Ich bin jetzt in einem WhatsApp-Chat mit einer Gruppe ein-quarantänten Schweizern. Wir tauschen Corona-Witze, klagen über unser Leid, vergleichen Fotos der Mahlzeiten die wir gereicht bekommen, und diskutieren den Tagesablauf in Quarantäne. (Denn ein guter Schweizer braucht auch in Quarantäne einen ordentlichen Plan mit Frühsport, klar definierten Arbeitsstunden und Arbeitspausen, und einem Projekt für die Freizeit. Wie beispielsweise der Frühlingsputz im Kleiderschrank.)

Wir verlassen unsere Zimmer nicht, und wenn wir Kontakt zum Rest der Familie haben, treten wir uns gerüstet mit Gesichtsmaske und Handschuhen gegenüber (mindestens 2 Meter Abstand, Fenster offen). Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass Israelis dieses Regime durchziehen.

Nebst der Bedenken und der Angst um die Gesundheit, ist der (nicht) Kontakt zur Familie das Schwierigste an der Quarantäne.

Unsere gemeinsame Hoffnung: dass wir alle gesund bleiben und in 14 Tagen um eine spezielle Erfahrung reicher sind.

Ich hocke seit gut 24 Stunden in Quarantäne, isoliert wegen Coronaverdacht, Begründung: 3 Tage Schweiz-Aufenthalt, Verbleibende Zeit: 13 Tage.

Es ist ja wohl eines dieser Erlebnisse im Leben, wo man erst denkt: “Nu, is ja gar nicht so schlimm …”. Ich freu mich soviel lesen, arbeiten, klavierspielen zu können wie ich will. Und ich freu mich auf die Nacht ohne tretende und schreiende Kids im Bett.

Aber ich befürchte, ab dem zweiten oder dritten Tag wird die Quarantäne ihr wahres Gesicht zeigen …

Konkret sitze ich bei uns zuhause im Büro, oben aufm Dach – was wir sonst auch immer mal als Gästezimmer nutzen. Ich schlafe auf der Luftmatratze. Im Gästebad steht ein Teekocher. Idyllisch.

Wir werden sehen. Oberste Priorität: niemanden anstecken, und selber schön gesund bleiben.

“In Israel fühl ich mich sicherer als in Europa” – die letzten Jahre hörte ich das immer dann, wenn’s in Deutschland oder Frankreich Terroranschläge auf jüdische Ziele gab. Ich dachte immer: so ein Stuss (jiddisch für ‘Unsinn’), das ist doch Äpfel mit Birnen verglichen.

Jetzt hör ich’s wieder dass Leute sagen hier sei’s viel sicherer als irgendwo sonst. Israel macht die Grenze dicht, um Corona draussen zu halten. Das ist machbar hier, denn der einzige echte Grenzübergang ist der am Ben Gurion Flughafen. Und da weiss man genau wer wann woher kommt und kann Corona-Verdächtige gleich postwendend zurückschicken.

“Recht so”, sagen viele, so bleiben wir gesund.

Flüge nach Asien und ins verseuchte Europa gibt’s kaum mehr. (Nur in die USA wird weiter fleissig gereist, denn dort hat Netanyahu’s Intimus Donald Trump ja die Coronakrise zu 100% vorhergesehen und alles unter Kontrolle. Da kann man die Amerikaner natürlich nicht auf eine Seuchenliste setzen zusammen mit den Europäern und den Asiaten. Oder erst mit vornehmer Verzögerung, jedenfalls.)

Nur: Kann sich das kleine Israel mit einem strikten Quarantänen-Regime wirklich raushalten? No way. Das Virus ist ja längst hier.

Und mir wäre lieber, die Fliegerei ginge weiter, denn wenn hier das chronisch überlastete Gesundheitswesen unter der Last tausender Coronapatienten kollabiert in ca 2 Wochen, hätte ich gerne die Option kurz in die Schweiz zu fliegen. Da stehen bestimmt noch einige tausend Beatmungsgeräte als Reserve in Armeekrankenhäusern aus dem kalten Krieg.

“Gesundheit!” allerseits – und immer schön Hände waschen und in die Armbeuge husten und niesen.

‘Are you excited about the rain?’

Fragt mich eine Mitarbeiterin im Büro und lächelt verschmitzt. Ich kuck sie verwundert an.

‘Wollte nur sehen wie Israelisch du schon bist …’ schiebt sie hinterher.

