Es ist Purim, alle verkleiden sich als Piraten, scharfe Politessen und Krankenschwestern, Sträfling, Superheld(in), Bunny oder gelbe Mäuschen. Made in China-Kostüme gibt’s für wenig Geld an jeder Ecke.

Ich war letztes Jahr in einem blauen Austin Powers Anzug aus Polyester an einer Party, wo noch zwei oder drei andere dieselbe ‘Idee’ hatten. (Supermodel Bar Refaeli war angeblich auch auf der Party, aber ich erkannte sie nicht in ihrem Kostüm). Frida Kahlos und John Lennon sind beliebt für anspruchsvollere Gesellschaften.

Bugs Bunny’s Walk of Shame. Fällt nicht auf an Purim.

Ein Volk von Kriegern lässt an Purim zwei Tage und Nächte lang das Kind raus. Ist doch normal. Ganz zu schweigen davon, dass man auch jahrum im Alltag nicht schlecht fährt, wenn man den ungeduldigen, ungezogenen Israeli manchmal nicht ganz für voll nimmt, sondern als Kindskopf behandelt.

“Do you also have Halloween?” fragt mich ein Kollege auf Arbeit.

“We have Fasching.” sage ich.

“FASCHING!” brüllt er ins Büro.

Typisch deutsch! Fasching! Nur ein paar Buchstaben weg vom Faschismus! 

Es ist so ein Ding mit Deutsch hier.

Bis vor einigen Jahren fürchtete man als Deutsch-Sprechender, von Holocaust-Überlebenden ‘erwischt’ zu werden. Jenes Israel kenne ich nur aus Erzählungen.

Meine Nachbarn und die Leute, die heute neben mir im Bus oder Restaurant sitzen, die haben ganz andere Deutsch-Erfahrungen. Partys im hippen 20xx Berlin beispielsweise.

Immer wieder wird einem auch das “AUFMACHEN!! SHNELL!! PAPIEREN!!”-Deutsch aus den Zweitweltkriegs-Klamottenfilmen vorgeführt, das einem auch in den USA ständig um die Ohren gehauen wird. Das hat mehr mit Hollywood als mit Israel zu tun.

Oder dann eben das Pornodeutsch. Was ich von vielen schon gehört habe, und noch immer nicht ganz glauben kann: Deutsch ist hier die Sprache für versauten Sex.

Für Israelis meiner Generation wurde Deutsch offenbar radikal umbesetzt, weil die deutsche Porno-Video-Industrie willig hierhin exportierte, und weil RTL und SAT1 Ende der 80er-Jahre per Satellit ihre “Französischen Kusinen” und “Es Juckt in der Lederhosen”-Softpornos am Spätabend auch nach Israel ausstrahlten.

Wer hätte gedacht, was für eine Image-Kur die Produzenten da ihrer Muttersprache verpassten. Aus dem Konzentrationslager-Deutsch ruckizucki zum Matratzenlager-Deutsch. In Serbien wurde ich Ende 90er in den Ferien auch mit spritz mich Jochen begrüsst.

So sehr es mir als Schweizer gegen die Natur geht, dass Hochdeutsch die Sprache sein soll, die hier in heissen Nächten durch offene Schlafzimmerfenster auf die Strasse schallt, verschiedene Quellen sagen alle übereinstimmend dasselbe… 

Hier ein Bericht aus erster Hand, von der deutschen Historikerin(!) Anna Rau, Zitat: I, as well as other German girls I know, have been asked to speak German when things get hot and heavy: Germans and Israelis – sharing history and sexual fascination.

Ich spreche nur Englisch hier. Und immer mehr Hebräisch.

Gabi insistierte vor zwei Jahren, dass wir uns einen Drucker mit Fax kaufen. Ich lachte: “Fax??! Du bist so süss. Ich bring’ dir jedesmal Blumen wenn wir einen Fax schicken oder empfangen. Wir leben doch im Silicon Valley 2.0!”

Der Kulturschock liess nicht lange auf sich warten: In der #Startupnation stellt der bürokratische Schriftverkehr aller Art komplett auf Fax ab.

Nichts geht ohne Fax. Man bekommt kaum eine Pizza geliefert ohne Fax.

Die Parkuhr in der Strasse lässt sich zwar per iPhone-App füttern, aber banale papierne Formulare werden hin und her gefaxt wie in den tiefen 80ern.

Möglich, dass die Bürokraten mit dem Faxgeräte-Importeur unter einer Decke stecken. (Das Leben hier lehrt einen, alles auf doppelte Böden abzuklopfen. Und es ist doch nicht möglich, dass sich kein Startup findet, was dieses Problem löst.)

