Schuss ins Wasser
Den zweiten Bombenalarm erlebe ich heute Nachmittag am Meer. Meine Frau geht um acht Uhr früh zur 24-Stunden-Schicht. Schweren Herzens. Man rechnet hier mit mehr Geschossen aus Gaza. In der Situation will man nicht alleine sein. Ich frühstücke mit einer Freundin. Sie ist Ungarin, Grafikerin, auch ein Liebes-Import. Wie immer, wenn wir zusammensitzen, besprechen wir Israel, tauschen Gedanken zu unserer neuen Heimat aus. Sie beschwert sich, dass die Leute hier kein Bewusstsein für’s Visuelle haben. Sie nimmt alles hier etwas persönlicher als ich. Natürlich geht’s auch um den Bomben-Alarm von gestern. Wir sind beide ähnlich ratlos, versuchen zu begreifen, was dieser Krieg mit uns zu tun hat.
Am Hafen feiern sie mit einem kleinen Event den Start zur israelischen Langstrecken-Segler-Meisterschaft. Ich setze mich nach dem Frühstück zu den Zaungästen auf die Hafenmole. Die Jachten starten in drei Gruppen Richtung Norden zu einem 8-10 Stunden langen Rennen nach Netanya und zurück. Es sind perfekte Segelbedingungen, leicht bedeckter Himmel, glatte See, steifer Ostwind. Auf dem Weg zurück an den Strand heulen die Sirenen wieder los. Alle kauern sich hinter die massiven Steine des Wellenbrechers.
Eine, zwei Minuten lang heulen die Sirenen, ich filme mit dem iPhone, löse meinen Blick nicht von der Skyline Tel Avivs. Ein scharfer Knall vom Meer draussen – Ruhe. – Einen Moment später geht das Tok-Tok der Matkot-Spieler am Strand wieder los. Andere Passanten auf der Mole haben den Einschlag der Rakete im Wasser gesehen. Ein paar hundert Meter vom Ufer weg, südlich der roten Boje wo die Segler eben noch gewendet hatten.
Eine Viertelstunde später meldet der Armeesprecher wie schon nach dem gestrigen Angriff: «Projectile did not explode on the ground.» Ich setze mich ins Landwer am Hafen und esse Hummus und Falafel. Wie ich da sitze und langsam wieder zu mir komme, erkenne dieses Gefühl der Ohnmacht und der Enttäuschung wieder: So hatte ich mich zuletzt gefühlt am Nachmittag des 11. September 2001.
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