Lustig, dachte ich, gerade gestern kam ich mir recht Israelisch vor, als 400 Raketen aus Gaza in unsre Richtung zischten, und ich das zwar unangenehm, aber irgendwie normal fand. That’s life. So israelisch wie ich dachte, bin ich aber offensichtlich noch nicht – die Aufregung und den Aufruhr über die Regentage im Winter kann ich (noch?) nicht mitfühlen.

Meine Sorge wegen der Raketen war: Was sagen wir unsrem 3jährigen Sohn, wenn das Sirenengeheul losgeht und wir uns unterm Tisch (oder ähnlich) in Sicherheit bringen müssen? 

Im Kindergarten hatten sie’s neulich vom Leuchtturm kam mir dann in den Sinn, und wie das Leuchtfeuer oben auf dem Turm im Sturm hilft die Schiffe in Sicherheit zu bringen. Vielleicht sollten wir ihm sagen, dass die Sirene uns anzeigt, dass gleich ein Sturm kommt mit Blitz und Donner und dass wir uns wie die Schiffe auf dem Meer in Sicherheit bringen müssen … 

Wäre das eine erlaubte Lüge um unsreren Sohn noch nicht über die bösen Araber aufklären zu müssen?

Dann flogen in der Nacht aber (noch) keine der 400 Raketen bis nach Tel Aviv. 

Und am Morgen ist er ja dann im Kindergarten. Was die ihm wohl erzählen wenn das Geheul losgeht? Ich muss morgen die Kindergärtnerin fragen…. 

Der Strassenwischer findet auf seiner Morgenrunde ein grosses iPhone 7 unter einer Sitzbank in der Dizengof.
Er hebt es auf.

Er trägt Latexhandschuhe, trotz der Sommerhitze lange Arbeitskleidung in Leuchtfarben und vor dem Gesicht eine dieser leichten, textilen Wegwerf-Atemschutz-Masken wie man sie von Zeitungsfotos aus asiatischen Grossstadtmolochs kennt.
Alles was man von ihm sieht ist die Nase und krause schwarze Haare.

Einer der afrikanischen Juden hier, die nicht viel zu melden haben.
Das silbern glänzende grosse iPhone ist ein Fremdkörper in seinen Händen.

Er drückt auf der Seite, auf den Home Knopf wischt über den Bildschirm, es scheint nicht zu funktionieren, oder die Batterie ist alle, oder er weiss nicht was tun damit.
Oder es lässt sich mit Latexhandschuhen nicht bedienen.

Da geht schon eine Blondine auf ihn zu, Typ Mercedes-SUV-Mommy, die den ganzen Vormittag mit ihren Freundinnen – alle im knallengen orange-schwarzen Pilates-Outfit – im Strassenkaffee sitzt.
Sie zeigt auf’s herrenlose Telefon in seiner weissen Latexhand.
Er nickt und gibt es ihr.
Sie kehrt mit dem iPhone zurück an ihren Tisch.

Es ist offensichtlich nicht ihr’s.
Aber es gehört jemandem wie ihr.
Nicht jemandem wie ihm.

Die Idee der beiden war wohl richtig: wenn jemand das Telefon vermisst, wird er wohl anrufen, oder gar zurückkommen und danach suchen.

Eine halbe Stunde später sehe ich die Mutti mit ihrem kleinen 2jhrigen Kind in pinkem Dress das Kaffee verlassen, das Kind spielt mit dem grossen iPhone.

Hätt’s der Strassenputzer nicht besser selber eingesteckt?

Morgen krieg ich eine Führung durch den Golan von meinem Freund R, ein echter Israelveteran, gute 60 Jahre alt, mit 20 aus der Schweiz weg nach Israel, seit 30 Jahren Reiseführer hier. Ein alter Krieger, wie man so salopp sagt. Wir fahren in den Golan, ein bisschen Syrienkucken, Wein probieren, Ruinen abklopfen. Er kennt hier jeden Stein.

Und er hat was zu erzählen.

Bis zu seinem ersten Krieg war er ganz schön Rechts, sagt er von sich selbst. Dann, nach dem Erlebnis mit dem Töten und getötet werden, wurde ihm anders. Heute ist er eine linke Socke. Israeli-Links.

Ich sage ich bringe Sandwiches mit, und er sagt Schinken. Und ich sage Schinken-Käse, doppelt unkoscher genäht hält besser.

Wer weiss, bei guter Sicht sehen wir vielleicht Damaskus.

Von Norden her machen die Türken mit Panzern eine Tour in Syrien, stand heute in den Schlagzeilen.

Ich bereite noch eine Playlist vor.