Jetzt hat sich ein Haver Knesset, ein Parlamentarier, das Thema für eine Schlagzeile gekrallt. Er will eine staatliche Verordnung, die sämtlichen Dienstleistern eine Email-Alternative zum Schriftverkehr per Fax aufzwingt.

Vermutlich wird die Fax-Lobby den Wink verstehen und dem Parlamentarier eine lebenslängliche Versorgung mit Tinte für seinen Drucker (mit Fax) anbieten, wenn er seinen Vorschlag zurückzieht.

Vielleicht sollte ich auch den kleinen Blumenladen bei uns um die Ecke auf der Dizengoff warnen. Ich schulde Gabi noch geschätzte zwei Dutzend Fax-Blumensträusse, aber wenn der Parlamentarier durchkommt mit seinem Vorschlag brechen harte Zeiten an…

JPost - Aus für Fax in Israel

Wie ich nach einem Meeting in einem Kaffee in Tel Aviv um 20 Schekel ärmer war, während Kellner und Businesspartner auf meine Rechnung vorwärts machten.

Wir sassen zu dritt, dann zu zweit in einem Kaffee im Norden Tel Avivs bei einem Business Meeting. Wir assen einen der leckeren israelischen Salate.

Wir bezahlten, verabschiedeten uns dann draussen an der nächsten Ecke und ich musste nochmal zurück, ich hatte die Quittung vergessen. Der Kellner erkannte mich und streckte mir ungefragt 150 Schekel hin. Er sagte, das Geld sei unter dem Teller meines Geschäftspartners liegengeblieben.

Ich war gerührt, sagte ihm, ich sei nur für die Quittung zurückgekommen, nahm das Geld und steckte ihm 20 Schekel Trinkgeld zu.

Draussen überlegte ich eine Sekunde, ob ich die 150 für mich behalten sollte.

Dann sah ich aber meinen Geschäftspartner an der Bushalte auf der anderen Strassenseite, ich winkte, kreuzte die Strasse und gab ihm die 150 die der Kellner gefunden hatte. Ich sagte ihm, ich hätte dem Kellner zum Dank 20 gegeben.

Mein Geschäftspartner bedankte sich. Und er konnte kaum glauben, dass ich dem Kellner 20 Schekel gegeben hatte. Wofür denn..?

Ich erklärte ihm, das sei bei uns üblich, dass man 10 Prozent Finderlohn gibt.

Dann sagte er: Waren da nicht 200 Schekel unter dem Teller?

Ich sagte: Der Kellner hatte mir nur 150 gegeben.

Offenbar hatte der Kellner schon 50 Schekel Finderlohn abgezogen.

Ich merke mir: Finderlohn nimmt man sich in Israel selbst. Man vertraut nicht auf die Grosszügigkeit des Besitzers.

Letztes Wochenende kämpfte ich mit zwei lesbischen ungarischen Designerinnen an einem dreitägigen Hackathon um 10,000 Shekel. (Ich sage das so, weil ich immer wieder verblüfft bin, in was für Situationen mich das Leben hier in Israel hineinspült.)

Wir drei waren “Team Europa” und wir hatten neun oder zehn andere Teams gegen uns in einem Wettkampf um das beste Konzept und Design für eine Mobile-App.

Ausgeschrieben hatte den Wettbewerb eine internationale Design-Beratungsfirma in Zusammenarbeit mit einem Medizinal-Hightech-Startup. Die Aufgabe: Konzept und Design für eine “Gesundheits-App” für Smartphones entwickeln. Als Ausgangspunkt diente eine existierende medizinische Diagnose-Routine, die per Smartphone vereinfacht und für Patienten zuhause verfügbar gemacht werden sollte (ich musste unterschreiben, dass ich niemandem etwas von den Ideen erzähle, die besprochen wurden).

Wir hatten gute 48 Stunden Zeit, dann mussten wir unsere Lösung in einem Pitch, einer 8-minütigen Präsentation, verkaufen.

Wir machten uns daran, einen Patienten zu erfinden. Wir stellten uns eine Situation vor, in der unsere App nützlich wäre. Wir entwickelten ein Konzept, wie die App funktionieren würde, entlang der vorgegebenen Technologie. Und wir entwickelten ein schönes, einheitliches, funktionelles und attraktives Screen-Design für die Nutzerführung.

So war uns die Aufgabe gestellt worden.

