Araber – auch in die Armee gehören. Bis heute sind sie vom Militärdienst ausgenommen. Die Araber weil .. nun ja, weil sie der Feind sind. Die Ultra-Orthodoxen darum, weil sie ihr Leben voll und ganz dem religiösen Studium widmen – vom Staat bezahlt.
Der Leitartikler der Zeitung Ma’ariv schlägt jetzt als Lösung vor: Man solle all die Orthodoxen sehr wohl einziehen zum Armeedienst und sie dann als “spirituelle Aussenposten” an der Grenze zu Libanon im Norden und Ägypten im Süden einsetzen. Dort können sie in aller Ruhe ihr Tora-Studium weitertreiben. Gottes Schutz den Landesgrenzen!
Was bedrückend ist: Die radikale Isolation dieser Sphären der israelischen Gesellschaft (und die ungleiche Verteilung der Rechte und Pflichten). Und der Staat sieht es offensichtlich nicht als seine Aufgabe, für Einheit und Gleichheit der israelischen Bürger zu sorgen.