Kann ich Wagners ‘Walküre’ spielen? Ich stelle mir vor, das wird so ein ‘Apocalypse Now’-Moment auf dem Aussichtspunkt mit Blick nach Syrien (und Libanon). “I love the smell of Napalm in the early morning”. Im israelischen iTunes-Shop gibt’s Wagner, aber in Israel ist es verboten, Wagner zu spielen. Nibelungennazischwein.

Muss ja nicht sein.
Nick Cave passt glaube ich ganz gut, God is in the House.

Ich wurde eingeladen, einen Vortrag zu halten über die kulturellen Unterschiede zwischen Israel und der Schweiz. Der Kontext: Das israelische Management einer israelischen HighTech-Firma versteht die Entscheide ihres Schweizer Mutterkonzerns nicht.

Die Israelis fragen sich: ‘Warum wollen die Schweizer unsere Projekte nicht? Wir haben doch so gute Ideen!’ Israelis haben immer gute Ideen – und sie wollen ihre Ideen umsetzen. Konzepte schreiben, Machbarkeitsstudien? Fehlanzeige. Los! Machen!

Die Aufgabenstellung an mich, wie ich die Einladung zum ‘Cultural Differences’-Workshop als Schweizer verstehe: Kulturelle Unterschiede aufzeigen, Verständnis schaffen für den Anderen und das Andere, interkultureller Dialog …

Als Israeli verstehe ich: Ich soll bitte bitte ein Rezept liefern, wo und wie man beim Schweizer den Hebel ansetzen muss. (Und gerne bestätigen, dass dass die Schweizer langsam und zögerlich sind.)

Am Ende leite ich eine knapp zweistündige Session währendder wir viel über die Eigenheiten beider Länder lachen. Über die korrekten Schweizer und die wilden Israelis.

Mein Lieblingsmoment kommt, als die Manager fragen, wie man denn einem Schweizer eine Meinung entlockt. ‘Was meint der Schweizer, wenn er sagt er hat keine Meinung?’ fragen sie. Ich sage: ‘Möglicherweise hat er keine Meinung.’ Die Israelis denken ich scherze – sie können’s nicht glauben dass jemand ‘keine Meinung’ hat.

Dann wird ein konkretes Projekt angesprochen, was vom Schweizer Hauptsitz nicht genehmigt wird. Da frage ich: ‘Versteht ihr denn, warum die Schweizer das nicht wollten?’ Sie sagen: ‘Ja, es ist ein logischer Entscheid: zu viel Risiko.’

Natürlich will der Israeli trotzdem ran. Es ist nicht so dass er das Risiko nicht sieht – er nimmt es einfach in Kauf.

Der CEO, eine Israelin, sagt gegen Ende: ‘Das hört sich ja an als leben wir im Dschungel!’

Die runde lacht laut – und etwas stolz auch.

In Deutschland (insbesondere auf Spiegel Online) wird derzeit eine ehrenwerte Kampagne zur Ent-Glorifizierung von Terror gefahren.

Ein Anschlag nach dem anderen wird auf die suizidalen Tendenzen eines depressiven gemobbten Loser-Teenagers zurückgeführt. Die Spurensuche führt zu Ballergames und fiesen Mitschülern statt zu radikalen Predigern und 6 Mal Beten am Tag. Da ist nix mit Märtyrertod Heldenbegräbnis und dutzenden Jungfrauen im Himmel. Nur todtraurige Eltern kopfschüttelnde Nachbarn und geschockte Mitschüler.

Ich wüsste gerne wie viele der jungen Messer-Auto-Pistolen-Scheren-Schraubenzieher-Attentäter hier in Israel in den letzten 12 Monaten auch eher als depressive suizidale Teenager zu beschreiben waren die nichts mit Religion und Extremismus am Hut hatten. Oder die eher ein Breivik- denn ein Bin Laden-Poster im Schlafzimmer hängen hatten. Deren Wut auf die Gesellschaft und die Welt überhaupt zielte.

In Deutschland wird sogar das Motiv des syrischen Selbstmord-Attentäters – pardon wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen wir wollen ihn nicht Vorverurteilen also des ‘Jungen Mannes mit Migrations-Hintergrund der inmitten einer Menschenmenge mutwillig einen Sprengkörper im Rucksack zur Explosion brachte’ – sogar sein Motiv wird erstmal gründlich untersucht.

Recht so!! Beim Iran-Deutschen in München der 9 Menschen und sich selbst tötete hatte es ja offenbar nichts mit Islam und Terror zu tun (zuletzt hiess es jetzt sogar er hasste das Immigrantenpack).