Wir hatten Stress, das Material für die Präsentation rechtzeitig zusammenzubringen, aber wir schafften es. Wir präsentierten als erstes Team. Jury und die anderen Teams mochten unseren Pitch.

Die 10’000 Schekel nahmen andere mit nach Hause: Ihre Präsentation war mit viel Leidenschaft und Witz vorgetragen, aber ihre Lösung war grafisch und ‘designerisch’ völlig unentwickelt. Das Screen-Design für ihre App war bestenfalls ‘funktionell’. Es kümmerte sie nicht, wie hübsch oder gut das ganze aussah. Was sie hatten: Sie hatten bestechende Ideen zur Technologie. Dazu, wie man das Smartphone besser einsetzen könnte.

Das israelische Gewinnerteam hatte einen Schritt zurück gemacht und Schwachpunkte der Technologie erkannt, die nicht mit gutem Screen-Design zu beheben waren.

Wir hatten uns an den Wettbewerbs-Vorgaben orientiert. Die Israelis dachten ‘out of the box’.

Wir hinterfragten nicht, was gegeben schien. Die Israelis sagten: Was ihr uns vorgibt, ist nicht gut genug. Also setzten sie sich hin und dachten darüber nach, wie man die Technologie verändern müsste. Ihre Ideen waren komplett unausgereift, aber sie hatten einen futuristischen Touch. Ihre Ideen versprachen etwas Neues. Sie hatten aufregende Ideen. Dass die Aufgabenstellung damit sehr weit gedehnt wurde, kümmerte weder das Gewinnerteam noch die Jury.

Ich bin zufrieden mit unserer Präsentation. Aber ich ärgere mich, dass wir diesen Schritt zurück nicht gemacht hatten. Auf Hebräisch sagt man jemand ist ‘rosh gadol’ oder ‘rosh katan’, grosser Kopf oder kleiner Kopf. Wir waren die mit dem kleinen Kopf.

Die Fähigkeit, sich von Vorgaben zu lösen und das zu tun, was einem richtig scheint, erlebe ich hier jeden Tag. Vorgaben aller Art (natürlich auch Anstand und Gesetz) werden hier bestenfalls als Ideen respektiert, wie man sich verhalten könnte. So lebt man hier. Out of the box.

vor ein paar Tagen ist Arik Einstein gestorben. Ich kannte ihn nicht. Er war ein Sänger der 60er und 70er hier in Israel, war seit den 80ern nicht mehr aufgtreten – blieb aber eine Art Paul McCartney Israels. Zu seiner Abdankung auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv kamen tausende, inklusive Bibi Netanyahu.

Israel ist keine Shopping-Destination. Alles ist überteuert und das meiste ist erst noch Mist und von minderer Qualität. Typisch kleiner abgeschotteter Markt. Weihnachtsgeschenke shoppen ist erst recht schwierig. Das gibt’s ja nicht hier. Es braucht ja kaum einer Weihnachtsgeschenke hier.

So fällt in all dem Mittelmass am Ende noch das eine oder andere schräge Stück auf. Dart’s vielleicht ein Sack Plastiksoldaten der PEACE FIGHTER COMBAT FORCE sein mit israelischer Flagge und allem? Made in China. (Gibt’s die auch im Franz Carl Weber an der Bahnhofstrasse Zürich mit Schweizerkreuz? Oder hat sich das jemand extra für Israel ausgedacht?)

Dann die Idee: Wir bringen allen eine Flasche Olivenöl mit, das gibt’s gutes hier. – Aber oh nein, das geht ja auch nicht, weil aus den besetzten Golan-Höhen. Kommt ja in der Schweiz nicht gut an.

Bleibt nur: Wir freuen uns auf Weihnachtsshopping im Globus Bahnhofstrasse am 24. Dezember. Dass es mal soweit kommt …

Xmas Fighters

 

Bei schönerem Wetter hätte mir Ramallah besseren Eindruck gemacht. Was im Zürcher November der graue nieselige Hochnebel ist, sind hier Sandwolken, feiner Staub der sich auch tagelang hält, auf Bäume und Autos legt, man spürt ihn manchmal auf der Zunge und der Dreck hängt wie ein feiner Schleier vor der Sonne. An manchen Tagen sieht man die obersten Geschosse der Hochhäuser am Ende unserer Strasse nicht mehr.

Zwei oder drei Mal im Jahr liegt so viel Staub in der Luft, dass es tagsüber apokalyptisch eindunkelt und die Sonne blutrot anläuft, als kriege sie keine Luft mehr und ersticke gleich. Danach regnet es erstmal dreckiges Wasser.

