Weg ist das Ziel
Ende Woche 2 stellen wir uns nicht mehr die Frage ‘ob’ wir ausreisen sollen. Sondern ‘wann’.
Die erste Woche war klar für mich: wir können nicht weg, weil Ärzte nicht ausreisen dürfen. Die Familie zu trennen schien mir problematischer, als hierzubleiben und abzuwarten. Wir haben’s hier in unserer Ecke von Israel weiterhin privilegiert, ein, zwei Mal am Tag hören wir aus der Ferne wie Raketen aus Gaza mit grossem Donner abgefangen werden, sonst ist Ruhe.
Die Kids geniessen die Zeit zuhause, und die letzten 10 Tage allein waren’s Wert dass wir in die Suburbs umzogen: Viel Platz zuhause, der Garten, die Ruhe hier, das wäre alles anders jetzt in Tel Aviv. Der Schutzraum ist ein Fortsatz des grossen Spielzimmers im Keller, wir haben ihn mit Camping-Matten ausgelegt und Spiele liegen bereit.
Doch die Zeichen stehen auf Krieg, die Schule fällt seit zwei Wochen aus und eine Rückkehr ist nicht abzusehen, auch weil unser junges improvisiertes Schulhaus Marke Eigenbau keinen Schutzraum hat.
Auch wenn wir in die Runde schauen leben wir ein Märchen hier: Nicht wenige der Familien in unserer Schulklasse haben einen Elternteil, der zum Krieg aufgeboten wurde. Einer Familie in der Klasse ist eine Rakete vors Haus gefallen, ihre Wohnzimmerfenster barsten, glücklicherweise kam niemand zu Schaden. Und zwei, drei Familien sind mit den Kindern bereits ausgereist.
Es mehren sich die Zeichen, dass die Eskalation nicht zu verhindern sein wird. Nicht von Biden, nicht von Sunak, nicht von Scholz – und die Reihe hoher ausländischer Staatsgäste reisst nicht ab.
Immerhin werden hier jetzt auch Stimmen laut, die eine vorsichtige Herangehensweise verlangen. Aber die 350,000 Israelis sind mobilisiert, die Amerikaner stehen Gewehr bei Fuss.
Am schwersten wiegt wohl: Die Rechten in Israel’s Regierung verlangen schon seit Jahrzehnten die Umkehrung von Oslo und Einmarsch in Gaza, um den Terror ‘ein für alle Mal’ abzustellen*. Die Gelegenheit, die sich ihnen jetzt bietet, ist einmalig. Hamas hat mit ihrer Attacke erwirkt, dass die USA unbedingte Unterstützung für eine blutige Militäraktion Israels verspricht.
Diese Unterstützung für kompromisslose Gewalt gegen Hamas, und eine limitierte Bereitschaft zivile Opfer zu akzeptieren, die wird es nicht noch einmal geben – und die Rechten hier wissen das und werden sich das nicht entgehen lassen. Das Furchteinflössende daran: Hamas und Iran wussten das und haben es darauf angelegt. Bedeutet das, dass sich die Iraner bereit fühlen, Israel ‘ein für alle Mal’ abzustellen? Oder ging’s ihnen ‘nur’ darum, einige tausend tote Palästinenser auf den Verhandlungstisch der moderaten Arabischen Länder hier zu legen – um eine Normalisierung mit Israel zu blockieren?
Das Kriegsgeheul der Iraner ist bekannt und ein schlechter Indikator. Die Scharmützel mit Hezbollah bis jetzt sind nicht unbedingt Zeichen der Eskalation, eher Zeichen der Solidarität und des Respekts für Hamas’ Aktionen. Der Aufmarsch der Amerikaner ist eindrücklich. Der Schaden rundum wäre bei einem Eingreifen der Iraner gewaltig…
Doch was bedeutet das für uns? Sind wir zwei, drei Wochen in der Schweiz? Ich alleine mit den Kids?
War’s das für uns hier?
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* Zum Thema ‘ein für alle Mal abstellen’ hat Thomas Friedman, Nahost-Kenner und brillianter Schreiber, einen Kommentar geschrieben: https://www.nytimes.com/2023/10/16/opinion/israel-gaza-war.html