Bei der Geschichte mit dem Syrer mit der Rucksackbombe ist ISIS aufgewacht (wahrscheinlich hat ein Kommandeur in irgendeiner Kommandozentrale auch Spiegel Online gelesen und wütend Ausgerufen “Ihr Ungläubigen könnt doch nicht unsere Kämpfer als psychisch labile todtraurige seelische Krüppel zeichnen! Das sind doch Helden!”) Einige Tage nach dem Anschlag gibt es jetzt zwei komplett gegensätzliche Narrative und die Polizei kratzt sich am Kopf: Die Deutschen Behörden sprechen von einem depressiven traumatisierten Flüchtling. Und ISIS verbreitet das Porträt eines eiskalten jungen hasserfüllten Mannes – ein Held – der sein ganzes Leben lang für die Sache kämpfte schliesslich nach Europa einreiste um den Feind im Herz zu treffen. Welche Version stimmt nun? Möglicherweise beide? Kann dieser arme Kerl gleichzeitig traumatisierter Flüchtling und hasserfüllter Kämpfer gewesen sein?

Wahrscheinlich fällt mir diese (manchmal vielleicht sogar übertrieben) differenzierte Berichterstattung auch deshalb auf weil ich als Europäer diese Diskussion hier in Israel über die menschlichen Motive und Ursachen vermisse. Hier heisst’s Terrorist Ist ja klar. Araber. Hassen uns ja eh alle. Und Hamas bedankt sich und sagt ‘Ja er war einer von uns’ und feiert ihn/sie als MärtyrerIn.

So, jetzt hat’s bei uns um die Ecke geknallt. Ein Araber aus dem Norden Israels hat in unserer Strasse um sich geschossen, zwei Menschen getötet, ein Dutzend verletzt, Hunderte traumatisiert. Was für eine abscheuliche Tat.

In einer israelischen Zeitung wunderte man sich, wie der Täter entkommen konnte und warum niemand eingegriffen hat. In Jerusalem hätte sich irgendein Sicherheitsmann/Selbstverteidiger eine Medaille geschossen. Hier auf der Dizengof, unter all den Passanten, hatte offenbar keiner eine Gun im Hosenbund. Dafür liebe ich Tel Aviv. Genau darum leben wir in Tel Aviv.

Doch was ändert sich nun mit diesem Anschlag (Amoklauf?) für mich und für uns?

Ja, wir haben in unserer Wohnung die Krankenwagen, die Polizeisirenen, die Helikopter gehört, und wir haben uns gesorgt, noch bevor die Nachrichten berichteten. Ja, wir sitzen oft in dieser Strasse in Kaffees. Ja, theoretisch hätten wir dort, 10 Minuten Spaziergang die Strasse hinauf, sitzen oder gehen oder stehen können.

Es ist näher. Es ist nicht dasselbe, wie wenn Siedler in der Westbank oder Soldaten in Jerusalem von Arabern erstochen oder überfahren werden.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

Kein gutes Zeichen: Unsere Strasse in den Schweizer Nachrichten.

G sagt: Was, wenn es unser Stammcafe erwischt hätte..?

Ich sage: Dieser Anschlag ändert gar nichts. Mein Wohlsein oder Unwohlsein hier hat nur in zweiter Linie damit zu tun, an welcher Adresse ein Anschlag passiert. Natürlich, eine Horrorvision wäre, dass wir hier nicht mehr vor die Tür können, ohne um Leib und Leben zu fürchten. Weil es wöchentlich knallt im Stadtzentrum. Aber davon sind wir weit weg. Der israelische Sicherheitsapparat funktioniert zu gut. Und so dramatisch die einzelnen Vorkommnisse sind: es ist kein Volksaufstand. 2 Millionen Araber leben in Israel – ihre Kultur wird diskriminiert und ausgegrenzt, sie haben schlechte Karten in der israelischen Gesellschaft. Aber sie haben fliessend Wasser, Stabilität und Sicherheit. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich hier in der Gegend umschaut. G’s Kosmetikerin kommt ursprünglich aus Gaza, jetzt betreibt sie ein Nagelstudio hier unten auf der Strasse und sagt, sie hätte Jahre gebraucht, um ihren Hass auf Juden abzubauen. Irgendwie hat sie es geschafft, zumindest zwischen den Kulturen zu leben.

Und das ist, was mich viel mehr umtriebt: das Zusammenleben – oder eben leider Gegeneinander-Leben. Das gesellschaftliche Klima hier wird immer und immer toxischer. Möglicherweise, bis es bald nicht mehr auszuhalten ist. Ich höre von manchen, die ihr Leben lang hier waren: ich halte es nicht mehr aus hier. Und sie ziehen weg und eröffnen einen Humus-Laden in Madrid.