Meine Freundin aus dem diplomatischen Korps hatte mich am Samstag in einer SMS spontan eingeladen, sie zu einem Lunch am Sonntag in Ramallah zu begleiten.

 

Angeblich die Flaggen aller Staaten, die Palästina bis dato als Staat anerkannt haben. Manche von Wind und Wetter zerfetzt, manche auf Halbmast. Eine grosse Baubrache neben Arafats ehemaligem Machtzentrum.

 

Ich hatte ihr ein paar Wochen zuvor gestanden: Mit jedem Monat, den ich länger hier in Israel lebte, wurde die Vorstellung eines Besuchs beim Feind unheimlicher. Warum, weiss ich nicht. Die Medien? Die Gehirnwäsche einer Nation im Kriegszustand? Gruppenzwang eines traumatisierten Volks? Die Raketen aus Gaza im letzten Herbst?

Ich sagte meine Bürotermine für Sonntag ab.

Tel Aviv Richtung Jerusalem, nach 45 Minuten rechts abbiegen

Beim ersten Besuch in Israel, vor zwei Jahren, war ich mit Gabi unterwegs nach Jerusalem, da stand Ramallah angeschrieben auf einem Autobahnschild.

Ich hatte sie gefragt: „DA ist Ramallah?“

Ich hatte im MAGAZIN des TagesAnzeigers gelesen, dass dort viele junge Expats leben, UNO-Mitarbeiter und NGO-Workers, Hilfswerker, Friedensstifter, Abenteurer, und dass sie cool drauf sind und gute Bars und Parties machen zusammen mit den Palis. Es hatte sich aufregend und vielversprechend angehört. Etwas gefährlich vielleicht, aber ohne wirklich gefährlich zu sein. Nicht wie Saigon 1965 oder Beirut 1985. Aber doch irgendwie mit diesem schwitzigen Uniform-Geruch in der Luft, den blauäugigen blonden Fotoreportern, zähen Geschäftemachern und Abenteuern.

Sie sagte: „Ja klar, da ist Ramallah.“

Ich wollte sie fragen, ob wir da hinfahren können, aber ich hatte eine Ahnung.

Darum fragte ich vorsichtiger: „Warst du schonmal da?“

Meine Frau: „Spinnst du? Ich will nicht vergewaltigt werden.“

Araber stinken. Man lernt das so hier.

Die Diplomatin und ich im Botschafterwagen, wir fuhren am Sonntag um 10:30 in Tel Aviv los. Wir waren um 12 Uhr mit dem japanischen Diplomaten in Ramallah verabredet. Er würde uns vor einem der bekannten Expat-Hotels treffen und dann in ein gutes Restaurant mitnehmen.

Eine gute Dreiviertelstunde Ostwärts auf der Siedler-Autobahn, Schnellstrasse 443, lag vor uns. Die Siedler-Autobahn ist eine von zwei Autostrecken zwischen Tel Aviv und Jerusalem.

Die 1 ist die Haupt-Achse, sie wird derzeit durchgängig auf 6 Spuren erweitert. Die 443 führt durch die Westbank und bedient unterwegs Settlements. Palästinensern ist der Zugang zur Strasse gesperrt. Sie ist links und rechts eingezäunt. Siedler-Autobahn.

Ramallah ist Teil der Zone A, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert wird. Aus Sicherheitsgründen ist Juden der Zugang zur Zone A verboten. Egal mit welchem Pass. Ich bin weder Israeli noch Jude. Ich sehe auch nicht aus wie ein Israeli (Juden sehen ja so und so aus, aber Israeli erkennt man).

Darum hatte die Diplomatin auch kein Problem, mich in die Zone mitzunehmen.

Meine grösste Sorge: dass ich bei der nächsten Ausreise und Einreise am Flughafen drangenommen werde. Oder unangenehmer: dass sie mir plötzlich Probleme machen beim Erneuern meiner provisorischen Niederlassungsbewilligung, wenn sie erfahren, dass ich in Ramallah mittagesse.

Ich suchte mir meine Klamotten an dem Morgen sorgfältig aus, um für den Palästinenser zwar möglichst Schweizerisch auszuschauen, aber nicht verwöhnt wohlhabend.

Unterwegs im Auto nach Ramallah fühlte ich mich zum ersten Mal seit langem wieder als Schweizer: Neutral. Als Tourist. Als Gast und ohne Verantwortung. Hände ausgestreckt und Handflächen nach oben gedreht. Mal kucken gehen.

Wenn ich in der Schweiz bin, bin ich Besucher aus Israel. Wenn Freunde uns in Tel Aviv besuchen, bin ich der Tel Avivi.

Wenn ich mit meiner Frau reise, behaupten wir in Istanbul, Jordanien oder Kenia zwar beide, dass wir Schweizer sind – mit dem Resultat dass ich mich mit dieser halben Lüge als Israeli fühle. Potenziell von Entführung und Bombenanschlägen bedroht, von keinem gemocht, von allen kritisch beobachtet.

Besser, wenn mir heute kein Wort Hebräisch rausrutscht. Besser, wenn niemand weiss, dass ich in Israel lebe. Besser wenn keiner weiss, dass ich Samuel heisse und eine jüdische Frau habe.

Mal wieder richtig Schweizer sein

Einfach mal gucken gehen, wie die’s in Ramallah haben.

Es tut mir ja leid mit dem was hier alles geht, politisch. Aber ich kann da wirklich nichts dafür. Es ist einfach eine komplizierte Situation. Könnt ihr nicht einfach miteinander reden?

Wir verlassen die Autobahn bei einem der Settlements – mein erstes Settlement. Das Dorf sieht aus wie andere israelische, aus dem Boden gestampfte Kleinstädte. Vielleicht noch etwas trotzigere Architektur. Noch schneller gebaut. Noch weniger Charme.

Richtungsschilder an der Strasse gibt’s hier kaum. Meine Freundin kennt den Weg. Wir biegen mitten im Dorf in eine Seitenstrasse ein, 150m die Strasse runter steht ein trotziger Turm, darum herum viel Gitter, Betonblöcke, Strassenschwellen und Stacheldraht. Checkpoint.

Wir fahren im Schrittempo auf das grosse Maschendrahttor zu, der israelische Soldat verlässt nicht mal sein Kabäuschen, das Tor schwingt lautlos auf und wir fahren durch. Das war’s.

Unser Auto hat CD Nummernschilder. Corps Diplomatique. Diplomatisches Korps. Meine Freundin erklärt, dieser Checkpoint ist nur offen für Diplomaten, UN Mitarbeiter und Sondergenehmigungen.

In die andere Richtung, auf der anderen Strassenseite sehe ich die Schleusen für die Fussgänger, die Palästinenser, die durch den Checkpoint nach Israel wollen. Auf der palästinensischen Seite des Checkpoint stehen geparkte Autos, die Strasse ist bis auf eine Spur in der Mitte zugeparkt mit PWs von Tagesaufenthaltern in Israel.

Wir sind in Zone A.  Aber noch nicht in Ramallah.

Die Strasse hier ist schlechter. Es ist ein löchriges Asphaltband auf den Sand gelegt. Links und rechts stehen weissgraue rohe Betonbauten. Hier baut keiner fürs Auge. Es ist unklar, welche Häuser noch im Bau sind, welche schon fertig, bewohnt wirkt hier gar nichts, plötzlich kommt mir auch die Landschaft so anders vor, so trocken, so karg, so unbelebt, steinig, sandig, das diffuse milchige Licht tut das seine dazu, es kommt mir vor als hätte ich meinen Kopf in eine andere Welt gesteckt, in der das Licht diffus, die Frischluft knapp und das Land trocken ist.

Sogar die Karten auf dem Handy sind blank.

Auf Google Maps ist Ramallah als grauer Fleck markiert, ohne Strassennamen. Das Mövenpick Hotel Ramallah wird angezeigt. Das ist alles.

Meine Freundin kennt den Weg. Wir unterqueren die Siedler-Autobahn, deren Sichtschutz-Zäune die Landschaft zerschneiden. Hinter dem Band aus beigen Blachen könnten auch die Schienen eines riesenlangen Rollercoasters liegen, der hier über die Hügel vor Jerusalem flitzt. Irgendwo ist der Einstieg, da muss man anstehen, Karten kaufen und dann Schlange stehen für die nächste Abfahrt.

Dann erreichen wir auch schon die ersten Häuser Ramallahs. Wie’s aussieht wird auch hier wie überall in Israel viel gebaut. Pardon: Wie überall in Israel wird auch hier viel gebaut. Die Architekten scheinen noch etwas weniger gut ausgebildet. Die Ambitionen der Bauherren sind aber hoch. Es stehen einige Paläste an der Strasse, Mischung aus moderner Architektur, Festungsbau und Neureichen-Punk-Prunk.