Jede neue Gewaltwelle treibt die beiden Völker noch weiter auseinander. Und die, die an der Macht sind, die etwas zu sagen haben, giessen hüben wie drüben Öl ins Feuer. Netanyahu packte auch diese Gelegenheit nun wieder beim Schopf, um bei einem Kurzbesuch am Tatort alle Araber in Israel für den Anschlag mitverantwortlich zu machen.

In der selben Woche verbietet die Regierung – über den Kopf der Bildungskomission hinweg – ein Buch in der Schule, in dem es um die Liebe zwischen einer Jüdin und einem Muslim geht. “Junge Menschen seien naiv und romantisch, sie verstehen das Konzept der Kulturerhaltung noch nicht, man könne sie nicht so verwirren”, liess sich eine Regierungsvertreterin zitieren. Kurz: Schulstoff kann nicht das übergeordnete Konzept der Rassenreinheit unterwandern.

Der Siedlungsbau wird weiter vorangetrieben. Die Zweistaaten-Lösung wird derzeit von niemandem mehr ernsthaft verfolgt oder propagiert…

Anstatt dass man das Zusammenleben lernt und fördert, wird das Auseinanderleben propagiert.

Die Autorin Sibylle Berg hat den Anschlag an der Dizengofstrasse miterlebt, es knallte offenbar unter dem Balkon ihrer Schreibstube hier in Tel Aviv. Sie hat im Affekt eine wehleidige Kolumne für Die Welt geschrieben, in der sie sich von einer eingebildeten heilen Welt verabschiedet.

Berg, die Tel Aviv-Touristin, liess sich von der Offenheit und Weltlichkeit unserer Stadt und ihrer Bewohner verzaubern. Die Realität ist, Tel Aviv ist Teil von Israel. Und Israel ist bis heute gut gefahren mit einer Politik der Unterdrückung und andauernder Demonstration der Stärke gegenüber den Anderen, den Nachbarn. Davon profitiert auch Tel Aviv – darunter leidet auch Tel Aviv.

Was braucht es wohl, um dieses Angst- und Machtgetriebene Gegeneinander-Prinzip zu durchbrechen, dass Israel zu einer neuen Politik findet? Und was braucht es, damit auch die anderen, die Israel hassen, zu einer gemeinsamen Zukunft bereit sind? Ist es schon zu spät dafür? Sitzen wir’s aus? Wird’s erst schlimmer, auf dass es nacher erst recht besser werden kann?

Es ist nicht ein einzelner Anschlag, der mir hier das Leben verleidet. Wenn es mir hier verleidet, ist es wegen der rassistischen Imprägnierung, der Hoffnungslosigkeit und Fantasielosigkeit wenn es ums Zusammenleben mit den anderen, den ‘Cousins’ hier geht.

“Na, was denkt ihr, wie reagieren die Pariser Bohemiens in ihren Cafes heute früh, wenn ein Araber die Tür aufstösst..?”

“Was — ah — die Bohemiens sitzen gar nicht in ihren Cafes heute Morgen?”

“Wird Europa die syrischen Flüchtlinge weiterhin mit offenen Armen empfangen?”

“Willkommen in der Realität!”

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Die Krise mit den syrischen Flüchtlingen hatte hier für Schlagzeilen gesorgt. Die Israelis haben nicht verstanden, wie man einfach so die Tür aufhalten kann.

Ich werkelte die letzten Wochen an einem Blogpost mit der Pointe: Europa ist stark, die Israelis sind Rassisten und verstehen nichts von Menschlichkeit. Die Araber sind auch nur Menschen wie du und ich.

Dieser Terroranschlag wird die Sache mit den Flüchtlingen und der Integration nicht einfacher machen. Doch nach dem ersten Schock sind es natürlich genau die ‘europäischen Werte’, auf die wir jetzt unsere Hoffnung setzen müssen.

Auf dass Kinder nicht lernen, instinktiv die Strassenseite zu wechseln wenn sie einem Araber begegnen. Auf dass die Bohemiens nicht zweimal hingucken, wenn ein Araber die Tür des Cafés aufstösst.

Das Ende des Syrien-Blogposts ging so: Hoffen wir, dass Europa stark genug ist, die Flüchtlinge einzuschliessen in die Gesellschaft. Und dass die Flüchtlinge bereit sind, Europäische Werte zu akzeptieren.

Hoffen wir’s.