Wir suchen unseren Treffpunkt

So euphorisch Lonely Planet Ramallah als Happening Place feiert, so dürftig ist auch da die Karte. Sie zeigt 800×800 Meter Innenstadt.

Das wäre eine Aktion: Ramallah auf Google Maps erfassen.

Wir verfahren uns, werden aber von netten Fussgängern zum Treffpunkt gewiesen. Dann folgen wir dem Japaner zum Restaurant.

Wir essen in einem von Christen betriebenen Restaurant. Es wird Tel Aviver Standard geboten, etwas bemühter, man spürt, das ist nicht normal hier. Das tut man für ‘die andern’. Der junge coole Inhaber oder Maitre d’ bedient uns zuvorkommend. Auch die Preise sind hoch. Wir trinken einen Orvieto.

Die Diplomaten tauschen Ansichten und Einsichten aus.

Der Japaner geht Bergsteigen in der Westbank.

Er kennt einige gute Wände in der Gegend.

 

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Nach dem Orvieto fahren wir zu Arafat

Anschliessend besuchen wir die Mukatah, das Hauptquartier der PLO zu Yassir Arafats Zeiten und sein ‘Gefängnis’ von 2002 bis 2004, als israelische Truppen seine Regierungsanlage belagert hielten – und zum grössten Teil zerstörten.

Es ist die einzige touristische Destination Ramallahs. 

Das Grab Arafats steht Besuchern offen, es wird von einer Handvoll Soldaten in Paradeuniform bewacht.

Es wird nicht als seine letzte Ruhestätte angesehen. Die soll in Jerusalem sein, wenn der Felsendom wieder zu Palästina und nicht mehr zu Israel gehört.

Nach der etwas surrealen, gespenstisch kahlen und fahlen Kulisse der Mukatah fahren wir ins nahegelege Stadtzentrum, spazieren durch die belebte Hauptstrasse, vorbei am Stars-and-Bucks zum schmutzigen und einfachen, aber gut besuchten Markt mit viel Frischwaren. Wir sind beinahe die einzigen Westler, ich sehe noch eine Asiatin mit einem palästinensischen Begleiter auf dem Markt und einen älteren Abenteurer oder Künstler, der vielleicht 1985 in Beirut war.

Die Türme frisches Gemüse und Früchte auf dem Markt sind wie ein Schock: Das maximal intensive Rot, Grün, Gelb der Peperonis. Das Orange der Khakis und Mandarinen. Die dicken Büschel Bananengelb. Grüner Lattich.

Wo sind die Gewürze? Gewürze machen sich gut als Mitbringsel.

Es ist alles spottbillig.

Während unser Restaurant durchaus Tel Aviver Preise verlangte, ist hier auf dem Markt alles ein Vielfaches billiger.

Gegen fünf stehen wir im massiven Stau im Berufsverkehr vor Tel Aviv. Die Autos in langen Kolonnen vor der Kulisse Tel Avivs, eine gute halbe Stunde weg vom ärmlichen Ramallah, sind Beleg für den Kontrast zwischen den beiden Welten.

Wie sag’ ich’s den andern? 

Am nächsten Tag auf Arbeit weiss ich nicht, ob ich die Geschichte erzählen kann.

Bis jetzt bin ich der naive Europäer, der gut meint – aber natürlich nichts versteht. Ich will nicht als Pali-Sympathisant angeschrieben werden.

Mein Foto am Schrein von Arafats Grab, grinsend zwischen den beiden Ehrenwachen, zeige ich keinem.

Als ich Kollege Y dann doch von meinem Ramallah Besuch erzähle, macht er ein sehr eigenartiges Gesicht. Etwas fasziniert, etwas ungläubig, leicht abgestossen, er macht einen Schritt zurück.

Ich hab’s noch einigen anderen Freunden erzählt. Sie stellen fast keine Fragen.

Y schaute, als hätte ich einen Brief von seinem Cousin mitgebracht, der wegen Vergewaltigung im Gefängnis sitzt. Niemand will diesen Brief aufmachen. Was kann da schon drinstehen was man lesen möchte?

Mit diesem Cousin, der eine Frau vergewaltigte (angeblich), hat man seit Jahren keinen Kontakt mehr. Und mittlerweile ist es einfacher so.

Sie fragen schon alle: Wie war’s?

Ich sage: Deprimierend.

Sie sagen: Ja natürlich.

Ich hatte mich in Afrika, in den Städten Kenias, so gefühlt. Vielleicht ist es das Lebensgefühl in Gesellschaften, in der es kein Vertrauen in die Gesellschaft gibt. Die Luft ist knapp für alle.

Dass diese Stadt als Hauptstadt und Teil eines ‘gleichberechtigten’ Staates neben Israels funktionieren könnte, scheint sehr weit hergeholt. Der Vorsprung Israels in jeder Hinsicht ist derart gigantisch, dass von einer Gleichberechtigung, wie sie die Zweistaatenlösung suggeriert, keine Rede sein kann.

Es fühlte sich eher an wie der Besuch in einem Reservat.

Der Besuch beim armen, verkrüppelten Nachbarn.

Ich weiss, ich habe nichts gesehen. Ich war gerade mal zwei, drei Stunden dort.

Ich weiss noch nicht, wann ich wieder hinfahre.

Es scheint so weit weg.

Und was soll ich dort …?

Es gibt dort nichts, was ich brauche.

Was habe ich damit zu tun?

 

Der Schrein Yasser Arafats, in der Anlage der Mukatah, dem ehemaligen Hauptsitz der PLO, der von israelischen Truppen 2002-2004 belagert und zerstört wurde.

 

Ah, du sprichst Deutsch..!? Dieses lustige YouTube-Video wird mir öfter mal auf iPhones vorgespielt: Ein Brite in Trenchcoat nuschelt: “Butterfly“. Ein Junge mit Mexikanerhut raspelt ein heissblütiges: “Mariposa“. Eine Französin mit neckischem Béret singt: “Papillon“. Ein tätowierter Italiener: “Farfallo“. Dann bellt ein Deutscher in Krachlederner und Münchner Trachtenhut: “SCHMETTER-LING!“.

Dann geht dasselbe Übersetzungs-Spielchen weiter mit anderen sinnlichen Deutschvokabeln wie “Ambulance, Ambulance, KRANKEN-WAGEN!” oder “Sex, Sexe, Sesso, GESCHLECHTS-VERKEHR!”

Mein Vorschlag für eine Fortsetzung des Videos, aus aktuellem Anlass: “Licence, Permis, FÜHRER-SCHEIN!“. Ich musste Sonntag zur Fahrprüfung.

Ich musste für einen Tag die hier herrschende Verkehrskultur des “Das-geht-auch-schneller” ablegen. In meiner vorbereitenden Fahrstunde hatte ich zwei Fragen, die mir in den zwei Jahren niemand beantworten konnte: Was ist die Höchstgeschwindigkeit? (Gibt es das? Im speziellen innerorts, ausserorts und auf der AUTO-BAHN?) Und: Gibt es sowas wie Rechtsvortritt? (Nein, sagte der Fahrlehrer, und verstand die Frage nicht, eine Seite der Kreuzung hat immer ein Strassenschild.)

Ich musste auf der Strasse beweisen, dass ich meinen Führerschein nicht wie der Russe bei einem korrupten Beamten gekauft hatte, sondern dass ich mir das Recht zum Lenken eines Fahrzeugs in Lektionen und Fahrstunden in meinem Heimatland redlich erarbeitet hatte.

Der Taxifahrer, der mich an dem Tag zum Misrad HaRishui brachte –Hebräisch für FÜHRERSCHEIN-MELDESTELLE! – hatte auch nur Verkehrsregeln im Kopf. Er schilderte mir in den 15 Minuten Fahrt, wie sehr Araber und Nazis auf Sex mit jüdischen Frauen stehen. Er wechselte ohne Atem zu holen zwischen schwärmerisch aufgegeilt („Schau mal diese heisse Braut dort drüben! Ich verstehe die Araber schon!“) und angewiderter Empörung über die Nazis und Mörderaraber, die ob der heissen jüdischen Bräute ihre Überzeugungen verraten.

Ich glaube, er wollte mit seiner feurigen Rede sein weltmännisches Verständnis für meinen Liebes-Umzug nach Israel ausdrücken. Nicht dass ich Araber oder Nazi wäre, aber: Alle Männer lieben sexy Jüdinnen.

Der Experte stieg zu mir ins Auto ohne mich anzuschauen, alles was er in den 2 Minuten sagte war: Smola (nach links), yamina (nach rechts), smola (nach links), smola (nach links). Dann kletterte er wieder aus dem Subaru Rallyewagen ohne mich anzuschauen. Mein Fahrlehrer sagte, es wird schon gut sein.

Dann wartete ich mit Los-Nummer 934 eine gute Stunde auf die Schalterbeamtin.

Jetzt kann ich legal Auto fahren. Wenn ich allerdings Innerorts die 50 fahre wie in der Prüfung, werde ich irgendwann von der Strasse geschoben. Vorschriften sind bestenfalls Anhaltspunkt hier. Es liegt mehr drin hier.

Hier der Link zum Deutsch-Video:
 http://www.youtube.com/watch?v=ZlATOHGj9EY

Wir haben noch immer keine Gasmaske. Dafür haben wir jetzt Atropin für zwei im Badezimmerschrank – das Gegengift für Nervengas aus Syrien. Das war einfacher zu bekommen.

Ich verbringe wieder viel Zeit damit, das Undenkbare zu denken, wie letzten November, während dem Raketenbeschuss aus Gaza. Was, wenn tatsächlich Bomben fallen? In der New York Times berichtete ein Augenzeuge vom Giftgaseinsatz in Syrien: “Die Detonationen hörten sich an wie platzende Wasserfässer…” Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Was tun wir dann? Wie können wir uns vorbereiten? Will ich mich überhaupt vorbereiten? Oder gehöre ich zu jenen, die sagen: Passiert eh nichts..?

Vom Undenkbaren ist es nicht weit zum Schwarzen Humor. Gestern Abend treffe ich auf einer Party einen Bekannten, einen schwulen feinen Ballett-Tänzer, der viel in Europa auf Tournee ist, und der sein Leben in Israel mit ganzem Herzen hasst. Er ruft: “Kommt schon! Beschiesst uns und löscht die eine oder andere israelische Stadt aus! Dann kann ich endlich als Kriegsflüchtling nach Europa!” Ich lache. Er lacht nicht.

Die gefühlte Bedrohungslage hat sich seit dem Nay im Britischen Unterhaus entschärft. Die kriegsmüden englischen Lords haben unser Wochenende gerettet.

Donnerstag waren wir wie geplant am Strand, Freitag war ich mit Freunden auf einem kleinen Katamaran segeln (ich liebe mein Leben hier!) … und dachte, während wir in herrlichem Südwestwind vor der Küste kreuzten, ein bisschen weiter raus aufs Meer, da liegen die US Zerstörer und warten auf Zielkoordinaten aus Washington.

Auf der anderen Seite geht das Morden in Syrien weiter. Wo sind die Völker, die sich von ihren Tyrannen befreien und Demokratien starten? Ich verstehe gar nichts. Und es scheint, dass es Obama ähnlich geht. Dabei hatten sie doch letzte Woche die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern neu gestartet …

Denkt das Undenkbare! Das könnte auch ein Zitat aus einem Kurs für angehende Manager sein. So entsteht Innovation! Die Israelis können das gut. Da einen Zusammenhang zu konstruieren, ist aber wohl Schwachsinn.

Abendessen am Strand: Irgendwo da draussen dümpeln die Kriegsschiffe.

Abendessen am Strand, Nachtschwimmer im Wasser: Irgendwo da draussen dümpeln die Kriegsschiffe.

 

Vor ein paar Tagen war es nur beiläufiges Tischgespräch: Hast du deine Gasmaske schon..? Smalltalk beim Bier. Einige Familienväter im Freundeskreis hatten nach den furchtbaren Berichten über den Giftgaseinsatz in Syrien für ihre Familien vorgesorgt. Alle anderen ignorierten das Thema. (Es ist wie mit den Fahrrad-Helmen. Man fühlt sich albern, einen zu tragen, hier in Tel Aviv tragen nur Eltern und ihre Kleinen einen. Ausserdem: wohin mit den doofen Masken? Dann haben wir wieder zwei Schachteln mehr, die in unsrer kleinen Wohnung rumliegen.)

Man gewöhnt sich hier ans Säbelrasseln. Aber heute, wenn die Israelis Schlange stehen für Gasmasken, und Freunde am Telefon allen Ernstes fragen, ob man die Gasmaske schon geholt hat, weckt das schlechte Erinnerungen an die Bomben im letzten November. Da redeten auch alle vom Golfkrieg ’91, als das letzte Mal Raketen auf Tel Aviv niedergingen und Giftgasangriffe befürchtet wurden.

Soll ich mir nun den Nachmittag frei nehmen, und mich in die Schlange stellen vor dem Postbüro, um eine Gasmaske abzuholen? Ich weiss nicht, ob ich mir das leisten kann, gerade eben habe ich zwei  neue Projekte gestartet. Und morgen wollten wir zum Strand fahren … und soll ich das Rauchen jetzt wirklich bleiben lassen, oder ist das albern..?

 

Drei Stunden Schlange stehen für eine Gasmaske.

Drei Stunden Schlange stehen für eine Gasmaske.